Der Aschengeist

In der ausgedehnten Biographie des ehemaligen Hofmagiers und späteren Heptarchen Galotta erscheint 2009 mit dem Aschengeist der dritte Band. Das gemeinsame Projekt der freischaffenden Kathrin Ludwig und Mark Wachholz deckt die aventurischen Jahre 1003 BF bis 1006 BF ab. Inhaltlich ist dies der Zeitraum nach Galottas Niederlage beim Zug der 1000 Oger, in der der gebrochene Magus zunächst in der Versenkung verschwindet. Erst deutlich später wird sein Schicksal wieder zaghaft von einzelnen Schreiberlingen aufgenommen. Über diese Zeit ist wenig mehr bekannt, als dass Galotta angeblich in Brabak gesichtet worden sein soll. Der Zeitraum ist deutlich enger gefasst, als bei den beiden Vorgängern, auch wenn der Umfang des Bandes gestiegen ist. Der Aschengeist taucht dabei noch einmal tiefer in die Psyche Galottas ein und thematisiert insbesondere seinen neuen Weg und die Verführung durch den erzdämonischen Herrn der Rache. Allein diese Fakten machen bereits deutlich, dass Der Aschengeist keine Lektüre für den Gelegenheitsleser ist, der zufällig einen DSA-Roman in der Hand hält. Zumindest mit dem Hintergrund der Spielwelt Aventurien sollte man vertraut sein, die Kenntnis der beiden ersten biographischen Bände kann sicher nicht schaden.

Aufgrund der besonderen Konstellation ist hier zu beachten, dass die Rezension auch Informationen über den Inhalt enthält.

Zu Beginn des Romans finden wir Galotta als gebrochenen, ja verwirrten Mann vor. Dank einer Kurzübersicht über die beiden Vorgängerromane kann sich der Leser jedoch schneller orientieren und erkennt bereits hier, dass der Erzämon Blakharaz ein Auge auf den verzweifelten Mann geworfen hat. Nur mit dämonischer Hilfe gelingt es Galotta zu entkommen, woraufhin es ihn auf unbekannten Wegen nach Brabak verschlägt. Dort wird er mehr tot als lebendig von dem leichensammelnden Nekromanten Pôlberra aus dem Sumpf gefischt. Wenn man sich Galottas Werdegang bis zu diesem Punkt klar macht, dann wird bereits geographisch deutlich, welchen Abstieg die einstige Spektabilität zu Elevina hinter sich hat. Aus dem auch Zentrum der Macht im zentralen Mittelreich ist Galotta nun buchstäblich am Ende der Welt angekommen. Keine magische Einrichtung hat in Aventurien einen schlechteren Ruf, als die Dunkle Halle der Geister zu Brabak. Der ehemalige Weißmagier trifft hier auf die verrufensten Schwarzmagier des Kontinents. Doch damit ist es nicht genug, die beiden Autoren setzen noch einen drauf. Nachdem er den Zug der Tausend Oger entfesselt hat, wird der verstoßene Leibmagier des Kaisers nicht nur auf dem ganzen Kontinent gejagt, seine Verletzungen sind so schwer, dass er selbst seine magischen Kräfte verloren hat. Dies ist also gewissermaßen die Ausgangslage Galottas in Brabak.

Während Galotta sich in Brabak mehr schlecht als recht von seinen Wunden erholt und nur mit Hilfe des vollendeten Heilers Pôlberra Fortschritte erzielt, betrachten die Autoren einen Nebenplot, der seinen Anfang ebenfalls an der Ogermauer nimmt. Unter den Kämpfern gegen die Oger befand sich auch der Söldner Brander Berre und seine Gefährten. Zumindest Ersterer dürfte Veteranen des Schwarzen Auges bekannt sein, hatte er doch im offiziellen Aventurien bereits einen prominenten Auftritt, der freilich innerhalb der Spielwelt nach dem vorliegenden Roman liegt. Stilistisch gesehen stellen die Episoden um Brander Berre und seine Gefährtin einen Kontrast zu den düsteren und oft deprimierenden Texten um die Brabaker Magier und ihren berühmten Gast dar. Zugleich ist es aber auch ein alternativer Entwurf zu Galottas Weg. Der Söldner strebt zwar ebenfalls nach Rache für seine gefallene Gefährtin, die Opfer seiner eigenen Ambitionen wurde, doch lässt er sein Herz davon nicht so vergiften wie der Gejagte Magus, dessen Gedanken unablässig um Vergeltung kreisen.

Doch selbst das Ende der Welt ist nicht weit genug weg für einen Mann wie Galotta. Sein Ruf ist selbst bis nach Brabak gedrungen und so gerät er auch hier zwischen die Fronten widerstreitender Interessen. Der Nekromant und Seelenheiler Pôlberra steht dabei für die den Magierphilosophen und Freidenker, der Galotta einst war. Erst seine Heilkunst ermöglicht es Galotta sein Leben zurückzugewinnen. Ihm gegenüber steht die Hexe Axzimona, die sich selbst von Nahema gedemütigt sieht und Galotta als Verbündeten für ihre Rache sieht. Sie macht dabei keinen Hehl daraus, dass Dämonen und andere Mächte ihr nur recht kommen, solange sie nur ihrer Rache dienen. Mit Hilfe dieser beiden Figuren spinnen die beiden Autoren nun eine Geschichte, deren Verlauf man ebenso gut als Kampf um Galottas Seele deuten könnte. Dem Schwarzen Mann gerade erst mit Pôlberras Hilfe entkommen, lässt sich Galotta auf die Verführungen der Hexe ein. Sie ist es auch, mit deren Hilfe der Magus seine Zauberkraft zurückgewinnt und ihm erneut jene Macht in die Hand gibt, die ihn erst auf diesen Weg geführt hat.

All diese Entwicklungen betten die Autoren ein, in die dichten Schilderungen des Schauplatzes, die Brabaker Akademie. Mit viel Liebe zum Detail werden hier die tiefgreifenden Fachkenntnisse eines Magister Terbysios geschildert, der in uralten Gedichte nach verlorenem Wissen sucht oder die geübten Abwehrmaßnahmen der Lehrkörper bei misslungen Beschwörungen. Kulminationspunkt ist schließlich die der Angriff von Galottas Häschern, bei dem auch ein zu Lehrzwecken beschworener Dämon außer Kontrolle gerät. Als Galotta sich im aufkeimenden Chaos bei der Akademieleitung erkundigt, gib die Spektabilität eine Antwort, die wie eine Prophezeiung für Galotta selbst wirkt. „Es sind natürlich Heshthotim. Wenn es Ärger gibt, sind es immer die Aschengeister. Irgendjemand begeht immer wieder den Fehler und unterschätzt sie.“ So ergeht es auch Galotta, der sich einer Überzahl der Aschengeister entgegenstellt und unbewusst einen weiteren Schritt in Richtung Verdammnis tut. Nicht von ungefähr lassen die Autoren kurz zuvor einen Lehrkörper den mythischen Ursprung des Rachedämons berichten, demnach dieser einst ein von Rache getriebener Magier gewesen sein soll.

Im letzten Teil erkunden Galotta und die Hexe Axzimona eine astrale Störung in den Brabaker Sümpfen. Dieser Abschnitt wirkt etwas angefügt, da sich der Fokus deutlich ändert. Statt Innenansichten von Akademie und Magier ist Expedition und Action gefragt. Mit Hilfe der Hexe gelingt es Galotta einen alten Visar-Tempel der Wudu zu erkunden und ein überaus machtvolles Artefakt in seinen Besitz zu bringen. Auch wenn Galotta noch weitere Jahre in Brabak verbringt, so ist der entscheidende Schritt in seiner psychologischen Entwicklung doch am Ende getan. Wohl wissend um die Gefahren, die das Artefakt der Wudu mit sich bringt, wendet er sich von seinem Retter Polberra ab und beginnt mit der Hexe Axzimona jene Pfade zu erforschen, die ihn schließlich in die Verdammnis führen. Das Ende lässt dabei keinen Raum für häufig behauptete Rechtfertigungen. Von der Macht verführt und von seinem verletzten Hochmut angetrieben wendet der einstige Magierphilosoph sich jenen Mächten zu, die ihm Rache versprechen für die erlittenen Demütigungen. Er wird selbst zum Aschengeist, der letztlich nur für seine Rache kämpft.

Insgesamt liefert Der Aschengeist guten Lesestoff, wenn man sich von dem doch sehr speziellen Thema nicht schrecken lässt. Viele Elemente des aventurischen Hintergrundes werden so anschaulich eingewoben, dass sie auch Nicht-DSAler inspirieren mögen. Zwar ist Galotta mit seinen ketzerischen Thesen in der weißen Gilde nicht gut gelitten, doch in Brabak prallt der konservative Kontrollfanatiker auf die freidenkerischen Pragmatiker. Neben diesem Gegensatz wird Galotta durch die intuitive Magie der Hexe mit einem weiteren Denkansatz konfrontiert, der ihm völlig fremd ist. Obschon die Hexe sich ebenfalls mit Beherrschungsmagie beschäftigt, gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihr ungeheuer schwer. Was soll ein hochdekorierte Akademiker auch sagen auf die Worte: „Sprich nicht darüber – tu es einfach“.

Nicht ganz einfach ist das Voranschreiten der einzelnen Handlungsfäden über den ganzen Roman hinweg. Zunächst steht die Heilung Galottas im Vordergrund, die immer wieder aufgelockert wird durch die helleren Episoden mit den beiden Söldnern. Bis zum ersten Höhepunkt entwickelt sich daraus der Kampf um Galottas Leben und seine Seele. Dabei gelingt insbesondere die Charakterisierung Pôlberras, so dass dieser Galotta bisweilen den Rang abzulaufen scheint. Nachdem Angriff der Söldner endet jedoch der Handlungsfaden um Galottas Genesung parallel mit dem Absacken der Geschehnisse um Brander Berre. Die Entwicklungen von Galottas Seelenleben vermögen dies nur bedingt zu tragen, da Polberra im Folgenden kaum noch auftaucht. Immerhin versuchen die Autoren diesen Bruch noch einmal mit Hilfe eines Motivs zu überwinden, dass die gesamte Biographie über zu sehen ist. Die Ewige Stadt, deren Ort ebenso ungewiss ist, wie der Umstand ob sie in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft existiert, ist Galottas Schicksalsmotiv. Seit der Prophezeiung Nahemas verfolgt ihn diese mysteriöse Stadt, die unter schwarzen Wolken liegen soll und deren Türme Galotta bereits in seinen Träumen zu sehen beginnt. Kenner des jüngeren Aventuriens werden in diesem Mythos unschwer das Vorbild für Galottas Yol-Ghurmak erkennen.

Fazit

Der dritte Teil der Biographie des Gaius Cordovan Eslam Galotta geht wesentlich stärker in die Tiefe als seine Vorgänger. Die Erzählung wird wesentlich dichter und die Autoren trauen sich an eine Charakterstudie, die wesentlich weniger von äußeren Handlungen getrieben ist als zuvor. Wenngleich der letzte Teil inhaltlich etwas bricht, sind die Texte stilistisch gewachsen und es finden sich immer wieder Passagen, die den Geist Aventuriens atmen. Nachdem nun hier die Biographie durch die feine Zeichnung der Figuren erst ihrem wahren Anspruch gerecht wird, liegt die Zukunft allerdings im Ungewissen. Die Liason mit Axzimona und das ungeborene Kind Galottas öffnen noch einmal Pfade jenseits der Rache. Das mächtige Artefakt in Galottas Händen birgt ebenfalls eine Geschichte die erzählenswert sein mag. Zwei Probleme ergeben sich jedoch bei der Fortführung der Biographie. Zum einen wird sich Galottas Wandlung vom Freidenker zum Gefäß der Rache immer schneller vollziehen und der Geschichte wiederum einen Teil ihres Reizes nehmen. Zum anderen stellt sich die Frage, wer nach dem Rückzug von Mark Wachholz aus der Arbeit für das Schwarze Auge die Arbeit übernehmen würde. In jedem Fall kann Der Aschengeist all jene Leser zufrieden stellen, die sich näher mit der Person Galottas und seinem Werdegang beschäftigen wollen. Der Roman liefert hier ein Paradebeispiel für einen Gefallenen unter den Mächtigen, dessen Herz sich der Finsternis zuwendet und mag damit auch andere Figuren inspirieren. Auch die Liebhaber aventurischen Fluffs kommen hier auf ihre Kosten, selbst wenn das schreiberische Potential der Autoren wohl noch nicht voll ausgereizt ist.

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1 Antwort zu Der Aschengeist

  1. Christian sagt:

    Mein Lieblingssatz aus dem Buch ist ganz klar als Pôlberra zu Galotta sagt:“Als Philosoph wart ihr nicht so ein Feigling.“ Ich denke das fängt es ziemlich gut ein.

    Ich muss gestehen nach den ersten beiden Teilen, dem Hofmagier und dem Feuertänzer gefiel mir am besten, dass auch die Charaktere, die in Aventurien sonst sehr gut wegkommen, nicht mehr all zu strahlend erscheinen. Elfenmädchen mit Panzerhandschuhen die Nase zu brechen ist wohl kaum der Stoff aus dem Helden sind. Dem Leser wird zudem angeboten das Ereignis, das zum Scharlachkappentanz führte, nicht als Unfall, sondern als Falle für den arroganten Galotta zu verstehen. Die Grenze zwischen Protagonist und Antagonist wird stark verwischt und obwohl Galotta mit dem Heraufbeschwören des Ogerzugs eine verwerfliche Tat begeht, konnte zumindest ich nicht anders als mit ihm zu fühlen. Ja, ich hatte das Gefühl ihn zu verstehen. Gebrochen und gedemütigt löst er den Zündmechanismus einer gewaltigen Waffe aus, ohne sich darum zu kümmern wer der Schockwelle zum Opfer fallen wird. Der Zug der 1000 Oger ist eine Botschaft, die sagt:“ Demütigt mich und ich bringe eine Katastrophe über euch, die euch des Gefühls, Sieger über mich zu sein, berauben wird.“ Und genau das war dann auch die Wirkung, die dieses Ereignis hatte. Hier gab es nichts mehr zu gewinnen, für niemanden. Es ging nur ums Blutvergiessen. Die Oger waren nicht Galottas Armee. Sie waren die Schockwelle einer Bombe, deren Auslöser das Ogerauge war. Wichtig war nur, dass das Mittelreich, „dem er so loyal gedient hatte“ und das ihm dies mit einer Demütigung und einem Mordversuch vergolten hatte, Schaden nahm. Und das nahm es, und nicht zu wenig.

    Und hier fängt es an schwierig zu werden für Gaius Cordovan Eslam Galotta. Pôlberra versucht ihm zu helfen, in dem er ihm erklärt, dass der Erzdämon der Vergeltung ihn nicht nur für seine Zwecke eingespannt hatte, sondern ihn, durch die Verbrechen, die er ihn begehen lies, auch an sich zu binden versuchte. Pôlberra versucht ihm aufzuzeigen, dass er sich in einer Abwertsspirale befindet, aus der er nur entkomme kann, wenn er mit seiner Vergangenheit abschliesst. Das Paradoxe daran ist, dass er ihm in ein und dem selben Atemzug erklärt, dass er benutzt wurde, für diese Handlungen also nicht selbst verantwortlich war/ist, aber dass er für seine Handlungen selbst die Verantwortung übernehmen muss, um nicht wieder Spielball der Mächte zu werden. Galotta hat also aus seiner Sicht nur mehr die Wahl selbst Verantwortung für seine Vergangenheit zu übernehmen und diese Handlungen als seine eigenen anzunehmen, was ihn zwangsläufig wieder auf diese Bahn bringt oder er weist diese Verantwortung von sich und verschliesst sich die Möglichkeit zu erkennen, dass es an ihm ist und war sich eben nicht von irgendwelchen Mächten manipulieren zu lassen. Ab und zu hat man beim Lesen den Eindruck, dass Galotta der Drahtseilakt, zwischen Erkennen seiner Verantwortung und dem Loslassen seiner Vergangenheit, tatsächlich gelingt, aber wir wissen wie es enden wird und daher erinnert das Ganze ein bisschen an einen Zweieinhalbstundenepos, zu dessen Beginn man schon genau weiss, dass das grosse Schiff am Ende sinken wird. Nichtsdestotrotz eine wirklich gute Buchreihe, die Aventurien eine grössere Tiefe schenkt und deshalb für jeden lesenswert ist, der mit einem Schwarzweis-Kosmos à la Tolkien nicht viel anfangen kann.

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