Das Grabmal von Brig-Lo gehörte zu den ersten Abenteuern aus der Welt des Schwarzen Auges, die ich erwarb und für meine Spielrunde leitete. Wenig wusste ich damals von den Tiefen des Kontinents Aventurien, seiner lebendigen Geschichte und all den anderen Dingen, die heute so selbstverständlich mit DSA verbunden werden. Seit einiger Zeit legt Ulisses die längst vergriffenen Abenteuer vergangener Editionen wieder neu auf und inzwischen ist man bei einigen Modulen angelangt, die zu meiner Zeit als Einsteiger zu Beginn der 90er Jahre als aktuelle Produkte betrachtet wurden. Mit der umfangreichen Box Ära des Goldenen Kaisers ist zudem eine Setting-Box erschienen, die es darauf anlegt, wieder in jene Zeit zurückzukehren, die mein Kopf-Kanon als Blümchen-DSA kennt. Vielleicht ein Grund sich auch die alten Abenteuer einmal anzuschauen.
Alte Abenteuer – neu gemeistert
Die Abenteuer erscheinen in einer remastered Fassung. Gemeint ist damit im Grunde nur eine originalgetreu reproduzierte Neuauflage. Da die Produkte nur als PDF erscheinen und praktisch nur ein Layouter bezahlt werden muss, ist die Kostenrechnung überschaubar und das unternehmerische Risiko hält sich in Grenzen. Leider bedeutet das natürlich auch, dass die Abenteuer mit allen Macken und Verrücktheiten zurückkehren, die unsereins längst hinter sich gelassen zu haben glaubte. Wie oft hörte ich schon irgendein DSA-bashing und fragte mich dann ernsthaft, ob der Kritiker in den letzten 20 Jahren eigentlich irgendein aktuelles DSA-Produkte konsumiert hatte. Mit dem Retro-Ansatz kehrt auch all der Unfug zurück, der jenen Ewiggestrigen erst die Munition für ihre Tiraden lieferte. Davon abgesehen ruft das Grabmal aber natürlich bei Menschen wie mir einen gewissen Nostalgiefaktor hervor.
Die Geschichte aus der Feder von Hadmar von Wieser ist als Einsteigerabenteuer konzipiert und dementsprechend dürfen wir ein sehr klassisches Szenario, selbst für DSA2 Verhältnisse, erwarten. Neben einer Würdigung der zeitgeschichtlichen Einordnung, wird mein Fokus vor allem auf den Optionen einer zeitgemäßen Umsetzung liegen. Wobei hier natürlich zu beachten ist, dass zeitgemäß in diesem Fall eher eine Nutzung im Kontext der oben genannten Retro Box ist.
Lebendige Geschichte – geliebte Historie
Unvermeidlich ist es natürlich bei diesem klassischen Abenteuer einen Moment bei dem phantastischen Cover von Ugurcan Yüce zu verweilen. Ein Trio muskelbepackter Barbaren, die in den Ruinen einer ausgedehnten Anlage verweilen und ihre Heldenbrust sonnen, schmückt den Band. Tatsächlich scheint die Darstellung hier alles andere als dynamisch verglichen mit den Kampszenen, wie ich sie kürzlich noch auf dem Band Über den Greifenpass bewunderte. Und dennoch kommt bei mir eine gewisse Vorfreude, sozusagen eine Ahnung des Abenteuers auf. Die Anordnung der Figuren und eines steinernen Götzenbildes bildet eine schräge Achse, die durch die sitzende Haltung des helmlosen Recken noch unterstützt wird. Die verschiedenen Höhenstufen der Anlage bis hin zum offenen blauen Himmel vermitteln ein Gefühl für Räumlichkeit, das sich auch nach unten fortsetzt. Wer sich vor Alverans allsehendem Auge verbergen muss, der kriecht wohl weiter nach unten in die Grabanlagen unterhalb dieser antiken Ruinen.
Mit diesem Versprechen von Geheimnis und Abenteuer starten wir also in das Grabmal von Brig-Lo. Dabei müssen wir entsprechend den Gepflogenheiten der aventurischen Weltenbauer gleich innehalten und uns Fragen stellen. Was hat es eigentlich mit diesem Brig-Lo auf sich und warum gibt es hier ein Grabmal. Was anderswo irgendwo als zufällige Begegnung in der Pampa stehen würde, besitzt in Aventurien natürlich einen weit intensiveren Kontext. Brig-Lo war der Ort der legendären zweiten Dämonenschlacht. Während die erste Dämonenschlacht Fran-Horas in die Niederhöllen brachte und die Dämonenbrache bei Gareth schuf, stellt die zweite Dämonenschlacht bei Brig-Lo den Endpunkt des bosparanischen Reiches dar. Im Gegensatz zu der finsteren Brache ist das Schlachtfeld bei Brig-Lo jedoch weitaus zivilisierter. Das Eingreifen von gleich vier Göttern (Praios, Rondra, Efferd, Ingerimm) stellt einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des alten und neuen Reiches dar.
Das Cover verrät uns am Rande etwas zur Einordnung des Abenteuers im irdischen Kontext. Nachdem in den vorigen Publikationen die Südmeer-Tetralogie zu Ende gegangen war und ein gewisser Phileasson Foggwulf in See gestochen war, befand Kreativorkan Hadmar von Wieser, es sei an der Zeit wieder ein Einsteiger-Abenteuer zu schreiben. Stufe 1 bis 5 erlaubt es sowohl, das Abenteuer als Einstieg in die Welt des Schwarzen Auges zu spielen, als auch gestandene Jung-Helden zu führen, die bereits eine Handvoll Abenteuer hinter sich haben. Die Verbindungen zu anderen Abenteuern werden erst im Inneren offenbar. Wir finden hier einen Rückgriff auf Die Seelen der Magier, wie auch Hinweise auf Ereignisse, die später in Der Löwe und der Rabe das andere Ende der Sandbox markieren.
Wenig verwunderlich ist demzufolge auch der aventurische Kontext zu diesem Abenteuer. Das Jahr 1009 BF sieht den Krieg zwischen Al’Anfa und dem Kalifat. Und so ist es hier auch ein gewisser Leomar vom Berg, der von Brig-Lo aufbricht und in die Khomwüste zieht. In jener Zeit bediente man sich noch schamlos aus jeder Quelle, die nicht bei drei auf dem Baum war. Der Adlige vom Berg tritt hier offensichtlich in die Fußstapfen eines gewissen Laurence von Arabien. Auch eine gewisse Borondria wird hier als Vorsteherin des lokalen Boron-Tempels eingeführt. Der Golgariten-Orden, dem sie später vorstehen wird, existierte zu dieser Zeit freilich noch nicht. Erst später im Abenteuer begegnen wir einem Mann namens Irschan Chasmir. Dieser skrupellose Schwarzmagier hat seinen ersten Auftritt bereits hinter sich und gehört einer gewissen Sekte an, deren Mitglieder sich Borbaradianer nennen. Aus heutiger Sicht mag das wie sinnloses namedropping klingen. Tatsächlich werden hier jedoch die Grundlagen eine lebendigen Geschichte geschaffen, die 1990 noch nicht so existierte, wie wir sie heute kennen.
Mein Königreich für einen Plot
Die Handlung als solche ist, wie es sich für ein Einsteiger-Abenteuer gehört, recht simpel. In dem beschaulichen Örtchen Brig-Lo erfahren unsere Helden, dass Menschen verschwinden. Die Spuren führen auf das Schlachtfeld, wo es des Nachts spuken soll. In der Folge landen unsere Abenteurer in einem waschechten Dungeon und müssen dort den Bösewicht konfrontieren und die beschauliche heile Welt vor dem Finsterling bewahren. Soweit so gut.
Die Schlichtheit der Kernidee sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen Elemente durchaus liebevoll und innovativ umgesetzt werden. An unterschiedlichen Stellen im Dorf können die Helden Hinweise auf die verschwundenen Personen finden. Das Schlachtfeld muss als Bestandteil des Mysteriums identifiziert und das namensgebende Grabmal gefunden werden. Schließlich müssen einige Grabräuber überwunden und ein Eingang zur unterirdischen Anlage entdeckt werden. Der dort angelegte Dungeon ist in seiner Schlichtheit sehr überzeugend und plausibel. Soweit weiß Wieser hier überzeugend zu inszenieren.
Irgendwann packt ihn dann aber doch der Erzähler. Der Plot verlangt nun eine Gefangennahme der Helden, damit diese dann Zeuge eines spektakulär scheiternden Zauberrituals werden. Natürlich lässt sich nicht verhehlen, dass die berühmte Handlungsfreiheit hier auf der sprichwörtlichen Schiene zurückbleibt. Dennoch werden die Dinge hier einigermaßen geschickt eingefädelt, so dass die Frustration der Einsteiger-Helden-Führer sich hoffentlich in Grenzen hält. Ungewöhnlich ist in der Tat, dass es dieses Mal nicht darum geht, das Ritual zu verhindern, sondern vielmehr die Konsequenzen zu überleben und wieder in Ordnung zu bringen. Auch hier bedient sich Wieser natürlich wieder bei Tropes der klassischen Literatur. Dr. Frankenstein und sein Monster lassen grüßen.
Zum Ende hin öffnet sich das Szenario scheinbar wieder. Etwas bedauerlich bleibt der Umstand, dass die Lösung des Problems doch etwas zugespitzt wird und hier trotz gegenteiliger Beteuerung des Autors nur ein Weg nach Draußen führt. Das bringt mich dann auch zur Umsetzung aus heutiger Sicht.
Willst du ein rechter Schurke sein
Die Inszenierung des Ortes Brig-Lo ist aus meiner Sicht auch heute noch in dieser Form spielbar. Die Helden kommen dem Geheimnis der verschwundenen Personen schrittweise auf die Spur ohne direkt danach zu suchen. Je nachdem mit welchen Spielern ich es zu tun habe, würde ich hier noch eine vordergründige Aufgabe für die Helden implementieren, damit die Entdeckung der Entführungen sich noch etwas mehr aus der Deckung heraus winden muss. Ob es womöglich gelingt, den späteren Auftritt Irschans vorzubereiten und Hinweise auf seine Herkunft und sein Wirken zu streuen hängt von den Umständen und der Vorgeschichte der Helden ab.
Das Schlachtfeld selbst kann durchaus noch etwas Inszenierung vertragen. Die Helden dürfen sehr wohl lernen, dass man Gespenstergeschichten in einer Fantasy-Welt nicht so leicht abtun sollte. Das Entdecken des passenden Grabmals sollte sich zumindest etwas wie ein heldenhafter Erfolg und nicht nur wie eine mühsame Fleißarbeit anfühlen. Mein nostalgisches Herz schmilzt natürlich dahin, wenn ich die handgezeichneten Karten des gar zu früh verblichenen Ralf Hlawatsch sehe. Heutige Nutzer mögen hier Stil und fehlende Farbe kritisieren und vielleicht noch einmal Hand anlegen.
Die Grabanlage selbst liefert einen guten Start und auch das Gangsystem selbst ist nicht zu verachten. Für sehr unglücklich halte ich es hingegen, dass die Schilfmatten, welche den Geheimgang verdecken nicht auf dem Plan eingezeichnet sind. Wer die Beschreibungen an dieser Stelle nicht sehr genau liest, kann die Helden hier leicht direkt in Irschans Versteck führen. Das hätte man aus meiner Sicht in einer remastered Fassung durchaus korrigieren können. Aus meiner Sicht sollte Irschan seine Anlage durchaus noch mit ein paar magischen Vorrichtungen verstärken können. Zum einen scheint ein Scheitern der Helden so plausibler. Zum anderen mag es später umso überraschender erscheinen, wenn der mutmaßlich so kompetente Irschan bei seinem Ritual scheitert.
Auch bei der späteren Durchführung des Rituals sollten die Helden eine Möglichkeit erhalten Einfluss zu nehmen. Womöglich kann es auf diesem Weg sogar gelingen, dass die Helden die eigentliche Ursache für Irschans Scheitern sind. Eine weitere Gelegenheit für ein heldenhaftes Erfolgserlebnis.
Die Flucht aus dem Grabmal schließlich sollte sorgsam auf Dynamik und Optionen geprüft werden. Nicht zu vergessen ist dabei die Mumie der Leonore vom Berg, die ebenfalls über die erforderlichen Kräfte verfügen könnte, das Tor zu öffnen. Interessant wäre es auch in diesem Zusammenhang über eine Erweiterung des Aktionsradius nachzudenken. Die Eingrenzung der finalen Action auf einen allzu engen Raum mag der Inszenierung unterhaltsamer Lösungen hinderlich sein. Auch sollte es eine Vorstellung davon geben, was eigentlich nach dem Entkommen mit dem Homunkulus passiert. Flieht das Geschöpf in die Nacht und schlägt sich fortan allein durch die Lande? Erreicht der tobende Golem das Dorf und will die Siedlung dem Erdboden gleich machen? Ist eine Kommunikation mit der Kreatur möglich? Lebt der verstümmelte Troll eigentlich noch?
Im Licht des Tages
Fast ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen lässt sich Das Grabmal von Brig-Lo immer noch im Sinne des Autors verwenden, um Helden in die Welt des Schwarzen Auges zu führen. Ein zeitlicher Transfer sollte dabei kein Problem darstellen. Eventuell lohnt es sich, Die Seelen der Magier in die Kampagne mit aufzunehmen. Das Finale bedarf eventuell einiger Überlegungen, um es soweit anzupassen, dass es der eigenen Gruppe eine gelungene Inszenierung bietet. In jedem Fall sollte der Plan der Anlage sorgsam studiert werden, um bei der Verhehlung des Geheimgangs keinen Stoppfehler zu machen.
Bestes Abenteuer! Ich liebs!
Hi!
Die remasterten Abenteuer erscheinen nicht nur als PDF, sondern auch gedruckt. Man kann also „Das Grabmal von Brig-Lo“ aktuell auch als gedrucktes Abenteuer in der damals üblichen Klammerheftung kaufen. Es kostet wir die anderen remasterten Druckausgaben (soweit ich es überblicke) 12,95 €.
Für Metaplot-Nerds sei an dieser Stelle noch die doppelte Verwendung des Magiers Irschan erwähnt. Der Borbaradianerfiesling, der sein Debut in „Seelen der Magie“ feiert wurde nämlich unwissentlich voneinader von zwei Autoren weitergeschrieben und entwickelte sich in jeweils verschiedene Richtungen. Im „Grabmal“ taucht er als „Irschan Chasmir“ als weiterhin erzfieser Schwarzmagier auf, der sein Ende findet.
Als „Irschan Perval“ verliebt er sich in Amir Honak, den späteren Patriarchen von Al’Anfa, bricht mit dessen Hilfe seinen Pakt und wird als Großexecutor zum zentralen ambivalenten NPC einer ganzen Generation Al’Anfa-Publikationen, der erst in „Rabenblut“ seinen letzten Auftritt hat.