Die verbotene Kammer

Meridiana Josch und die verbotene Kammer*

 

 

Du kennst doch Marcus — der hat sich mal in seinem eigenen Museum verlaufen.“

 

 

1. Vorspann

Es gibt gleich vier gute Gründe, sich für dieses Erstlingswerk aus der Feder von Mháire Stritter, Nicolas Mendrek und Stefan Tannert zu interessieren:

Erstens: Es ist ein Soloabenteuer, und davon erscheinen nicht mehr so wirklich viele. Zweitens: Es ist ein Myranor-Abenteuer, und davon erscheinen auch nicht so viele. Drittens: Es ist ein Myranor-Solo und damit das erste seiner Art. Viertens: Es ist der Prolog zu der Myranor-Kampagne Wächter des Imperiums von Mháire Stritter (vermutlich eines der zahlreichen Pseudonyme Heinz Featherlys), die uns in der Einleitung für Herbst 2011 angekündigt wird.

Überhaupt: „Soloabenteuer“. Schon der Name allein weckt Assoziationen an die 80er und 90er, den legendären Hexenmeister vom Flammenden Berg und die ersten 12 Jahre in der Entwicklung von DSA, als Solos Hochkonjunktur hatten. Irgendwann galt das Soloabenteuer dann als aussterbende Gattung und abgesehen vom grandiosen Die Schwarze Eiche scheint das Genre, zumindest was DSA angeht, überwiegend in Browsergames aufgegangen zu sein. Man darf also gespannt sein, was einen hier erwartet, und ich packe schon mal Hut, Peitsche und Notizbuch zusammen. Du hingegen, geneigter Leser…

  • hast endlich etwas Zeit und Muße und freust Dich auf eine ausführliche Rezension zu einem Produkt, das gerade frisch für Dein Lieblingshobby erschienen ist (gehe zu Abschnitt 2)
  • bist unentschlossen, ob Du der Verbotenen Kammer einen Besuch abstatten solltest, bist als typischer DSA Spieler jenseits der 30 aber berufstätig und nur mit wenig Zeit ausgestattet (gehe direkt zu Abschnitt  5)
  • hast als Mitglied der Generation Google leider schon wieder vergessen, worum es hier eigentlich geht (google „Meridiana Josch und die Verbotene Kammer“ und lese Abschnitt 1)
  • bist ein gehässiges Wesen und interessierst Dich vor allem dafür, was die Autoren so alles vermasselt haben (gehe direkt zu Abschnitt 4)
  • magst Soloabenteuer, aber nur die ohne Railroading (Sehr witzig! Ab zu Abschnitt 2)
  • spielst schon seit Jahren kein DSA mehr und liest hier eigentlich nur noch mit, um zu sehen, wie sehr alles den Bach runter gegangen ist, seit ….  (Gehe ins Tanelorn-Forum, begib Dich direkt dorthin, gehe nicht über LOS, ziehe nicht 4000 Aureal ein).

2. Das Geschehen

Ein jeder kennt das: Man geht sich abends in Imachora noch ein wenig die Beine vertreten und bevor man sich versieht, wird man mirnichtsdirnichts von einem dahergelaufenen B-Prominenz-Optimaten mit einem legendären Meisterdieb namens „Schwarze Eule“ verwechselt und in eine ebenso legendäre, angeblich mit einem Fluch und zahlreichen Fallen gesicherte Bibliothek auf der Suche nach unglaublich wichtigem und verbotenem Wissen gezogen (Details siehe hier:  http://www.youtube.com/watch?v=uF1pich7ADc).

Noch bevor man Zeit hat, sich zu erklären, wird man von seinem neuen Begleiter namens Gylderianius, einem jungen Optimaten aus dem Hause Tharamnos, auch schon mit Anforderungen und Aufgaben überhäuft. Angeblich hat man eine Abmachung getroffen und sich bereit erklärt, Gylderianius bei der Suche nach etwas Geheimnisvollem in der Bibliothek behilflich zu sein. Man merkt schnell, dass es nun keinen anderen Ausweg aus der ganzen Sache mehr gibt, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, die schwarze Eule zu spielen und seinen unfreiwilligen Begleiter so gut es eben geht zu unterstützen.

Was erwartet einen nun? Ein Museum voller Absonderlichkeiten, Prüfungen und Aufgaben, die vorrangig darin bestehen, eine Reihe von Rätseln zu lösen, um an geheime Orte in- und außerhalb des Gebäudes zu gelangen, um auf diese Weise die Voraussetzungen für das Auffinden der verbotenen Kammer zu finden, die Wissen von ungeheuerlicher Tragweite beherbergen soll. Am besten wäre es natürlich, man käme hierbei weder an Köper noch an Geist ernsthaft zu Schaden. Aber man kann ja nicht alles haben…

Da es sich um ein Soloabenteuer handelt und der geneigte Leser evtl. selbst noch in den Genuss des Spielens gelangen will, verzichten wir an dieser Stelle auf genaue Angaben zum Inhalt und widmen uns lieber gleich einer Beschreibung der positiven Aspekte.

3. Was zu gefallen weiß

Das erste, was an dem Solo besonders positiv auffällt, ist der äußerst kreative Umsatz mit der Frage: „Wie bekommt man den Spieler von Abschnitt A zu Abschnitt B?“  Hier begnügt sich das Autorenkollektiv nicht mit Lösungen der Form …

  • wählst Du Tür A, gehe zu 23
  • wählst Du Tür B, gehe zu 93,
  • wählst Du Tür C, schmeiß das Buch weg

…. , sondern hat sich zwei zusätzliche Möglichkeiten ausgedacht: Zum Einen gelangt man im Laufe des Abenteuers zu einer stattlichen Ansammlung von Gegenständen, die man — aufgemerkt! — sowohl miteinander als auch mit zahlreichen Objekten, die man im Museum antrifft, benutzen kann. In diesem Fall werden bestimmte Nummern miteinander addiert, und fertig ist der neue Abschnitt. Nicht immer ergeben diese Anwendungen einen guten Sinn, so dass man oftmals schnell wieder auf den Ausgangsabschnitt zurückgeworfen wird.

Das ist ein wirklich netter Einfall, der für ordentlich Abwechslung sorgt und, zusammen mit dem Ambiente und dem Ort, an dem das ganze spielt, dem Abenteuer den Charme der guten alten Indiana Jones Point‘n Click Adventures von Lucas Arts verleiht (den Älteren unter Euch sagt das vielleicht noch was). In dieselbe Kerbe hauen auch die zahlreichen Gags und gelegentlichen Anspielungen auf das Leben außerhalb des fiktionalen DSA-Universums, die im besten Fall an Monkey Island oder Indy III erinnern, im schlechtesten Fall aber auch in die Kategorie Flachwitz mit Kopfschüttelgarantie fallen. Dass man in diesem Zusammenhang auch dem oftkopiertenseltenerreichten Heinz Featherly — oder zumindest einem Wesen, das ihm sehr nahe kommt – einmal über die Federn streichen kann, macht dabei aber natürlich einiges wett.

Ansonsten basieren einige Übergänge darauf, dass man als Leser aus den Informationen im laufenden Text oder aus begleitenden Bildern Hinweise auf den gesuchten Textabschnitt bekommt oder dessen Nummer hieraus errechnen kann (römische Zahlen lesen zu können, ist dabei Voraussetzung). Auch das ist eine tolle Idee, die einen aber auch ein wenig in den Wahnsinn treiben kann, wenn man nicht ahnt, dass gerade dies die intendierte Lösung in einem bestimmten Abschnitt ist. Als Rezensent mit der Lizenz zum Mogeln ist das ein vermeidbares Problem, aber ich kann mir vorstellen, dass sich manch einer an bestimmten Stellen die Zähne ausbeißt.

Da die Informationen, die man an bestimmten Stellen benötigt, auch solche sein können, die man an anderer Stelle des Abenteuers erhält, hier nun ein wichtiger Hinweis von einem frischgebackenen Veteranen der Verbotenen Kammer an alle zukünftigen Entdecker:

Führt genau Buch darüber, wo Ihr im Laufe der Zeit wart und schreibt möglichst viele der Informationen auf, die Ihr erhaltet, denn ansonsten sucht Ihr Euch irgendwann dumm und dusselig. Das gilt auch für zentrale Orte: Man bekommt recht schnell ein Gespür dafür, an welchen Orten die Anwendung eines noch zu findenden Gegenstands des Rätsels Lösung ist. Da der Aufbau des Abenteuers nicht linear ist und man eigentlich alle wichtigen Orte beliebig häufig aufsuchen kann, empfiehlt es sich, zu vermerken, welche Abschnitte die wichtigsten Punkte markieren. So kann man sich später viel Nachschlage-Arbeit und Rumrennerei ersparen.

Sehr erfreulich ist auch, dass das Soloabenteuer in mehrerer Hinsicht für Einsteiger geeignet ist. So benötigt man keine wirklich ausgefeilten DSA-Regelkenntnisse. Wer Eigenschafts- und Talentproben versteht, ist eigentlich schon auf der sicheren Seite. Und auch mit Myranor muss man bislang keine Erfahrungen gemacht haben, um sich an den Geschehnissen zu erfreuen. Geschickt nutzt das Autorenteam die Tatsache, dass das Abenteuer in einer Bibliothek spielt, um es auch für einen Crash-Kurs Myranor zu verwenden. An manchen Stellen setzt die Lösung eines Rätsels gerade voraus, dass man bestimmtes Wissen erworben hat. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass zumindest gestandene Myranorveteranen sich an manchen Stellen vielleicht ein wenig unterfordert oder gelangweilt fühlen können.

Überhaupt lässt sich festhalten, dass in diesem Abenteuer Spielerfähigkeiten und -wissen eine viel wichtigere Rolle spielen als Heldenfähigkeiten und Heldenwissen. Eigenschafts- und Talentproben sowie Kämpfe kommen zwar vor, letztendlich hängt aber an kaum einer Stelle Leben und Tod vom einem einzigen Würfelwurf ab, und es lassen sich eigentlich alle wichtigen Ziele auch auf verschiedenen Wegen erreichen.

In diesem Zusammenhang ist auch ein Hinweis zu passenden Heldentypen angebracht: Grundsätzlich verspricht das Abenteuer, für alle Heldentypen geeignet zu sein; des schwierigen Problems der Handhabung von Magie in Solo-Abenteuern entledigen sich die Autorinnen und Autoren einfach dadurch, dass magiebegabte Helden gleich zu Beginn all ihrer AsP beraubt werden. Keine sonderlich kreative Lösung, aber zumindest müssen sich Spieler magisch begabter Professionen insofern nicht benachteiligt fühlen, als ihre Erfolgschancen hierdurch nicht ins Bodenlose sinken (auch wenn es sicher gut ist, keinen totalen Körperklaus zu spielen). Auf Spieler anderer Spezies wurde auch insofern Rücksicht genommen, als bei der Bestimmung mancher Probenmodifikatoren eventuelle Eigenheiten wie Schwanz, Flügel etc. berücksichtigt werden.

Für alle die, die auch bei Soloabenteuern wirklich absolut alles lesen müssen, wurden übrigens noch zwei Überraschungen eingebaut, die erschütterndes Wissen über das Wesen des Namenlosen und die Essgewohnheiten des Autorenteams bereit halten. Dazu von mir ein herzhaftes „Esst mehr Käsetoast!“.

Verschwiegen werden soll auch nicht, dass der Anhang des Solos ein paar (wenn auch sehr knappe) Hinweise zur Umgestaltung in ein Gruppenabenteuer enthält.

4. Wann gibt‘s endlich was zu meckern?

 

Jetzt. Ein paar Eulenhaare habe ich natürlich auch in diesem myranischen Eintopf entdecken können:

Auch wenn wir da inzwischen etwas abgestumpft sind: Fehler in Abenteuern sind immer ärgerlich und in Sololabenteuern können sie verheerende Wirkung enthalten. Ich für meinen Teil konnte vier größere Fehler entdecken: Drei interne Verweise führen ins Leere oder an falsche Stellen, und in einem Fall liegt einer Beschreibung an einem bestimmten Punkt die Annahme zugrunde, man habe zu diesem Zeitpunkt eine bestimmte Begegnung gehabt, obwohl diese optional ist. (Details finden sich in der Errata-Liste, die zusammen mit Bonusmaterial inzwischen auf der Seite des Uhrwerk Verlags zu haben ist). Brajan sei Dank kann aber festgehalten werden, dass keiner dieser Fehler wirklich spielentscheidend ist oder einem den Spaß nachhaltig verleidet. Sofern man, was man bei dieser Art von Solo eh tun sollte, kontinuierlich den Pfad durch den Zahlendschungel ein wenig dokumentiert, kann man die hier genannten Fehler leicht ausbügeln. Wesentliche Infos oder unglaublich interessante Passagen gehen einem hier auf jeden Fall nicht durch die Lappen.

Ungünstig ist auch, dass in einem Fall eine Illustration nicht exakt zu der zugehörigen Beschreibung  passt (S. 20), was dazu führt, dass im Fall eines relevanten Objekts die Größenverhältnisse im Vergleich zur Illustration auf S. 28 nicht ganz passen. Dies kann einen leider bei der Suche nach dem nächsten Abschnitt, für die beide Bilder eine wichtige Rolle spielen, etwas in die Irre führen. Auch hier ist der Fehler aber ebenso leicht zu entdecken wie zu korrigieren. Schade ist es trotzdem, dass der eigentlich sehr intelligente Einsatz der Illustrationen, die auch durchgängig sehr ansehnlich sind, hierdurch ein wenig sabotiert wird.

Schlussendlich hat mich auch ein wenig gestört, dass angesichts der Masse von Ereignissen und aufzusuchenden Orten manche Stellen im Abenteuer ein wenig kurz geraten sind. Obwohl es sich bei „Die verbotene Kammer“ sicher um eines der umfangreichsten Soloabenteuer für DSA handelt, hat man streckenweise das Gefühl, durch manche Orte, an denen man gerne länger verweilen würde, regelrecht gehetzt zu werden.

5. Abspann

Nach getaner Arbeit und überstandenen Abenteuern genießt Meridiana Josch inzwischen zusammen mit den noch ausharrenden Lesern und einer Rumpfbesetzung an Einhörnern den Sonnenaufgang in Xarxaron und setzt daher nun zum Fazit an:

Wer Myranor mag, sollte sich dieses Solo allein schon deshalb nicht entgehen lassen, weil es den Prolog zu einer neuen, vielversprechenden Kampagne enthält. Wer Solos gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen ist und mal sehen möchte, wie es sich so anfühlt, in Myranor zu spielen, kann hier eigentlich auch bedenkenlos zugreifen. Zwar ist dieses Abenteuer sicherlich nicht in allen Hinsichten repräsentativ für Stil und Charakteristika des Myranor-Settings, aber dennoch ein guter erster Anlaufpunkt. Wer Soloabenteuer mag und bedauert, das diese Gattung immer weiter vernachlässigt wird, ist auf jeden Fall auch gut bedient und wird die Abwechslung, die in Die verbotene Kammer geboten wird, zu schätzen wissen. Wer jedoch weder mit Myranor noch mit Solos etwas anfangen kann, dem kann vermutlich auch hiermit nicht geholfen werden.

Alles in allem ist Die verbotene Kammer ein wirklich gelungenes Exemplar seiner Art, das aufgrund von Umfang, nichtlinearer Struktur und zahlreichen, teils kniffligen, Rätseln einige Stunden Spielspaß bereit hält und zeigt, dass das Genre Soloabenteuer so leicht nicht tot zu bekommen ist.

Kommen wir also zum Wertungsportrait:

Schwund ist immer, und ein Einhorn scheinen wir bedauerlicherweise in den Tiefen des Museums verloren zu haben, wo es noch ein wenig länger zu verweilen geruht. Vielleicht hat es aber auch eine falsche Abzweigung genommen, wer vermag diese Wesen schon zu durchschauen? Ein weiteres Einhorn hat sich gerade in die elendig lange Schlange (Ich hasse Schlangen!) vor dem Autogrammkartenstand von Heinz eingereiht, derweil die restlichen sieben zusammen mit mir darauf warten, vermittelst neuester arkanomechanischer Techniken schnappgeschossen zu werden. NÄK NÄK!

* Besten Dank an Eevie für diesen Namensvorschlag, und ebenso an Feyamius, dessen „Ingfallspeugen Josch“ nur ganz knapp geschlagen wurde. Wie schön ist die Welt!

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13 Antworten zu Die verbotene Kammer

  1. Dr. Heinz sagt:

    Näk! Nähäk Nuk!

  2. Nico Mendrek sagt:

    Was mein Chef sagen will:
    Vielen Dank für diese sehr wohlmeinende, toll geschriebene und liebevoll gemachte Rezi. Wenn ich die Rezension bewerten müsste, würde ich 9 Punkte geben 😉

  3. Josch sagt:

    Heinz war auch so freundlich, uns zu twidjan, dass die Errata in der 1. Fassung schon zu haben sind (siehe hier http://www.uhrwerk-verlag.de/?page_id=148). Eine aufgehübschte Fassung ist in Arbeit.

  4. Pingback: Errata zu “Die verbotene Kammer” | Nandurion

  5. Fieser Meister sagt:

    Tolle Rezi! Bitte mehr davon! 🙂

    p.s.: Kann ich auch meinen Tytakoiden in dieses Solo führen?

  6. Josch sagt:

    Bonusmaterial für „Die verbotene Kammer“ unter: http://www.uhrwerk-verlag.de/?page_id=148

  7. Josch sagt:

    @Fieser Meister: Ach so, ja sag das doch! Ja, der ist natürlich zugelassen, aber mit so einem IMBA Char wird das natürlich der reinste Spaziergang, da musst Du Dich schon ehrlich fragen, ob Du Dir das wirklich so einfach machen willst.

  8. Pingback: Musica Myrana | Xeledons Spottgesang

  9. Pingback: Fünf Jahre Nandurion – Der lange Brief zum kurzen Abschied | Xeledons Spottgesang

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