Die lange Reise eines Thorwalers

Der vorerst letzte Streich: Die Neuauflage von 2015

Ich habe nicht die Hälfte dessen gesagt, was ich gesehen habe, denn ich wusste, es würde nicht geglaubt werden. Marco Polo auf seinem Sterbebett, 1324

Im April 2015 erschien die Deluxe-Ausgabe der Phileasson-Saga. Nach der Originalausgabe von 1990, dem DSA3-Sammelband von 1999 und der DSA4-Überarbeitung von 2009 ist dies nun die vierte echte Neuauflage der legendären Kampagne und nicht einfach nur der Nachdruck eines vergriffenen Werks. Eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht und die langanhaltende Nachfrage nach diesem inzwischen 25 Jahre alten Werk untermauert. Grund genug, sich einmal mit der Frage zu befassen, was den Erfolg dieses Werkes ausmacht. Im Folgenden möchte ich einen Blick auf die besonderen Merkmale der Kampagne werfen und die Frage stellen, inwieweit sie zum lang anhaltenden Erfolg beigetragen haben. Zum Mitwerfen und weiter Diskutieren sei herzlich eingeladen.

Keiner kann ihn stoppen

Schaut man sich diesen Meilenstein der DSA-Geschichte an, fallen erstaunlicherweise auch gleich ein paar Dinge ins Auge, die den Siegeszug eines einzelnen Thorwalers in der Welt des Schwarzen Auges offenbar nicht verhindern konnten. Entgegen der gewohnten Lesart möchte ich hier zunächst einmal mit einigen vermeintlichen Schwachpunkten beginnen, die sich offenbar als überwindbare Hindernisse erwiesen haben.

Du sollst keine (mächtigen) Meisterpersonen mitschleifen!
Das Mitführen von Meisterpersonen gilt ohnehin schon als Mangel an Eleganz und Stil. Wenn es sich dabei auch noch um eine hochstufige (ja zu Phileassons Zeiten gab es das noch) Figur handelt, ist dies erst Recht kritisch. Wenn eine dieser hochstufigen, dauerpräsenten Meisterpersonen auch noch Befehlsgewalt über die Helden haben soll, dann ist das Desaster eigentlich schon vorprogrammiert. Was ist also hier (nicht) schiefgegangen?

Als Thorwaler Hetman glänzt Phil auf Gebieten, die nicht zum Steckenpferd vieler Helden gehören. Für unsere wackeren Freunde bleibt also allemal genug Rampenlicht, um sich regelmäßig in Szene zu setzen. Und was ist mit der Autorität? Auch hier zieht man sich elegant aus der Affäre. Moralisch fragwürdige Entscheidungen gibt es kaum und überhaupt taugt ein duzender Thorwaler schlecht als Feinbild, selbst für dämokratische Egomanen mit einem Hass auf Autoritäten.

Du sollst die Spieler nicht in ihrer Handlungsfreiheit beschränken!
Natürlich wurden die plotgetriebenen Abenteuer seinerzeit noch nicht als ganz fiese Eisenbahn-Abenteuer verunglimpft. Aber auch aus heutiger Sicht erscheinen mir die gegebenen Begrenzungen eher unproblematisch, vielleicht gerade, weil es Bernhard Hennen mit dem vorgegebenen Weg so wörtlich genommen hat. Durch die Wettfahrt mit dem Charakter einer Schnitzeljagd sind die geographischen Stationen vorgegeben. Vor Ort treffen die Helden jedoch immer wieder auf offene Aufgabenstellungen, die sie völlig frei bearbeiten können. Und überhaupt, durch den Wettkampfcharakter werden viele Um- und Abwege völlig unattraktiv. Entscheidend ist hier wohl in erster Linie, dass die Lösung einer Episode nicht als konkrete Handlung vorgegeben wird. Nur selten einmal wird das Fahrwasser so verengt, dass die Helden nicht noch selbst kreativ werden können.

Phileasson Foggwulf und Beorn der Blender

Zwei große Meisterpersonen und dennoch kleine Figuren im großen Spiel: Phileasson Foggwulf und Beorn der Blender (von Ina Kramer und Frank Freund)

Du sollst deinen Spielern/Helden keine mächtigen Artefakte in die Hand geben (böse!)!
Ein ziemlich magisches Schwert, ein unerschöpflicher Astralspeicher, ein magisches Schiff –  unfassbar, was hier alles die Hände der Helden durchquert. Vielleicht ist das auch schon der wichtigste Punkt. Die Artefakte haben einen definierten Zweck, die Helden dürfen eine Weile damit spielen, danach befinden sich die Dinge außer Reichweite.

Nebenbei bemerkt ist die Opposition durchaus auch hin und wieder gut mit Machtmitteln bestückt und die Helden können ein bisschen Hilfe durchaus gebrauchen. Für die Spieler dürfte der Reiz womöglich auch darin liegen, dass die Artefakte in der Zeit bis zur endgültigen Verwendung zur freien Verfügung stehen, ohne dass damit gleich wieder alles aus dem Lot geraten würde.

Du sollst nicht so viele Meisterpersonen benutzen (Wer soll sich denn die ganzen Namen merken?)!
Nein, ich habe sie nicht gezählt. Dennoch ist die schiere Zahl der Meisterpersonen natürlich beeindruckend. Ich bin überhaupt kein Freund einer umfangreichen Besetzung, heißen doch selbst zentrale Figuren dann bald ‚Der Typ mit dem Schiff‘, ‚Der Oberfiesling‘ oder ähnlich generisch.

Der Kniff ist hier allerdings wohl, dass die Figuren nicht alle gleichzeitig, sondern wohlgesetzt hintereinander auftauchen und von den Spielern jeweils mit bestimmten Orten und Ereignissen verbunden werden. Vermutlich werden sich die Spieler hinterher an mehr Figuren aus der Tetralogie als an die aus einem Abenteuer wie dem allaventurischen Konvent erinnern, obwohl die Zahl der Meisterpersonen vergleichbar sein dürfte.

Ich öffne meinen Schatzrucksack

Doch das Vermeiden einer Reihe von Fehlern bedeutet ja noch lange nicht, dass dadurch ein gutes Abenteuer entsteht. Was also sind Stärken der Phileasson-Kampagne?

Entdecke das jungfräuliche Aventurien: Welche Kampagne kommt heute eigentlich noch ohne einen Abschluss in aventurischer Geschichte aus? Die meisten Kampagnen sind Metaplot-getrieben und so tief eingebettet in die letzten 10 Jahre DSA und mindestens ebenso viele Publikationen, dass man schnell mal den Überblick verliert. An Phileassons Seite kann man den ganzen Kram getrost beiseite lassen, denn er geht oftmals dahin, wo noch kein Spielerheld gewesen ist. Die einzigen Referenzen in der Kampagne beziehen sich auf die Kampagne selbst. Das führt uns zum nächsten Punkt.

Folge dem Roten Faden zur Vergangenheit der Hochelfen: Es gibt nicht nur eine konkrete Plotvorgabe, wo es als nächstes hingeht. Nein, es gelingt Bernhard Hennen tatsächlich, einen durchgehenden Roten Faden für seine Kampagne zu legen. Das Mysterium der hochelfischen Geschichte breitet sich nach und nach vor den Helden aus. Von den im wahrsten Sinne des Wortes erstarrten Hinterlassenschaften im ewigen Eis bis zu den lebenden Nachfahren auf den Inseln im Nebel entfaltet sich nach und nach das Mysterium. Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei nicht um rein zweckgebundene Besuche handelt. Die umfangreiche Erkundung des aventurischen Kontinents ist gewissermaßen ein Bonus auf dieser Reise. Schön sieht man dies zum Beispiel an der zweiten Aufgabe der großen Queste. Ergründet die Geheimnisse des Himmelsturms! ist wahrlich kaum freier zu formulieren.

Wohl definitiv einer der exotischsten Orte des Kontinents, vielleicht sogar ganz Deres: Der Himmelsturm (Cover des kommenden Romans von Bernhard Hennen und Robert Corvus)

Wohl definitiv einer der exotischsten Orte des Kontinents, vielleicht sogar ganz Deres: Der Himmelsturm (Cover des kommenden Romans von Bernhard Hennen und Robert Corvus)

Besuche exotische Orte und mache mysteriöse Entdeckungen: Die Stationen der Reise sind nur selten einmal völlig profaner Natur. Zwei elementare Städte, ein Unheiligtum, ein verborgenes Tal Sterbender Götter und das Inselreich jenseits aller Meere sind nur die Highlights unter den besuchten Orten. Nicht weniger eindrucksvoll sind die Bewohner dieser Orte, von den Nachtalben im Norden bis zu den Gestrandeten der Sargasso-See. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass die hier enthüllten Mysterien ebenfalls epische Ausmaße haben. Bei all diesen Entdeckungen verspürt man den sense of wonder. Die Peepshow der Spezialeffekte bleibt aus, weil es keine Ansammlung von Funktionalen ist, sondern man selbst am Ende der langen Reise das Gefühl hat, bloß die Hälfte der zahlreichen Mysterien auch nur von Ferne gesehen zu haben.

Hier gibt es kein Raumschiff, weil man damit die mächtigste Armee des Kontinents ausradieren müsste. Hier steht eine gewaltige Stadt voller Wunder, einfach nur, damit die Helden sie erkunden. Das Phantastische ist hier also kein Vehikel, um einen bestimmten Zweck im Plot mit dem Dampfhammer durchzuboxen, sondern mit all seinen Wundern der eigentliche Inhalt dieser Kampagne.

Erledige die Questen und ziehe weiter zur nächsten Herausforderung: Ja ich weiß, aneinandergereihte Questen sind nun wirklich ein ganz alter Hut. Warum erwähne ich dies also hier? Zum einen unterscheiden sich die Episoden bei der Saga dadurch, dass sie nicht immer zur gleichen Basis zurückkehren und die Helden immer mehr Plunder für das große Ritual ansammeln, bis sie Luborschs Rucksack der unbegrenzten Schätze für den Heimweg benötigen. Tatsächlich dürfte bei vielen Abenteuern erst sehr viel später überhaupt klar werden, warum die gemachten Entdeckungen so wichtig waren. Die Abschnitte sind dadurch aber auch sehr vielfältig in ihren Orten und Umständen. Mal geht es um Ereignisse epischer Tragweite und Dramatik, mal scheint man sich bei Bettlern und anderen armen Geistern fernab allen Bedeutsamen zu befinden. Es ist auch diese Vielfalt, die die Phileasson-Saga so phantastisch macht.

Ebenfalls Erwähnung finden soll der Episodencharakter als erzählerisches und organisatorisches Mittel. Die Saga wird in getrennte Sinnabschnitte geteilt. Sie erlauben es, sich ganz auf einen Punkt zu konzentrieren (siehe auch Meisterpersonen oben). Und nebenbei bemerkt sind sie auch noch für den einen oder anderen Cliffhanger gut.

Das Ziel eines jeden Helden: Wein, Weib und Gesang (von Florian Stitz)

Das Ziel eines jeden Helden: Wein, Weib und Gesang (von Florian Stitz).

Erlange im Gefolge des Königs der Meere unsterblichem Ruhm: Klingt komisch? Wir Helden wollen doch immer allen Ruhm für uns allein? Die Helden folgen dem Drachenhals noch als recht unerfahrene Jungspunde. Am Ende der Saga werden sie in den Liedern der Thorwaler verewigt und dürften auch sonst über einen gewissen Ruhm verfügen. Dieser Ruhm gründet sich nicht darauf, mit Schwert und Zauberstab das große, böse Etwas erschlagen zu haben. Die große Wettfahrt ist ein Abenteuer im eigentlichen Sinne und die Helden sind echte Abenteurer. Wozu also brauchen wir Phileasson? Ganz einfach: Die (anonymen) Helden werden Teil der aventurischen Legende. Sie werden Teil der Legende vom König der Meere. Teil von etwas, das viel größer ist als sie selbst, und dabei hilft nun einmal das Andocken an eine derart berühmte aventurische Meisterperson.

Dieser Punkt ist vielleicht am schwierigsten zu erfassen, scheint er doch in gewisser Weise dem Konzept der Spieler-Helden zu widersprechen. Ich glaube jedoch, dass es sich lohnt, einmal darüber nachzudenken, wie die Legende der Helden (wieder einmal als anonymer Stellvertreter für die jeweilige Heldengruppe einer jeden Spielrunde) in Aventurien verankert wird. Vielleicht liegt es auch hier an den besonderen Taten, welche die Teilnehmer der Wettfahrt auszeichnen. Häufig wird im Aventurischen Boten und anderswo nur auf Spieler-Helden Bezug genommen, die gerade irgendeine berühmte Meisterperson getötet haben. Dies ist die Art von Ewigkeit zu der Robert Maynard von seinem berühmtesten Gegner beglückwünscht wurde. Manch einem mag das einfach zu wenig sein.

Schlussbemerkung

Der Beginn einer langen Reise: Folge dem Drachenhals aus dem Jahr 1990 (Cover von Ugurcan Yüce)

Wie eingangs angedeutet versteht sich dieser Text nicht als Offenbarung einer höheren Wahrheit (die Lizenzverhandlungen dafür befinden sich gerade in einer schwierigen Phase), sondern als Denk- und Diskussionsanstoß.

Bedeutet von Phileasson lernen wirklich siegen lernen? Oder ist das alles eher einmalig und nicht auf andere Abenteuer des Schwarzen Auges übertragbar? Gibt es aus eurere Sicht ganz andere Punkte oder Ideen, die hier zu nennen wären? Und sicher lassen sich auch Beispiele für Abenteuer finden, in denen die genannten Punkte gut oder schlecht gemacht wurden.

Gerne verweise ich an dieser Stelle auch noch einmal auf die vor einiger Zeit erschienene Kolumne zum untereggerschen Schreiberworkshop. In diesem Sinne: Mögen Aves und Hesinde mit euch sein.

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9 Antworten zu Die lange Reise eines Thorwalers

  1. Die rote Elster sagt:

    Oh Ja! Die Phileasson-Saga. (Sehnsuchtsvoll seufzend) Da werden Erinnerungen wach. Die beste und stimmungsvollste Kampagne (die Sammelausgabe von 1999) die ich je sowohl als Spieler als auch als Spielleiter erleben bzw. leiten durfte.
    Großartig sind Eigor Eisenbeiß und seine ewigen Schauermärchen (Er fehlt leider in der DSA 4-Edition), der herzliche (und sehr winterharte) Raluf der Kühne (damals noch ein Thorwaler und KEIN Fjarniger) und die anderen Besatzungsmitglieder.
    Die fast greifbar tragische (Die sprechenden Raben und die hinterlassenen Botschafen in den Bleikammern sind hier besondere Höhepunkte) Geschichte des Himmelsturms ist nicht zu überbieten und gehört zum stimmungsvollsten was ich je in einem Abenteuer erlebt habe. Einfach toll.

  2. Pingback: Hinter der 12. Tür wartet eine lange Reise … | Nandurion

  3. Brandur sagt:

    Das wird eine lange und leidenschaftliche Replik, lieber krassling, denn die Phileassonsaga ist für mich ein Reizthema. Ich leite sie momentan und habe einen ausführlichen Spielbericht mit Kommentar geschrieben, den man beim Phileassonprojekt (http://forum.phileasson-projekt.de/viewtopic.php?t=190) und im Tanelornforum findet. Ich war zu Beginn der Saga über alle Maßen motiviert und begeistert, aber inzwischen fühle ich das genaue Gegenteil. Deshalb habe ich einige Dinge anzumerken.

    [quote]Nach der Originalausgabe von 1990, dem DSA3-Sammelband von 1999 und der DSA4-Überarbeitung von 2009 ist dies nun die vierte echte Neuauflage der legendären Kampagne und nicht einfach nur der Nachdruck eines vergriffenen Werks. [/quote]

    Das wage ich anzuzweifeln. Was genau wurde für die 2015-Auflage geändert? Hat man die zahlreichen Logiklöcher, Ungenauigkeiten, inhaltlichen und orthographischen Fehler verbessert? Gibt es endlich vollständige NSC-Beschreibungen mit Werten? Gibt es Bilder für alle wichtigen NSCs? Gibt es Karten, gibt es Ortsbeschreibungen? Gibt es Informationen über Entfernungen und die dafür benötigte Reisezeit? Gibt es Hilfestellungen für die dritte Queste? Wurde das Museumsproblem des Himmelsturms gelöst?

    [quote]
    Du sollst keine (mächtigen) Meisterpersonen mitschleifen!
    Das Mitführen von Meisterpersonen gilt ohnehin schon als Mangel an Eleganz und Stil. Wenn es sich dabei auch noch um eine hochstufige (ja zu Phileassons Zeiten gab es das noch) Figur handelt, ist dies erst Recht kritisch. Wenn eine dieser hochstufigen, dauerpräsenten Meisterpersonen auch noch Befehlsgewalt über die Helden haben soll, dann ist das Desaster eigentlich schon vorprogrammiert. Was ist also hier (nicht) schiefgegangen?
    Als Thorwaler Hetman glänzt Phil auf Gebieten, die nicht zum Steckenpferd vieler Helden gehören. Für unsere wackeren Freunde bleibt also allemal genug Rampenlicht, um sich regelmäßig in Szene zu setzen. Und was ist mit der Autorität? Auch hier zieht man sich elegant aus der Affäre. Moralisch fragwürdige Entscheidungen gibt es kaum und überhaupt taugt ein duzender Thorwaler schlecht als Feinbild, selbst für dämokratische Egomanen mit einem Hass auf Autoritäten.
    [/quote]
    Phileasson ist nicht die einzige Meisterperson, die die Helden begleitet. Man hat noch (mindestens) Crottet, Ynu, Shaya, Ohm, Raluf; später kommt noch Abdul hinzu; dann pro Abenteuer noch mal mehrere. Das bedeutet zum einen, dass man Kompetenzüberschneidungen hat, zum anderen stellt sich die Frage, was diese NSCs machen bzw. eben nicht machen. Sie laufen Gefahr, entweder den Helden Screentime zu stehlen oder aber in Vergessenheit zu geraten. Außerdem ist es zusätzlicher Aufwand für den Meister, der neben Phileasson noch ein halbes Dutzend andere NSCs darstellen muss.
    Hinsichtlich der Autorität kann man sich mitnichten elegant aus der Affäre ziehen: Entweder man lässt Phileasson bestimmen, was passiert; dann sind die Helden Befehlsempfänger und Handlanger. Wenn die Spieler sich darauf einlassen können, ist das kein Problem. Oder man lässt den Helden freie Hand; dann verliert Phileasson immer mehr seine Autorität und falls die Helden doch mal etwas nicht tun wollen (oder nicht so, wie er will), steht er auf verlorenem Posten.
    (Moralisch fragwürdige) Entscheidungen gibt es tatsächlich eher wenige, weil die Saga durch die Prophezeiungen und Phileassons autoritäre Position als Kapitän und Leiter der Expedition den Kurs immer vorgibt.

    [quote]Du sollst die Spieler nicht in ihrer Handlungsfreiheit beschränken!
    Natürlich wurden die plotgetriebenen Abenteuer seinerzeit noch nicht als ganz fiese Eisenbahn-Abenteuer verunglimpft. Aber auch aus heutiger Sicht erscheinen mir die gegebenen Begrenzungen eher unproblematisch, vielleicht gerade, weil es Bernhard Hennen mit dem vorgegebenen Weg so wörtlich genommen hat. Durch die Wettfahrt mit dem Charakter einer Schnitzeljagd sind die geographischen Stationen vorgegeben. Vor Ort treffen die Helden jedoch immer wieder auf offene Aufgabenstellungen, die sie völlig frei bearbeiten können. Und überhaupt, durch den Wettkampfcharakter werden viele Um- und Abwege völlig unattraktiv. Entscheidend ist hier wohl in erster Linie, dass die Lösung einer Episode nicht als konkrete Handlung vorgegeben wird. Nur selten einmal wird das Fahrwasser so verengt, dass die Helden nicht noch selbst kreativ werden können. [/quote]

    Die Helden können die Aufgaben nicht völlig frei bearbeiten. Es ist zum Beispiel nicht vorgesehen, dass sie scheitern, außer bei Schwert/Kelch (aber nur einem von beiden). Und es soll von Vorteil sein, dass die Helden aufgrund der knappen Zeit nicht auf Um- oder Abwege geraten können? Gerade das wäre doch sinnvoll, wenn man den Helden die Wahl lässt, ob sie Zeit für Sicherheit opfern wollen oder umgekehrt! Durch den Wettkampfcharakter werden Um- und Abwege gerade erst interessant, weil die Helden dann entscheiden müssen, was sie tun!
    Außerdem ist der Weg selbst oft genug eng eingegrenzt, bis hin zu Flaschenhälsen. Ein Beispiel: Die Helden müssen mit Beorn in TieShianna zusammenarbeiten, selbst wenn sie sich absolut dagegen sträuben, mit diesem Halunken auch nur einen Schritt zu gehen. Noch dazu, nachdem er seine Traviageweihte verloren hat! Aber in dem Falle muss Phileasson halt mal ein Machtwort sprechen, was ja kein Problem ist, siehe oben.

    [quote]Du sollst nicht so viele Meisterpersonen benutzen (Wer soll sich denn die ganzen Namen merken?)!
    Nein, ich habe sie nicht gezählt. Dennoch ist die schiere Zahl der Meisterpersonen natürlich beeindruckend. Ich bin überhaupt kein Freund einer umfangreichen Besetzung, heißen doch selbst zentrale Figuren dann bald ‚Der Typ mit dem Schiff‘, ‚Der Oberfiesling‘ oder ähnlich generisch.
    Der Kniff ist hier allerdings wohl, dass die Figuren nicht alle gleichzeitig, sondern wohlgesetzt hintereinander auftauchen und von den Spielern jeweils mit bestimmten Orten und Ereignissen verbunden werden. Vermutlich werden sich die Spieler hinterher an mehr Figuren aus der Tetralogie als an die aus einem Abenteuer wie dem allaventurischen Konvent erinnern, obwohl die Zahl der Meisterpersonen vergleichbar sein dürfte.
    [/quote]
    Wie oben schon erwähnt reisen ständig ein halbes Dutzend NSCs mit Phileasson mit. Die drängen die Helden in den Hintergrund, übernehmen ihre Aufgaben, überschneiden sich mit ihren Kompetenzen, beanspruchen die Aufmerksamkeit des Meisters usw. Es gibt keinen guten Grund, in einem Abenteuer so viele NSCs als ständige Begleiter dabei zu haben. Mein Vorschlag wäre, bis auf Phileasson und Shaya alle anderen NSCs zu entfernen. Das ist ein Abenteuer, kein Roman – die Helden sollen im Mittelpunkt stehen!

    [quote]Folge dem Roten Faden zur Vergangenheit der Hochelfen: Es gibt nicht nur eine konkrete Plotvorgabe, wo es als nächstes hingeht. Nein, es gelingt Bernhard Hennen tatsächlich, einen durchgehenden Roten Faden für seine Kampagne zu legen. Das Mysterium der hochelfischen Geschichte breitet sich nach und nach vor den Helden aus. Von den im wahrsten Sinne des Wortes erstarrten Hinterlassenschaften im ewigen Eis bis zu den lebenden Nachfahren auf den Inseln im Nebel entfaltet sich nach und nach das Mysterium. Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei nicht um rein zweckgebundene Besuche handelt. Die umfangreiche Erkundung des aventurischen Kontinents ist gewissermaßen ein Bonus auf dieser Reise. Schön sieht man dies zum Beispiel an der zweiten Aufgabe der großen Queste. Ergründet die Geheimnisse des Himmelsturms! ist wahrlich kaum freier zu formulieren. [/quote]

    Folge den Schienen könnte man das auch nennen. Die Übergänge zwischen den Abenteuern sind ohne die Prophezeiungen der 12Götter zu holprig. Ganze Abenteuerteile dienen nur dazu, die Helden auf die richtige Spur zu bringen, lassen sich ingame aber nur schwer begründen, z.B. Der Karentreck 500 Meilen durchs Bornland, statt 150 Meilen nach Riva zu reisen. Alles nur, damit die Helden zum Feenwald kommen. Und dafür muss eine ganze Nivesensippe durch eine Seuche gequält werden…
    Auch sehr schön das Städtehopping im vierten Kapitel, wo man von Festum nach Vallusa nach Ysilia hüpft, wobei die Städte nur wenig beschrieben werden und keine Stimmung aufkommt.
    Der Himmelsturm ist eine der größten Enttäuschungen der Saga, denn es handelt sich nur um ein Museum mit leeren Palästen, ohne Loot, ohne die Möglichkeit, seine komplexe und fantastische Geschichte kennen zu lernen. Und es gibt im HT nichts zu tun außer von einem Exponat zum nächsten zu laufen. Frei heißt nicht unbedingt gut!

    [quote]Wohl definitiv einer der exotischsten Orte des Kontinents, vielleicht sogar ganz Deres: Der Himmelsturm [/quote]
    Definitiv nein! Das ist ein Turm im Eis, der ist vollkommen leer, da ist nichts besonders und die Schilderung der Inneneinrichtung könnte genausogut in einer Andergast-Spielhilfe stehen. Der Himmelsturm ist nichts Besonderes! Tie Shianna ist nicht viel besser. Ausführliche Kritik gibt es hier (http://www.dsaforum.de/viewtopic.php?f=36&t=21670#p1480157).

    [quote]Erledige die Questen und ziehe weiter zur nächsten Herausforderung: Ja ich weiß, aneinandergereihte Questen sind nun wirklich ein ganz alter Hut. Warum erwähne ich dies also hier? Zum einen unterscheiden sich die Episoden bei der Saga dadurch, dass sie nicht immer zur gleichen Basis zurückkehren und die Helden immer mehr Plunder für das große Ritual ansammeln, bis sie Luborschs Rucksack der unbegrenzten Schätze für den Heimweg benötigen. Tatsächlich dürfte bei vielen Abenteuern erst sehr viel später überhaupt klar werden, warum die gemachten Entdeckungen so wichtig waren. Die Abschnitte sind dadurch aber auch sehr vielfältig in ihren Orten und Umständen. Mal geht es um Ereignisse epischer Tragweite und Dramatik, mal scheint man sich bei Bettlern und anderen armen Geistern fernab allen Bedeutsamen zu befinden. Es ist auch diese Vielfalt, die die Phileasson-Saga so phantastisch macht. [/quote]

    Viele Dinge passieren nur, damit der Plot weiter voranschreiten kann. Man sollte diesen Makel, der durch die Prophezeiungen kaschiert werden soll, nicht auch noch loben. Und die Divergenz und fehlende Homogenität, auch das Pacing der Saga, ist nicht gut. Zu Beginn mit dem Himmelsturm gleich ein Highlight von potentiell epischer Güte, danach Karene hüten im Bornland? Epischer Kampf gegen Seeschlangen und Dämonen und dann Bettler durch die Wüste begleiten? Ganze Füll-Kapitel (Der alte König)? Das ist keine bereichernde Vielfalt, sondern schlechtes Abenteuerdesign.

    [quote]Erlange im Gefolge des Königs der Meere unsterblichem Ruhm: [/quote]
    Genau, die Helden werden als Handlanger des NSCs berühmt. Wen interessiert schon Odysseus, seine Gefährten sind viel interessanter!
    Wieso braucht man eine Meisterperson, um die Helden Teil der Legende vom König der Meere werden zu lassen? Wieso lässt man Phileasson nicht einfach weg und konzipiert die Saga als das, was sie wirklich sein sollte: Eine epische Reise voller Herausforderungen für kompetente Helden, dabei ein persönlicher Wettstreit gegen einen berühmt-berüchtigten Gegner, der sich in eine Suche nach einer untergegangenen Kultur verwandelt. Wofür braucht man Phileasson? Ist das bei den Sieben Gezeichneten eigentlich auch so? Müssen die sich auch an irgendeine Meisterperson dranhängen?

    Abschließend: Die Saga ist nicht so gut, wie sie von manchen gehyped wird. Sie ist auch nicht so schlecht, wie manche sie malen. Aber man darf eben vor beidem nicht die Augen verschließen, und genau das passiert allzu häufig.

    • Siebenstreich sagt:

      Uff – auf dieses Monstrum in Textform angemessen zu antworten, fehlt mir hier der Platz. Deshalb die in meinen Augen zwei wichtigsten (Gegen)Argumente:

      1) Die ganze Reise ist zwar ein Wettstreit, aber fast permanent getragen vom olympischen Motto: „Dabeisein ist alles.“
      Daher: Beorn als Widersacher ist ein sehr dankbarer Antagonist. Er ist nämlich nicht der übliche Ultra-Bösewicht wie etwa ein Paktierer, Namenloser Geweihter oder Schwarzmagier, bei dem klar ist, dass er auf der feindlichen Seite steht.
      Außerdem: welche Verbrechen hat er schon begangen? Mit Sklavenjägern macht er kurzen Prozess, aber das ist durchaus entschuldbar. Heldengruppen führen oft genug moralisch fragwürdige Aktionen („die Piraten müssen sterben“) durch, insofern sind sie ihm ähnlicher, als mancher zugeben würde.

      2) Der Himmelsturm ist nur ein Turm mit leeren Räumen, ja. Aber er hat sehr viel Potential: eine Festung am Ende der Welt, die Helden sind die ersten Menschen, die es (freiwillig) je betreten haben, Bewegungen im Schatten, jahrtausendealter Hass – das ist der Stoff, aus dem Epen sind. Wenn es dem Meister gelingt, den Spielern diese Aspekte nahezubringen, hat er eine Menge Arbeit investiert – und sich und seiner Gruppe ein paar unvergessliche Abende geschenkt.

    • krassling sagt:

      Sehr gut, genau dafür ist der Beitrag gedacht. Ich finde es ganz hervorragend, dass du dich so engagierst. Ich hoffe du siehst es mir nach, wenn ich nicht die Zeit für all die kurzweilige Spiegelfechterei erübrigen kann. Sicher lässt sich über all die oben genannten Punkte vortrefflich streiten und genau so war es auch gedacht.

      Was mich allerdings dennoch persönlich interessieren würde, wäre die Frage, warum du die Kampagne überhaupt spielst. Irgendetwas scheint dich ja (womöglich immer noch) zu motivieren. Achja und erzähl doch bitte unbedingt nach dem Ende der Kampagne (wann auch immer das sein wird) was deine Spieler gut oder schlecht daran fanden. Meiner Erfahrung nach wirken aus der Spielersicht viele Dinge nämlich ganz anders.

      Beste Grüße und weiterhin viel Vergnügen.

  4. Brandur sagt:

    Sorry wegen der Länge. 😉 Vielleicht könnte man die Diskussion ins DSA-Forum auslagern.

    zu 1) Der olympische Gedanke mag ja stimmen, aber bis zum Ende der Wettfahrt halten alle NSCs und das Abenteuer selbst am Wettrennen fest – alles muss schnell geschehen, alle legen Wert auf die Punkte fürs Erledigen der Aufgaben. Selbst ganz zum Schluss, nach dem Finale, hetzt Phileasson noch nach Thorwal, um vor Beorn anzukommen, obwohl er es eigentlich besser wissen müsste.
    Beorn kann ein fantastischer Antagonist sein und ich finde ihn super. Auch meine Gruppe hält ihn für eines der Highlights der Saga und freut sich auf die nächste Begegnung mit ihm am Ende des vierten Kapitels. Aber – die Saga tut zu wenig, um ihn zu Beginn glaubwürdig und gewinnbringend in Szene zu setzen. Sein Antagonismus zu Phileasson entspringt scheinbar aus dem Nichts und Beorn bleibt wenig greifbar. Deshalb habe ich auch versucht, ihn stärker zu zeichnen und in eine persönliche Feindschaft mit den Helden zu bringen, dadurch dass er sie beim Winterfest in Thorwal, als sie ihre eigenen Heldengeschichten vorgetragen hatten, aufs Übelste beschimpfte. Hat sehr gut funktioniert, die Spieler/Helden waren ungleich motivierter, sich mit ihm zu messen.

    zu 2) Dem stimme ich im Prinzip zu, aber das Abenteuer schafft es nicht, dieses Potential zu nutzen. Die Beschreibungen sind leblos wie der Turm selbst und schaffen es nicht, die Fantasie anzuregen und interessante Aspekte darzustellen. Das Highlight (oder besser Lowlight?) ist die Küchenbeschreibung, die man 1:1 auf eine andergastsche Bauershütte übertragen kann. Die tragische und durchaus bewegende Geschichte des Himmelsturms können die Helden nicht in ihrer Gänze erfahren. Sie wird dem Meister wie in einem Roman geschildert, aber die Spieler haben keinen Zugriff darauf. Sie erfahren nur winzige Bruchstücke. Die Erkundung des HT ist wie ein Museumsbesuch, von einem Exponat zum nächsten, das ganze zwei Dutzend mal. Unter dem Himmelsturm wirds dann wieder interessant, aber der namensgebende Turm kommt im Abenteuer extrem blass daher. Der Aufwand war für mich als SL immens und hat sich letzten Endes nicht gelohnt. Meine Spieler hatten viel Spaß, aber mich hat es zu sehr frustriert. Das Abenteuer – vor allem die Überarbeitung – versagt hier mMn auf ganzer Linie, weil es es nicht schafft, diese mannigfaltigen Probleme zu lösen und dem SL dabei zu helfen, die Geschichte zu vermitteln und über eine bloße Reihe von Expositionen hinauszuwachsen. Mein Lösungsvorschlag: Die Helden werden bei der Ankunft im Himmelsturm in die lebendige Erinnerung, die im Turm durch die Ereignisse der Blutnacht gespeichert ist, hineingeworfen und können die letzten Wochen des Niederganges mit eigenen Augen erleben, dabei selbst eine Seite wählen und so einen tiefen Einblick in die Kultur der Hochelfen gewinnen. Das würde den Umfang des Kapitels natürlich vervielfachen, ähnlich wie die Inseln im Nebel. Aber das wäre ein fantastisches Abenteuer und nicht so eine dröge Ruinenschau.

  5. Brandur sagt:

    Ich habe meine Kritik ins DSA-Forum übertragen. Wenn Du möchtest, zitiere ich Deinen Beitrag da auch.

  6. Pingback: Adventskalender: Das große Finale | Nandurion

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