Diesen Text habe ich zuerst als Beitrag für den Karneval der Rollenspielblogs zum Thema „Emotionen im Rollenspiel“ geschrieben und auf meinem Blog Xeledons Spiegel veröffentlicht. Ironischerweise wird er jetzt nachträglich bei Xeledons Spottgesang ‚gespiegelt‘ … Heiliger Strohsack! 😉
Drama, baby!
Ich gebe es unumwunden zu: Ich bin eine Drama Queen. Im täglichen Leben eher weniger (auch wenn ich zu Sätzen wie “Oh Gott, das wird sowas von schiefgehen!” durchaus neige …), beim Rollenspiel umso mehr. Aber mehr noch, ich stehe zu meinem Hang zum Drama und wenn meine Charaktere so richtig schön in der Scheiße sitzen, werde ich in 90% der Fälle sehr zufrieden vom Spieltisch aufstehen.
Zugegeben, mit dieser Haltung steh ich ziemlich allein da, zumindest in meiner Runde. Nicht, dass mich meine Mitspieler beschimpfen würden, wenn mein Held mal wieder am Boden zerstört ist, aber meine Begeisterung dafür können sie auch nicht wirklich nachvollziehen. Also warum habe ich solche Freude an negativen Emotionen meiner Charaktere? Ich werde versuchen, es zu erklären …
Ich fühle mit dir, mein Held
“Lasse ich zu, dass sich Gefühle vom SC auf mich übertragen? Geht das überhaupt?” Diese Fragen stellte Tagschatten (unter anderem) im Eröffnungspost des diesmonatigen RSP-Karnevals. Das ist eine gute und interessante Frage, gerade, wenn es um negative Emotionen und das Leiden eines Charakters geht. Ich für meinen Teil kann die Frage bejahen. Die Emotionen meines Helden übertragen sich auf jeden Fall auf mich, wenn auch in abgeschwächter Form. Ich bin noch nie jubelnd um den Tisch gehopst, weil mein Charakter gerade zu Reichtum gekommen war oder den Endgegner plattgehauen hatte, ich bin auch noch nicht in Tränen ausgebrochen, weil mein Charakter eine liebgewonnene Person verloren hat. Aber ein breites Grinsen im Gesicht oder einen Kloß im Hals habe ich bei solchen Szenen auf jeden Fall. Vielleicht bin ich da auch relativ empfänglich für, ich heule ja auch bei traurigen Filmen und Büchern. Keine Ahnung. In jedem Fall: Ja, die Gefühle des Helden übertragen sich in einem gewissen Maß durchaus auch auf mich.
Und was soll daran jetzt toll sein ..?
Nun ist es wohl eine natürliche Sache, sich bei erfolgreichem Abschluss eines Abenteuers oder bei einem positiven Ereignis zu freuen, wobei ich denke, dass da oft nicht nur das “Mitfreuen” mit dem Charakter, sondern auch der Erfolg, als Spieler etwas geschafft zu haben, eine Rolle spielt. Bei Ereignissen, die den Charakter belasten, sieht es da schon anders aus. Ich kenne einige Spieler, die ganz offen sagen, dass sie am Ausspielen solcher Dinge wenig Interesse haben und das auch (wörtliches Zitat) “nicht so gut können”. Das kann ich auch durchaus verstehen und akzeptieren. Die Beschäftigung mit Gefühlen, die nicht besonders erfreulich sind, ist etwas, das man nicht unbedingt noch in ein Freizeitvergnügen integrieren muss. Klingt logisch – aber meiner Meinung nach lohnt es sich trotzdem.
Das Beschäftigen mit der Gefühlslage des eigenen Helden setzt natürlich erstmal grundsätzlich voraus, dass man darauf überhaupt Bock hat. Das hat mit Sicherheit nicht jeder, nicht umsonst gibt es ja die Unterscheidung diverser Spielertypen und jene, die man unter dem Namen ‚Butt-Kicker‘, ‚Powergamer‘ oder ‚Tactician‘ kennt, werden sich wohl nicht so schrecklich gern und oft mit den Emotionen einer fiktiven Figur auseinandersetzen. Wobei ich ja sagen muss, dass ich das auch nicht aktiv mache. Ich setz mich nicht hin und denk mir “Hm, wie wird sich jetzt wohl mein Held fühlen, nachdem gerade sein bester Freund von einem Ork erschlagen wurde?” Das automatische Einstellen dieses Gefühls, die Verbundenheit mit dem Charakter, die soweit geht, dass ich auf eine gewisse Weise genauso um den verlorenen Freund trauere, das ist bei mir einer der Punkte, um die es mir beim Rollenspiel geht. Wenn ich das bei einem Charakter selten oder nie habe, läuft es irgendwie nicht so gut mit dem und ich überlege mir vielleicht, ihn nicht mehr zu spielen. Am liebsten sind mir einfach diejenigen meiner Helden, bei denen ich den ganzen Abend lang nie überlegen muss, was der Charakter jetzt tun, sagen, denken oder fühlen würde – weil es einfach automatisch passiert. Die Figur spielt sich sozusagen von selbst.
Das klingt jetzt, so dahingeschrieben, irgendwie ein wenig nach Realitätsverlust, zugegeben. Aber ich hoffe, diejenigen unter den Rollenspielern, die genau so “schlimme” ‚Method Actor‘ sind, wie ich es bin, verstehen mich. 😉
Und warum nun ausgerechnet meine Vorliebe für negative Emotionen? Ich glaube, es liegt daran, dass das Miterleben von solchen Gefühlen in einer gewissen Weise etwas Besonderes ist. Das ist ja nicht nur beim Rollenspiel so. Wir nehmen oft an den Emotionen unserer Mitmenschen teil, doch nur wenige von ihnen kennen wir so gut, dass wir alle ihre Gefühle mitbekommen. Fast jeder erzählt es den Arbeitskollegen, Bekannten und vielleicht sogar Fremden, wenn er im Lotto gewonnen hat. Und fast jedem, der so etwas hört, fällt es leicht, sich für den Lottogewinner zu freuen. Wenn etwas passiert, das negative Emotionen hervorruft, man z. B. verlassen wird, den Job verliert oder dergleichen, erzählen das die wenigsten Leute dem gesamten Freundeskreis, sondern vertrauen sich mit ihrem Kummer denen an, die ihnen sehr nahe stehen. Das Teilen solcher negativen Emotionen ist in gewisser Weise etwas, das den Bekannten vom Freund, den Verwandten vom Vertrauten unterscheidet.
Ein weiterer Punkt ist die unterschiedliche Art und Weise, wie Menschen mit Schicksalsschlägen umgehen. Wenn der Freund oder die Freundin einen verlässt, wird einer vielleicht tagelang weinen, ein anderer wütend das Auto des/der Ex zertrümmern, ein weiterer es nicht wahrhaben wollen, der nächste sich ins Nachtleben stürzen um sich abzulenken oder Überstunden machen, um nicht in die leere Wohnung heimzukommen. So viele unterschiedliche Reaktionen wird es beim Lottogewinner wohl nicht geben.
Das funktioniert für mich genauso mit Rollenspielcharakteren. Ich kann mich eigentlich immer, auch bei einem Helden, der mir nicht so sehr liegt, darüber freuen, wenn er eine spektakuläre Aktion schafft, eine hohe Belohnung erhält, ein besonders elegantes Wortgefecht führt oder den entscheidenden letzten Schlag gegen den Oger führt. Das fällt leicht, auch wenn ich ansonsten das Gefühl habe, noch nicht allzusehr im Charakter “drin” zu sein. Wenn dem Helden dann etwas Schlimmes widerfährt und ich mich dann genauso gut in ihn hineinversetzen kann, ist das ein wenig so, als ob ein Bekannter zum Freund wird. Das Teilen der Gefühle, das Mitleiden mit der Figur macht sie für mich lebendiger und menschlicher. Nun kann man sicherlich darüber streiten, ob man mit einer fiktiven Figur überhaupt mitleiden kann und sicher ist es weniger ein Teilen der Gefühle als ein alleiniges Erleben, da der Charakter schließlich nicht existiert und auch keine Gefühle haben kann … aber ich hoffe, man kann trotzdem verstehen, was ich meine.
Die Vorteile des leidenden Helden
Für mich ist es wichtig, dass mein Rollenspielcharakter nicht einfach nur eine Sammlung aus Werten und Fähigkeiten ist, sondern eine Person mit allen Facetten, die ein echter Mensch auch hat. So macht mir persönlich das Spielen am meisten Spaß, denn in eine solche Person kann ich mich am besten hineinversetzen. Hier gilt natürlich wieder, dass das nicht auf jeden zutreffen muss, sondern eher der ‚Method Acting‘-Ansatz ist. Jedenfalls gehören zu einer Person nunmal immer nicht nur gute Seiten und schöne Erlebnisse, sondern eben auch die weniger schönen Dinge. Ist im wirklichen Leben ja schließlich auch so. Deshalb wird ein Held für mich “runder”, wenn er auch mal leiden muss, wenn er scheitert, verzweifelt, wütet und trauert.
Die Reise durchs Jammertal hat natürlich auch dramaturgische Vorteile: Ein Sieg ist umso schöner, je härter man ihn erkämpfen musste und je schlimmere Dinge ein Schurke dem Charakter angetan hat, desto größer ist die Freude, wenn man ihn endlich erschlagen kann. Wie weit natürlich die Dinge gehen, die dem Helden widerfahren, das muss jeder Spieler und jede Gruppe selbst wissen, ebenso, wie sehr so etwas ausgespielt wird. Aber meiner Erfahrung nach gibt es eigentlich bei fast jedem Spieler und Helden etwas, das ihn ärgert, aufregt oder fertig macht. Auch wenn nicht alle Spieler Lust haben, das persönliche Drama ihres Charakters auszuspielen, so kann es sich doch lohnen, die Helden leiden zu lassen, damit am Ende ihr Triumph eine umso schönere Erfahrung ist.
Drama in der Praxis
Ich kann sicherlich keine allgemeingültigen Tipps geben, wie man einen Charakter spielt, der gerade von Wut, Hass, Trauer oder dergleichen erfüllt ist. Ich kann aber immerhin etwas aus meinen Erfahrungen berichten.
Man muss nicht laut sein, um seine Gefühle auszudrücken. Im Gegenteil, wenn der sonst unglaublich redselige Held auf einmal kein Wort mehr herausbringt und schweigend den anderen Charakteren beim Diskutieren zuhört, macht das manchmal mehr Eindruck als ein lauter Wutausbruch. Es ist nicht nötig, am Spieltisch bühnenreif in Tränen auszubrechen, um rüberzubringen, dass der Charakter gerade fertig mit der Welt ist. Er könnte stattdessen früh schlafen gehen, obwohl er sich sonst gern amüsiert, er könnte keinen Appetit haben, obwohl er gutes Essen liebt, er könnte eine Karaffe Wein in sich hineinschütten, obwohl er sonst höchstens einen Becher trinkt. Solche “Brüche” im normalen Verhalten lassen auch die anderen Charaktere/Mitspieler merken, dass es dem Helden grade nicht besonders gut geht.
Personen, die von Gefühlen überwältigt sind, handeln nicht logisch. Sie klammern sich an vermeintlich nutzlose Gegenstände, stehen mitten im Gespräch auf und verlassen den Raum, werden bei Nichtigkeiten wütend und dergleichen. Auch damit kann man die Gefühlslage des Charakters darstellen.
Ein anderes gutes Mittel ist die völlige Abwesenheit. Ich habe es neulich geschafft, so glaubhaft erst auf die dritte Ansprache eines anderen Spielers zu reagieren — und ihn dann anzuschauen, als hätte ich keine Ahnung, wovon er spricht –, dass er dachte, ich sei eingeschlafen (nein, das war nicht der Effekt, den ich erzielen wollte, aber naja :P). Aber so an sich ist es nachvollziehbar, dass jemand, der gerade im Gefühlschaos steckt, gedanklich wegdriftet und gar nicht zuhört, was die anderen so sagen. (Als Spieler kann man ja trotzdem zuhören, während man scheinbar abwesend vor sich hin starrt …)
Wenn es trotz des Dramas, das der Charakter durchleidet, nötig ist, weiterzumachen, Entscheidungen zu treffen und zu handeln, kann man auch das nutzen, um die Gefühle des Helden zu transportieren: Dem Magier, der immer alles weiß, fällt der Name eines Zaubers nicht mehr ein; der Rondrageweihte vergisst seine sonst omnipräsente Mahnung, seinen Zweikampf nicht zu stören; der abergläubische Seemann lässt sein Schutzamulett liegen … und so weiter. Auch eine gewisse “Mir doch wurscht, ob ich jetzt dabei draufgehe, mir geht’s eh scheiße”-Haltung kann an den Tag gelegt werden.
Im Endeffekt sind das alles nur Beispiele dafür, was man machen kann, und wenn man wirklich in die Rolle des Charakters versunken ist, verhält man sich vermutlich automatisch anders, wenn es dem Charakter schlecht geht.
Zu sagen ist noch, dass das Ganze sehr viel besser funkioniert, wenn auch wenigstens ein oder zwei andere Helden auf das Leiden des jungen Alrik anspringen. Ich hatte neulich eine Szene, in der etwas für alle Helden ziemlich Beschissenes passierte. Die anderen beiden Spieler sind aber keine Freunde von herumleidenden Helden und machten dann einfach weiter, so dass die Wirkung der Szene ein wenig im Nichts verschwand. Mit etwas Glück hat man aber wenigens einen Spieler in der Gruppe — oder wenigstens einen passenden NSC dabei –, den man in der Situation dann auch anspielen kann.
Too long, didn’t read
Also: Wenn ein Charakter nicht immer nur der strahlende Held ist, sondern zwischendurch auch mal richtig leiden muss, macht mir das sehr viel Spaß und ist meiner Meinung nach auch förderlich für die Dramaturgie des Abenteuers und die Entwicklung des Charakters. Das ist aber sicher nicht was für jeden. Vielleicht konnte ich trotzdem den ein oder anderen überzeugen, etwas mehr Drama zuzulassen. Ich zumindest habe meine Freude daran.
Also, ich finde es gibt wenig Schöneres, als wenn der eigene Charakter in der Zwickmühle steckt. Man kann mehr vom Gedankenleben, vom Gemüt ausspielen, und hat auch mehr Interaktion in der Gruppe (und sei es nur weil die Heilerin mich – mal wieder – verbal zusammenfaltet weil ich so rücksichtslos bin und nicht auf mich achtgebe… 😉 ).
Erst wenn der eigene Charakter (warum auch immer) mal so richtig aus der haut fährt, lernt man ihn doch richtig kennen.
Klingt so, als würde es Spaß machen, dich in der DSA Gruppe zu haben. Ich habe auch recht große Freude daran, mit meinen Charakteren die Welt der negativen Emotionen zu besuchen. Denn genau das ist durch Rollenspiel wie durch nichts anderes gegeben: Du kannst spielerisch psychische Abgründe erforschen. Man lernt recht viel dabei. Ich selbst spiele zur Zeit einen Charakter, der chronisch grummelig und schlecht gelaunt ist – und aufgrund seiner Lebensumstände sehr unglücklich ist (die einzige Tätigkeit, die ihn wirklich interessiert, ist eine, die sich für seinen Stand nicht geziemt). Manchmal neigt er fast schon zu Depressionen. Das klingt erstmal, als würde es überhaupt keinen Spaß machen, soetwas zu spielen. Tut es aber! Es ist wirklich interessant, an der Seite des Charakters durch seine Abgründe zu reisen. Es ist ungefährlich, weil es nicht die eigenen Probleme sind; und genau das macht es so reizvoll: Man selbst verzweifelt nicht, aber man ist hautnah beim Verzweifeln dabei und lernt dadurch immer auch etwas über sich selbst.
Schade, wer sich nicht traut, das auszuprobieren. Dadurch wird es viel spannender, zu erleben, wie sich der Charakter entwickelt, wie es mit ihm weitergeht, etc. 🙂
Ich finde es absolut nicht seltsam, dass man mit fiktiven Charakteren mitleidet – wir tun ja schließlich im Kino auch nichts anderes, oder wenn wir ein Buch aufschlagen. Natürlich fühlt es sich gut an, wenn die Protagonisten am Schluss gewinnen, aber die Momente, die sie zwischendurch verzweifeln lassen, bannen den Zuschauer / Leser doch umso mehr.
Beim Rollenspiel hatten wir auch unsere intesivsten Momente, also die, an die wir uns auch als Gruppe am meisten zurückerinnern, wenn wir „gelitten“ haben.
Der Lilienthron und die Samthandschuhe … Chorhop und die Sklaverei … als der Finstermann Zweimühlen niederbrannte … Es gibt doch nichts Schöneres. Ich krieg immer noch Gänsehaut, und meine beiden Mitspieler, deren Helden von den Samthandschuhen eingesackt wurden, sagen heute noch unheilschwanger zueinander wie zwei Vietnamkriegsveteranen: „Wir sind gemeinsam auf Maraskan gewesen …“
Ganz deiner Meinung. Ich erinnere mich auch oft an die negativen Emotionen. Ich hatte nur mal das Problem, dass mich eine Situation so mitgenommen hat, dass ich vergaß nachzudenken, wie mein Held sich verhalten hätte. So hab ich reagiert, wie ich eben selbst reagieren würde. Das hat mich im Nachhinein doch sehr geärgert, weil es zur Figur nicht gepasst hat.