Der Ring des Namenlosen

Eine Gastrezension von HummingBug

Ein Wort vorweg…

Der Ring des Namenlosen-Roman_R151Ich kann mir vorstellen, dass es ein gutes Stück Arbeit braucht um ein Buch zu schreiben und wenn ich jemals dazu komme, dann würde ich mir natürlich wünschen, dass alle Leute, die es lesen, es auch lieben. Aber wenn sie es nicht lieben, dann würde ich gerne wissen, wieso das der Fall ist. Ich habe also versucht, alle Kritikpunkte ehrlich und ordentlich zu begründen, und das gelegentliche Augenzwinkern in den Aussagen meinerseits mag der Autor bitte nicht als Respektlosigkeit gegenüber seiner Mühe und /oder Person werten. Jeder, der es schafft, ein Buch zu schreiben, hat für mich volle 9 Einhörner verdient. Das entsprechende Werk hingegen leider nicht immer.

… und kurz noch ein weiteres Wort

Ich bin Rollenspielerin und spiele schon seit langem DSA. Immer wenn ich einen Film sehe oder ein Buch lese oder ein Hörspiel höre, tendiere ich dazu, die Dinge, die dort passieren, in meinem Geist auf eine Rollenspielrunde zu übertragen, wie so viele andere vor mir auch schon. In der Zeit, in der ich Der Ring des Namenlosen gelesen habe, habe ich mich in derselben Situation wieder gefunden, und einige der Probleme des Buches haben mich stark an eine Rollenspielrunde und ihre Verhaltensweisen erinnert. Und deshalb habe ich sie aufgepixelt. Diese kleinen Comics enthalten unmarkierte Spoiler, während die im Fließtext weiß wegmarkiert sind. Lesen also auf eigene Gefahr.

Ein Überblick

Was verspricht Der Ring des Namenlosen, wer ist der Autor und was kostet mich das Erlebnis?
Die Rückseite des Buches liest sich wie folgt:

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Der Dreizehnte Gott aber trägt keinen Namen, und grausam sind seine Diener und schändlich sein Wirken, welches die Schöpfung verspottet.
Auf der Zyklopeninsel Hylailos erschüttert ein Mord das Haus eines königlichen Beamten. Gion ya Ardigon soll im Auftrag seiner Majestät den Täter ermitteln, doch er gerät in einen Strudel aus Gewalt und Verrat, der immer neue Opfer fordert. Zur gleichen Zeit jagen Adlerritter Darian und die Draconiterin Sela in Kuslik einen Reichsverräter, der den Pfad der Götter schon lange verlassen hat. Als ihnen dämmert, dass die Diener des Namenlosen Gottes im Verborgenen ihre Ränke schmieden, ist es schon fast zu spät, denn auch ein Schrecken aus lange vergessener Zeit sinnt auf Rache.

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Henning Mützlitz: Der Ring des Namenlosen; Ulisses Spiele, 2013. ISBN 978-3868892994; 11,95 Euro als Taschenbuch, 9,99 als EPUB.
Es gibt außerdem eine Leseprobe und eine Lesung, die man begutachten kann.

Eine Einordnung in das Gesamtkunstwerk

Der Ring des Namenlosen spielt von Rahja 1031 BF bis Hesinde 1032 BF, in einem Horasreich nach den Thronfolgekriegen, in denen der Adlerorden zurechtgestutzt wurde, nicht mehr das Mädchen für alles und auch ein wenig unterbesetzt ist.
Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns etwa ein Jahr nach den Ereignissen des Romans Das Zepter des Horas. Moment, Das Zepter des Horas? Achso, es gibt einen ersten Teil? – Nein, gibt es nicht. Laut dem Autor handelt es sich bei dem vorliegenden Werk nicht um eine Fortsetzung, sondern eine Fortführung des Romans Das Zepter des Horas, welcher geschlagene 5 Jahre früher mit der Nummer 103 und in Kooperation mit dem Autor Christian Kopp erdacht wurde. Wo genau ist nun der Unterschied zwischen Fortsetzung und Fortführung? Ich kann es nicht sagen, aber man kann auf jeden Fall den zweiten Roman lesen und verstehen, ohne den ersten gelesen zu haben. Dass der eine aber schlichtweg inhaltlich nichts mit dem anderen zu tun hat, stimmt nicht. Tatsächlich sind viele der Protagonisten erhalten geblieben, haben sich in ihrem Leben ein wenig niedergelassen und nun wird ihre Geschichte weitererzählt. Auch der Plot von Der Ring des Namenlosen baut auf Das Zepter des Horas auf. Also vielleicht doch eher eine Fortsetzung, die aber sehr gut eigenständig gelesen werden kann.

Bewertung

1. Handlung

Liest man den Klappentext des Buches, dann bekommt man den Eindruck, dass man einen spannenden DSA-Krimi in den Händen hält. Vielleicht eine intelligent verwobene Handlung mit zwei Ebenen, bei der es eine überraschende Wendung gibt und bei der der Kriminalfall mehr ist, als die zwei Gruppen von Hauptcharakteren jeweils vermuten. Man könnte erwarten, dass beide Handlungsstränge irgendwann auf eine spannende Art und Weise aufeinander treffen und man fieberhaft miträtseln kann, wer denn nun der Antagonist ist und was das alles mit dem Namenlosen zu tun hat. Das jedenfalls war es, was ich erwartet habe, nachdem ich den Klappentext gelesen hatte. Dementsprechend habe ich mich sehr auf das Lesen des Buches gefreut – und wurde leider enttäuscht.
Die Geschichte beginnt zunächst im Prolog vielversprechend mit der nebulös beschriebenen Entdeckung eines Verräters, einer Andeutung des Namenlosen-Hintergrundes und interessant-mysteriösen Charakteren, die offenbar im Hintergrund die Fäden ziehen. All das lässt den Leser denken, dass er sich nun anschnallen und in die Welt der Intrigen, verwobenen Mordfälle und Hinterlistigkeiten des Horasreiches abtauchen kann. Weit gefehlt. Was als nette Idee und Kriminalfall beginnt, entwickelt sich sehr schnell zu einem echten Fiasko. Die Charaktere stolpern von einer Szene zur nächsten, unwissend, uninteressiert und schlicht arbeitsfaul. Zum Glück kennt der Autor den Kniff des Deus ex Machina, denn sonst würden die Protagonisten vermutlich niemals dahinterkommen, was nun eigentlich passiert ist und warum. (Als Beispiele: einem Helden wird das Leben gerettet, indem er in einer verlassenen Höhle eine Quelle mit dem Elixier des Lebens findet (Warum niemand dorthin zurückkehrt, um das Wässerchen abzufüllen ist mir nicht ganz klar…); als die Helden dringend Hilfe brauchen, fällt einem der Charaktere ein, dass er ja mal Anführer einer Bande auf den Zyklopeninseln war (vorher mit keinem Wort erwähnt); als die Protagonisten die Spur des Täters verloren haben, finden sie praktischerweise ein magisches Bild, dass die Draconiterin in die einmalige Situation versetzt die… eh… geistige(?) Spur des Bösewichts zu sehen, wie ein astrales Muster, was die Verfolgung dann doch recht einfach macht) Für den Leser ist das etwas schade. Magie und Wunderliches gehören auf Aventurien dazu, aber wenn es vielleicht eingeführt würde, bevor es für die Protagonisten dringend nötig wird, dann hätte man als Leser nicht den Eindruck, dass es einem unmöglich gemacht wird, mitzurätseln. So allerdings sind alle Fortschritte, die gemacht werden, nicht dem Können der Protagonisten, sondern einem dummen Zufall nach dem anderen bzw. dem Gott aus der Maschine geschuldet.
Um Maggie Smith zu zitieren: „I hate Greek drama, you know, when everything happens off stage.” – und Recht hat die Dowager Countess of Downton Abbey. Alles Wichtige und Interessante ist schon passiert – die Helden kommen immer nur zufällig kurz danach am Schauplatz vorbei und sammeln die Brotkrumen auf. Und wie wir spätestens seit ‚Hänsel und Gretel‘ wissen, ist es ab und zu nötig, einem Psychopathen mal mit einer intelligenten Aktion zu begegnen – und nicht immer nur mit einer Reaktion.

Gewürzt wird der qualvolle Plot dann mit einer Prise sinnloser Kämpfe, die von einer ersten Begegnung in einer Kneipe bis zum Endkampf nur in den seltensten Fällen (ich zähle einen) entscheidend sind für die Entwicklung der Geschichte, einer Kelle logischer Fehler (Warum bricht man kompliziert in ein Anwesen ein, wenn man schon weiß, dass der Besitzer nicht der Mörder ist? Warum kann man mit ihm nicht darüber reden, dass sein Gardekapitän Frauen umbringt?) und eine Handvoll verpasster roter Heringe (Charaktere geben Geheimnisse einfach preis), die die Geschichte vielleicht hätten interessanter machen können. Tatsächlich handelt es sich bei der ganzen Geschichte um viel Lärm um Nichts. Eine Gruppe Charaktere wird zusammen mit dem Leser durch einen Plot gerailroaded und fungiert am Ende doch nur als Zeugen der Geschehnisse, die andere ins Rollen gebracht haben.
Der Ring des Namenlosen Page_3.AIm Prinzip startet man mit den vielversprechenden Anfängen für einen Kriminalroman, der immer weiter beschnitten wird, sodass man sich am Ende irgendwann fragt, was nun eigentlich mit den Hintergründen des ganzen Mordkomplotts ist. Komplett aufgeklärt werden diese jedenfalls nicht, denn der Kriminalaspekt tritt irgendwann vollkommen in den Hintergrund. Als Leser hofft man immer und immer wieder auf den geschickten Wendepunkt in der Geschichte (für den es genug Gelegenheiten gäbe) oder auf etwas, worüber man staunen kann, wird aber leider schmählichst enttäuscht, bis man auf einmal 60 Seiten vor Ende des Buches ist und sich fragt, wie das alles noch zu einem guten Ende gebracht werden soll, denn die Protagonisten tappen immer noch im Dunkeln. Auch hier greift wieder der Zufall ein (siehe oben erwähntes magisches Bild) und lässt einen mit einem verpufften Höhepunkt und einem halboffenen Ende zurück, dass einen schwer den Verdacht hegen lässt, dass es irgendwann noch eine ‚Fortführung‘ der Reihe geben wird. Das Ganze wird dann leider auch noch gekrönt durch eine Endszene, die kitschiger nicht hätte sein können. Und obwohl ich wirklich für Happy Endings und etwas Kitsch zu haben bin, hat mich die letzte Szene einfach nur noch genervt. Dann doch lieber vielleicht noch eine Begegnung mit dem eigentlich Antagonisten und oben erwähntem Verräter einbauen, der in dem ganzen Buch mit einer halben Seite gesprochenem Text davonkommt. Oh, ach ja, und der Ring, der im Titel vorkommt? Den trifft man auch nicht. Es wird nur über ihn gesprochen (siehe oben: Greek drama).

2. Dramatis personae

Die Hauptfiguren des Buches beschreibt der Autor selbst auf seiner Homepage sehr nett.
Der Ring des Namenlosen DarianZunächst ist da Darian Ardismôr von Farsid-Berlînghan, ein ehemaliger Adlerritter, der nach den Ereignissen in Das Zepter des Horas mit seiner Lebensgefährtin Sela (s.u.) zusammenlebt und sich ein wenig hat hängen lassen (böser Alkohol!). Nun wird er von Tarperian reaktiviert.

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Der Ring des Namenlosen TarperianTarperian selbst ist ein abgebrühter maraskanischer Assassine, der für den Adlerorden die Drecksarbeit macht. Mit den anderen schwarzen Falken erledigt er so alles, womit die netten Ritter nicht in Verbindung gebracht werden möchten.

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Gion ya Ardigon ist ein alter Freund Darians, ein Tunichtgut und Der Ring des Namenlosen GionFrauenheld, der sich von Rauschmitteln und Glücksspiel gerne verführen lässt. Er ist ebenfalls Ritter des Adlerordens und ein guter Kämpfer, aber seine Karriere leidet unter seinen Ausschweifungen.

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Zuletzt ist da noch Sela Donovia di Mara, eine Draconiterin, die in ihrem Orden immer mal wieder aneckt und lieber praktische Geschichte (also Archäologie) betreibt, als ihre Zeit in Bibliotheken zuzubringen.Der Ring des Namenlosen Sela

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In einer Geschichte, insbesondere in einem Roman, sollten sich die Charakter entwickeln. Wenn am Ende genau derselbe Protagonist steht, wie am Anfang, dann ist, meiner Meinung nach, etwas schief gelaufen. Tatsächlich machen einige Charaktere des Buches auch wirklich eine Entwicklung mit, und das ist schön zu sehen. Das Problem, das ich dabei habe, ist, dass dabei und auch in allen anderen Dingen der Figurengestaltung immer wieder SEHR tief in die Klischee-Kiste gegriffen wird. Sowohl die Entwicklung eines amüsant-verlotterten und vergnügungssüchtigen Adlerritters zum (götter-)treuen Edelmann, als auch die Entdeckung seines Freundes, dass es doch seine Berufung ist, als Adlerritter patriotisch für Herrscher und Vaterland einzutreten, lassen mich leider kalt. Und über die weiblichen Charaktere sollte ich besser gar nichts schreiben. Obwohl… es brennt mir einfach zu sehr unter den Nägeln:

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Restlos alle weiblichen Charaktere in diesem Buch sind entweder uninteressant, schlecht konzipiert oder klischeebeladen und im schlimmsten Fall alles auf einmal. Ich habe mich so oft dabei ertappt, wie ich die Augen über die Damen der Schöpfung in diesem Buch so verdreht habe, dass sie mir immer noch weh tun. Generell kann für alle weibliche Figuren in diesem Buch eine Sache festgestellt werden: Keine scheint ohne einen männlichen Anker auszukommen. Es gibt immer einen Vater/einen Mentor/einen Geliebten, der im Zweifelsfall der einzige Grund ist, warum die Damen sich überhaupt genötigt fühlen, sich weiterzuentwickeln oder überhaupt irgendetwas zu tun. Es fehlt ein starker weiblicher Charakter, denn, auch wenn es in der Spätrenaissance Italiens oder im Frühbarock Frankreichs so etwas nicht gab, gilt in Aventurien die Gleichberechtigung. Eine starke, smarte Adlerritterin, die keine Angst vor Spelunken oder Raufereien hat, oder aber eine gewitzte junge Adlige, die eigenständig denken kann, hätten dem Buch wirklich gut getan. Warum zum Beispiel der neue Sidekick Castor Trabbacantes nicht einfach als weiblicher Charakter hätte konzipiert werden können, ist mir ein Rätsel.

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Aber reden wir über die existierenden Charaktere, allen voran Sela, die ja schon seit Das Zepter des Horas dabei ist. Zwar wird anfangs versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Draconiterin sich durchaus ihrer Haut erwehren kann (siehe Leseprobe), aber das wird den Rest des Buches wieder dadurch entkräftet, dass es praktischerweise für die junge Frau immer einen sehr schwachen Gegner gibt, mit dem sie spielen darf, bis die echten Helden der Geschichte die echten Gegner besiegt haben. Ich sehe ein, dass nicht jeder in Aventurien kämpfen kann, aber leider ist die Dame auch sonst zu nicht viel nutze. Durch ihre Liebelei mit einem Adlerritter und die damit einhergehende Pflichtvergessenheit konnte der Verräter in Ruhe schalten und walten, sie muss nicht mithelfen, wenn es um körperliche Arbeit geht, und offenbar ist es selbst zu viel verlangt, dass dieser Charakter eigenständig eine Leiter herunterklettert. Innerlich hat sich in mir alles zusammengezogen, je häufiger ich von ihr gelesen habe und als sie dann schließlich zur Kommentatorin der Veranstaltung degradiert wurde („Er hat es geschafft!“ – Ja, ich weiß, Lady, dass steht schon in den 5 Sätzen davor), habe ich für den Charakter die Hoffnung aufgegeben. Die Figur wird vom Autor und sich selbst nicht ernst genommen – wie soll ich als Leser das dann schaffen?

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Aber auch die anderen Damen kommen nicht sehr schmeichelhaft daher: Es gibt eine Magd (Apogea), die sich allem an den Hals wirft, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, eine Tochter (Helena Ketzemis), die zwar anscheinend schon lange unzufrieden ist, aber sich erst traut, etwas in ihrem Leben zu ändern, als ein Mann vorbei kommt, an den sie sich statt ihres Vaters kletten kann, und eine Nebenantagonistin (Leonida Trocesti), die, wie schön, in einem hautengen, schwarzen Lederdress herumläuft, der natürlich mehr zeigt als versteckt. Und dann gibt es da die nicht ganz hoffnungslosen Fälle, wie die Leiterin des Draconiterordens, die aber nicht lange da ist, und Aurela Weißblatt, die auch als (sexy) Göttin aus der Maschine einen Auftritt hat und über die man sich wirklich freut – bis man darauf kommt, dass auch die Handlungen dieses Charakters von einer männlichen Figur gesteuert werden und der Charakter außerdem keine originale Erfindung des Autors selbst ist. Hm. Das alles macht mich schon ein wenig traurig.

Die Männer in der Geschichte kommen geringfügig besser weg. Ich fange mal mit den schwächsten an und arbeite mich dann langsam zu den besten vor.
Zunächst haben wir da die nicht ganz voneinander differenzierbaren sozial höher gestellten Charaktere auf den Zyklopeninseln, so zum Beispiel Ephore Simitis dyll Amaranthis. Ich rühme mich eines eher schlechten Namensgedächtnisses, aber wenn ich die Charaktere nicht einmal auseinander halten kann, wenn ich mir die Namen aufschreibe, dann setzt das ein schlechtes Zeichen. Man lernt viele Personen kennen, man hört Namen und Beschreibungen und vergisst sie sofort wieder, weil sie flach und langweilig sind.
Ein bisschen besser getroffen sind Charaktere wie Ascanio di Arandis oder Castor Trabbacantes (der Mann, der immer Gegengift mit sich herumträgt und als Indikator verwendet werden kann, denn wenn dieser Mann einen Arm verliert, dann weiß man, dass die Situation wirklich ernst ist), die als Sidekicks eine nette Figur machen. Und auch wenn sie etwas seltsam eingeführt werden, kann ich mich zumindest an diese Figuren erinnern.

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Ganz gut gemacht sind die Charaktere Esquirio Gion ya Ardigon und Darian Ardismôr von Farsid-Berlînghan, beide Adlerritter.
Darian ist nicht ganz so flach, wie seine Begleiterin und Geliebte und hat eine düstere Vergangenheit, die immer mal wieder angedeutet wird. Seine Gespräche mit Tarperian sind nett und man kauft ihm ab, was er so von sich gibt.
Gion ist besonders wegen seiner stümperhaften und wenig ruhmreichen Art ein echter Schatz. Dieser Charakter hat Ecken und Kanten, macht auch gerne mal was falsch und zeigt moralisch fragwürdiges Verhalten. Leider wird ihm das im Laufe des Buches ausgemerzt, zufällig mit so ziemlich derselben Entwicklung, die Darian in Das Zepter des Horas durchgemacht zu haben scheint. Hätte er sich etwas von dieser ‚dunklen Seite‘ bewahrt, dann hätte ich ihn auch am Ende des Buches noch so sehr gemocht, wie am Anfang und er wäre in die nächste Kategorie gerutscht:

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Sehr gut gelungene Figuren. Zwei an der Zahl habe ich sehr lieb gewonnen. Zum einen ist das Dottore Dromondo und zum anderen Tarperian. Der Dottore, vermutlich als Nebencharakter gedacht (deshalb der frühe Tod), wirkt lebendig und amüsiert den Leser. Man erfährt zwar nicht viel über ihn, aber ich wünschte das wäre anders, denn andere, für die Geschichte wichtigere Charaktere stellt er für mich locker in den Schatten.
Mein absoluter Liebling im Buch ist Tarperian. Er ist, in Ermangelung eines besseren Wortes, cool. Er scheint eine interessante Hintergrundgeschichte zu haben, entdeckt im Laufe des Buches ein wenig die weiche Seite an seiner sonst rabenschwarzen Auftragskillerseele und ist dazu auch noch lustig. Der Charakter macht zwar keine so großen Sprünge in seiner Entwicklung, wie die anderen, aber gerade das macht ihn glaubhaft. Ein Sternchen in die Einhornakte für Tarperian.

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Jetzt fragt man sich natürlich: Wo in dieser Aufzählung sind eigentlich die Antagonisten? Hm. Genau da wo sie im Buch sind: In einem grauen Nichts, das sie erst ganz am Ende ausspuckt. Leider. Flache Charaktere ohne erklärte Motivation und Entwicklung. Sie gehören zu den vielen Charakteren, die eingeführt werden und von denen man denkt, dass sie eigentlich keinen Sinn im Buch erfüllen, nur, dass es eben bei einem doch ein Wiedersehen gibt. Und der Verräter, über den die ganze Zeit nur gesprochen wird, hat am Ende dann eine halbe Seite Text. Nur der Form halber sozusagen.
Vielleicht wäre in diesem Fall weniger einfach mehr gewesen. Sehr gute Autoren, wie George R.R. Martin, sind in der Lage bis zu gefühlte 100 Figuren unter Kontrolle und gleichzeitig lebendig zu halten – aber das sollte nicht das Ziel sein. Vielleicht lieber einen Sidekick weniger und dafür den Mörder/Gegner etwas profilreicher gestalten. Ich glaube, das hätte dem Buch gut getan.

3. Hintergrund und Stimmung

So fern dem Autor Plot- und Charakterentwicklung scheint, so nah ist ihm die Szenengestaltung. Die Orte sind lebendig und stimmungsvoll beschrieben, und das Flair des Horasreiches wird prima aufgegriffen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass genau hier Henning Mützlitz‘ Stärken liegen. Er kennt sich gut mit dem Horasreich aus und transportiert nicht nur die schnöden Fakten in seinen Beschreibungen der Umgebung, sondern eine Stimmung, und das ist nicht leicht. Das Finale des Buches verspricht gerade deshalb so viel, weil es einem durch das Versetzen in die richtige Stimmung sehr schmackhaft gemacht wird. Man wird irgendwie mitgerissen und bekommt Lust auf eine Kampagne im Horasreich. Für diesen Bereich also ein dickes, fettes Sternchen in die Einhornakte.

4. Sprache und Stil

Auch sprachlich ist das Buch in Ordnung. Man kommt in einen Lesefluss und kann sich auch vorstellen, dass gewisse Dialoge so laufen würden, wie sie da stehen. Warum dann nur in Ordnung? Nun, man kann es sich bei manch anderen Dialogen leider nicht vorstellen. Sie wirken dann hölzern und konstruiert und man merkt sehr deutlich, dass diese Szene und der jeweilige Dialog nur dazu gedacht sind, einen inhaltlichen oder charakterlichen Punkt deutlich zu machen. Das wirkt handwerklich etwas grob. Und dann gibt es da ein paar Wörter, über die ich in einem szenisch eigentlich so schön beschriebenen Buch einfach stolpere. Ineinandergekrachte Karren, Weißweinschorle, sowie die Tatsache, dass jemand kickte oder vor den Kopf knallte stören mich dabei nur halb so sehr wie die Aussprüche der Charaktere selbst, die von Ruhr-Pott-Slang („mit der groben Kette geben“) bis hin zu seltsamen Formulierungen („Sind wir glücklich oder war der Ärger vergebens?“ – ‚Glück haben‘ ≠ ‚glücklich sein‘ – Anglizismen?) reichen. Dabei handelt es sich allerdings lediglich um punktuelle Probleme, über die man hinwegsehen kann. Auf der positiven Seite muss ich sagen, dass, aufgrund der Wortwahl, die Charaktere Dromondo und Tarperian für mich jeweils eine eigene Stimme hatten. Das ist kein kleines Kunststück. Die besten Autoren zeichnen sich, meiner Meinung nach, dadurch aus, dass man ihre Charaktere an den Worten erkennt, die sie von sich geben und nicht an dem „sagte XY“ dahinter. Ich habe in beiden Fällen bereits nach wenigen Worten gewusst, wer gerade seine Meinung kundtut und habe mich jedes Mal gefreut, einem der beiden im Buch zu begegnen.

5. Erzähltechnik

Perspektivisch gibt es leider auch ein paar Probleme. Es passiert relativ häufig, dass man in der Perspektive eines Charakters startet, aber sich diese dann innerhalb eines Abschnitts immer weiter aufweicht, sodass man am Ende irgendwie woanders endet. Das ist deshalb etwas anstrengend, weil man eigentlich nie genau weiß, was die Charaktere eigentlich alles wissen und was einfach nur zufällig durch den Blick des allmächtigen Erzählers geflutscht ist, als man sich aus Versehen wieder in seine Schuhe begeben hat. Auch wären einige Szenen deutlich spannender aus einer anderen Perspektive gewesen und die Frauen-Schwäche setzt sich fort, indem der Autor sich entscheidet, im Zweifelsfall immer einen Mann erzählen und erleben zu lassen. Lediglich in Situationen, in denen nur eine Dame als Protagonistin anwesend ist, wird auch ihre Perspektive gewählt. Das ist schade und schränkt den Erzählstil ein. Ein weiteres Problem birgt außerdem die Tatsache, dass sich die Charaktere gerne mal erklären. Wenn sich ein Charakter während einer Geschichte entwickelt, dann sollte das eigentlich nicht nötig sein. Leser sind durchaus in der Lage dazu auch zwischen den Zeilen zu lesen und irgendwie bekommt man schon mit, warum eigentlich wer wie und warum handelt. Auch die Antagonisten erklären sich übrigens, ganz im Stil der Bond-Bösewichte. Das schmälert leider erneut den Kriminalaspekt des Buches. Vielleicht wäre es schön, wenn die Protagonisten auch alleine drauf gekommen wären. Auf irgendetwas.

6. Äußere Erscheinung

Abgesehen von den inneren Werten™ gibt es ja auch immer noch die äußere Aufmachung, über die man sich beschweren kann – muss man aber in diesem Fall nicht. Das Cover, kreiert von Anna Steinbauer, zeigt Kuslik, einer von zwei wichtigen Schauplätzen im Buch, im warmen Licht eines Sonnenuntergangs. Das macht zwar keine Lust auf Musketiere und Fechtübungen, aber es sieht hübsch aus und macht gute Laune. Innen gibt es dann noch eine Karte von Ralph Hlawatsch, die wirklich hübsch ist und auch Ralf Berszuck (Satz und Layout sowie Umschlaggestaltung) soll lobend erwähnt werden, denn es gibt keine seltsamen Textumbrüche o.ä. zu bemängeln, und auch der Umschlag entspricht den Erwartungen. Ich bin kein Experte für Fragen der Rechtschreibung, aber auch hier gibt es keine groben Schnitzer, und abseits der inhaltlichen und stilistischen Probleme, die ich oben bereits angesprochen habe, gebührt der herzliche Dank dafür dem Lektor Michael Fehrenschild.

Fazit

Die treibenden Elemente eines Buches sind für mich entweder der Plot oder die Charaktere – und leider reichen ein mittelschlechter Plot und nur zwei wirklich glaubhafte Charaktere nicht aus, um ein Buch hochzuhalten. Die Stimmung und der Hintergrund sind toll, und daraus lässt sich sicher eine Regionalbeschreibung machen – jedoch kein Roman. Das Werk startet als Kriminalroman mit einer Namenlosenverschwörung im Hintergrund und verliert immer mehr das Ziel aus den Augen, sodass man am Ende fast froh ist, dass man durch ein paar übernatürliche Tricks (recht plötzlich) zum Punkt gekommen ist. Es entsteht für mich der dringende Verdacht, dass es sich um eine schlecht gemachte Überleitung zum nächsten Buch handelt, und obwohl die ursprüngliche Idee vielleicht gut war, ist sie durch die schwache Umsetzung leider verloren gegangen.

Kaufen würde ich das Buch lediglich um eine Sammlung zu komplettieren, oder, wenn ich wissen will, was mit den Figuren aus Das Zepter des Horas passiert ist, sonst leider nicht.

Der Ring des Namenlosen Page_5.A Bewertung

Ein Einhorn hat sich auf die Suche nach dem verlorenen Plot gemacht, ein weiteres ist ausgezogen, um den allzu schwachen Damen Aventuriens das Leben beizubringen; ein Einhorn liegt beleidigt in der Ecke, weil ihm ein Ring versprochen wurde, den es nie bekommen hat, und seine Freundin Frau Einhorn liest noch Das Zepter des Horas. Ein weiteres Einhorn hat einen netten Plausch mit dem Gott aus der Maschine, und ein letztes ist abgelenkt durch einen Kampf, der nichts mit der Rezension zu tun hat.
Bleiben drei Einhörner, die kräftig Sterne für Henning Mützlitz‘ Der Ring des Namenlosen in die Einhornakte kleben.

Bewertung Einhorn 3

Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.

Wir danken HummingBug recht herzlich für ihre Rezension!

Über Vibarts Voice

1986 entwickelte Michael Gorbachow den Begriff "Glasnost" und die Raumfähre Challenger explodierte beim Start. Im selben Jahr wurde DSA Teil meines Lebens, und obwohl die UdSSR und das Space-Shuttle-Programm längst Geschichte sind, ist DSA noch immer zentraler Aspekt meiner Existenz. Ich spiele und meistere regelmäßig. Seit Mai 2012 bin ich darüber hinaus hier bei Nandurion tätig.
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8 Antworten zu Der Ring des Namenlosen

  1. Pingback: Rezension zu “Der Ring des Namenlosen” | Nandurion

  2. Siebenstreich sagt:

    Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

    1) Sehr schöne Rezension. Insbesondere der Satz zu „Hänsel und Gretel“ .
    2) Die vielen Comics! Anscheinend hat Dich das Buch wirklich inspiriert.
    3) Gut zu wissen, dass man als eher mäßig begeisterter Leser des ersten Teils nichts verpasst, wenn man diese „Fortführung“ nicht liest.
    4) Interessanter Name 😉

  3. Schöne Rezension – unterhaltsam und kritisch.

  4. Sindajin sagt:

    Vielen Dank für die Rezension. Nach dem „Zepter des Horas“ war ich schon mehr als erstaunt, eher erschüttert, dass der Verlag ausgerechnet diesem Roman eine Fortführung gewährte. Die Rezension verstehe ich so, dass der Ring gegenüber Zepter zumindest keine wesentliche Verbesserung darstellt. Das lässt wirklich jeden Anreiz für eine Lektüre entfallen.

  5. Arduinna sagt:

    Hmm, schade, dass ihr das alle so seht. Ich habe den „Ring“ gern gelesen. Er war nicht langweilig, hatte coole Mantel-und-Degen-Szenen und war gut geschrieben. Ich fühlte mich also gut unterhalten.
    Die Comics sind toll! Dein „Blickwinkel“ auf Gion ist so lustig – was für ein nerviger Spieler. ;D

  6. HummingBug sagt:

    Dann antworte ich mal kurz auf meine vier (Juhu!) Kommentare. 🙂

    @Siebenstreich: Danke für die netten Worte. Ich hatte Spaß an dem kleinen Projekt und freue mich, wenn man merkt, dass ich mit Motivation am Werk war. 🙂

    @Andreas: Danke, sehr freundlich.

    @Sindajin: Ich habe das Zepter nicht gelesen, deshalb fällt mir der Vergleich schwer. Aber ich freue mich, wenn die Rezension eine Orientierung war.

    @Arduinna: Ja, das stimmt, die die Mantel-und-Degen-Stimmung kam gut rüber, das habe ich ja auch geschrieben. Allerdings trägt das, in Kombination mit einem vernünftigen Schreibstil, meiner Meinung nach kein komplettes Buch. Aber das kann man natürlich auch anders sehen. Im Endeffekt bleibt es eben doch Geschmackssache. 🙂
    Und danke für das Lob an die Comics. Ich hatte selbst großen Spaß daran sie zu pixeln. Besonders die Serie zu Gion. 😉

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  8. Hui, gerade habe ich noch vernichtende Kritiken über „Der Pfad des Phex“ gelesen und jetzt eine humorvolle und doch ehrliche über „Der Ring des Namenlosen“.

    Wie die Kirche im echten Leben maßen sich halt viele Autoren an, die Gegenseite auch gleich besser zu verstehen, als die Gegenseite sich selbst. Klappt selten, überzeugt auch fast nie.

    DSA-Debatten habe ich nie gebraucht. Doch ursprünglich, und ich wage die Evokation des Namen Ulrich Kiesow, mit dem ich ja persönlich bekannt war, weil er mich einst um Hilfe bat, ursprünglich da war DSA heroisches Rollenspiel, in dem korrupte Ritterorden, die Assassinen für Drecksarbeit brauchen würden (mich erinnert es an BRD Heuchelei und Nazi-Deutschland) gar nicht zu den Guten gehören konnten.

    Es hat sich viel verändert, oder ist einfach dahin-degeneriert… 😉 Danke der Gast Rezensentin HummingBug. Ich spare mir gerne die Mühe und die Zeit, den Schund dann noch zu lesen.

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