Interview mit Arne Gniech und Marcus Jürgens

Interview-Verfolgung-Einhörner-Arne Gniech und Marcus Jürgens bilden mit ihrer Runde ein wenig das gallische Dorf der DSA-Community: Während alle Welt die fortschreitende Geschichte Aventuriens bespielte, nach Myranor übersegelte und inzwischen auch Uthuria und das Riesland besuchte, begaben sich die beiden im Jahr 1989 in die Hohlwelt Deres – und blieben bis heute dort. Nun, 25 Jahre später, haben sie zusammen mit anderen Autoren den Tharun-Weltenband veröffentlicht und arbeiten an Regelband und Abenteuersammlung.

Diese Geschichte einer Spielrunde, die sich so lange mit Tharun beschäftigt hat, dass sie schließlich auf der Basis ihrer Version der Hohlwelt eine Neuauflage der alten Schwertmeister-Bände von 1987 schreibt, ist natürlich für uns ein Grund, Marcus und Arne zu alten und neuen Geschichten aus Tharun zu befragen. Auf der HeinzCon erklärten sich die beiden sofort zum Interview bereit.

1. Nandurion: Vielleicht fangen wir mit einer kurzen Vorstellung an. Wer seid ihr, und wie hat es euch in die Hohlwelt verschlagen?

Bild vom Tharun-Workshop: von rechts: Marcus Jürgens, Arne Gniech

Der Tharun-Workshop: Frank Alegria, Lars Reißig, Arne Gniech, Marcus Jürgens (v. l. n. r.)

Arne: Ich bin DSA-Spieler (oder eher: Spielleiter) seit anno 1985, ab 1987 einige Jahre in der damaligen Fanzine-Szene aktiv (ein Heft mit dem unglaublich dämlichen Namen Warrior Express) und seit Sommer 1989 dann mit meiner Spielrunde (u. a. Marcus und Frank Alegria) in die Hohlwelt eingestiegen – da sind wir bis heute annähernd in Originalbesetzung, feiern also in diesem Jahr unser „Silbernes“. Fast alle schreiben daher auch an Tharun mit – echte Addicts eben. DSA Professional, kurz DSAP, wie Tharun damals genannt wurde, hat bei uns also all die Editionen und Veränderungen im DSA-Universum überlebt. Mit 41 Jahren gehöre ich in Berlin immer noch zu diesen Twentysomethings.

Marcus: Ich bin 39 Jahre alt und spiele seit 1987 DSA. Das erste Abenteuer habe ich auf einer Klassenfahrt gespielt und dann sofort eine regelmäßige Spielrunde mit Frank Alegria begonnen. Arne, Frank und ich sind Freunde seit früher Kindheit und so haben wir dann auch mit Arne Traveller gespielt. Als Arne dann eine Spielrunde zu Tharun begann, sind Frank, Ingo Wilde, Markus Haarmann, Joern Barthel und ich von seiner Begeisterung angesteckt worden und haben den folgenschweren Fehler begangen, unsere liebgewonnen Helden und Heldinnen in einen Vulkan auf der Insel Nagalosch klettern zu lassen.

2. Nandurion: DSA bietet mit Aventurien (in zwei Zeiten), Myranor, Uthuria und Rakshazar viele ausgearbeitete Settings. Warum sollte man sich für Tharun entscheiden? Was ist daran so besonders?

Arne: Tharun ist ein in sich geschlossener, exotischer Schauplatz, der sich vor allem durch seine schiere Größe – die neun Inselreiche Tharuns erstrecken sich über viele tausend Meilen – und seine gesellschaftliche Grundstruktur – die Tyrannei der Acht Götter und der darauf gegründeten despotischen Herrschaft weniger exzellenter Schwertmeister über die Völker Tharuns – gravierend von anderen DSA-Spielsettings unterscheidet. Zur DNA von Tharun gehören natürlich Urkräfte wie die Giganten, die hier noch viel urwüchsiger sind als außerhalb der Hohlwelt, aber auch die sehr freie Runenmagie und die Kampfkunst der Schwertmeister mit ihren beseelten Waffen – und nicht zuletzt die mythologischen Geheimnisse, die im Verlauf eines epischen Götterkrieges ergründet werden können. Wo kann man sonst in einer Welt spielen, wo der Feind in Gestalt der Sonne quasi am Himmel hängt?

Marcus: Tharun bietet mit seinen tausenden Inseln unendliche Möglichkeiten zur Entdeckung einer fremdartigen und faszinierenden Welt. Die seltsamen Waffen aus Endurium und die mächtige Runenmagie lassen die Grenzen der Charakterklassen Magier und Kämpfer verschwimmen und die großartige Mythologie und die weltumspannenden Geheimnisse bieten sich für fantastische Kampagnen an. Im Kleinen bietet das Spiel auf den tharunischen Inseln sich für komplizierte politische Intrigen genauso an wie für aufregende und aktionsgeladene Wildnisabenteuer. In Tharun gibt es noch keine komplizierten Verstrickungen durch einen Metaplot und wir werden versuchen, diese Freiheiten für den Spielleiter weitgehend zu erhalten. Was die harte und ungerechte Welt Tharuns nicht kennt, ist die für derische Heldengruppen typische Solidarität und den Teamgeist. Das ist eine mächtige Ressource, die die Tharuner nicht verstehen und den Zusammenhalt der Gruppe stärkt. Nur gemeinsam kann eine derische Heldengruppe in Tharun bestehen und das ist eine gleichsam bittere wie versöhnliche Erkenntnis.

3. Nandurion: Tharun war von DSA lange (seit 1987) nicht mehr offiziell thematisiert worden. Wie kam es zu dieser Neuauflage?

Tharun Coverscan

Der Tharun-Weltenband in der Heinzcon-Edition.

Arne: Die Idee müssen Patric Götz und Stefan Küppers irgendwann Ende der Nuller Jahre ausgebrütet haben. Vor allem Stefan und Tom Finn haben die Erinnerung an Tharun in vielen DSA-Werken immer wieder durch kleine Andeutungen wach gehalten – und Tom Finn war es auch, der uns ins Boot geholt hat, indem er uns Stefan als „Fachleute“ für Tharun empfohlen hat. Das war für uns natürlich eine einzigartige und wundervolle Gelegenheit, „unser Tharun“ zu publizieren. Die Zusammenarbeit mit Stefan war von Tag 1 an sehr produktiv – er gehört zu den ganz Wenigen, die im derischen Kosmos wirklich durchblicken und unglaublich viel Hintergrundrauschen filtern kann. Seine Erfahrung und unser Enthusiasmus haben sich prima ergänzt.

Marcus: Da wir die Kampagne in zwei parallelen Spielrunden – die eine von Arne geleitet, die andere von Frank – bis dato 25 Jahre lang spielen, haben wir sehr viel Material, viele Ideen und eine lebendige Vorstellung der Welt geschaffen, die immer schon nach einer Veröffentlichung verlangte. Wir hatten sogar erwogen, das Ganze im Selbstverlag zu veröffentlichen, aber die Anbindung an das DSA-Fandom über die Veröffentlichung beim Uhrwerk Verlag bietet natürlich ganz andere Möglichkeiten, auch wirklich viele Spieler und Spielerinnen zu erreichen. Unsere Hoffnung ist, möglichst viele für Tharun zu begeistern, sodass sich daraus eine Bereicherung unseres eigenen Spiels ergibt und ein lebhafter Austausch entsteht. Diese Gelegenheit, quasi unser rollenspielerisches Lebenswerk zu schreiben, verdanken wir vor allem dem Engagement von Stefan Küppers, Thomas Finn und Patric Götz.

4. Nandurion:Beim Erscheinen der alten Schwertmeister-Box war DSA in der 2. Edition – nun steht die 5. Edition kurz bevor. Seitdem haben sich nicht nur die Regeln, sondern auch der Hintergrund enorm erweitert. Wie seid ihr bei der Anpassung Tharuns vorgegangen?

Arne: Am Anfang unserer Tharun-Wiedergeburt stand ganz viel Recherche-Arbeit. Wir haben uns sämtliche DSA-Veröffentlichungen unter DSA 4 gekauft, um ja keinen Fingerzeig auf Tharun zu verpassen und um auf den Stand der Dinge zu kommen. Die DSA 4.1-Regeln sind ja nicht ganz ohne – vor allem nicht für uns, die wir jahrzehntelang sozusagen mit DSA 1.5 gespielt haben. Diese Spurensuche hat irre Spaß gemacht, weil wir sehr viele schöne Hinweise auf Tharun gefunden haben. So sind ja z. B. die Acht Götter aus den alten Tharun-Boxen alle in irgendeiner Form in die myranische Götterwelt eingeflossen und von dort aus auch wieder nach Aventurien und Uthuria geschwappt. Bei der Neufassung wollten wir vor allem den Wesenskern Tharuns als exotische, fremdartige Welt voller Herausforderungen erhalten – sprich: das starre Gesellschaftssystem mit der zentralen Stellung der Schwertmeister und ihrem despotischen Glauben, die Rohheit der Wildnis mit den Nanja, den Rakshasa und den Riesenkäfern sowie die eigenartige Runenmagie. Gleichzeitig wollten wir, dass man anders als damals auch echte Tharuner spielen kann, einen Perspektivwechsel also. Dass es die aktuellen DSA-Regeln sein sollen, war von Anfang an gesetzt. Jetzt auf das neue DSA-Regelsystem zu warten, wäre aber unsinnig, denn der Regelband wurde parallel zum Weltband entwickelt und geschrieben, als von DSA 5 noch keine Rede war.

Marcus Jürgens

Marcus Jürgens auf der Heinzcon 2014

Marcus: Wir haben wirklich die ganze Zeit mit DSA 2, ein bisschen DSAP und einigen Hausregeln gespielt. Die regeltechnische Konvertierung nach DSA 4.1 erforderte also die Auseinandersetzung mit einem ganz neuen und sehr komplexen System. Ich habe eine DSA 4.1-Spielrunde gefunden, viel gelesen und dutzende Charaktere generiert. DSA 4.1 hat mir viele graue Haare beschert, aber ich habe nebenbei auch viele Sachen liebgewonnen, die unser Spiel bereichern. Beim Schreiben des Regelbands Wege nach Tharun haben wir natürlich auch die Hilfe von einer ganzen Gruppe von Regelexperten gesucht und in Anspruch genommen. Besonders die fundierte Kenntnis und akribische Arbeit von Sean David Schöppler, Adrian Praetorius, Georg Achazi, Thorsten Habermann und Fabian Talkenberg war von unschätzbarem Wert. Ein besonderer Glücksfall war, dass Adrian Kendo praktiziert und somit unsere Anleihen aus dem japanischen Fechtsport genau verstand und mit den 4.1–Regeln in Einklang brachte.

5. Nandurion: Die Neuauflage von Tharun war ja zunächst als Box angekündigt, nun sind es drei Bände geworden, der erste mit 275 Seiten. War die Box zu klein? Und wie lange habt ihr dran gearbeitet?

Arne: Die Idee der Box stammte aus der Konzeptphase, als das Projekt noch bei Ulisses angesiedelt war und ähnlich wie die Die Dunklen Zeiten-Box aussehen sollte. Da die Skepsis aufgrund des Misserfolgs von Tharun in den 1980er Jahren recht groß war, sollte es erstmal nur eine Veröffentlichung geben, die möglichst komplett alles enthalten sollte. Als das Projekt dann zu Uhrwerk wechselte (und damit wieder zu Patric Götz zurückkehrte, der es noch bei Ulisses angeregt hatte), entschieden wir uns sehr schnell für drei Bände anstelle einer Box – vor allem wegen des Hardcover-Arguments. Insgesamt haben wir mehr als drei Jahre am Weltband gearbeitet, aber es waren zwischenzeitlich ja auch nicht gerade konfliktfreie Zeiten, wenn man etwas für DSA schreiben wollte. Als das Projekt startete, waren Stefan Küppers und Tom Finn noch Teil der großen DSA-Redaktion, dann begannen die Umbrüche. Die lange Entwicklungszeit hat dem Weltband aber auch gutgetan, wir haben im Laufe des Schreibens immer wieder Veränderungen und Erweiterungen vorgenommen und versucht, immer mehr Blickwinkel mit aufzunehmen. Ohne manchen Einwand sähe Tharun heute nicht so interessant aus.

6. Nandurion: Die meisten der Tharun-Autoren stammen aus einer Spielrunde. Wer ist denn dann noch dazu gekommen? Wie arbeitet man mit „Neulingen“ zusammen, wenn man schon so lange aufeinander eingespielt ist? 

Arne: Über Stefan haben wir eine Reihe von Tharun-affinen Autoren eingebunden, z. B. Lars Reißig und René Littek, denen wir jeweils zwei der Neun Reiche als „Spielwiese“ überlassen haben. Denn uns war schnell klar, dass wir Tharun nicht nur aus unserer ja sicher auch etwas eingefahrenen Spielperspektive denken dürfen. Andere Autoren wie Christian Sendner oder jetzt beim Regelband Georg Achazi und Sean David Schöppler kamen über das Tharun-Forum der ehemaligen Derischen Sphären dazu, in dem auf Fanbasis an Tharun-Ideen gestrickt wurde. Erstaunlicherweise haben wir dabei eine sehr konsistente Welt hervorgebracht, auch weil sich alle an die Konzeptpapiere gehalten haben und wir ein gemeinsames Verständnis von Tharun entwickeln konnten. Mitunter war der Austausch sehr hoch und die Diskussionen waren feurig, aber selten von zu großem Eifer belastet.

Tharun_Die_Welt_der_SchwertmeisterEin größerer Spagat war sicher, dass die Spieler aus den Tharun-Spielrunden nicht alles lesen durften, da sie sich ja sonst der Geheimnisse berauben. Das ist natürlich auch jetzt noch so, dass sie bestimmte Kapitel aus diesem Grund nicht lesen sollten.

Marcus: Die Zusammenarbeit mit den anderen Autoren lief super. Wir haben nur mit Freiwilligen gearbeitet, die schon eine Begeisterung für Tharun mitbrachten. Die haben sich alle toll auf diese Welt und unsere Vorstellungen eingelassen, aber sie haben eben auch viele neue Ideen und ihre eigenen Blickwinkel eingebracht und das empfinde ich als sehr bereichernd. Die Zusammenarbeit hat uns auch dazu gebracht, viele Sachen nochmal neu zu denken und infrage zu stellen (z. B. das Geschlechterverhältnis und die Magiefeindlichkeit), und das hat die Welt für uns viel reichhaltiger, stimmiger und vollständiger gemacht. Jeder Spieler, Spielleiter und Autor hat seine Steckenpferde, die er besonders gut kann und so ergänzen sich viele Sachen auf eine Weise, so dass das Ergebnis nun viel besser ist, als es gewesen wäre, wenn wir alles allein gemacht hätten. Davon profitieren nun auch nicht zuletzt unsere eigenen Spielrunden.

7. Nandurion: Die drei vorgesehenen Bände für Tharun sollen ja nun in absehbarer Zeit erscheinen. Der Uhrwerk-Verlag hat auf der Heinzcon berichtet, dass er die Lizenz für weitere Tharun-Bände eingeholt hat. Wie geht es nun weiter? Gibt es etwas, das ihr unbedingt für Tharun herausbringen wollt?

Arne: Zunächst arbeiten wir jetzt an der Fertigstellung des Abenteuerbands Schwerter und Giganten, mit dem wir erste Vorschläge liefern, auf welche verschiedenen Weisen Tharun bespielt werden kann. Daneben gibt es natürlich einen Wunschzettel, auf dem ganz oben eine Weiterführung der „Götterkriegs-Kampagne“ steht – andererseits wollen wir natürlich gern an mancher Stelle tiefer in die Welt einsteigen, bevor wir eine Anleitung zum Umsturz schreiben. Sehr cool fänden wir auch eine Tharun-Musik-CD, die ein bisschen in den Ohren weh tut – Stichwort Sackmolch. Aber ankündigungsreif ist hier noch nichts, da wollen wir dem Verlag auch nicht vorgreifen.

8. Nandurion: Mit wie vielen Charakteren habt ihr selbst schon in Tharun gespielt? Was habt ihr so gespielt? Habt ihr es auch schon mal mit Tharunern versucht? 

Arne: Als Dauer-Spielleiter habe ich natürlich über die Jahre tausende Tharuner gespielt, in der Rolle eines Spielers jedoch nur einen jungen Schwertmeister, der einen Spezialauftrag erhält. Das war gewissermaßen ein Test, wie unsere neu entworfenen Regeln am Spieltisch funktionieren.

Marcus: Wir haben in meiner Spielrunde nur mit den Charakteren gespielt, die sich 1989 aufgemacht haben. Ein Zwerg, ein Magier, eine Firnelfe, ein Al’Anfaner Assassine und ein Krieger. Der Krieger starb am ersten Tag in der neuen Welt durch den giftigen Biss eines Rieseninsekts, sodass an seine Stelle bald ein tharunischer Brigantai-Schwertmeister trat. Wir haben aber auch immer mal experimentiert mit jeweils einem tharunischen Zweitcharakter oder der zweiten Garde der Rebellion, sozusagen unseren Red Shirts – die aber fast alle ‚Außeneinsätze‘ überlebten und uns sehr ans Herz gewachsen sind. Mit Hinblick auf die Veröffentlichung spielen wir zu Testzwecken allerdings seit ein paar Jahren hauptsächlich tharunische Schwertmeister und Runenherren.

9. Nandurion: Habt ihr in der Zwischenzeit auch mal an der Oberfläche gespielt? Und falls ja, wo dort?

Arne: „Mein“ Aventurien steht gedanklich noch auf dem Stand von 13 Hal, also bei Anfang der 1990er Jahre. Wir haben vor ein paar Jahren die Spielsteine-Kampagne angefangen, um DSA 4 zu testen, und ich habe mich sofort wieder heimisch gefühlt. Aventurien, und speziell die Region um Havena, fühlt sich an wie nach Hause kommen. Geliebt habe ich immer die Zyklopeninseln, und gern mal spielen würde ich in der Nakramar-Wüste in Myranor bei diesen tollen Wüstenstädten.

Marcus: Ich spiele in einer DSA-Runde einen Gjalskerländer Schaukämpfer und Gaukler im frühen Aventurien zu Zeiten Kaiser Hals. Aktuell hat uns Baron Answin von Rabenmund übel auflaufen lassen. Mein Barbar träumt davon, Ritter zu werden und Walpurga von Weiden zu heiraten.

10. Nandurion: Nach dem Konzept der Schwertmeister-Box war Tharun ja für Helden gedacht, die an der Oberfläche kaum noch Herausforderungen fanden. Sollten Helden auch für die Neuauflage die ersten 21 Stufen an der Oberfläche spielen? Oder können es nun auch horasische Zuckerbäcker mit den Schwertmeistern aufnehmen?

Arne: Horasische Zuckerbäcker würden sich vermutlich sehr gut in der Dienerschaft eines lokalen Inselherrn machen, der mit ihren Backwaren seinen Hofstaat sowie hohen Besuch von den Nachbarinseln beeindrucken will. Die Perfektion der Schwertmeister soll für aventurische Recken durchaus eine große Herausforderung sein – auch, was die Kompromisslosigkeit und den Ehrenkodex angehen. Durch das DSA-Kaufsystem können aber auch Heldinnen und Helden mit geringerer Erfahrung schon punkten, wenn sie nicht gerade zu selbstsicher sind. Allerdings bevorzuge ich einen schnellen Schuss vor den Bug: Wer leichtsinnigerweise allein in die Wälder geht, endet in der Regel auf der Speisekarte einer tharunischen Bestie. Um Tharun in dem von uns beabsichtigten Sinn erleben zu können, ist aber weniger die Stufe der Heldinnen und Helden entscheidend als die spielerische Reife der Spielrunde.

Marcus: Wir haben Tharun so angelegt, dass die Schwertmeister nach wie vor sehr mächtige Gegner darstellen. Unter DSA 4.1 ist das aber ja auch schon mit 5.000 bis 8.000 Abenteuerpunkten möglich, da es ganz andere Möglichkeiten der Spezialisierung bietet. Dennoch wird es möglich sein, eine tharunische Karriere ab Stufe 0 hinzulegen.

11. Nandurion: Was glaubt ihr, wie viel Einfluss die alte Schwertmeisterbox auf die weitere Entwicklung von DSA hatte? Hat es Aventurien und die später entwickelten Kontinente mit geprägt?

Arne: Das alte DSAP hat auf jeden Fall jede Menge Blockaden im Kopf gelöst und Dinge angeschoben, die auf anderen Wegen Teil von DSA geworden sind. Nicht nur die tharunischen Götter sind auf der Außenseite der Derekugel, vor allem in Myranor, wieder aufgetaucht, auch die Monaden und die magischen Metalle haben sich gehalten. In Myranor kann man nicht nur ebenfalls auf Rieseninsekten reiten, sondern man hat sogar den armen Sackmolch wieder aufleben lassen. Regeltechnisch war DSAP an einigen Stellen seiner Zeit voraus: Trefferzonen und die Attacke-Serie z. B. haben es in spätere DSA-Editionen geschafft. Tharun hat einen gewissen Einfluss auf die Hintergrundmelodie gehabt, aber den würde ich auch nicht überbewerten.

12. Nandurion: Tharun und Maraskan haben offensichtliche asiatische Anleihen. Überschneiden sich die Settings? Wie viel Asien steckt in Tharun?

Tharun-Coverposter-Marcus-Koch-1024x504Arne: Eine Insel wie Maraskan wäre in Tharun vermutlich nur eine unter vielen. Soweit ich Maraskan kenne, geht es dort nicht halb so despotisch zu wie in Tharun. Auch ist der Rur-Gror-Glaube sehr harmlos verglichen mit den Acht Göttern und ihren Vorgaben. Andere Aspekte wie die Banditenbanden des Dschungels erinnern durchaus an die tharunischen Brigantai. Ironischerweise habe ich neulich beim Wühlen in alten Ausgaben des Warrior Express entdeckt, dass ich 1989 eine Maraskan-Serie geschrieben habe … Asiatische Kulturen sind auf jeden Fall eine starke Inspirationsquelle für Tharun gewesen. Der Ehrenkodex der Schwertmeister ist sehr Samurai-artig, ebenso wie die Masha unschwer als Geishas erkennbar sind. Aber Asien ist ja viel mehr als Japan: die mongolische Steppenkultur ist ebenso drin wie indische und chinesische Aspekte. Daneben kommen auch „tribalistische“ Einflüsse vor, ebenso wie einige südseeische, südamerikanische und afrikanische Elemente. Schließlich sind da auch noch ein Schuss Old Europe und etwas Mittelmeer. Wichtig aber ist vor allem: Aventurier sollen sich in Tharun sehr fremd fühlen – so wie John Blackthorne, als er im Japan der Shogun-Ära angespült wurde.

Marcus: Tharun hat asiatische Anleihen, das ist richtig, aber auch polynesische, afrikanische, ägyptische, griechische etc. Es gibt deutlich mehr Sachen, die Tharun von Maraskan unterscheiden, als Gemeinsamkeiten. Wir haben versucht, das eklektische Gemisch irdischer Kultureigenheiten beizubehalten und auszubauen. Wenn es zu jedem Reich auch ein paar irdische Assoziationen gibt, greifen die achtgöttlichen Kulte, die fremdartigen Gesellschaftsstrukturen und die Inselförmigkeit der Hohlwelt so tief, dass deutlich mehr entstanden ist, als ein einfaches asiatisches Setting.

13. Nandurion: Die für DSA typische Gleichberechtigung gibt es in Tharun offenbar nicht. Weshalb habt ihr euch dazu entschieden, dieses Konzept aus der alten Box beizubehalten?

Arne: Die Geschlechterhierarchie war ein Kernelement des alten Tharuns, das einen klaren Bruch zu Aventurien markiert – uns lag daran, das zu erhalten, auch wenn wir kein Interesse an einer sexistischen Spielweise haben. Die untergeordnete Rolle der tharunischen Frauen, die sich aus dem Glaubenssystem und der im Grunde unterworfenen Göttin Nanurta ableitet, ist vor allem ein starkes Motiv für Rebellion und Aufruhr. Wir setzen hier auf einen gesellschaftlichen Realismus, weil wir auch eine Emanzipationsgeschichte erzählen wollen. Außerdem werden spezielle Frauenrollen möglich, die in einem gleichberechtigten Setting nicht denkbar sind. Allerdings haben wir die Geschlechterrollen in einigen der Reiche deutlich aufgeweicht. Ohne Frage richtet sich Tharun hier an erfahrene Spielerinnen und Spieler, die mit dem Entwurf entweder etwas anfangen können oder ihn für ihre Runde an dieser Stelle abändern.

Marcus: Für uns war das Thema der Emanzipation immer ein besonderer Reiz an Tharun. Das betrifft aber nicht nur das patriarchalische Geschlechterverhältnis. Statt eine Gleichberechtigung nur zu behaupten und am Spieltisch unkommentiert die eigenen irdischen Sexismen einfließen zu lassen, finden wir eine ehrliche Auseinandersetzung und aktive Benennung von Unterdrückungsmechanismen reizvoll. Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin ein großer Liebhaber der aventurischen Gleichberechtigung und finde das ein großes Verdienst der originalen DSA-Autoren um Ulrich Kiesow. Da der tharunische Ansatz aber anders war, haben wir uns bemüht, diesen zu erhalten, zu explizieren und zu modernisieren. Ich hoffe, das wird durch das tolle Kapitel zu möglichen tharunischen Frauenrollen im Regelband deutlich.

14. Nandurion: Was sind eure persönlichen Highlights in Tharun? 

Arne: Aus Spielleiterperspektive ganz klar die „Flüche der sterbenden Azarai“, also die Last-Stand-Optionen der tharunischen Priester, sowie die atmosphärische Strenge, die an einem tharunischen Hof herrscht. Und natürlich der strikte Ehrenkodex der Schwertmeister und die festgefügte Weltsicht der Tharuner, die sich immer wieder zu tragischen Geschichten wenden lassen.

Marcus: Die Runenmagie und die Waffen aus Endurium.

15. Nandurion: Zum Abschluss noch ein paar leichte Fragen: Oberwelt gegen Hohlwelt – wer gewinnt?

Arne: Hohlwelttheoretiker Hadumar von Wiesen-Ostreich, ganz klar!
Marcus: Eindeutig die Oberwelt. Rein zahlenmäßig haushoch überlegen und ohne schwertmeisterlichen Kodex, haben die Schwertmeister keine Chance, wenn sie von jeweils 12 Stadtgardisten gemeinsam angegriffen werden.

Nandurion: Das übelste Monster Tharuns?

Arne: Die acht gefährlichsten Dinger hat schon der Erste Tharun besiegt, aber das Neunte (oder heißt es der?) ist echt übel.
Marcus: Rakshasa, Diwen und Lykhora.

Nandurion: Könnte man Nahema in Tharun begegnen, oder wurde sie von den Neugöttern verbannt?

Arne: Die „Neugötter“ heißen jetzt Acht Götter (eines der wenigen Dinge, die wir geretcont haben), aber Nahema bleibt definitiv draußen.
Marcus: Nahema leitet den tharunischen Sombraiorden „Kerker der Sinne“, schätze ich.

Nandurion: Erklärt Tharun in 5 Adjektiven!

Arne: tödlich, herrschaftlich, arrogant, runensteinisch, untergründig, neugöttlich (ups, das waren sechs, und es muss achtgöttlich heißen!)
Marcus: Grausam, menschenfeindlich, wild, geheimnisvoll und ungerecht

Nandurion: Vervollständigt die folgenden Sätze: „Die DSA-Welt braucht Tharun, weil …“

Arne: … es kein oben ohne ein unten gibt (frei nach Mao).
Marcus: … Schmidt Spiele ein paar Runensteine aus Holz übrig hatte.

Nandurion: „Du solltest von Tharun die Finger lassen, wenn …“

Arne: … du die nächsten 25 Jahre etwas Besseres vorhast.
Marcus: … dir das Glück und Wohlergehen Deines Helden lieb ist.

Nandurion: „In 10 Jahren wird Tharun …“

Arne: … immer noch der Tharun sein.
Marcus: … endlich von den Dienern des Namenlosen befreit sein.

Nandurion: Euch beiden vielen Dank für eure Antworten und viel Erfolg weiterhin bei der Befreiung der Hohlwelt!

— das Interview führte Sedef ibn Feyhach

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11 Antworten zu Interview mit Arne Gniech und Marcus Jürgens

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  2. Xeledon sagt:

    Seit 1889 in der Hohlwelt?

  3. Eckhard sagt:

    „1889“ ? wohl eher „1989“.

  4. Curima sagt:

    @Xeledon und Eckhard: Hmmm, hat Curima da in letzter Zeit ein bisschen zu viel über Space:1889 gelesen, bevor sie die Einleitung schrieb? *hust*
    Danke für den Hinweis. Ich hab es korrigiert.

  5. Josch sagt:

    Wobei das die Tharunexpertise der Autoren natürlich merklich schmälert. 100 Jahre Spielerfahrung gelten im modernen Rollenspielsektor bei Entwicklern inzwischen doch eigentlich als Standard. Mal wieder typisch DSA.

  6. Gecq sagt:

    Es muss natürlich 125 Jahre heißen. Klarer Flüchtigkeitsfehler.

  7. Engor sagt:

    Kompliment, sehr schönes und informtives Interview, das nochmal unterstreicht, wieviel Herzblut bei den Tharun- Machern dahintersteckt. Freue mich umso mehr auf die kommenden Publikationen und insbesondere auf den Abenteuerband.

  8. Fidel sagt:

    Ich kann mich Engor nur anschliessen und mich die nächsten 25 Jahre mit Tharun zu beschäftigen 🙂

    Das einzige was mich ein bisschen enttäuscht hat war der phexische Trick mit der Nahema-Erwähnung, die mit Tharun ja offensichtlich überhaupt nichts zu tun hat.

    (Zugegebenermassen war das auch Anfangs ein Ausschlaggebendes Schlagwort um mich hier durchzulesen :D)

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