Der Pfad des Wolfes

Wenn die Orks das vergessene Volk sind, dann sind die Gjalsker das vergessene Völkchen in der Pampa des Nordens. Zumindest waren sie das bisher in meiner Wahrnehmung. Denn obwohl ich selbst für gewöhnlich sofort Selem und Zhamorrah zu zetern beginne, wenn aus dem Pulk der Uneingeweihten wieder einmal jemand Maraskan als irgendwie fernöstliches oder asiatisches Setting bezeichnet: Wenn es um’s Gjalskerland geht, bin ich bis vor kurzem auch nicht über ein lahmes „Thorwal Reloaded mit Highlandgames und’n bisschen Schamanismus“ hinausgekommen.

Das sehe ich inzwischen anders, und die Lorbeeren hierfür gebühren Der Pfad des Wolfes, dem Debütroman von Alex Spohr, der dem einen oder anderen inzwischen auch als Neu-Waldemser und Mitglied der DSA-Redaktion bekannt sein dürfte. Die von ihm erzählte Geschichte ist vollständig im Gjalskerland angesiedelt und widmet sich einem kurzen Abschnitt im Leben des Wolfstierkriegers Druan bren Anargh aus dem Haerad Mortakh, der bereits im inoffiziellen Szenario „Glaube an Tairach“ in der ersten Ausgabe der Wunder Werk Online einen kurzen Auftritt hatte.

Der Leser begegnet Druan kurz vor seiner Initiationsprüfung, die ihn in die Geisterwelt und vor seinen Odûn (d.h. seinen Schutzgeist) führt, und man wird sodann Zeuge, wie Druan vom Wolfsgeist akzeptiert wird. Der folgende Inhalt, soweit es um den Plot im engeren Sinn geht, ist recht schnell erzählt. Sichtbar ist dabei im Folgenden eine Kurzvariante mit gering ausgeprägter Spoilergefahr, wer sich für ein paar Details interessiert, der möge den nicht sichtbaren Text auf eigene Gefahr markieren (das Ende wird hier aber auch nicht verraten, keine Sorge.)

Während Feierlichkeiten im Haered (=Sippe, Dorf) Morthak kommt es zu einem Angriff von Untoten. Dieser kann zwar ohne große Verluste zurückgeschlagen werden kann, sorgt im Haerad aber für Verängstigung und tiefe Verunsicherung. Es wird daraufhin eine Delegation zu Marthai dûr Krommegh entsendet, einer von den Gjalskern zwar respektierten, aber zugleich gefürchteten, Zauberkundigen in den Donnerzacken. Dieser Gruppe gehört unter anderen Druan an. Nach einer beschwerlichen Reise (in deren Verlauf sich die Gruppe auflöst), erreicht Druan Marthais Höhle. Die Zauberkundige kommt nach reiflicher Überlegung zu einer Vermutung über den Ort und Ursprung allen Übels (die Eishöhle am Quell des Yager – UdW 188 – , von wo aus anscheinend jemand die Angriffe initiiert hat). Druan macht sich daraufhin auf, die Wurzel allen Übels an diesem Ort auszureißen. Tatkräftige Unterstützung erhält er dabei von der jungen Nivesenschamanin Amuri, die bei Marthai in die Lehre geht und sich ihm bei diesem Wagnis anschließt. ( Auf ihrem weiteren Weg erhalten die beiden überraschend und auf Umwegen weitere Verbündete (Orks). Gemeinsam gelangt man nach einigen Hindernissen ans Ziel und schlägt dort die Entscheidungsschlacht.)

Zahlreiche Andeutungen im Roman und auch das Ende selbst schreien überdeutlich „Fortsetzung!!!“. Ob es nach Alex’ Eintritt in den inneren Zirkel der Macht dazu noch kommen wird, wird sich zeigen. Sobald die Nanduriaten Eures Vertrauens Genaueres wissen, lassen wir die Semaphoren auf Hochtouren laufen.

Soweit ein kurzer Überblick über die Story im eigentlichen Sinn. Welchen Eindruck hinterlässt der Roman?

Zunächst die Meckerei. Der größte Schwachpunkt des Romans ist, zumindest in Teilen, der Plot selbst. Obwohl die Geschichte natürlich an vielen Stellen deutlich ausgefeilter und detaillierter ist, als es meine Zusammenfassung erahnen lässt, ist der Ablauf der Ereignisse insgesamt recht vorhersehbar. Die Handlung plätschert ganz gefällig dahin, baut dabei aber an keiner Stelle die Art von Spannung auf, die einen gegen Abend trotz Müdigkeit noch mal ein paar Kapitel dranhängen lässt. Auch die Enttarnung des diesmaligen Oberfieslings führt nicht gerade zu einem „Oh mein Gott, ausgerechnet er/sie/es!“-Effekt.

Der Stil scheint mir zudem recht uneinheitlich. Streckenweise finden sich zwar eine ganze Reihe wirklich gelungener Formulierungen und Dialoge, diese wechseln sich jedoch auch ab mit Passagen, wo man besser nicht allzu genau mitliest. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der eher einfach gehaltene und schnörkellose Stil eignet sich sehr gut für die Dialoge der beteiligten Personen, die doch allesamt eher der praktischen Seite des Lebens zuneigen und bei den Hesindedisputen der letzten Jahre eher durch Abwesenheit glänzten. Zumindest im Fall der anonymen Erzählerfigur hätte ein wenig mehr Aufmerksamkeit bei der sprachlichen Gestaltung dem Text aber sicherlich gut getan. Dasselbe gilt für ein vernünftiges Lektorat. Neben Buchstabendrehern und Wiederholungen kommt es an mindestens einer Stelle auch zur Verwechslung von Namen der Personen. Zwar kommt hierdurch keine echte Verwirrung auf (mir ist es beim ersten Lesen nicht mal aufgefallen), wer das Gehirn beim Lesen jedoch nicht auf Autokorrekturmodus stellt und eher zu den Orthographie- und Syntax-Bannstrahlern gehört, dem könnte der Lesespaß an manchen Stellen aber durchaus verhagelt werden.

Nun aber zu den positiven Aspekten:

Es gelingt Alex Spohr auf, wie ich finde, vorbildliche Weise, gjalsker Flair aufkommen zu lassen und einem die Kultur der Gjalskerländer sowie insbesondere das Selbstverständnis ihrer Tierkrieger vor Augen zu führen. Während die Beschreibungen in Unter dem Westwind mich in der Vergangenheit insgesamt eher kalt gelassen haben, ist es diesem Roman bedeutend besser gelungen, mir die Gjalkser sowie die Profession des Tierkriegers als bedenkenswerte und rollenspielerisch interessante Option zu vermitteln. Eine Rolle spielt hierfür sicher, dass Alex Spohr seine Figuren häufig zu Wort kommen lässt und sie die Ereignisse kommentieren und bewerten lässt, und dass die Geschichte übergreifend aus Druans Perspektive erzählt wird, so dass man an dessen innerer Entwicklung teilhaben kann. (Eine der Ausnahmen hierzu ist die grandiose Eingangsszene, die aus Sicht von Orks erzählt wird, die es mit Gjalsker Tierkriegern zu tun bekommen und einem fast ein wenig leid tun können.) Dass die anderen Charaktere dafür teils mit eher grobem Pinselstrich gezeichnet sind, fällt zwar auf, kann den positiven Eindruck an dieser Stelle aber nicht wirklich schmälern.

Der Roman ist damit auch ein Crashkurs in Gjalsker-Kultur, wobei es sich für Uneingeweihte empfiehlt, vor Beginn der eigentlichen Lektüre einmal durch den sehr hilfreichen Anhang mit Glossar zu blättern, damit man später nicht immer wieder nachprüfen muss, was eigentlich genau gemeint ist, wenn, Natûro-Gon sei Dank, die Molû-Parra-Dûn der Calyach’an Mochûla durch die vereinte Kraft der Brenchi-Dûn und Durro-Dûn vertrieben werden konnten.

Nicht zuletzt fällt auf, dass der Roman sich hervorragend in der einen oder anderen Form für eine Umsetzung am Spieltisch eignet. In diesem Zusammenhang regt sich natürlich der Verdacht, dass die Story dort auch ihren Ursprung hat. Wenn wir es hier tatsächlich mit einem Exemplar der Gattung „Unser letztes Abenteuer, als Roman nacherzählt“ zu tun haben, leidet dieses aber an keiner der dabei oft anzutreffenden Schwächen. Die beschriebene Geschichte lässt sich mit ein wenig Aufwand problemlos als Abenteuer nachspielen. Man muss hierfür lediglich die Heldengruppe vor Beginn des Angriffs in den Haerad lotsen, und sie von dort ausgehend Teil der Ereignisse werden lassen. Die im Roman erzählte Geschichte bietet hierfür zahlreiche Möglichkeiten. Besonders schön ließe sich auf diese Weise natürlich auch ein Gjalsker Tierkrieger in die Gruppe einführen, wenn man die Rolle des Druan entsprechend umbesetzt.

Fazit

Sicherlich spielt Der Pfad des Wolfes, was seine reinen Romanqualitäten angeht, nicht in der Liga, in der sich unter den neueren Autoren z.B. Michelle Schwefel, Daniela Knor und streckenweise auch Daniel Jödemann bewegen. Auf der anderen Seite haben wir es jedoch mit einer stimmungsvollen Erzählung zu tun, die sich speziell an DSA-Spieler und Aventurienfreunde richtet und diesen ein stimmiges und kurzweiliges Erzählstück darbietet, das hervorragend in den Hintergrund eingebettet ist und zahlreiche Anknüpfungspunkte für das eigene Spiel bietet. Wer wissen möchte, was die Gjalsker insgesamt so zu bieten haben, wer nach Inspiration zur Ausgestaltung seines Tierkriegers oder nach Szenarioideen im Gjalskerland sucht und wer dies mit einer Romanlektüre kombinieren möchte, der kann hier ohne Weiteres zugreifen. Wer DSA-Romanen grundsätzlich aufgeschlossen, den Gjalskern aber eher indifferent oder ablehnend gegenüber steht, der sollte es zumindest auf einen Versuch ankommen lassen. Wer sich hingegen nur für die absoluten Highlights im DSA-Romanuniversum interessiert, der wird hier vermutlich nicht sonderlich viel verpassen, und auch den gestandenen DSA-Romanskeptiker wird dieses Buch sicherlich nicht in den Chor der Konvertierten treiben.

Das nervöse Scharren zahlreicher Hufe unterbricht hier leider meine Überlegungen zur angemessenen Gewichtung der genannten Vor- und Nachteile, bevor sie überhaupt richtig begonnen haben. Intuitiv schwinge ich mich daher auf eins von insgesamt sieben Einhörnern und reite gemeinsam mit diesen und unserem Heroen in den Sonnenuntergang.*

In diesem Sinne: Yurrga befohlen! Und möge Sindarra Euch die Schönheit der Welt auch an deren Hinterteil erblicken lassen, Bruderschwestern!

*Kommentar Feyamius: Als Vertreter der Jury sehe ich mich leider gezwungen, an dieser Stelle auf eine Nachlässigkeit unseres Rezensenten hinzuweisen. Von den genannten sieben Einhörnern entpuppt sich eines bei genauerem Hinsehen nämlich unzweifelhaft als Eichhorn und ist damit nicht für das Wertungsportrait zugelassen. Wir bitten, diesen Fauxpas zu entschuldigen.

Dieser Beitrag wurde unter 6 Einhörner, Aventurien, Rezension, Roman abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert