Peraine-Vademecum

Peraine-Vademecum CoverAusflug ins Grüne

Rechtzeitig zu Ostern traf das in sympathischem Hellgrün strahlende Büchlein bei mir ein, und man muss sagen, es machte sich ganz hervorragend zwischen einem Goldhasennest und einem Strauß von Wiesenblumen. Ob der Inhalt des Peraine-Vademecums aus der Hand von Niklas Forreiter hält, was dieser frühlingshafte Anblick verspricht, das möchte ich im Folgenden aus meiner wie immer hochgradig subjektiven Sicht besprechen. Kommen wir trotzdem zunächst zu den …

1. Äußerlichkeiten

Das Vademecum entspricht vom Format her den anderen (Tsa mal ausgenommen, die alte Nonkonformistin) und komplementiert die Regalecke damit hervorragend. Auf das schöne Wasserpflanzengrün wurde schon eingegangen, auch der eingeprägte Storch mit Ähren ist elegant, wenn auch ein wenig asiatisch vom Flair her. Im Inneren wird die Optik durch die reihentypischen holzschnittartigen Illustrationen ergänzt, die Diana Rahfoth ganz hervorragend gelungen sind, denn sie passen zum Inhalt des Büchleins wie die Sense zum Roggen. Einzig der Druck scheint mir beim näheren Betrachten etwas grobrasterig, vor allem bei den gefakten Altersflecken auf den Seiten fällt das auf. Dennoch: Die Optik ist supigut, wenn auch noch immer zu clean für eine echte LARP-Tauglichkeit. Und noch eines: Inzwischen bin ich mittlerweile entweder betriebsblind für solche Details, oder das Lektorat hat diesmal wirklich tadellos funktioniert. So mag ich das!

2. Aufbau

Aus dem rechten Holz geschnitzt: Die gute Peraine

Aus dem rechten Holz geschnitzt: Die gute Peraine (von Diana Rahfoth)

Hierzu fällt mir der Begriff „perainegefällig“ ein: klar, logisch, am Praktisch-Faktischen orientiert. Nach einer grundlegenden Darstellungen der Prinzipien des Peraineglaubens erfolgt ein Rundgang durchs Kalenderjahr für den eifrigen Geweihten, der jeder Jahreszeit eine bestimmte Tätigkeit zuweist: Dem Frühling die Saat, dem Sommer das Pilgern, dem Herbst die Ernte und dem Winter die Heilkunst. Damit ist das Leben der gemeinen Perainegeweihten gar nicht so dröge wie sich das Klein-Rondrik mit dem Zweihänder immer vorstellt. Im Anschluss folgt eine nähere Beschreibung der typischen Liturgien – nichts Regeltechnisches, versteht sich, sondern fluffige Anleitungen – eine knappe Chronik der langen, aber wenig sensationsheischenden Kirchengeschichte und die ebenso knapp zu charakterisierende Hierarchie der eher bodenständigen Kirche, inklusive ihrer Orden. Abschließend geht das Vademecum kurz ins OT und macht uns Vorschläge, wie der Spagat vom ortsgebundenen Bauernseelsorger zum herumstromernden Abenteurer zu stemmen ist. Insgesamt sind damit 159 Seiten gut gefüllt, das kleine Büchlein liest sich trotzdem eher flott. Lohnt sich aber die Lektüre auch?

3. Inhalt

Kurz gesagt: Ja. Denn insgesamt werden die Grundsätze der Kirche und ihre Besonderheiten sehr schön vor Augen geführt. Das Frühlingskapitel sagt dem schmökernden Geweihten nicht nur, wann welche Ackergabe zu säen und zu ernten ist, sondern beschreibt auch gleich 2W6 verbreitete und perainegefällige Feldfrüchte und wie sie bekömmlich zubereitet werden können. Hier mag jetzt der Hardcore-Gamer mit gesteigerter Ergebnisorientierung mit einigem Recht einwerfen, dass die Vertreibung der Frühjahrsmüdigkeit durch den Genuss von Lauchgemüse selten einen abenteuerrelevanten Plot hergibt. Stimmt. Es rundet das Bild dennoch gelungen ab, und in dem Stil geht das Vademecum auch weiter vor: Das Pilgerkapitel beschreibt heilige Orte der Kirche (hat man da Honingen vergessen?) und wichtige Heilige, das Winter-Kapitel verbreitete Heilkräuter und so weiter. Das Vademecum ist da übrigens auf neuestem Stand, und wer jemals Der Unersättliche gespielt hat, der wird einiges wiederentdecken.

Zeigefinger und Blümchen: Mehr braucht ein guter Geweihter nicht (von Diana Rahfoth)

Zeigefinger und Blümchen: Mehr braucht ein guter Geweihter nicht (von Diana Rahfoth)

An allen Ecken und Enden findet der Suchende zudem Ingame-Quellen, Gebrauchstexte und liturgische Sprüche für den Spieltisch. Man kann dem Verfasser der Reime durchaus eine gewisse poetische Ader nicht absprechen; manchmal kommen seine Verse dennoch ein wenig knittelig daher. Aber auch wenn hier und da mal „ausgegossen“ auf „Kräuter sprossen“ gereimt wird, so zeigt sich der überwiegende Teil der Texte doch äußerst stimmungsvoll und passend.

Auch ein kleines Heilkraut-Kompendium ist dem Vademecum spendiert worden, und obwohl da nix Neues über Wirkungen zu erfahren ist, sind die konkreten Anwendungsbeispiele doch so atmosphärisch passend geschrieben, dass man gerne noch mehr Kräuterzeug in der Art behandelt gesehen hätte. Hiermit wäre die Defizitliste erreicht: Was fehlt mir denn als Peraine-Geweihter noch für so einen Wegbegleiter im Taschenformat? Besonders toll hätte ich noch einen regelrechten Bauernkalender in Monatsform gefunden, in dem nicht nur Saat- und Erntetermine zu finden wären, sondern auch die ganzen Heiligentage und religiösen Feste, die so über das Vademecum verstreut erwähnt werden. Aber rummäkeln kann man immer. Das ändert nix daran, dass der Inhalt an sich ein rundes Bild des Glaubens entwirft, das wenig Wünsche offen lässt.

4. Stimmung und Atmosphäre

Man mag es an meinem ungewöhnlich mild klingenden Tonfall vielleicht schon ahnen: Das im Vademecum gezeichnete Bild des Peraineglaubens hat mir durchaus gut gefallen. Und das liegt an einer großen Stärke der Spielhilfe: Bodenständigkeit und Konsequenz. Die Arbeit der Peraine-Geweihten wird so stark im einfachen Volk verwurzelt, dass man ein äußerst harmonisch wirkendes transzendentes Weltbild serviert bekommt. Man mag spöttisch die Frage stellen, was so Bauernfrühstück-Typen denn bitte mit reisendem Gesocks auf Schatzsuche zu tun haben sollen, und tatsächlich ist nicht jeder abenteuerlustige Hintergrund aus dem letzten Kapitel gleichermaßen überzeugend. Aber auf der anderen Seite steht stark eine Lebensphilosophie, die grundoffen und ehrlich einen Gegenentwurf zu all den halbmaraskanischen Auftragsmeuchlern und schwarztobrischen Schattenmagiern darstellt, dass ich sie persönlich nur als äußerst erfrischend bezeichnen kann. Alles im Weltbild eines Peraine-Dieners strahlt einen so aufrichtigen Glauben an das Gute-Einfache-Richtige aus, dass ich dieses kleine Bändchen weit weg von der großen, grauen Historia ins Regal stellen werde, damit nur keine alveranische Richtigstellung des Zwölfgötterkreises dieses Stück Hoffnung für Aventurien kontaminieren kann. I want to believe. Das heißt natürlich andererseits, dass der Peraine-Geweihte im Grunde nichts für den handelsüblichen dunkelgrauen Fernsehserien-Klon aus dem Chemiebaukasten des zeitgenössischen Charakterdesigns ist, aber insgesamt hat mich der Ansatz des Vademecums sehr oft mit einem weichen, warmen Lächeln zurück gelassen. Weil auch einfach mal was gut sein darf.

5. Fazit

Peraine_Vademecum_Tristan_Denecke_Perainezeichen

Peraine-Symbol (von Tristan Denecke)

Das Peraine-Vademecum ist die richtige Schmökerei für den neu erblühenden Balkon, zu seiner Linken ein gutes Glas griechischer Hauswein, zu seiner Rechten die neueste Ausgabe von „Landleben“. Dann fängt auch ein alter Städter wie ich an zu träumen, von Kornähren und ehrlichen Bäuerinnen, von Bio-Nahrung, in der auch noch Bio drin ist, von einer kindlichen, aber deshalb um so stärkeren Religiosität ohne Prätentiösität. Man sieht, dass ich ziemlich positiv gestimmt bin. Mehr noch, beim Lesen habe ich regelrechte Lust bekommen, einen Helden in grüner Kutte zu bauen, irgendwas aus den besten Teilen von Mutter Teresa, Bruder Tuck und Don Camillo, der beherzt das Wort der Herrin zu denen trägt, die engen Herzens sind, in der einen Hand einen Knüttel, in der anderen eine frische Lauchzwiebel. Damit müsste ich jetzt sagen, für alle die, die lieber klassische Helden in goldener Rüstung oder moralisch flexible Komplexhaufen spielen, sei das Büchlein nix. Ich will das aber mal umdrehen: Alle die müssten es aus Gründen der Horizontvervollständigung eigentlich lesen. Alle die, die sich tiefer in die solide Basis des Peraineglaubens einfühlen wollen, oder mal Lust auf einen Ausflug ins Bauerngaming im besten Sinne haben, sei dieses Vademecum ebenfalls schwer empfohlen. Und allen anderen … erst recht. Weil’s einfach ganz gut geworden ist.

So, wir schreiten zum altbekannten Ritual des Almabtriebes der Einhörner und versammeln unsere neun guten Tiere mit Ährenkränzen um den Hals und blumengeschmücktem Horn. Möchte jemand den Festzug verlassen, frage ich da? Ja, doch: eines schleicht sich von hinnen, mit der Begründung, das alles lese sich ja hübsch, sei aber in den meisten Fällen nicht so schrecklich abenteuerrelevant, außer man sei religiöser Fluff-Fetischist. Sei’s drum, geh du nur zu den Rondrianern, du ungläubiger Thomeg! Noch jemand, aus kleinlichen Gründen, wie grobrastriger Druck oder unvollständiger Heilkräuterauswahl? Nein? Gut. So sei es.

Acht von neun Pereinhörnern.

Bewertung Einhorn 8Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.

Über Vibarts Voice

1986 entwickelte Michael Gorbachow den Begriff "Glasnost" und die Raumfähre Challenger explodierte beim Start. Im selben Jahr wurde DSA Teil meines Lebens, und obwohl die UdSSR und das Space-Shuttle-Programm längst Geschichte sind, ist DSA noch immer zentraler Aspekt meiner Existenz. Ich spiele und meistere regelmäßig. Seit Mai 2012 bin ich darüber hinaus hier bei Nandurion tätig.
Dieser Beitrag wurde unter 8 Einhörner, Aventurien, Das Schwarze Auge, DSA4, Rezension, Spielhilfe abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

9 Antworten zu Peraine-Vademecum

  1. Pingback: Rezension zum Perainevademecum | Nandurion

  2. Vargsang sagt:

    Tolle Rezension!!
    Da bekommt man richtig Lust auf das Büchlein. 🙂

  3. Pallien sagt:

    Vielen Dank für die positive Rezension, damit rückt der perainegeweihte Hügelzwerg wieder auf Platz 1 meiner Heldenliste für DSA5. 🙂 Hoffentlich trägt dieser Band dazu bei, die angeblich unbeliebteste Gottheit ordentlich aufzuwerten.

    • Siebenstreich sagt:

      Hoffentlich trägt dieser Band dazu bei, die angeblich unbeliebteste Gottheit ordentlich aufzuwerten.

      Unbeliebt? Insbesondere mit DSA5, wo ja die (Heilungs)Mirakel deutlich gestärkt wurden, wird sich das sicher ändern.
      Apropos: genau diesen Punkt fand ich ein wenig schlecht umgesetzt. Die Fragen, wen man jetzt wie heilen soll/darf, sind in meinen Augen leider sehr vage gehalten.

      Der Schwerpunkt lag zu sehr auf dem Ackerbau, aber das hatte auch sein Gutes: mir war die Bedeutung von Peraine als Missionars-Göttin bisher nicht so bewusst, auch wenn es natürlich logisch ist: „Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing“ 🙂

      • Pallien sagt:

        Siebenstreich: Unbeliebt? Insbesondere mit DSA5, wo ja die (Heilungs)Mirakel deutlich gestärkt wurden, wird sich das sicher ändern.

        Das ist der Effizienz-Faktor – in Hinblick auf das Vademecum, das ja weitgehend regelfrei ist, dachte ich an den Rollenspiel-Aspekt. Ich glaube nicht, dass bei der Wahl nach den beliebtesten Gottheiten bzw. Geweihten nur der erstere Faktor eine Rolle gespielt hat. Wenn das Vademecum aber schöne neue Ideen und Aspekte für Peraine-Geweihte bietet, dürfte diese Profession hoffentlich auch noch bei DSA4 mehr Freunde finden.

        Dass ich DSA5 als Heimat meines zu erstellenden Helden nannte, hat den Hintergrund, dass ich sehr wahrscheinlich nicht die bestehenden konvertieren werde, sondern gleich mit einem neuen Charakter beginnen werde, bei DSA4 hingegen wohl keinen neuen mehr bastel.

  4. ackerknecht sagt:

    Was soll ich sagen?
    Mir gefällts…

  5. Astartus sagt:

    Ein großer Kritikpunkt, der mir beim Lesen sauer aufgestoßen ist: für mich macht das Buch ZU SEHR einen auf „Heile Welt“. Abenteuerrelevanz mal beiseite sind die Peraine-Geweihten doch die auf dem Land am häufigsten anzutreffenden Geweihten und damit auch für die Seelsorge der Menschen verantwortlich. Gerade, weil sie auch die Heiler und Seuchenkundigen stellen, sind sie da oft vor tragische Todesfälle gestellt – und da bietet das Vademecum keine Ansätze, mit den kritischen Punkten seines Glaubens umzugehen.
    Die meisten anderen tun das – das Tsa-Vademecum thematisiert die Grenze zwischen Neuerern und Umstürzlern, im Praios-Vademecum wird die Suche nach der inneren Wahrheit aufgeworfen und im Phex-Vademecum gibt es Nachdenklichkeiten über die Grenze zur Gier. Nur das Peraine-Vademecum bietet keine andere Lebensphilosphie als „Sei brav, fleißig und fromm und du wirst gesund bleiben.“ Das klingt für mich irgendwie nach „…und wenn du krank wirst, bist du wohl selbst schuld.“
    Was sage ich als Geweihter der Mutter, die mich tränenüberströmt fragt, warum ihre Tochter im Kindbett versterben musste? Wie bringe ich der Gemeinde bei, dass Peraines Gnade nicht gereicht hat, ihren wundbrandigen Büttel zu heilen? Wie gehe ich mit Seuchen um, nicht handwerklich, sondern seelsorgerisch und philosophisch? Auf all diese Fragen, die gerade angesichts der Katastrophen der letzten 20 Jahre mehr und mehr an Brisanz gewinnen, gibt das Buch keine Antwort, und das finde ich sehr, sehr schade.

    • Vibarts Voice sagt:

      Lustig. Gerade diese „unmoderne“ Ausstrahlung des Buches fand ich, wie ja auch in der Rezi betont, besonders attraktiv und charmant, da es den Peraineglauben von der Normalmasse abhebt. Aber in diesen Punkten empfinden wir wohl definitiv im Geschmacksbereich.

      Um die Antworten auf diese Fragen ringen übrigens auch irdische Geistliche, gleich welcher Religion, ohne die Hilfe der bekannten Schrifttexte. Da lässt einen die Lehre oft allein.

      • Curima sagt:

        Man kann das ja auch nicht so richtig irdisch vergleichen, denke ich. Wenn ein einigermaßen fähiger Heiler oder gar ein Perainegeweihter in der Nähe ist, stirbt man in Aventurien nicht an Wundbrand. Und Kindersterblichkeit ist durch den Geburtssegen auch sehr gering. Sofern ein Kranker zu einem Perainegeweihten rechtzeitig gebracht wird, kann man ihm eigentlich so gut wie immer helfen, es sei denn, die Krankheit ist sehr selten und übersteigt die Fähigkeiten des Geweihten. Insofern dürften die Hinterbliebenen eines Toten eher damit hadern, wieso denn gerade kein Geweihter, Heiler oder Magier rechtzeitig zur Stelle war, um den Kranken zu retten. Und da kommt dann meiner Meinung nach eher die Boronkirche ins Spiel, die die Trauenden da unterstützt.

        Was große Seuchen angeht, stimme ich allerdings zu, da hätte das Buch vielleicht noch ein paar Seiten zu verlieren können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert