Horte magischen Wissens

Im siebten Quellenbuch der blauen Reihe, erschienen im Mai diesen Jahres, werden noch unter der Bandredaktion von Uli Lindner fünfzehn gildenmagische Ausbildungsstätten auf jeweils etwa neun bis zwölf Seiten vorgestellt. Horte magischen Wissens ist dabei Teil 2 einer Reihe von Magierakademie-Spielhilfen (häufig kurz MASH genannt), die mit Hallen arkaner Macht (Xeledon spottete) im letzten Jahr begonnen wurde und künftig von Stätten okkulter Geheimnisse abgeschlossen werden soll.

Die Auswahl der magischen Lehrinstitute in diesem Band ist sehr breit gestreut: Vom vergleichsweise bodenständigen Andergast bis zum ätherischen Drakonia, vom finanziell gebeutelten Grangor zum pompösen Khunchom und vom gildenlosen Olport zum gildenübergreifenden Kuslik (wo keine Zöglinge ausgebildet werden) oder zum geheimen Fasar (wo … offiziell auch keine Zöglinge ausgebildet werden) ist fast alles dabei, was das Magierherz begehrt (außer Punin) — sogar das Zauberschiff Sulman al’Nassori.

Konkret sind folgende Akademien in diesem Band enthalten:

Die Beschreibungen sollen sowohl an einem dichten Hintergrund interessierten Spielern mehr Material an die Hand geben, ihren eigenen Heldenmagier stimmungsvoll auszugestalten, als auch den Meistern des Schwarzen Auges dabei helfen, Akademien als nicht ganz alltäglichen Handlungsort für selbstgebastelte Abenteuer zu präsentieren und dabei als Ideensteinbruch für eigene Szenarien dienen, indem immer wieder lose Fäden zur freien Verwendung im Text platziert werden.

Allgemeines

Die fünfzehn Akademien füllen fast vollständig die 176 Seiten des Buches bei im Vergleich zum Vorgängerband gleichbleibender Schriftgröße. Da dieser jedoch bei identischem Preis von 30 € immerhin 224 Seiten aufweist, verliert Horte magischen Wissens klar in der Disziplin Preis pro Seite: Mit 17 Cent landet der Band in der Preisübersicht nur knapp über Xeledons Lieblings-Negativbeispiel Handelsherr und Kiepenkerl

Was diesen Preis jedoch etwas relativieren dürfte, sind die Innenillustrationen. Die in Isarias Rezension von Hallen arkaner Macht bemängelten häufigen Déjà Vue-Effekte bleiben hier aus: Zweitverwertungen sind höchstens aus topaktuellen Publikationen wie Wege der Alchimie entnommen, neue Zeichnungen sind aber deutlich in der Mehrheit. Hier ist zum Einen die Entscheidung zu loben, Verena Schneider in die Riege der offiziellen Zeichner aufzunehmen, die einige sehr schöne Bilder beisteuert; zum Anderen das kontroverse Thema der 3D-Bilder anzusprechen: Computergenerierte Bilder in DSA-Produkten? Kann das gehen? Hier wurden vom DereGlobus-Projekt digital angefertigte Modelle nachbearbeitet und als „normale“ schwarzweiße Illustrationen genutzt. Ich finde, es sieht gar nicht einmal schlecht aus, wenn der Stilbruch auch natürlich deutlich auffällt, da die Modelle vergleichsweise klobig wirken. Diese verfügbare Quelle zu nutzen und mit Außenaufnahmen der Gebäude, um die es nun einmal geht, dienen zu können, wiegt für mich jedoch letztendlich schwerer. Pro 3D-Bilder!
Mein persönliches Prunkstück des Bandes ist übrigens das Bild des Fließsandgolemiden bei der Pentagramm-Akademie von Patrick Soeder. Ein sehr genial getroffenes Elementarwesen!
Eine Kleinigkeit, die User Mythos aufgefallen ist, ist das fehlerhafte Siegel Drakonias: Aus den Einzelsiegeln der Elemente läst sich nicht wie gewünscht der gesamte Diamantschliff nachlegen. Das eigentlich Ärgerliche dabei ist, dass er dies bereits im Vorfeld angemerkt hatte. Ein weiteres störendes Detail ist der Schmuckbalken: Derselbe wie im Vorgängerband, wurde er jedoch deutlich nachgedunkelt, außerdem sieht man in Richtung der Seitenbalken einen hässlichen „Schmutzrand“ des Bildes. Das mag wirklich eine Kleinigkeit sein, stört aber gerade wegen ihrer leichten Vermeidbarkeit das Gesamtbild. In eine ähnliche Kategorie fällt auch der vom üblichen Standard abweichende graue Kasten bei der Szenarioidee Nostrias. Der „schwarze Kasten“ beim Basaltturm in Mirham ist hingegen wohl der Umwelt geschuldet.
Das Cover von Jon Hodgson letztendlich wirkt recht uninspiriert. Es scheint auch designmäßig fast die 3D-Modelle im Inneren ankündigen zu wollen, was auf dem Cover aber eher billig ausschaut.

Zurück zum Inhalt: In diesem Band gibt es keinen Allgemeinen Teil, nach dem Vorwort folgen direkt die Beschreibungen der einzelnen Akademien. Wie schon aus Hallen arkaner Macht bekannt, gibt es jedoch auch hier wieder bei jeder Akademie die berühmten grauen Kästen mit Hintergrundinformationen zu Themengebieten, die irgendwie mit der gerade beschriebenen Schule in Verbindung stehen. So erfährt man bei Olport etwas über mangelnde Gildenzugehörigkeit von Magiern, bei Fasar etwas über „Magier im Verborgenen“ oder beim Institut der Arkanen Analysen etwas über ihren ominösen Arkananalytischen Matrixvisualisator
Dabei handelt es sich fast durchgehend um sehr interessante Einblicke „hinter die  Kulissen“, die aber auch oft weniger akademiespezifisch sind — somit finden sich Angaben über Gildenlosigkeit nicht etwa im Wege der Zauberei, sondern in diesem Band bei einer einzelnen Institution. Das ist etwas kontraintuitiv und unübersichtlich, aber wie sagt man so schön? „Wissen ist wissen wo’s steht!“ … und schließlich gibt es ja, da das Phänomen kein ganz Neues ist, die Wiki Aventurica. 😉

Akademien

Die Akademiebeschreibungen wirken allesamt nachvollziehbar und „rund“. Gravierende Patzer in der Abstimmung zu Wege der Helden und Wege der Zauberei sind mir keine aufgefallen … wer dennoch welche findet, sei hiermit aufgefordert, dies in den Kommentaren kundzutun. Obwohl es sich bei den Schulen um Horte magischen Wissens handelt, bleibt das Magieniveau meist im Rahmen, wenn man von solchen Orten wie Khunchom oder gar Drakonia absieht — bei denen es jedoch bekannt war und eine Abweichung einen Bruch dargestellt hätte. Durch die ausführliche Beschreibung der Magierakademien in eigenen Spielhilfen wird also nicht etwa die Spielwelt „magisch aufgeladener“, sondern es wird versucht, schon Bestehendes zu unterfüttern und somit auch manches ein wenig zu relativieren: Das IAA Kuslik zum Beispiel bleibt ein Traum jeden Wissenschaftlers, was die Arbeitsbedingungen angeht; dennoch ist die Finanzierung durch die drei Gilden und deren Zusammenarbeit nicht unbedingt immer eitel‘ Sonnenschein, sodass dort wohl doch nicht einfach innerhalb einer Dekade der kostenreduzierte CALDOFRIGO ATOMARSCHLAG entwickelt werden wird.

Die einzelnen Betrachtungen jeder Akademie folgen dem aus Hallen arkaner Macht bekannten Schema: Ein einleitender Kasten mit Eckdaten, gefolgt von einer Kurzbeschreibung, der Historie, dem „Look & Feel“ der Akademie (wobei gesondert die Kästen mit typischen Unterrichtsstunden, höchstem Lob an und größter Furcht der Scholaren etc. als sehr stimmungsvoll hervorgehoben werden wollen), hiernach der Rundgang inklusive Grundrissplänen, den wichtigsten Personen dort und zum Schluss verfügbare Dienstleistungen, Bibliotheksinhalt inklusive Giftschrank sowie Geheimnisse und Szenariovorschläge.
Die Mischung ist hier gut gelungen: Die Rundgänge sind mit etwa einer anderthalben Seite pro Akademie nicht zu ausufernd und ergehen sich auch nicht in zu kleinen Details, sondern heben meist nur Besonderheiten hervor. Die Persönlichkeiten sind gerade bei schillernden Figuren jedoch etwas zu knapp beschrieben und mutlos: Über den umstrittenen Hintergrund Salpikon Savertins etwa erfährt der neugierige Leser nicht viel mehr, als sowieso schon bekannt. Wo, wenn nicht hier, wäre eine Klärung solcherart Meisterfiguren von Rang und Namen denn sonst angebracht? Die Geheimnisse und Abenteuerideen inspirieren wohl jeden potenziellen Meister anders und sind daher mal mehr, mal weniger brauchbar; aber sie sind von unterschiedlicher Art und bedienen verschiedene Genres, sodass für jeden was dabei sein dürfte. Für jene, die lieber besser ausgearbeitete Abenteuer mögen, rege ich hiermit schonmal eine Anthologie zu den drei Magierakademie-Spielhilfen nach Vollendung der Reihe an.

Hervorstechende und damit separat zu betonende Glanzlichter sind zum Beispiel die Szenarien „Das Studium ist der Rahja lieb“, das das Kampfseminar Andergast von einer sehr liebenswürdig-menschlichen Seite mit jugendlichen Bewohnern zeigt, oder „Über Stock und über Stein“, das den Gerasimer Grundgedanken gut zu vermitteln weiß. Weniger gelungen ist hingegen das Szenario „Die Juwelen des Xar’Ksazzl“ bei Mirham, das deutlich zu stereotyp daher kommt; gerade Mirham hätte da mehr hergeben müssen, z.B. hätte man einen Szenariovorschlag aus dem Karfunkel im hauseigenen Giftschrank stricken können. Zwiegespalten bin ich beim Szenario „Mengreyths Erbe“ für Elenvina, in dem eine eigentlich alte Idee (zu neugierige Schülerin macht gefährliche und dumme Sachen) andererseits doch gut mit dem Hintergrund verknüpft ist.
Besonders schön sind weiterhin noch die grauen Kästen zu Forschungsprojekten und Zulieferern in Kuslik — letzterer könnte trotz aller Kürze die Basis für eine kleine Kampagne sein — oder zum Gildenausschluss bei Olport, wo Vieles zum Thema klargestellt wird. Eine interessante Idee enthält der Kasten „Ungeliebte Gäste“ bei Sinoda, der ziemlich gut zeigt, wie sehr sich der Autor in die Akademie eingefühlt hat. Weniger gut kommt bei mir zum Beispiel der Giftschrank zu Grangor an, in dem einfach zu viele besonders mythische Gegenstände gelagert sein sollen. Auch dass man es bei der Darstellung von Mirham nicht geschafft hat, etwa in einem optionalen Regelkasten das bestehende Problem der Kontroll-Übernahme von Mietgolems zu lösen, ist etwas bedauerlich.
Die Figur des Bandes ist in meinen Augen Alandra saba Onaron, Vize-Spektabilität zu Grangor: ambivalent, nachvollziehbar und plotrelevant — leider stellt das dort platzierte hübsche Bild nicht sie dar.

Weitere Krittelpunkte an einzelnen Schulen betreffen eher Details: Ob es nötig war, in Mirham eine relativ unproblematische Möglichkeit, die kristallomantische Repräsentation erlernen zu können, zu eröffnen, ist fraglich. Ansonsten gibt es aber beruhigend wenige nebenbei eingeführte „Extrawürste“ für spezielle Akademien.

Fazit

Die vorhandenen Akademiebeschreibungen wissen im Großen und Ganzen sämtlich zu gefallen. Findige Leser mögen die folgende Kritik schon ahnen: Es sind zu wenig Akademien vorhanden. Für den Preis hätten es ruhig ein paar Seiten, respektive eine oder zwei Akademien, mehr sein dürfen. Auch hat mir ein bisschen der große Aha-Effekt, das Staunen, das Besondere gefehlt. Das mag aber auch daran liegen, dass diejenige meiner Lieblingsakademien, die in diesem Band behandelt wird — die Drachenei-Akademie zu Khunchom — bereits aus Drachenschatten bekannt ist. Das wirklich großartig entworfene IAA wiegt dies jedoch wieder etwas auf.

Das Lektorat fällt weder positiv noch negativ auf, letzteres tut jedoch der zwar für Teil 3 als Gesamtveranstaltung angekündigte, aber an dieser Stelle faktisch dennoch fehlende Index.

Insgesamt haben am Ende zwei der von der Gerasimer Akademie per WEISSE MÄHN herbeigerufenen Einhörner augenscheinlich den direkten Weg nicht gefunden, womit „nur“ deren sieben von ihnen zum abschließenden Zensus erscheinen.

Über Feyamius

Mein Name ist Daniel und ich spiele seit 1995 DSA, etwa seit dem Umstieg auf DSA4 größtenteils als Meister. Ich bin seit Herbst 2010 ein Nandurion-Blogger und Ansprechpartner für Simias Werkbank.
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6 Antworten zu Horte magischen Wissens

  1. Gulmond sagt:

    Besonders negativ fällt doch auf, das hier besonders viel Zweitverwertung betrieben wurde. Neben Khunchom, Drakonia waren auchAndergast, Olport, Rashdul und Gerasim schon durch ausführliche Publikationen bekannt. Die Resteverwertung stört bei dem sehr hohen Preis ganz erheblich.

  2. Nevinya sagt:

    Schöne und meiner Meinung nach zutreffende Erzension, allerdings ist Dir ein kleiner Fehler unterlaufen:
    Das Bild auf Seite 67 zeigt nicht Alandra Saba Onaron, sondern Madaya Zalahan, für die das Bild dann doch sehr passend wirkt… wenn auch etwas zu gothicmäßig für meinen Geschmack

    • Feyamius sagt:

      Oh, das kann natürlich sein. Tulamidische Schönheit fand ich aber auch für das Bild passend. Aber Madaya passt wohl besser, ich schau mir das nochmal genauer an und berichtige es in der Rezi.

      Vielen Dank für den Hinweis.

  3. Pingback: Folge 17 – Rezension “Horte magischen Wissens” » Sphärengeflüster

  4. Xyxyx sagt:

    Habe mir den Band dann doch mal als EBook gegönnt (war nicht so interessiert, da Drakonia, Khunchom und Mirham ja schon in ABs beschrieben wurden und mich der Rest nicht interessiert hat), aber: Grangor ist der Oberhammer. Ein dickes Kompliment an die Autorin / den Autor. Ich komme gar nicht aus der Begeisterung heraus, die Beschreibung sprudelt vor Plot-Hooks, die gesamte Akademie ist unglaublich spannend und ich will jetzt einen Abgänger der Akademie spielen, meine Heldengruppe dorthin führen und eine Eleven-Kampagne dort spielen. Die Hintergründe wirken in der Summe etwas over the top (Politik, Geister, Nahema, Namenlose, Dämonen, Artefakte), aber ich begreife das als Angebot, lieber eine coole Idee zu viel als ein „Da gibt es halt ein Buch“. Man kann die Akademie in Grangor nebenbei zur Stimmung einsetzen, aber auch ganze Abenteuer und Kampagnen darum drehen und die Ideen sind so gut begründet, obwohl knapp, dass sie weit über das übliche „Denken Sie sich was aus“ hinausgehen. Die Dichte an Ideen, die kein Geschwafel und kein Sightseeing sind, ist – bes für ein DSA-Produkt – unfassbar gut, alles dient entweder der Profilierung eines Charakterkonzepts oder abenteuertelevanter Umsetzung. Danke!

    Der gesamte Band hat Schwächen, Drakonia sagt einem zB ständig wie toll und geheimnisvoll Drakonia ist, aber bietet wenig umsetzbares, manche Akademien haben eine langweilige Beschreibung, aber gute Plot-Aufhänger (Elenvina zB., obwohl die fehlende Beschreibungen von Galottas Turm doof ist), aber dafür gibt es das Grangor-Kapitel

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