Das Rahjasutra

Rahjasutra_CoverOh lustsuchender Würfelmeister, der du die Erfüllung in der Kenntnis der Schriften suchst! So höre die Mär des Haimamud mit innerer Verzückung und offenem Geiste, denn sie verheißet dir Erfüllung in der Erkenntnis. Liebkose die Sätze mit deinen glutsprühenden Augen und umfasse die Weisheit zärtlich mit deinem ganzen Körper, auf dass dein Sayif sich elefantengleich die wässrige Straße zur geheimen Pforte entlangschlängelt …

Halt Stop. Hier und jetzt.

So würde ich eine Rezension im Stile des jüngst aus dem Harem um die Ecke geschwankten Rahjasutras im Schreibstil des Rahjasutras beginnen, und ich habe soeben festgestellt, dass er sich genau so anstrengend schreibt, wie liest. Darüber hinaus fühle ich mich dabei irgendwie schmutzig, weniger sexuell, mehr stilistisch. Und das könnte jetzt eigentlich auch schon das Bewertungsfazit sein. Aber wir wollen den Tag nicht vor dem inniglichen Verströmen der Rahjaspende in der heißblütigen Umarmung der …

Halt Stop. Bitte.

Das Rahjasutra, von A. Spor alias Fran Cesco di Urbontris, ISBN 978-3-95752-366-2, 159 Seiten, 19,95 €

1. Selbstoffenbarung

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich diese Rezension schreiben soll. Ich denke, da sich dieser Text dazu entschlossen hat, ein assoziativer Text zu werden, beginne ich damit, was diese Rezension alles nicht ist.

Hier findet sich zu aller erst einmal keine objektive Bepunktung im Sinne eines Weltmeisterschaftrennens, sondern wie immer eine Geschmacksäußerung meinerseits mit durchaus subjektivem Charakter. Dennoch werde ich versuchen, meine Kriterien offenbar zu machen und meine Ansichten mit Gründen zu unterfüttern. Zum zweiten gibt es hier auch keinen Test zur Einsetzbarkeit am Spieltisch für das Büchlein, schlicht und einfach, weil mir keine einfällt. Oder keine, die in irgendeiner Rollenspielgruppe, in der ich jemals war, positiv aufgenommen worden wäre. Zum Dritten sind die folgenden Zeilen kein Praxistest der dargelegten Praktiken (PRAXIStest, capiche?), in dem Sinne, dass ich alle beschriebenen Stellungen und Techniken nun mit jemand durchgevögelt hätte. Wenigstens glaube ich, dass mir aber die Mehrzahl davon zumindest flüchtig bekannt ist, was nicht darauf schließen lassen soll, dass ich mords der Stecher wäre (da müssten mich andere mal rezensieren), sondern eher darauf, dass die gebotene Kost abseits der Sprache doch reichlich wenig exotisch ist. Eventuell komme ich darauf später zurück.

Wo wir gerade dabei sind: Wer alle 64 schmutzigen unabsichtlichen Wortspiele in diesem Text findet, bekommt von mir eine handgezeichnete Rahja-Votivkarte. „Kommen“ war vor 29 Worten das erste.

2. Wege des Rahjasutras – zur Genese einer Publikation

Es begab sich vor Jahren, als Aprilscherze noch lustig waren und 4.1 in der öffentlichen Darstellung das schlimmste System seit dem Outer Rim, dass im Ulisses Blog von Axel Spor ein Band „rund um Sex und Erotik“ in DSA angkündigt wurde mit dem Titel Wege der Vereinigung. Datum der Mitteilung: 01.04.2012. Wir erinnern uns, die Lawine der roten Wege-Bände war noch voll am Rollen und die Drei-Wege-Box ein noch häufiges Relikt im Spielezimmer manches älteren DSA-Jüngers. Das Thema fand sofort in Foren einhellige Begeisterung (immer gefährlich) und brodelte dort in einer unheiligen Mischung aus Mitscherzen, schlecht-bedürfniskaschierender Ironie und echter Empörung über den Scherzstatus weiter fort. Und diese Mischung führte recht schnell zu einer ernstgemeinten (?) Online-Petition zur Verwirklichung eines solchen Buches und seit dem war dieser Fantasieband (komm ins Reich der Fantasie!) aus der Metadiskusion nicht mehr weg zu denken. Ob als Beispiel für einen ziemlich guten Aprilscherz, oder als Bedarfsäußerungen für einen Themenband zur aventurischen Sexualität? Beides kam vor, manchmal gleichzeitig.

Um so größer war das Hallo, als Ulisses am 01. April 2016, vier Jahre später, das Rahjasutra ankündigte, nebenbei bemerkt ein ziemlich witziger Schachzug (Nandurion berichtete). Da das Ganze mit Cover, Preis und Seitenanzahl in die Welt trat, setzte sich in der öffentlichen Diskussion relativ schnell die Meinung durch, das es sich nun um das tatsächliche Dingens handelte. Und die Hoffnung all derer, die im Ernst auf einen Quellenband zur aventurischen Erotik und Sexualität warteten, stellte sich auf Erfüllung ihrer Wünsche ein. Das hätten sie besser erst gar nicht versuchen sollen.

So, jetzt kommt ein schwerer Schritt. Wir müssen nun leider, in einer DSA-Rezension, über Sex reden.

3. Äußerlichkeiten

Wenn es um Sex geht, dann natürlich auch um die lustvolle Objektschau. Und da kann sich das Rahjasutra eigentlich doch sehen lassen. Das dunkelrote Kunstleder (na ja – eher braun) ist ziemlich langweilig und auch das Ornament als Cover wirkt wenig aufregend oder aussagekräftig. Dafür glänzen die Innenseiten vollfarbig in zartem Gelb-Rosa und zahlreiche bunte Illustrationen … äh illustrieren die Kapitel. Und das teilweise durchaus explizit mit deutlichen primären Geschlechtsorganen. Technisch gibt es an den Zeichnungen nichts auszusetzen und sie zeigen, dass L. Lammer eine Zeichnerin ist, die ihr Handwerk mehr als versteht. Aus Gründen des relativ komplexen Jugendschutzes für Inhalte im Netz müssen wir allerdings den Lesern alle Bilder mit deutlich erregten primären Geschlechtsorganen hier vorenthalten. Und ja: Die gibt es durchaus.

Sanfter Sapphischer Sadismus mit dem roten Staubwedel: So weit darf's gerade noch gehen (von L. Lammer)

Sanfter Sapphischer Sadismus mit dem roten Staubwedel: So weit darf’s gerade noch gehen (von L. Lammer)

Abseits aller technischen Qualität: Das Design muss man halt mögen. In meinem ausgeprägten Schubladen-Denksystem kreuzt sich da wohl ein wenig Barbara-Cartland-Paperback-Cover mit Früh-90er-Tele5-Softporno auf David-Hamilton-Weichzeichner mit einer Spur ölkreidigem Touch. Das ganze klebt halt ein bisschen arg. Man findet dazwischen aber auch gut komponierte Illus, die durchaus von diesem Muster abweichen.

Ein Lob muss bei aller Kritik sein: Wenigstens sind die Damen nicht so dürr, wie leider üblich, sondern sehen durchaus nach Frau aus. Apropos: Die Zeichnungen zeigen insgesamt 17 mal weibliche Figuren und 8 mal männliche (und einmal einen Hermaphroditen). Lesbische Szenen werden drei mal dargestellt (die drei waschenden Damen von S. 100 schlage ich spontan dem zu), schwule Liebe sehen wir einmal. Ist das schon ein Hinweis auf unsere Zielgruppe? Nur zur Klarheit: Lesben sind es glaube ich eher nicht.

Vom Format her versteckt sich das Rahjasutra gut unauffällig zwischen den Vademekums und fällt Mutti beim flüchtigen Abstauben nicht auf. Nur die goldene Rückenschrift lässt es verdächtig wirken.

4. Inhalt – zunächst nüchtern.

Worum geht es jetzt also im Rahjasutra? In Erinnerung an seine Entjungferung durch die schöne, aber wesentlich ältere Zuleikha vor etlichen Jahren setzt sich der reisende Gelehrte Fran Cesco di Urbontris auf die Spuren des orientalischen tulamidischen Rahjasutras, um in Vinsalt ein gedrucktes Kompendium über die Kunst des Liebens im Land der ersten Sonne herauszugeben. Dabei geht er verschiedene Stationen und Kunstfertigkeiten in seiner Abhandlung ab.

Eher knapp wird das Wesen Rahjas behandelt, von S. 27 bis 87 geht es dann um diverse Techniken der Liebeskunst, vom naiven Küsschen bis hin zum Wie und Wohin des Geschlechtsaktes. Knapper werden folgend Tipps zum erfolgreichen Liebeswerben abgehandelt, der Verlauf von Beziehungen, das Erlangen eines Partners, und „Geheimlehren der Rahja“ (das sind diverse Liebestränke und Hilfsmittel) enthüllt. Zwischen den Formulierungen bzw. Transkriptionen von Fran Cesco finden sich immer wieder Originalzitate aus Ausgaben des Rahjasutras, von tulamidischen Liebesexperten oder Jugenderinnerungen mit Zuleikha. Der Schreibstil verliert sich gerne in der oben persiflierten blumigen Art, später komme ich darauf zurück.

Schluss mit nüchtern. Ist schließlich Rahja.

5. Inhalt – was ich eigentlich loswerden will

Insgesamt bleibt nach der Lektüre des Rahjasutras bei mir ein Gefühl der angestrengten Enttäuschung – was beim Thema Sex immer kein gutes Zeichen ist. Die Designentscheidung, das ganze in Richtung „tulamdische Sexualität“ = „irdischer Soft- bis Mittelporno“ zu führen, tut dem Buch nicht gut und macht die Lektüre unter dem Strich wenig lohnenswert.

Was meine ich mit dem Satzfetzen „tulamidische Sexualität“ = „irdischer Softporno?“ Als erster Antwortversuch sei hier eine Selbsterklärung des Rahjasutras herangezogen: „In den Tulamidenlanden hat in weiten Teilen das strenge Patriarchat den Blick seiner Bewohner und dementsprechend auch die Schriften des Rahjasutras geprägt.“ (S. 12)

Nun ist das nach Hintergrundsetzung ja tatsächlich so. Und damit entspricht es leider dem gängigen Geschlechterverhältnis in einer durchschnittlichen männlichen Sexphantasie. Also grob zusammengefasst: Aktiver dominanter Mann, passive, leicht unterwürfige Frau. (je nach Fantasie kann man beide Seiten natürlich radikalisieren …). Wem das Thema und die damit verbundene Problematik inzwischen zu den Ohren herausquillt, der überspringt wohl am besten den nächsten Absatz.

5.1 Exkurs: Geschlechterverhältnisse in Aventurien und Westeuropa – ein Zusammenhang.

Ja, das könnte jetzt Züge einer Genderdebatte haben. Trolle, Hater und sog. Reichsbürger, rotten Sie sich jetzt zusammen, um gegen solche Gedanken aggressiv vorzugehen.

Das schwierige und schöne an Aventurien ist, dass die Urväter in den 80er-Jahren, als „political correctness“ noch kein Schimpfwort im Mund eines Neuen Rechten war, den Design-Grundsatz aussprachen: In Aventurien sind Mann und Frau gleich – gleich mächtig, gleich wichtig, gleich-wertig (in ihren Zahlenwerten.) Das ist schwierig, weil wir immer selbst im Spiel gegen unsere Klischees im Kopf ankämpfen müssen, und uns nahezu zwingen müssen, eine tapfere Ritterin einen zarten Hofjüngling umwerben zu lassen oder die zwei besoffenen, stinkenden, obszönen Wächter am Stadttor von Lowangen zu zwei besoffenen, stinkenden, obszönen Wächterinnen zu machen. Das ist deshalb schön, weil mir immer dieses Umschalten im Kopf zeigt, dass es ja auch anders geht, als üblich: Mann oben, Frau unten.

Origineller DSA-Gedanke: Ein pinker Hummer als Geheimnis der Rahjanischen Liebe. (von L. Lammer)

Origineller DSA-Gedanke: Ein pinker Hummer als Geheimnis der Rahjanischen Liebe. (von L. Lammer)

Klar, man hat dieses Früh-DSA-Gesetz mit wachsendem Differenzierungsgrad des Systems verzweigt und neben matriarchalischen Gesellschaften (Amazonen, Aranien, Goblins, Hexen (?) … ) jede Menge patriarchalische Strukturen in den Hintergrund implementiert (Orks, Andergast, Novadis, und ja auch die Tulamidenlande). Aber im Grunde gilt das so in den beliebtesten DSA-Settings nach wie vor. Und das ist wichtig für DSA und meiner Meinung nach ein Erkennungs- bzw. Qualitätsmerkmal: Neben der Reproduktion des irdischen Klischees immer den originellen Gedanken, das Eigenständige zu setzen.

Und nun, als jemand der durchaus aus diesen grün-linken, moralischen Achtzigerjahren stammt, lese ich folgende Sätze:

„Auch wenn eine Frau üblicherweise [beim Sex, Anm. des Rezensenten] Widerworte geben mag, so werden ihre Züge doch weicher und ihre Worte werden zu Lustlauten …“ (S. 29) [Zitat nach Hinweis nachträglich korrigiert]

OK – also „Nein“ heißt „Ja“, ganz klar.

„Das Gurren der Taube ist besonders bei Frauen [als Lustlaut, Anm. des Rezensenten] verbreitet, […] während Männer oft versuchen werden ihre Liebe mit einem gepressten Laut beeindrucken, der an das Brüllen eines Stiers […] gemahnt.“ (S. 74)

Klar. Taube und Stier. Sanftes Gurren und so. Laut sein dürfen nur Jungs.

„Achte unbedingt auch auf Gesten und Blicke, besonders dann, wenn du eine Frau liebst, die noch wenig Erfahrung hat und deswegen nicht über die Lippen bringt, was sie will.“ (S. 76)

Gut – für Frauen die unerfahrene Männer lieben gilt das offensichtlich nicht. Oder es gibt erst gar keinen Tipp für diesen undenkbaren Fall. Oder das Buch richtet sich ja eigentlich auch gar nicht an Frauen.

Einwurf von Cifer: Und dann gibt es noch die Männer, die unerfahrene Männer lieben, du alter Heteronormativist!

„Die Werbung zwischen Frauen gleicht oft dem Flattern von Schmetterlingen umeinander.“ (S. 81)

Den Satz würde ich ja gerne mal einem befreundeten lesbischen Ehepaar vorstellen. Im Grunde ist das nämlich auf naive Weise komisch.

Offensichtlich kommt es aber doch auch einmal vor, dass Frauen nicht scheue, schwache Schmetterlinge sind, die schüchtern die Augen zu Boden senken, wo ja auch ihr Platz ist. Denn es sei dem werbenden Manne zu Kenntnis gebracht: „Wenn sie dir zu offen begegnet und keine Scheu an den Tag legt […], ist sie dir entweder nicht genug zugetan, oder aber sie pflegt Umgang mit anderen. Lass ab […].“ (S. 94)

Klar. Alles Schlampen, wenn sie nicht kuschen. Selbst Schuld, wenn sie mit so nem Rock nachts auf die Straße geht.

Es würde vielleicht zu weit gehen, den Charakter des Rahjasutras im Kern mit „sexistischer Bullshit für orientierungslose Kerle“ zu umschreiben. Vielleicht aber auch nicht.

Man kann natürlich jetzt den DSA-Hintergrund als Entschuldigung für diese Retroperspektive auf das Thema Männer und Frauen beim Sex hernehmen. „Ey, Alter, in den Tulamidenlanden ist das eben so.“ Es passt aber leider viel zu gut mit irdischen Erwartungshaltungen an Erotika jeglicher Art zusammen und legt eine Stoßrichtung (ja genau, das war jetzt wieder eins) fest, die leider die Inhalte des Rahjastutras vor allem eines werden lässt: langweilig. Dazu gleich noch mehr, jetzt aber erstmal …

… viel-zu-langer-Exkurs Ende.

5.2 Blümchensex zum Einschlafen

Die verhandelten Inhalte gehen also nicht groß über das hinaus, was als allgemein verbreitetes Wissen über sexuelle Praktiken gelten kann. Da wird ein bisschen was über Vorspiel und Nachspiel gesagt, diverse Stellungen werden im blumigen Tulamidenstil beschrieben, es gibt oral und anal und ein bisschen Sado-Maso, natürlich sehr gemäßigt, Shades of Grey und sein Einzug in die bundesdeutsche Hausfrauenwelt lassen grüßen.

Wenigstens ist man nicht ganz dem Konventionellen verhaftet, immerhin wird männliche Homosexualität thematisiert, gezeigt und beschrieben. Eventuell spricht das auch dafür, dass die männliche Homosexualität mittlerweile zu den akzeptierten Konventionen dazu gehört, was ja immerhin ein kleiner Fortschritt wäre. Da hatte es die lesbische Liebe in ihrer Darstellung immer leichter, vor allem vor dem Auge des männlichen Publikums, und dann, wenn die Damen, wie auf den entsprechenden Illustrationen, eher im heterosexuellen Style gestaltet sind.

Damit aber bietet der Sex im Rahjasutra keinerlei Mehrwert in Zeiten des Internets, wo man sich entsprechendes Wissen im Laufe einer vernünftigen Adoleszenz eben aneignet, und nicht mehr wie vor 50 Jahren das Pornoheftchen vom Schulkameraden gegen den Lieblingsfußball eintauschen muss. Es bietet aber darüber hinaus – und das ist viel entscheidender – keinen Mehrwert als aventurische Spielhilfe, denn alles, was da zwischen Tulamide A und Tulamide B abgeht, kann jeder Leser einfach eins zu eins aus seinem sexuellen Allgemeinwissen übertragen. Wozu lese ich dann das also?

Diese Frage stellte sich mir mehr als einmal tatsächlich. Wo wir gerade so offen unterwegs sind: In der Regel las ich das Rahjasutra vor dem Einschlafen im Bett, und der übliche Effekt war, dass ich nach etwa einer Seite ziemlich müde wurde. Andere Effekte traten nicht auf, weder ein rollenspielerisches Interesse an den verbreiteten Inhalten noch irgendeine körperliche Reaktion. Wobei ich nicht weiß, ob die überhaupt intendiert war. Aber wenn das Rahjasutra im Bett nicht zündet – dann zündet es vielleicht einfach nicht. Und Krustentieranspielungen kann ich einfach nicht mehr sehen.

5.3 Verpasste Chancen – noch immer kein Weg zur Vereinigung

Gegenbeispiel: Tulamidische Frau gibt Widerworte. Ihrem Ehemann ist jedoch nicht klar, dass sie "ja" sagen will. (von L. lammer)

Gegenbeispiel: Tulamidische Frau gibt Widerworte. Ihrem Ehemann ist jedoch nicht klar, dass sie „ja“ sagen will. (von L. Lammer)

Was hätte man aus dem Thema „Aventurische Sexualität“ alles machen können! Wie viele spannende Konzepte hätten sich da geboten! Von den geschlechtsunabhängigen Elfen über die sehr reduzierten Zwerge, von den „wir prügeln uns drum, wer oben liegt“ – Thorwalern hin zu den „Ohne Drogen und Peitschen macht’s keinen Spaß“ –  Al-Anfanern, von den Heckenlabyrinthen des Horasiats hinein in die Weidener Scheune. Durch die Konzentration auf das sog. „Tulamidische“ verschwinden jedoch die eigentlichen spannenden Themen und es bleibt die oben beschriebene konservative Ödnis übrig.

Klar, man müsste jetzt einwerfen, dass das Rahjasutra ja ein real existierendes Ingame-Werk ist, das eben tulamidische Wurzeln hat, aber wenn ich schon den horasischen Gelehrten als Filterinstanz vorschalte, so hätte dieser Kunstgriff doch den Vergleich mit anderen Traditionen angeboten. Der Platz wäre aus meiner Sicht besser genutzt gewesen, als drei Varianten der Hündchenstellung in süßlichen Sprachbrei zu kleiden. Nebenbei: Den Veröffentlichungsort Vinsalt merkt man dem Buch überhaupt nicht an, da ist nichts typisch Liebfeldisches zu finden.

Verpasst ist aber auch die Chance auf tatsächlichen Tiefgang. Denn das irdische Vorbild, das indische Kamasutra ist nach neuerer Interpretation ein weitaus tiefergehender Leitfaden für ein gesellschaftlich erfolgreiches Leben (als Mann), als nur eine Liebesanleitung, auch wenn sich das Rahjasutra im Inhaltsverzeichnis grob an die Struktur der sieben Bücher des Kamasutras hält. Wenn schon tulamidisch, dann bitte mit philosophischem Hintergrund.

Verpasst abermals nach dem sehr fokusierten Rahja Vademecum (Nandurion rezensierte vor langer Zeit) die Gelegenheit dem Rahjaglauben den Charakter der Vögelreligion zu nehmen, damit nicht der Gang zum Tempel der Rauschhaften das altbekannte Gekicher am Spieltisch auslöst. Eine tiefere, mystische Form der Liebe zwischen zwei Aventuriern spielt jedenfalls keine Rolle, es bleibt bei Baggern, Besteigen, Beziehung als Trinitas des Rahjasutras.

Dass ich den Schreibstil zäh und wenig erfreulich finde, habe ich schon einige Male einfließen lassen. Um noch einmal Positives zu sagen: ich glaube, dass sich jemand sehr viel Mühe gemacht hat, die Texte konsequent einem Stil zu unterwerfen, der tulamidisch-kultiviert klingt. Aber all das Geschwurbel um Surabh und Shayif (vulgo Scheide bzw. Penis), um Elefanten und Kühe, um Rosen und Knospen machte das Rahjasutra für mich zu einer zähen Lektüre. Vermutlich hätte ich es ohne diese Rezension nach 20 Seiten beiseite gelegt.

Fazit

Es tut mir immer leid, wenn es mir nicht gelingt, an einer DSA-Publikation ein gutes Haar zu lassen. Aber leider sehe ich mich beim Rahjasutra zu kaum einer anderen Handlung in der Lage. Der Ausflug zwischen die Bettlaken im Land der ersten Sonne bietet nämlich das Wichtigste für eine DSA-Publikation einfach nicht: einen spielerischen Mehrwert. Oder überhaupt einen Mehrwert in irgendeiner Hinsicht.

Am Spieltisch sind die Texte jedenfalls kaum einzusetzen, auch zur Ausgestaltung einer Tulamidin als Spielcharakter trägt das Rahajsutra wenig bei, was über eine Regionalspielhilfe hinausgeht. Als Hintergrundwerk zur aventurischen Sexualität kann es wie beschrieben nicht dienen, was es zum zwischenmenschlichen Bereich südlich des Yaquir detailliert darstellt, kann man sich alles ohne Mühe so selbst erschließen (falls man sich nicht etwas originelleres Ausdenken möchte).

Sex sells.

Sex sells.

Ich habe mich ernsthaft gefragt, was eigentlich der Sinn dieser Publikation ist. Ist es tatsächlich so bitter wie einfach: Sex sells? Tittenbildchen und Softsexbeschreibungen sind ja tatsächlich am vorwiegend männlich bevölkerten Nerdpol ein häufiges und erfolgreiches Verkaufsargument, es ist nicht ganz unverständlich, wenn man als Unternehmen den Zug auch irgendwie mitnehmen möchte. Dennoch ist es ein trauriger Grund für eine DSA-Veröffentlichung. Leider will mir tatsächlich nichts besseres einfallen, als das.

Was machen wir also nun mit diesem Buch, das ich damit nun schließen will, und es neben Handelsherr und Kiepenkerl und der Skilltree-Saga in die Ecke der nutzlosen Materialien stelle, die ich eigentlich nicht für mein Hobby benutze?
Suchen wir nach positiven Dingen. Zunächst einmal gibt es eine schöne Aufmachung und gelungene Illustrationen, auch wenn man über den Stil sicher geteilter Meinung sein kann. Darüber hinaus bemüht sich der ungenannte Autor um ein tulamidisches Gesamtbild, was zu unschönen Nebeneffekten führt, aber eine schreiberische Leistung darstellt. Und eventuell gefällt ja dem einen oder anderen im Gegensatz zu mir der Stil recht gut.

Abgesehen von diesen zwei Körnern in der Suppe bleibt aber mein Gesamturteil negativ: Ich halte das Rahjasutra in seiner Gesamtheit leider für peinliche Anbiederung an irdische Sexklischees, die mit meiner Art Rollenspiel absolut nichts zu tun hat. Ein Horn.

Wertung_ein-Horny_Horn_Rahjasutra

Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.

Über Vibarts Voice

1986 entwickelte Michael Gorbachow den Begriff "Glasnost" und die Raumfähre Challenger explodierte beim Start. Im selben Jahr wurde DSA Teil meines Lebens, und obwohl die UdSSR und das Space-Shuttle-Programm längst Geschichte sind, ist DSA noch immer zentraler Aspekt meiner Existenz. Ich spiele und meistere regelmäßig. Seit Mai 2012 bin ich darüber hinaus hier bei Nandurion tätig.
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31 Antworten zu Das Rahjasutra

  1. Salaza sagt:

    Nur ein Hinweis: Das oben gebrachte Zitat auf S. 29 lautet vollständig und ohne eingeschobene Klammer:
    „Auch wenn eine Frau üblicherweise Widerworte geben mag, so werden ihre Züge doch weicher und ihre Worte werden zu Lustlauten wie Seufzen oder Stöhnen, und sie wird dich anspornen, bitten, ja sogar anflehen, deine Liebkosungen fortzuführen.“
    Die Veränderungen im Zitat hier nicht zu markieren ist dabei nicht nur formal unschön. Das gestrichene „üblicherweise“ kann man nämlich dann auch so lesen, dass der Satz aussagt:
    „Auch wenn eine Frau vom Typ her normalerweise immer Widerworte geben mag (was eine Typisierung als eher widerborstige Persönlichkeit darstellt, der man halt Sanftheit deswegen möglicherweise nicht zutraut) so kann ihr Wesen beim Sex ein völlig anderes und nicht so widerborstiges sein.“
    Vielleicht passt ihr den Abschnitt noch einmal an?

    • Cifer sagt:

      Zitat ist entsprechend angepasst – ich stimme dir zu, dass man bei derartig bedeutsamen Zitaten besonders genau arbeiten sollte.
      Allerdings kann ich mich der Interpretation nicht anschließen: Wenn ihre (Wider-)Worte erst dann zu Lustlauten werden, wenn er seine Liebkosungen fortführt, dann hat er sich zuvor über eben diese Widerworte hinweggesetzt, sonst gäbe es da nix, was man *fort*-führen könnte.

      • Vibarts Voice sagt:

        Es tut mir leid, dass die Zitierweise nicht ganz korrekt war, es war nicht meine Absicht verfälschend wiederzugeben. Allerdings stimme ich Cifer zu: Das Zitat wird damit für mich nicht weniger „Nein heißt Ja.“ „Üblicherweise“ bedeutet für mich: So läuft es am häufigsten, und zwar im Kontext der Passage. Dieser Kontext ist aber Sex.

        Edit: Auch andere Zitate wurden nun angepasst und sauberer aufbereitet.

  2. Nico sagt:

    wie wahr.

    Aber NICHTS GEGEN DIE SKILLTREE-SAGA!
    (das einzige Spiel auf Steam, wo ich _ALLE_ Errungenschaften frei geschaltet habe (es waren lange Fahrten in der Zeit …)
    Denn die konnte wenigstens noch als schlechtes Beispiel dienen 😉

  3. Mháire Stritter sagt:

    Ein paar Dinge, liebes Nandurion, liebe Stimme des Vibart, um eine andere Sicht einzubringen.

    1. Vergesst nie, dass auch hinter einem Pseudonym ein echter Autor steht. Denkt zwei Mal darüber nach, wie ihr über deren Werk oder deren Person und Intentionen redet. Würdet ihr der Person auch in einem privaten Gespräch so eure Meinung vermitteln? So aus Zitaten, sogar ursprünglich gekürzt und aus dem Zusammenhang gerissen, etwas herauslesen, was zumindest für mich und eine Handvoll kurz gefragter Anderer so nicht herauszulesen ist, schon gar nicht im Zusammenhang mit dem gesamten Buch? Würdet ihr von Angesicht zu Angesicht auch so polemisch überzeichnen? Zu meiner Ansicht, was Frauenrollen und Sexualität angeht, siehe auch meinen letzten Punkt, aber: Bevor man solche, teils doch sehr heftigen Annahmentrifft, sollte man vielleicht nochmal davor und danach schauen – es sind nämlich eben Teile aus dem „Urtextes“ und selbst wenn man sie so zerlegt immer noch eingebettet in einen Kommentar, der sie relativiert und auslegt.

    2. Im Zusammenhang mit dem Ende von 1. – das Buch konterkariert die tulamidischen Ursprünge meiner Ansicht nach recht gut. Es wird mehrfach erwähnt, wie der Blick der Vorlage durch Patriarchat und Kultur geprägt ist, dass Teile geändert oder gekürzt wurden, weil sie bei den Horasiern tabu sind oder gefährlich für einen Partner. Zudem kommt hinzu, dass die drum herum gestickte Rahmenhandlung mit Zuleika eindeutig beweist, dass die tulamidische Frau allen Vorurteilen zum Trotz die Zügel sehr sicher in den Händen hält. Und das nicht nur, wenn sie oben ist. Eine Frau kann in jeder Stellung das bestimmende Element sein, nur so kurz als Einwurf, weil mehrfach „woman on top“ in der Rezension als Gleichnis verwendet wird.

    3. Das Buch hat nicht nur einen Stil. Das Buch wechselt je nach Quelle. Das zeigt eine angenehme Bandbreite des Autors/der Autoren.

    4. Wer keinen Nutzen in diesem Buch sieht, steht damit voll auf Ulisses‘ Seite, die mehrfach laut und deutlich gesagt haben, es sei ihr nutzlosestes Produkt. Kurioserweise habe ich schon eine Menge Nutzen aus dem Band gezogen. Aber ich spiele auch eine Rahjani, vor allem im LARP und siehe da, die Menschen haben einen Heidenspaß daran, sich vor dem Hintergrund ihrer mehr oder minder spießigen Herkunftsländer mit dem Büchlein zu beschäftigen. Lesungen aus dem Rahjasutra waren schon nur mit dem Vademecum und den darin enthaltenen kurzen Abschnitten ein beliebter Teil von Salons auf horasischen Cons. Kleine Notiz: Alle Anwesenden waren deutlich erwachsene Personen, denen ich ein eigenes und weit gefächertes Sexualleben unterstelle. Sie haben nur einfach Spaß auch an unsinnigen Dingen.

    5. Genau das ist das Buch. Ein unsinniges kleines Ding, an dem man vor dem Hintergrund der Spielwelt Spaß haben kann. Mehr will es auch nicht sein. Mich irritiert, dass sich hier nicht zum ersten Mal bei Besprechungen des Buches ein Autor darüber auslässt, dass die Sexpraktiken nicht sehr ungewöhnlich seien und das Buch wohl kaum als Handbuch zum Beischlaf taugt. Das will es ja auch auf keinen Fall sein. Dafür gibt es, und das war dem Autor/der Autorin/den Autoren vollkommen klar, das Internet. Es ist die mit Augenzwinkern und Zucker versehene, kommentierte Version eines Ingame-Buches, die sowohl versucht, nahe an den bisherigen Setzungen dazu zu bleiben, als auch es zu einem für Leser in der Realität unterhaltsamen und vor allem real existierenden Band zu machen. Es spielt mit dem Kitsch, mit Vorlagen wie eben für Europäern frisierten Ausgaben des Kamasutra und dem oft abschätzig so genannten „Mommy Porn“. Für die, die solche Spielereien im traditionell ja durchaus augenzwinkernden Aventurien mögen.

    6. Zum Thema, wer sind solche Leute und der Vermutung des männlich bevölkerten Nerdpols hier eine Stichprobe: Ich bin cis-weiblich, zähle mich zur intersektionellen Ausrichtung des Feminismus und meine Leserunden auf horasischen Cons waren zu 70 Prozent weiblich, wenn nicht mehr.

    • Praifried sagt:

      Ich hoffe, dass man mich nicht falsch versteht, aber diese Fragen brennt mir förmlich auf der Zunge:

      Wenn das Rahjasutra selbst vom Verlag als ’nutzloseste‘ Veröffentlichung angesehen wird, wieso ist es dann überhaupt erschienen?

      Warum lässt man etwas für Geld erstellen und veröffentlichen, wenn man selber davon ausgeht, dass der Nutzen des Produkts bei der Zielgruppe als so gering angesehen werden wird, dass sich die Investition gar nicht lohnen dürfte? (oder interpretiere ich hier zuviel?)

      Außerdem bin ich der Meinung, die Rezension gibt genau das auch wieder: das Buch ist allem Anschein nach absolut und komplett nutzlos, AUßER in ganz bestimmten sehr seltenen Fällen vielleicht.

      Ich empfand es nebenbei auch nicht so, als würde die Rezension den Autoren/die Autorin irgendwie ‚bashen‘. Was man schreibt und veröffentlich, um seine Brötchen zu verdienen, muss ja nicht zwangsläufig absolut das sein, was man selbst denkt, oder sehe ich das absolut falsch?

      • Salaza sagt:

        Ich würde sagen, du interpretierst zuviel. „Nutzlos“ im Sinne von: „da wird niemand irgendwas mit anfangen können“ ist der Band ziemlich sicher auch nach Verlagsansicht nicht. Aber sein Einsatz als Spielhilfe dürfte für deutlich weniger Spieler einen konkreten Nutzen haben, als das üblicherweise bei einer Spielhilfe der Fall ist. Es gibt aber ja auch Menschen, denen alleine das Lesen von Büchern Spaß macht. Damit hat ein entsprechendes Buch für diese ja schon einen Mehrwert und Nutzen. Dazu zeigt Mháire, wie ich finde treffende, Punkte, die das Buch auch für Spieler (und nicht nur Leser) von Nutzen sein lassen. Der Band ist andererseits für Leser, die mit der Darstellung von Rahjageweihten jenseits von Pferdezucht und Weinanbau nichts anfangen können, wohl eher nichts.
        Beim zweiten Punkt würde ich einwenden: Ja, natürlich, der fiktive ingame-Autor ist nicht mit dem realen Autor gleichzusetzen. Die Rezension führt dennoch Vorwürfe am Buch über die Aussagen des fiktiven Autors und ignoriert dabei die Einbettung dieser Aussagen und die nicht-Identität von fiktivem und realem Autor. Mir fehlt hier die sorgfältige Auseinandersetzung mit diesem Kontext in der Rezi. Sie erhebt den Vorwurf, das Buch würde bewusst das „nein heisst ja“ befördern und richtet diesen Vorwurf an den realweltlichen Autor, nicht den fiktiven. Sie beschäftigt sich in dem Zusammenhang noch nicht einmal mit der Einbettung, die selbst der fiktive Autor vornimmt. Damit bleibt hier für meinen Geschmack ein Vorwurf an den Autor der Rezension, dass er wesentliche Punkte des Buches in seiner Begründung ignoriert.

      • Xeledon sagt:

        Die Frage nach dem Nutzen ist halt immer im Kontext einer Rollenspiel-Publikation zu sehen und zielt damit konkret auf die Nützlichkeit für das Rollenspiel selber ab. Man könnte hier diskutieren, ob das „Rahjasutra“ wirklich nutzloser als ein x-beliebiger DSA-Roman ist, mit dem man das Ding in vielerlei Hinsicht vergleichen kann. Der ein oder andere mag es anregend/inspirierend finden, das zu lesen, und mag daraus vielleicht sogar doch noch einen Nutzen für sein eigenes Spiel ziehen. Die Hauptintention ist aber wohl einfach nur, den Leser zu unterhalten, was ich für absolut legitim halte.

        Ansonsten könnte man noch den Vergleich mit Postern oder Action-Figuren aufmachen, die ich im Grunde auch als ziemlich nutzlos bezeichnen würde. Oder Artbooks zu Filmen/Computerspielen, klassische Coffeetable-Books. Nutzloses Zeugs also, an dem sich manche Leute dennoch erfreuen können, wenn sie sie einfach nur zum Anschauen ins Regal stellen, an die Wand hängen oder in der Gegend rumliegen lassen.

        Insgesamt bin ich persönlich ein Fan von „nutzlosen“ Dingen, die ich mir in den Schrank stellen und mich daran erfreuen kann. Insbesondere wenn man mir als potentiellem Käufer von vorne herein klar macht, dass es sich um ein ebensolches handelt, und ich nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu einem Fehlkauf verleitet werde. Eine klassische Kosten/Nutzen-Rechnung ist ohnehin schwierig bis unmöglich, wenn es um ein eigenes Hobby geht. Immerhin ist die prinzipielle Nutzlosigkeit (und ja, ich klammere hier die dann doch nutzbringenden Sekundäreffekte ganz bewusst aus) genau das, was ein Hobby für mich im Kern auszeichnet. ^o^

        Ich hoffe, du kannst den Gedankengang nachvollziehen und verstehen, warum die Bescheinigung von Nutzlosigkeit eines Produktes nicht automatisch auch einem Aberkennen seiner Existenzberechtigung gleichkommen muss. Für Ulisses kann ich als Außenstehender natürlich nicht sprechen, aber ich glaube zumindest zu verstehen, warum sie ein solch nutzloses Produkt veröffentlichen. Ob man selbst dieses dann wiederum haben bzw. dafür Geld ausgeben möchte, steht ohnehin auf einem ganz anderen Blatt und sollte eine individuelle Einzelfallentscheidung sein. Da vertraue ich auf die Mündigkeit des potentiellen Kunden und kann jeden gut verstehen, der das „Rahjasutra“ weder mag noch haben will. Persönlich bereue ich den Kauf trotzdem nicht.

    • Teferi sagt:

      cis-weiblich, intersektionell, feministisch
      Das ist die Attributierung mit der du dich selbst charakterisierst?
      Mach doch sowas nicht 🙁
      Die Schwesternschaft wird über dich herfallen,
      weil Nein heißt Nein, und das oben skizzierte genügt auf jedenfalls modernen feministischen Definitionen für rapeproblematiken :-S

      • Xeledon sagt:

        Kontext ist halt alles. Und gerade deswegen finde ich es gut, dass hier überhaupt sowas wie eine Diskussion über die entsprechenden Themen aufkommt, auch wenn ich als weniger an Begrifflichkeiten und ideologischer Kampfrhetorik als an den tatsächlich dahinterstehenden Weltanschauungen und Lebensentwürfen interessierter Hetero-Mann langweiligerweise wenig mehr dazu beizutragen habe, als generelle Zustimmung zu Mháires schön ausformulierten Gedanken.

    • Cifer sagt:

      Moin Mháire,
      in die Debatte zwischen dir und Vibart möchte ich mich nicht weiter einmischen, nur soviel: Ich halte ihn durchaus für einen Menschen, der an Rezensionen auch mit etwas Empathie herangeht und da nicht blind drauflosdrischt. Speziell die „Nein heißt Ja“-Textstelle haben allerdings drei Einhörner unabhängig voneinander beim ersten Lesen mit einem großen WTF quittiert. Dass das anders lesbar sein könnte, war keinem derjenigen, die sich mit dem Buch näher beschäftigten und die Rezension miteinander besprachen, in den Sinn gekommen. Und damit ergibt sich ein anderes Problem: Wenn der Kerntext des Rahjasutras derartige Meinungen vertritt, wie kann es dann zu den Lieblingsbüchern der stark auf beiderseitigem Einverständnis bauenden Rahjakirche gehören? Ist da entsprechende kognitive Dissonanz im Spiel, mit der der heutige Jude legitimiert, dass vielleicht Ehebrecher nicht mehr gesteinigt werden müssen, aber das Buch als ganzes dennoch ganz sinnvoll ist?

      Abseits von diesem Problemfeld finde ich es auch vor allem schade, was man alles *nicht* thematisiert hat, obwohl sich das mit der Erzählklammer eines weitgereisten horasischen Schreibers geradezu angeboten hätte: Eben alles, was in Aventurien jenseits des tulamidischen existiert. Pansexuelle Elfen, in Sippenehe lebende Norbarden, orkische Frauen als Häuptlingsbesitz, nur zur Fortpflanzung zum Manne gehende Amazonen, Mätressenwesen im Horasreich, peitschenschwingende Al’Anfaner (samt Überlegung, wieviel SSC in einer Sklavenhaltergesellschaft, in der man in der Oberschicht ständige Mordanschläge fürchtet, eigentlich drin sein kann), minnende Ritter, aromantische Achaz, Beziehungen zwischen unterschiedlichen Spezies (ggf. inklusive Dschinne und Dämonen), Nivesen in Wolfsverbindungen und so weiter und so fort. Aventurien ist in der Hinsicht bereits extrem vielfältig und ich finde es bedauerlich, dass man das an der Stelle nicht genutzt und zelebriert hat. Allein wenn man sich das damals erschienene Inhaltsverzeichnis von WdV ( http://archiv.ulisses-spiele.de/blog/wp-content/uploads/2012/04/WdV.pdf ) anschaut, hätte das ja auf der Hand gelegen.

      • Xeledon sagt:

        Die Themen, die du im zweiten Absatz erwähnst, sind zweifellos spannend und betrachtenswert. Den Rahmen dessen, was das irdische „Rahjasutra“ ist und sein will, hätte das aber zweifellos gesprengt. Insofern halte ich es für problematisch, dem Buch vorzuwerfen, was es nicht ist und auch ganz explizit gar nicht zu sein versucht.

        [Den „heutigen Juden“ oben kannst du im Übrigen verlustfrei um den „heutigen Christen“ ergänzen und damit die Gruppe, der du – nicht ganz zu Unrecht – eine kognitive Dissonanz bescheinigst, beträchtlich ausweiten…]

        • Cifer sagt:

          Jup. Allerdings wären das halt Themen, die man sich zum einen nicht einfach so aus den Alltagserfahrungen des Irdischen herleiten könnte und die zum anderen zumindest in ihrer Existenz mehr Spielrelevanz haben als „Wie man gute Blowjobs gibt“.

          [Das ist mir durchaus bewusst – allerdings gab’s ja IIRC unterschiedliche Ansichten darüber, welche Gebote des Alten Testaments nach Jesu‘ Erscheinen noch Gültigkeit besitzen, also hab ich mal das sichere Beispiel gewählt.]

          • Xeledon sagt:

            Viele schöne Ansätze für zukünftige Publikationen also, da sind wir uns einig. Eigentlich hatte ich die Idee eines „Wege der Vereinigung“ immer als total albern und absurd abgetan. Aber je mehr ich mich mit der intrinsischen Albernheit des Rollenspiel-Hobbys anfreunde, je sympathischer wird mir der Gedanke dann doch. ^o^

          • Cifer sagt:

            Der Haken ist: Ich weiß nicht, ob all das nach dem Rahjasutra noch von offizieller Seite kommen kann. Vielleicht hat das Buch großartige Verkaufszahlen, weil sich Sex tatsächlich gut verkauft. Ist dem aber nicht so, würde ich eher vermuten, dass man das Thema erstmal als abgehandelt betrachtet und sich höchstens noch in den Regionalbänden entsprechend verstreute Themen finden, genau wie ich aktuell nicht davon ausgehen würde, dass es nach den Streitenden Königreichen demnächst noch einen Band über Andergast geben wird.

    • Vibarts Voice sagt:

      Liebe Mháire,

      danke für deinen ausführlichen Kommentar. Zwar bin ich der Ansicht, dass Internetargumentationen zum Ausufern ohne Ergebnis neigen, dennoch denke ich, dass eine Antwort von meiner Seite selbstverständlich sein sollte. Ich werde also versuchen, in aller Kürze meine Ansichten zu deinen Punkten zu erläutern.

      1. Würde ich in einem privaten Gespräch mit dem unbekannten Autor / der unbekannten Autorin so reden? Sicherlich nicht. Zum einen ist eine schriftliche essayistische Äußerung eine ganz eigene Form, die mündlich schlecht reproduzierbar wäre. Zum anderen ist dies nicht meine Rolle / meine Autoreninstanz und auch eine konkrete Person nicht der Adressat meiner Texte. Ich schreibe im öffentlichen Raum. Meiner Meinung nach schließt das jede „private“ Kommunikation aus, jede „persönliche“ für mich darüber hinaus. Ich trenne in meinem Kopf äußerst scharf zwischen Person und Produkt, auch wenn mir längst klar ist, dass die meisten Menschen das offenbar nicht gerne haben, ebenso wie ich hoffe, aber bezweifle, dass die breite Masse zwischen Rezension und Privatperson Rezensent trennen kann. Aber mit dem Schritt in den öffentlichen Diskussionsraum muss auch ich mit Wertungen klarkommen, genau wie der Autor eines Produktes, und darf es z.B. nicht mit meinem eigentlichen Ich verquicken, wenn ein Leser mich „polemisch“ findet, und ich mich frage, ob man mir das auch so auf einer Premierenfeier oder einem Geburtstag ins Gesicht sagen würde. Ich glaube aber nach wie vor, dass ich das Produkt und nichts anderes angegriffen habe. Und ja: das habe ich, aus Überzeugung.
      Darüber hinaus gehöre ich zu den Rezensenten, die den Zwiespalt zwischen privatem Kontakt und journalistischer Redlichkeit scheuen, wie der Dämonensultan den zweifach geweihten Boden. Ich mag es, wenn ich den Autoren eines Produktes nicht persönlich kenne, von daher habe ich außerhalb von Conventions auch (so gut wie) keine Kontakte in die üblichen Verfasserkreise. Kurz gesagt: Diese Frage stellt sich für mich (gottseidank) nicht. Ich sage keine persönlichen Dinge. Ich weiß aber, dass ich es nicht verhindern kann, dass sie persönlich ankommen.

      2. Hierzu kann ich nur sagen, dass diese moderne-nordaventurische Kritik aus meiner Sicht äußerst verhalten durchklingt. Man wird dem Folgenden nun gleich widersprechen: Ich halte es für ein voraussgeschicktes Feigenblättchen. Allerdings war für mich der platte Sexismus, auf den jetzt leider die ganze Diskussion herausläuft, längst nicht der alleinige Grund für meine vernichtende Bewertung.

      3. Habe ich so nicht als deutliches Merkmal wahrgenommen. Und ich lese relativ viele Stile im Laufe eines Jahres.

      4. Das Werk steht für sich als Werk und sagt in sich alles aus, was der Leser verstehen muss. Wenn ich diverse Presseerklärungen, Con-Interviews, Produktseiten verpasst habe, so tut es mir leid – sie sind aber zum Lesen eines Buches auch nicht nötig, denn ich muss davon ausgehen, dass die meisten Leser eines Textes extern publizierte Erläuterungen nicht wahrnehmen. „Es ist für euer Spiel völlig nutzlos“ – wenn das stimmt, dann gilt noch drei mal mehr der Existenzgrund „sex sells“. Das kann man gut finden, das kann man aber auch doof finden.
      Exkurs LARP: Es gibt in einschlägig bekannten Larperforen mehr und hasserfülltere Diskussionen zu Geschlechterrollen und Geschlechterunterschieden im Larp, als das Rahjasutra je produzieren könnte. Sagen wir mal, dass die Spiel-Ansätze und die Toleranzgrenzen da äußerst auseinanderklaffen. Dass du das Rahjasutra auf Deinlarp(TM) gut einsetzen kannst, freut mich ernsthaft. Für Meinlarp(TM) wäre es z.B. schon vom Look und Feel her zu modern, als dass es in die IT-Kiste wandern würde. Für Meinrollenspiel(TM) ist das Rahjasutra erst recht nichts.

      5. Leider habe ich im Gegensatz zu dir weder den Humor noch das Augenzwinkern wahrnehmen können und Spaß hatte ich mit dem Buch leider auch nicht. Eventuell mangelt es mir aber tatsächlich an Humor, das mag sein.

      6. Ich bin männlich, ziemlich heterosexuell und in meiner LARP-Gruppe sind 7 Männer (schwankend) und eine Frau. Wir werden so ziemlich lange sammeln müssen, um eine valide Stichprobe zusammen zu bekommen.

      Das wurde doch länger, als ich wollte, entschuldige. Ich glaube letztendlich kann man das Fazit ziehen: unsere Ansätze sind wohl hinreichend unterschiedlich.

  4. Queery sagt:

    Danke für die super Rezi und die Mühe so ein Buch durchzulesen. Es wär wirklich spannend, aber auch vielleicht zu viel verlangt ein DSA-Werk zu sexualität zu haben, was die egalitäre Geschlechtergleicheit und eine offene Rahja-Verehrung und damit enttabuisierung von Sexualität über Jahrunderte in der Gesellschaft mit der Sexualität macht. Die ganze hure & heilige Romanzen Sex-Klischees sind da m.E. gesellschaftlich nicht so wahrscheinlich. Und sex wahrscheinlich ganz schön vielfältig und vielleicht auch in vielen Punkten weniger aufgeregt und tabuisiert.

  5. Fenia sagt:

    Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man sich an einem Spaß-Buch so zerreissen kann.

    Aufgefallen ist mir, dass das Rahjasutra sich sehr stark an den Originaltext des Kamasutras hält; natürlich aventurisiert. Und wenn ich den Sinn dieses Buches (Rahjasutra) verstanden habe, dann ging es doch darum ein aventurisches Pendant zu der irdischen Quelle zu haben, also etwas das der interessierte Aventurier mal so in der Buchhandlung kauft und somit ein totaler In-Game-Text. Warum man jetzt gerade in so einem Buch eine aventurische soziokulturelle Sexualforschung betreiben soll, leuchtet mir nicht ein.

    Danke für die Rezi, auch wenn ich mich in deiner Meinung nicht wiederfinden kann.

  6. Axel Spor sagt:

    Lieber Vibarts Voice,

    vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, das Buch bis zum Ende zu lesen und dann auch noch diese ausführliche Rezension zu verfassen. Das ist bei Weitem nicht selbstverständlich, wenn einem etwas nicht zusagt, und ich schätze dies sehr.
    Zu den einzelnen Kritikpunkten möchte ich mich hier gar nicht groß äußern, da ich finde, dass man als Autor Kritik am besten unkommentiert stehen lässt. Man läuft sonst schnell Gefahr, defensiv oder beleidigt zu klingen. Sei sicher, ich bin kritikfähig, und die Dinge, bei denen ich Besserungsbedarf sehe, werde ich mir auch zu Herzen nehmen.

    Bei einer Sache, die du oben angesprochen hast, möchte ich aber doch meine Verwunderung zum Ausdruck bringen. Mit dem Rahjasutra habe ich versucht, eine irdische Fassung eines fiktiven Buches zu schreiben. Sie sollte weitgehend im Einklang mit bisherigen Setzungen stehen, die es verstreut dazu im vorigen Publikationen gibt. Das bedeutete für die praktische Umsetzung vor allem, eine Mischung aus aventurischem Sexratgeber und allgemeiner Reflexion über das Wesen der Lust im Sinne des alttulamidischen Rahjaglaubens zu verfassen. Eigentlich hätten laut Hintergrund noch wesentlich mehr Sexstellung reingemusst, aber das scheiterte zum einen an der begrenzten Menge der zu Verfügung stehenden Illustrationen und zum anderen an der Eintönigkeit, die das für den Band bedeutet hätte. Also habe ich mich neben körperlichen Aspekten auch auf das geschlechtliche und gesellschaftliche Miteinander konzentriert.

    Dass in großen Teilen Aventuriens aktuell (d.h. 1040 BF) weitgehende Gleichberechtigung herrscht, halte ich für ein herausragendes und sehr lobenswertes Merkmal des Settings. Dies trifft aber nicht in allen Aspekten auch für die Vergangenheit der Tulamiden zu, weswegen ich dies beim Verfassen des Rahjasutra berücksichtigt habe. Das führt konsequenterweise zu einigen der Textpassagen, die für sich allein betrachtet auf die meisten modernen Leserinnen und Leser – zum Glück – bedenklich wirken dürften.
    Ich war nun allerdings davon ausgegangen, dass die meisten Rollenspieler selbstverständlich die Ansichten des Autors eines fiktionalen Textes nicht mit den Ansichten der fiktiven Erzähler in diesem Text (oder den Ansichten fiktiver Autoren, die als Verfasser von Ingame-Quellen in diesen fiktionalen Texten genannt werden) gleichsetzen. Ansonsten wären Texte wie z. B. das Kor-Vademecum kaum rechtfertigbar, da deren Autorin sicherlich nicht den Einsatz von Krieg und Gewalt für materiellen Lohn rechtfertigen möchte.
    Dessen ungeachtet habe ich mit der Figur des Fran Cesco di Urbontris sicherheitshalber eine zusätzliche Ingame-Erzählinstanz ins Spiel gebracht. Der Horasier tritt als Sprachrohr einer der modernsten Weltanschauungen auf, die in Aventurien zu finden ist. Mittels dieser Perspektive hoffte ich, die selbst für aventurische Verhältnisse teils sehr antiquierten und bedenklichen Passagen im Buch kontextualisiert und relativiert zu haben. Ich war mir daher sehr sicher, hinreichende Sicherheitsnetze aufgestellt zu haben, die es den Leserinnen und Lesern erlauben, auch für sich genommen problematische Textpassagen zu lesen, ohne hierdurch in ihrem progressiven und aufgeklärten Empfinden verletzt und in ihrem Lesevergnügen beeinträchtigt zu werden.

    Mein Ziel beim Verfassen des Rahjasutras war keine kommentierte Werksausgabe eines Scholaren, sondern eine sinnliche und von Immersion geprägte Umsetzung und Erweiterung der bisherigen Setzungen. Dabei bin ich sehr nah an der irdischen Vorlage, dem Kamasutra, geblieben, das ich vorher ausführlich studiert habe. Ich habe bei meinen Recherchen aber immer kritisch hinterfragt, wie es sich wohl in Aventurien verhält, und ich habe durch Fran relativiert oder auf Probleme aufmerksam gemacht, die sich ergeben, wenn man mit einer moderneren Sicht auf solche Texte blickt.

    Im Rollenspiel gibt es immer wieder Ingame-Texte, die zu Gewalt aufrufen, die Monarchie, starre Hierarchien und Gehorsam verherrlichen, oder mit denen zu Hass zwischen verschiedenen Spezies und Kulturen („Tod allen Orks und Goblins!“, „Der Norbarde war’s! „) aufgerufen wird. Das gehört im klassischen Fantasybereich einfach dazu. Und es wird meist auch nicht als tiefgreifendes Problem angesehen, weil Rollenspieler geübt darin sind, zwischen Fiktion und echtem Leben, zwischen Rollenrede und echter Meinungsäußerung zu unterscheiden. Ich denke, ich habe mein Möglichstes getan, um auch das Rahjasutra in diese Tradition zu stellen.

    Beste und trotz allem entspannte Grüße aus Indien
    Axel

    • Vibarts Voice sagt:

      Lieber Axel,

      vielen Dank für deine lange Stellungnahme und gleich vorneweg meinen Respekt, dass du als Verfasser hier selbst dich einschaltest. Ich habe oben bereits gesagt, dass ich wenig Erwartungen an längere Internet-Diskussionen habe, finde aber in deinem Fall fünfmal, dass du von mir eine Antwort bekommst.

      Ich bin dir dankbar dafür, dass es nicht noch mehr Stellungskriegberichte wurden, ich empfand sie, wie gesagt, als anstrengend. Ich glaube, dass der grundsätzliche Designansatz, das irdische Kamastura, zumindest seinen populären Teil, sacht zu aventurisieren im Endeffekt zu vielen Problemen und Dysfunktionalitäten führt, die in meiner Leseeerfahrung dominant waren. Die bunte, flüchtige Mischung ergibt ein oberflächliches Resultat, das ist der mangelnde Mehrwert des Werkes; Eine gesellschaftliche Thematik außerhalb von Liebesdingen habe ich nicht bemerkt, und auch da ist die Bagger- und Paarungsebene doch sehr dominant; dies, gepaart mit der originalen bzw. tulamidischen Männerperspektive führt zu dem was ich für mich „Mittelpornostil“ genannt habe – und das ist tatsächlich aus meiner Sicht maximal unspannend, ja doof. Zumindest, wenn man Spielen, und nicht an sich herumfummeln will. Und auch die Eintönigkeit ließ sich nicht ganz vermeiden. Ich habe, auch nach deinem Kommentar, sehr gut verstanden, was der grundlegende Ansatz war, Axel. Ich finde leider nur: Das macht das Ergebnis nicht besser.

      Wäre es undenkbar gewesen, einen aufgeklärten Thulamiden zu finden, der ein anderes Frauenbild betreibt? Wäre es undenkbar gewesen, von der im Endeffekt schreiberisch fesselnden Struktur des Vorbilds wegzugehen, und eher eigenständig vorzugehen? Z.B. den Rahjaglauben stärker einzubinden? Wäre es undenkbar gewesen, ein aranisches Exemplar des Buches aufzutreiben und das ganz in bosparanischer Manier – alle Quellen finden – zu kontrastieren? Wir sind uns ja offensichtlich einig, dass die aventurische Vielfalt und Andersartigkeit von momentanen oder historischen Zuständen Dererseits ein „herausragendes“ Ding ist. Das hätte mich interessiert! Man hätte dieses Interesse der Menschen an Aventurien für das Buch nutzen können.

      Allerdings habe ich nie geglaubt, dass die Ansichten des Rahjasutras die deinen wären. Ich glaube darüber hinaus, dass ich nirgendwo in meiner Rezension dies tatsächlich gleichsetze. Im Gegenteil: Ich vermute, dass die meisten Produzenten von (echter) Pornografie zu großen Teilen nicht mit der darin vermittelten Luftschlosswelt übereinstimmen bzw. den eigenen Bullshit glauben. Aber für mich ist das ja gerade die Katastrophe, dass es trotzdem nichts Besseres geworden ist. Das Produkt ist Shit – das kann man aber auf dich nicht einfach übertragen.

      Warum ich das Korvademecum trotz unsäglicher Dinge spannend finde, und das Rahjasutra für eine Nullnummer halte, muss ich mir selbst erst noch genauer erklären. Eventuell hängt das damit zusammen, dass das erstere mir interessante alternative Welten vorschlägt, das zweitere aber nicht. Der Herr Urbontis jedenfalls war als kommentierende Instanz viel zu schwach und kraftlos, um tatsächlich einen weiterweisenden Ansatz präsentieren zu können. Und ich glaube, da hakt’s: „Tod allen Goblins“ = spannende Alltagsflucht = gewinnbringendes Produkt. „Youporn in Rashdul“ = Nichts Neues auf Dere/Erde = zu Nahe an meiner wahrgenommenen Realität = sinnlose Zeitverschwendung. Vielleicht bin ich auch genau aus dem Grund so auf Kriegsfuß mit Iman? Spannender Gedanke …

      Zurück zum Thema: Deswegen halte ich, auch nach der Erläuterung der Designprinzipien, noch immer dein Produkt für „sexistischen Bullshit“ und für eine „peinliche Anbiederung“ an irdische Vögelratgeber. (Damit mir nicht wieder vorgeworfen wird, ich wage so etwas nicht ins Gesicht zu sagen) Ich halte aber dich, lieber Axel, nicht dafür, weil ich das gar nicht beurteilen kann. Aber alleine die Reproduktion dieser uralten, unausrottbaren Ideen, und sei es auch nur im vermeintlich sicheren fiktiven Feld Pen&Paper, stößt mir sauer auf. Und im LARP ist das ganze so wie so ein Daueraufreger, der mich sicherlich auch in meiner Haltung zum eigenen Handeln in fiktiven Rollenspielen geprägt hat.

      Insgesamt kann ich aber nach wie vor nicht ausschließen, dass es jede Menge DSA-Fans gibt, die das Rahjasutra für eine tolle, bereichernde Lektüre halten. nach wie vor ist eine Rezension nur meine, naturgemäß relative Meinung, zu der ich eben true und mit der nötigen Nackenstärke stehen muss. Ich hoffe, dass viele Stimmen da draußen im Netz zu einem breiteren Bild beitragen.

      Mit ebenso maximal entspannten Grüßen nach Indien

      Vibarts Voice

  7. DonGlo sagt:

    Einige Kritikpunkte sind durchaus nachvollziehbar, die Schlussfolgerung „Selbst Schuld, wenn sie mit so nem Rock nachts auf die Straße geht.“ ist mit dem vorausgehenden Zitat hingegen in keiner Weise belegt. Angesichts der großen gesellschaftlichen Bedeutung diese Themas sind solche unbelegten Unterstellungen sehr gefährlich und nicht fair.

  8. Engor sagt:

    Schöne und hochinteressante Diskussion hier, auch weil sich sehr unterschiedliche Perspektiven offenbaren und von allen Seiten nachvollziehbare Argumente ins Feld geführt werden.
    Ich selbst konnte den Rahjasutra leider nicht viel positives abgewinnen, in meiner eigenen Bewertung hat der Band leider so schlecht abgeschnitten, wie kein DSA-Produkt zuvor.
    Ich kann nachvollziehen, dass es ein schmaler Grat ist, so umfassende Kritik so zu verpacken, dass sie für den Verfasser nicht schmerzlich wird. Gerade Nandurion geht in der Hinsicht aber eigentlich immer gut mit dieser Verantwortung um, mit einer humoristischen Note darf es dann auch gerne sein, das geht schließlich vielen Resensionen ab (das kann ich z.B. nicht).

    Zu einigen konkreten Punkten würde ich mich gerne ergänzend äußern: Mehrfach wurde angemerkt, dass man bei der Kritik berücksichtigen muss, dass es sich doch um ein Produkt handelt, das ohnehin nicht bierernst gemeint ist, dabei fiel sogar von Ulisses selbst der Begriff „unnötig“ (natürlich positiv gemeint). Das sehe ich insofern anders, als dass es ein Vollpreisprodukt ist, das normal verkauft wird, dann muss es sich auch der kritischen Betrachtung stellen.
    Auch der Vorwurf der mangelnden Sinnhaftigkeit fällt ja bei vielen, die sich mit dem Rahjasutra auseinandergesetzt haben. Das hat, glaube ich, eben vor allem mit der Erwartungshaltung zu tun, auch das wird ja bei vielen Rückmeldungen im Netz deutlich, z.B. in der Frage, warum nicht auch andere Kulturen beinhaltet sind, aber eben auch in der Frage, ob sich ein aventurischer Band nicht mehr vom irdischen Vorbild unterscheiden sollte. Letzteres war für mich der Hauptkritikpunkt, mir fehlt aventurische Originalität.

  9. E.C.D. sagt:

    Verdammte Axt! Ich war unbeeindruckt. Weil ich das Kaufen a l l e r DSA-Produkte vor einigen Jahren eingestellt habe und insbesondere hier keinen Nutzen erwarte(te). Aber jetzt? So eine heiße oder Scheiße… *klick* bestellt 😀

  10. Krassling sagt:

    Meine ausdrückliche Respektsbekundung an den Rezensenten. Dafür dieses Werk gelesen, rezensiert und sich damit seinerseits wieder der öffentlichen Debatte gestellt zu haben.
    Ich hätte es vermutlich kaum geschafft, das Werk ganz zu lesen, geschweige denn etwas sinnstiftendes dazu zu schreiben. Markus Plötz hat das Werk ja selbst als die sinnloseste DSA-Publikation ever bezeichnet, also ist man sich der Möglichkeit diese Sichtweise durchaus bewusst. Dennoch gibt es offensichtlich Gründe solch ein Produkt zu publizieren.
    Die hiesige Diskussion spiegelt diese Randlage vermutlich angemessen wieder.

    Ich werde dennoch die Vibartsche Selbsterkenntnis bzgl. Rahjasutra vs. Kor-Vademecum für mich mitnehmen und die Gesamtdiskussion gewinnbringend in meinen eigenen Erkenntnisprozess zur Bewertung von Rollenspiel-Produkten einbringen.
    Besten Dank dafür an alle Beteiligten.

  11. Karjunon sagt:

    Vielen Dank für die in meinen Augen sehr gelungene Rezension und v.a. drei feministische Hossas für den bitter notwendigen Exkurs 5.1. Bin sehr froh, dass es Leute gibt, die bei der Thematik sensibel sind und für die konsequente Gleichberechtigung der Geschlechter ein wichtiges Qualitätsmerkmal auch in anderen Welten ist.

  12. W.D. sagt:

    Leider hat bei diesem Thema wiedermal ein übertriebener Beißreflex eingesetzt, was meiner Ansicht nach ein Grund dafür ist, dass wie erwähnt „political correctness“ mittlerweile nicht nur positiv assoziiert ist. Spätestens wenn sich dann über Sachen mokiert wird die von der angeblich betroffenen Zielgruppe anders interpretiert werden (siehe u.a. Mháire post) wird man wiedermal dran erinnert das man in Deutschland ist. Das erweißt der Sache leider mal wieder eher einen Bärendienst, obwohl es eigentlich ein wichtiges Thema ist.

    Außerdem sollte man sich fragen wie man seine Produkte bewertet. Wenn wie unter 5.2 der real weltliche Nutzen von Rollenspielpublikationen betrachtet wird hebt sich mir schon eine Augenbraue (wer bitte sehr verwendet Rollenspielprodukte als Ratgeber?) und man müsste 99.9% der Produkte abstrafen. Und wenn der einzig weitere Punkt der Nutzen am Spieltisch ist, sollten mindestens alle Romane und viele weitere Bände auch nur 1 Stern bekommen.

    Das einzige was diese von „political correctness“ überquellende Rezension geschafft hat, ist das ich mir wohl demnächst selbst das Buch anschaffen werde um mir ein eigenes Bild davon zu machen. Den Objektivität sucht man an allen Enden.

    Schade, eine der schwächsten Rezensionen die ich bisher auf dieser Plattform gelesen habe, obwohl ich sie ansonsten gerne vor einem Kauf heranziehe.

  13. Mechanicus sagt:

    Das Problem bei so einem Band ist einfach auch das zumindest ich eine ganz andere Erwartung hatte…

    Der Band wurde ja auch im Vorfeld ein wenig Beworben so wie das Abenteuer Namenlose Nacht:

    FSK 18 – Sex Sells – Nicht ganz Ernst zu nehmen…

    Gerade von dem Abentuer war ich dann aber dermaßen positiv überrascht. Super Abenteur mit teilweise bekannten Protagonisten, sehr gut Strukturiert und aufgebaut. Auch wurde mit dem Thema Sex nicht bierernst umgegangen und man kann es auch weglassen. Dazu dann noch so kleine Schmankerl wie die Verweise der Best Of Nackbilder in den DSA Publikationen! Dickes Thumps Up 🙂

    Von im Vorfeld „Hihihi, da ist ja ein nackter Zwerg auf dem Cover“ wurde es zu einem der besten Produkte in dem DSA Jahr.

    Beim Rahjasutra bleibt ausser viel „Hihihi“ leider nicht viel übrig…

    Ich finde es auch ein bissel unschön zu sagen das es von Anfang an als unnötigste DSA Publikation die es je gab geplant war. Davon liest man nix in der Beschreibung beim F-Shop oder auf der Produktseite!! Das liest sich da wie eine ganz normale DSA Publikation aus der Vademecum Reihe! Nicht jeder liest alle kleine Meldungen die es hier oder anderen DSA Seiten gibt 😉

  14. Der Grünschnabel sagt:

    Vielen Dank dem Rezensenten für die ausführliche und meiner Meinung nach vollkommen nachvollziehbare Rezi. Vibart hätte es sich ja einfach machen können und einfach keine Punkte/Einhörner vergeben – aber er hats nicht getan! Hier hat einer Courage gezeigt, den ganzen Text gelesen und erklärt, warum ihm das Ganze weder IM Spiel noch
    AUSSERHALB „nützlich“, also kaufenswert etc erscheint. Als Rezension im Sinne einer Kaufberatung reicht mir das als Leser vollkommen.
    Deswegen: Hut ab von meiner Seite!

    @Mhàire: Mag sein, dass es im LARP seinen Nutzen hat. Als Nicht-LARP-er kann ich das auch nicht beurteilen und masse mir diesbezüglich nichts an. Mir stellte sich vor dem Lesen einfach die Frage, ob dieses Produkt beim DSA-Spiel oder sonst wenigstens als Lektüre vor/nach den Spieltreffs taugt. Und da hat Vibart seine (logisch: subjektive) Meinung geäussert. Und die darf man ihm auch lassen.

  15. Vibarts Voice sagt:

    @ E.C.D (auf anderer Welle)

    Ich schreibe nichts mehr im DSA-Forum. Aber vielleicht erreicht dich meine Antwort hier.

    Vergebung gewährt. Vor allem für eine lesenswerte Rezi, die eine andere Position bezieht. Und zwar hier, allen zur Lektüre wärmstens empfohlen.

    http://www.dsaforum.de/viewtopic.php?f=80&t=43260&sid=a4bf55f772dd63f331dcf2c20142c0c4

    Vor allem gebührt dir aber mein Respekt, weil du dich auch traust, Kritik (und zwar an meinen Wertungskriterien) nicht mit der bierernsten, windelweichen Zuckerkrone darauf zu formulieren, die in deutschen Gewässern wohl wichtiger ist als Aufrichtigkeit, sondern mit Biss und Formulierungsfreude. Damit hast du bei mir schon eine offene Tür eingerannt, nicht zuletzt weil man sich durch so einen launigen Stil immer offen macht für das Toben einer „moralerhabenen Meute“, wie du es schreibst. Nur dass in unser beider Fall eventuelle Meuten mit anderen Moralvorstellungen gegen die jeweilige Ideenwelt hinter den Worten anrennen.

    Aber wenigstens hast du (einen) Stil.

    Von daher: Alles gut, E.C.D. Dein Gegenbeitrag zu meinem Ansatz war bisher der Klügste.

  16. Salaza sagt:

    Hm. Siehst du hier wirklich „Meuten“? Warum so despektierlich, oder verstehe ich dich hier falsch? Ist deine eigene Kritik nicht auch eine mit hoch erhobenem Moralfinger? Es tut mir leid, aber ich komme hier nicht vom Gedanken runter, dass du mit zweierlei Maß misst.
    Warum braucht Aufrichtigkeit „Biss“? Es wäre mir neu, dass man nur aggressiv aufrichtig eine negative Kritik schreiben kann. Oder meinst du das anders?
    Eine pointierte Betrachtung eines Punktes ist ein schönes Mittel, bei dem ich aber halt auch die Gefahr sehe, dass sie im schlechten Fall einseitig und damit unfair wird. Gerade bei komplexeren Zusammenhängen und Kontexten, die vielschichtig sind, sehe ich da zwar einerseits den Nutzen einer klaren Herausarbeitung der Kritik, aber halt auch die in dem Umfeld noch größere Gefahr, durch die überzeichnete Betrachtung es sich dann bei der Betrachtung zu einfach zu machen.
    Die Form sollte am Ende, meiner Meinung nach, dem Inhalt nicht im Weg stehen.

  17. E.C.D. sagt:

    Hallo Vibart

    Auf ein Helles, falls ich jemals wieder einen Con besuche…
    Ich habe drüber nachgedacht hier zu antworten, aber wenn ich eine Kaufberatung suche, gucke ich zuerst dort. Derweil habe ich gehofft, dass auch jemand von hier nach dort verlinkt. Dass Du es tust, ehrt Mich. Somit liegt für jeden das Spektrum auf dem Tisch ausgebreitet.

    In kritischer Sympathie: Rüdiger

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