Nachtrichter

Nachtrichter CoverGastrezension von Siebenstreich

Mein erster Gedanke nach dem Lesen von Nachtrichter war: Wieso ist das ein Roman und kein Abenteuer? Die beschriebenen Ereignisse schreien geradezu danach, am Tisch ausgespielt zu werden.

Die beiden Phexgeweihten Adara und Feisal sind eigentlich nur auf der Durchreise und werden in der Stadt Kyndoch durch Zufall (die klassische Schlägerei) aus ihrem Alltagstrott gerissen und kurz darauf auf finstere Mächte aufmerksam. Die einheimischen Instanzen von Recht und Ordnung sind machtlos oder ahnen nichts Böses – also die ideale Grundlage, damit sich eine Gruppe von Auswärtigen dazu entschließt, Selbstjustiz zu üben … ähm … den Schurken das Handwerk zu legen.

Schatten …

Was jedoch die Aufgabe für eine ganze Heldentruppe wäre, wird hier von zwei Personen übernommen. Kann das gutgehen? Leider nicht. Es hat schon seinen Sinn, wieso Abenteuer in der Regel für eine Gruppe von 3-5 Helden geschrieben werden: damit die zur Lösung der Aufgaben benötigten Attribute verteilt werden und die Charaktere dadurch keine Halbgötter, sondern realistisch sind.

Adara dagegen hat nicht nur die übliche Ausbildung zur Phexgeweihten absolviert und im Rahmen dessen gelernt, selbst zwergische Meisterschlösser zu knacken. Sie hat zudem noch erfolgreich ein Studium der Alchimie hinter sich und bereits mehrere innovative Färbemittel sowie Geheimlacke für Zauberstäbe entwickelt. Sie erkennt den Ort eines Hinterhalt bereits hunderte Schritt im Voraus anhand der Art, wie sich Leute bewegen (WAS???), kann besser kämpfen als ein erfahrener Straßenschläger, weiß um die erste Hilfe bei Süchtigen auf Entzug, verträgt selbst mehr Rauschmittel als die meisten Anderen, und, und, und. Dazu wirkt sie Liturgien in einer Menge, dass der Begriff Karmalzauberei eine neue Bedeutung erlangt. Bei dieser übermäßigen Nutzung von Liturgien müsste Adara eigentlich entrückt sein. Dies wird im Buch zwar auch angesprochen, konkrete Auswirkungen hat es aber dann leider nicht. Da jede perfekte Frau aber auch einen Makel braucht, um wirklich perfekt zu sein, hat sie „Pickel an Haaransatz und Kinn“ (S. 95).

Bleibt da überhaupt noch etwas übrig, was ihr Gefährte mitbringen muss? Wenig. Vielleicht ist das der Grund, wieso die Figur des Faisal sehr blass bleibt – und damit meine ich nicht das Titelbild, das den Tulamiden mit erstaunlich heller Hautfarbe und weißen Haaren zeigt. Er ist Magier, kann für einen Bücherwurm erstaunlich gut mit seinem Stab umgehen und seine blumenhafte Sprache ist zum Glück nicht so überzeichnet wie in manch anderen Romanen. Mehr kann man nicht zu ihm sagen, obwohl die Kombination von „Fasarer Schwarzmagier und Phex-Akoluth“ sicher einiges Potenzial hätte. Da die Beschreibungen von Adara aber viel zu viel Platz in Anspruch genommen haben, blieb leider für den Tulamiden keine Gelegenheit mehr, sich selbst darzustellen und mehr als nur Stichwortgeber zu sein.

Man könnte nun argumentieren: „Hey, in Der Herr der Ringe sind Merry und Pippin auch Nebenfiguren und Aragorn ist der Alleskönner: gewandter Krieger, weiser König und zugleich Herzensbrecher.“ Schon, aber dafür ist er ein Auserwählter. Seine Lebensaufgabe ist es, den Thron von Gondor zu bekommen und genau das ist es ja, wovon die drei Bücher handeln.

Nachtrichter ist zwar auch Teil einer Trilogie, aber ob die beschriebenen Ereignisse wirklich das Lebensziel von Adara und Feisal sind, bezweifle ich. Die beiden sind weder in der Stadt beheimatet noch den Menschen dort auf andere Weise verbunden. Auch das erinnert wieder mehr an die durchreisenden Helden eines Abenteuers als an die Protagonisten eines Romans.

Dazu kommt eine fehlende Charakterentwicklung, wobei man sagen muss, dass die Darstellung von Personen generell nicht besonders gut gelungen ist. Zum Beispiel ist der Novize des Kyndocher Phextempels, Ragnar, offenbar nur dafür da, die Aufgaben von Adara und Faisal noch schwerer zu machen. Es ist mir schleierhaft, wieso jemand einen Tölpel wie ihn als Novizen des geschickten Phex annehmen sollte. Ich dachte eigentlich, dass man sich zumindest ansatzweise mit den Idealen des entsprechenden Gottes identifizieren können muss, um Geweihter zu werden. Das ist so, als würde ein Pyromane in der Geweihtenschaft des Efferd aufgenommen werden.

Das Glossar ist leider auch wenig hilfreich. Es werden nur Götter, aventurische Maßeinheiten und die Zeitrechnung erklärt. Keiner dieser Einträge befasst sich konkret mit dem vorliegenden Roman. Damit erschwert man nicht nur DSA-unerfahrenen Lesern den Zugang zu der Geschichte. Was beispielsweise in kurzen Stichworten hätte erklärt werden können, ist die Stadt Kyndoch, in der der Roman angesiedelt ist. Leider ist der Ort weder auf der Standard-Aventurien-Karte vorne im Buch eingezeichnet, noch wird er im Anhang näher beschrieben. Wo liegt Kyndoch? Welche Tempel/Magierakademien (als potenzielle Verbündete) gibt es? Und überhaupt: wie groß ist die Stadt? Diese Fragen werden nicht oder erst spät im Buch geklärt. Schaut man diese Informationen bei Wiki Aventurica nach, eröffnet sich ein weiteres Manko: die Verfolgungsjagden werden unrealistisch. Laut Internet wohnen 1400 Personen in Kyndoch – das ist quasi ein Kaff. Wenn ich mir zuhause einen Stadtteil anschaue, wo die gleiche Anzahl an Leuten wohnt, dann ist das ein Rechteck von ca. 600 x 600 m. Da im Mittelalter sicher noch mehr Leute unter einem Dach gewohnt haben als heute, müsste die tatsächliche Fläche sogar noch kleiner sein.

… und Licht

Jetzt habe ich erstmal viel gemotzt. Was war denn positiv? Zum Glück einiges.

Die Ausgangssituation des Romans finde ich passend. Es ist gut erklärt, wieso dem Bösewicht bisher niemand auf die Schliche gekommen ist.

Das Finale ist gute Hausmannskost – nichts wirklich innovatives, aber ok. Nur hatte ich auch hier wieder das Gefühl, ein Abenteuer nacherzählt zu bekommen. Die Protagonisten steigen in das Haus des Bösewichts ein, durchkämmen einen Raum nach dem anderen und bekämpfen die Gegner, die sie darin finden – wer außer mir sieht da einen Plan des Schicksals vor dem geistigen Auge?

Dorothea Bergermanns Stil ist zwar angenehm zu lesen, aber anspruchsvoll. Es wird nicht immer alles explizit benannt, so dass man sich vieles selbst zusammenreimen muss. Es ist zwar ausreichend, wenn der Leser ein wenig Hintergrundwissen (zu Aventurien allgemein und insbesondere zum Diebesgott) mitbringt, aber ein detaillierter Anhang, wie oben erwähnt, wäre sicher kein Fehler gewesen. Das Phex-Vademecum ist vermutlich eine gute Quelle, erschien aber erst vier Jahre später.

Dazu kommt eine interessante, weil vielschichtige Darstellung des Phex-Glaubens. Zum Beispiel die Angewohnheit der Geweihten, sich anderen Leuten gegenüber stets unterschiedlich zu präsentieren – mal als Götterdiener, dann als Gelehrte, oder doch nur einfache Handelsreisende – und sie damit über ihren wahren Rang in Unwissenheit zu lassen, fand ich eine gelungene Interpretation der kirchlichen Lehren.

Zum Schluss möchte ich die sehr gute Rechtschreibung loben. Spontan kann ich mich an keinen einzigen Fehler erinnern.

Fazit und Bewertung

Von den phexgefälligen neun Einhörnern hat sich eins dafür entschieden, den Figuren ein wenig Ecken und Kanten zu verleihen und damit Leben einzuhauchen. Ein Weiteres wurde von der schier allmächtigen Adara in ein Nashorn verwandelt. Ein Drittes schließlich ergänzt den Anhang. Übrig bleiben sechs von neun diebischen Einhörnern.

Bewertung Einhorn 6

Nandurion dankt Siebenstreich für die Gastrezension!

Über Curima

Moin, ich heiße Lena, bin 32, komme aus Hamburg und spiele seit 2003 DSA. Ich spiele lieber als ich leite und schicke meine diversen Charaktere fast jeden Samstag durch Aventurien. Seit Mitte Mai 2012 arbeite ich bei Nandurion mit.
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7 Antworten zu Nachtrichter

  1. ackerknecht sagt:

    Puh…

    Ich muss sagen, nach dem Text hätte ich mit weniger Einhörnern gerechnet – die Bewertung kommt mir relativ positiv vor. Bei mir wären wohl weniger Einhörner übergebeblieben, aber das mag auch an meinen persönlichen Rollenspielvorlieben liegen. Aber das kann man dem Buch nicht vorwerfen.

    Eine Frage: Wie ist folgender Absatz zu verstehen?
    Dorothea Bergermanns Stil ist zwar angenehm zu lesen, aber anspruchsvoll. Es wird nicht immer alles explizit benannt, so dass man sich vieles selbst zusammenreimen muss. Es ist zwar ausreichend, wenn der Leser ein wenig Hintergrundwissen (zu Aventurien allgemein und insbesondere zum Diebesgott) mitbringt, aber ein detaillierter Anhang, wie oben erwähnt, wäre sicher kein Fehler gewesen. Das Phex-Vademecum ist vermutlich eine gute Quelle, erschien aber erst vier Jahre später.

    Geht das in diese Richtung: „Der Roman und das Vademecum ergeben zusammen ein stimmungsvolles Bild der Phexkirche“ ?
    Das wäre gut.

    Oder ist es so gemeint: „Man sollte das Vademecum gelesen haben, um den Roman richtig verstehen zu können.“
    Das wäre schlecht, und würde den Roman von meiner „eventuell mal lesen“ -Liste katapultieren. Ich fände es ehrlich gesagt ziemlich schwach für einen Roman, wenn er Hintergrundwissen aus (doch relativ obskuren) Quellenbüchern wie dem Vademecum voraussetzen würde.

    Danke für die Klärung! Und Danke für die Rezi!

  2. Siebenstreich sagt:

    Hallo ackerknecht,

    ja, ich kritisiere oft sehr viel und gebe dann doch gute Noten. 🙂
    Ich finde es deutlich einfacher, Schwächen aufzuzeigen, anstatt Dinge, die mir gefallen haben, erklären zu können.
    Außerdem sind z.B. die angesprochenen Verfolgungsjagden erst dann „unsinnig“, sobald man eine Information hat, die im Buch nicht zugänglich ist. Dies tut dem Lesespaß also keinen Abbruch, sondern ist eher ein Detail, über das man hinterher stolpert und die Augenbrauen hochzieht.
    Außerdem ist die Rechtschreibung hier vorbildlich, so dass ich im Gegensatz zu anderen Romanen diesmal keine Punkte abgezogen habe, was das Buch in Relation gesehen besser dastehen lässt.

    Zu deiner Frage: zum Vademecum selbst kann ich leider nichts sagen, da ich es nicht gelesen habe. Ich denke mir nur, dass es eine gute Quelle ist. ^^
    Es gibt ein paar Szenen (insbesondere im Hinblick auf Phex), bei denen der Hintergrund eher angedeutet anstatt erklärt wird: Ein Meuchler, der im Mittelreich sein Unwesen treibt und sich bei seinen Taten auf Phex beruft, hat kaum Rückenwind von der Kirche. Auf Maraskan sieht das unter Umständen anders aus – dort nennt man Bruderschwester Phex deshalb auch den Nachtrichter . Wenn Adara also davon spricht, „dem Nachtrichter ein Opfer zu bringen“, muss man über diesen Aspekt des Phexglaubens Bescheid wissen, um ihre Absicht verstehen zu können. Diese Information habe ich, wenn ich mich recht erinnere, aus der Box Borbarads Erben, aber vermutlich findet sie sich auch im erwähnten Vademecum.

  3. Sharkie sagt:

    Originell, dass sie Heinz Strunk als Coverboy gewinnen konnten.

    • Siebenstreich sagt:

      Die Ähnlichkeit ist in der Tat verblüffend.^^

      • Geddes sagt:

        Nein, das ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Schauspieler Oded Fehr („Die Mumie“, diverse „Resident Evil“-Teile). Und das meine ich vollkommen ernst, denn ich weiß von einem anderen DSA-Romanautor, daß man dem Titelbild-Zeichner reale Vorbilder für die Figuren nennen kann – und der mutige ägyptische Krieger aus „Die Mumie“ ist sicher eine passende Vorlage für den Tulamiden Faisal (auch wenn Fehr eigentlich Israeli mit europäischer Abstammung ist …).

        Davon abgesehen mag ich diese „Phex-Triloge“ sehr, wobei das vor allem an den extrem sympathischen Protagonisten liegt, die mir sehr schnell ans Herz gewachsen sind (und die im Laufe der Trilogie übrigens sehr wohl noch eine deutliche Entwicklung durchlaufen); dramaturgisch gibt es schon einige Schwächen, die dafür sorgen, daß mir die Bücher nicht als ganz große Highlights in Erinnerung bleiben. Aber zu den besten DSA-Romanen der letzten Jahre zählen sie für mich definitiv.

  4. Ich habe jetzt Rezensionen verglichen und bin etwas überrascht, wie viel Kritik „anderswo“ so verschwiegen wurde.

    Das Buch-Cover zeigt einen Muno und keine Fuchs. Und das Pärchen schwingt Kampfstäbe, wo originalgetreue Phex-Geweihte nun mal auf den Dolch beschränkt sind. Das lag auch mal daran, dass Attentäter nicht wirklich Helden im heroischen Rollenspiel sind, bis die Handlung das gezielte Ermorden eines Bösewichts oder Tyrannen zwingend notwendig macht.

    Leute, die es in Rekordzeit zum Meister oder Meisterin aller Klassen geschafft haben gibt es nur in Legenden und Sagen. Schließt man sein Studium in Rekordzeit ab, dann weil man bei Lebenserfahrung und zusätzlichen Seminaren und Vorlesungen Abstriche gemacht hat.

    Das Problem, dass zu viele „Helden & Heldinnen“ eher dem Nazi-Übermenschen entsprechen entsteht manchmal ganz simpel, weil Autor oder Autorin sich selbst drastisch überschätzen. Passiert uns allen mal, wissenschaftlich längst bewiesen.

    Die Anmerkung des Rezensenten, dass so ziemlich viel angeblich Heldenhaftes in Wahrheit eher kriminelle Selbstjustiz wäre, stimmt gelegentlich sogar bei Feudal-Gesetzgebung. 😉 Naja, manche Autoren & Autorinnen wird die Realität ja noch sprichwörtlich wachküssen.

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