Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft: Ein Terroranschlag hat zu einer verschärften Gesetzgebung geführt. Lokale Speichermedien, die sogenannten Schwarzspeicher, sind verboten. Stattdessen muss jeder Bürger seine elektronischen Aktivitäten online, und damit für die Behörden jederzeit nachvollziehbar und überprüfbar, erledigen.
Martin Effenberger, der sich selbst Meph nennt, gerät durch einen Zufall ins Visier der Behörden … und muss erfahren, dass jene Gesetze welche die Bürger vor Terror schützen sollen, keine Rücksicht auf den Einzelnen nehmen. Und so geht es schon bald nicht mehr nur seine Unschuld sondern auch um sein Überleben …
Was passiert, wenn man sich in Zeiten von 9/11, dem chinesischen “Großen Schild“ und Facebook & Co. mit dem Thema Datenschutz beschäftigt und daraus einen Roman macht?
Man setzt sich als Autor einer großen Gefahr aus, denn fast jeder potentielle Leser hat zumindest ein gewisses Halbwissen über die Folgen von Terroranschlägen, über soziale Netzwerke oder staatliche Überwachungsmethoden. Will man seine Geschichte glaubhaft präsentieren, so sollte man mehr als Halbwissen über die aktuellen technischen Möglichkeiten des Internets haben. Zudem sollte man in der Lage sein, seine Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger zu erzählen.
Tobias Radloff hat diese schwierige Herausforderung bestanden. Auch wenn seine kritische Grundhaltung zum Thema Überwachungsstaat natürlich nicht zu überlesen ist, schafft er es trotzdem, einen relativ objektiven Ton zu finden.
Dies gelingt ihm vor allem durch seine Charaktere. Der Autor schafft es, seinen Figuren eine Motivation zu geben, einen Grund, warum sie sind, wie sie sind und tun, was sie tun. Dabei machen fast all seine Charaktere eine Entwicklung durch.
Das müssen sie auch, denn Tobias Radloff zieht einigen von ihnen buchstäblich die Basis ihres bisherigen Lebens unter den Füßen weg und schickt sie auf einen Weg, auf dem es kein Zurück gibt. Dies geschieht durch seine geschickt konstruierte Geschichte. Auch wenn man am Anfang den Eindruck hat, einer x-beliebigen Anklage gegen den Überwachungsstaat zuzuschauen, entwickelt sich die Handlung zu einem spannenden, komplexen, aber durchaus gut verständlichen Thriller. Der Autor spielt hier wunderbar mit dem, was ein “normaler“ Deutscher in den letzten 10 Jahren aus den verschiedensten Teilen der Welt über Terror und Maßnahmen dagegen gelernt hat. Dabei gelingt es ihm, eine glaubhafte Kombination von existierenden Zuständen (z.B. in China, den USA oder Großbritannien) und dem, was Technik eigentlich heute schon kann, zu generieren. Die Welt, die Tobias Radloff hier entworfen hat, ist der unseren sehr nah (und deshalb auch so glaubhaft und gut nachvollziehbar), und gleichzeitig noch weit weg – hoffentlich.
Besonders gelungen sind die Dispute, die der Autor immer wieder in seine Handlung einbaut. Hier lässt er Argumente für und wider gegeneinander antreten. Ist die Sicherheit eines Landes es wert, deshalb die Freiheit des Einzelnen massiv einzuschränken? Darf ein Staat soweit gehen, seine Bürger zu schützen, indem er sie fast komplett überwacht? Oder ist die Freiheit des Einzelnen so viel wert, dass die Gesellschaft es hinnehmen muss, dass deswegen auch Terroranschläge evtl. nicht verhindert werden können? Tobias Radloff versucht, hier ausgewogen zu argumentieren und schafft das recht gut.
Je nach Zielgruppe hat das Buch aber evtl. ein kleines Manko. Der Autor, auf dessen Konto ja einige DSA-Publikationen gehen, hat auch in diesem Buch nicht auf das Thema Rollenspiel verzichtet. Es ist sogar ein recht zentraler Bestandteil seiner Handlung, da sein Protagonist Rollenspieler ist und Erfahrungen aus dem Rollenspiel in seine realen Entscheidungen einfliessen. Dies schliesst wahrscheinlich einige Leser aus, die allein aus der Handlung nicht entnehmen können, worum es beim Rollenspiel eigentlich geht. Denn wo noch jeder potentielle Leser mit den Themen Datenschutz und Überwachung etwas anfangen kann, wird dies beim Rollenspiel nicht mehr der Fall sein. Rollenspielern hingegen dürfte gerade dieser Aspekt des Buches sehr gefallen.
Alles in allem ist “Schwarzspeicher“ ein sehr lesenswertes Buch mit aktuellem Bezug. Wer sich schon einmal Gedanken darüber gemacht hat, was alles so mit seinen Daten passieren kann, sollte den Roman unbedingt einmal lesen. Wer sich noch keine Gedanken darüber gemacht hat, sollte ihn noch dringender lesen!
7 von 9 Rentieren schauen sich derweil misstrauisch nach KGIA-Agenten um.
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