Nachrichter, Tagrichter, Scharfrichter: Mit der Phexens Diener-Trilogie hat Dorothea Bergermann drei Romane geschrieben, die Diener der Phexkirche in den Mittelpunkt stellen. Im gerade erschienenen letzten Teil der Reihe findet die Geschichte um Adara und Faisal ihr Ende – höchste Zeit, um die Autorin noch einmal zum Interview zu bitten.
Nachdem uns Dorothea schon einmal ganz allgemein von ihrem Leben und Schreiben berichtete, haben wir uns in diesem Interview auf die Romantrilogie konzentriert. Achtung: Alle, die die Romane noch nicht kennen, seien vor Spoilern für die ersten beiden Bände gewarnt.
Nandurion: Kannst du dich noch an den Moment erinnern, in dem die Romanreihe in deinem Kopf ihren Anfang fand? Was war die erste Idee, auf die sich der Rest dann gegründet hat?
Dorothea Bergermann: Die erste Idee für die Phexens Diener-Romane hatte ich auf einer langen und langweiligen Autofahrt quer durch Deutschland. Mein Mann saß am Lenkrad, und ich spann eine Geschichte aus, in der ein Paktierer einer genervten Phexgeweihten eine größere Menge Blutbeflecktes Gold andrehte, woraufhin sie ohnmächtig auf der Straße zusammenbrach. Das wurde, mehrfach umgewandelt, das einleitende Motiv im Nachtrichter.
Nandurion: Wie würdest du jemandem in drei Sätzen beschreiben, worum es in deiner Trilogie geht?
Dorothea Bergermann: Aventurien, zwischen der dritten Dämonenschlacht und der Schlacht in den Wolken: Die Phexgeweihte Adara und ihre Begleiter Faisal und Ragnar kommen einem dämonischen Rauschgift auf die Spur, mit dem skrupellose Paktierer jeden, auch Geweihte, töten oder sich gefügig machen können. Sie verfolgen Anwender und Händler über den halben Kontinent und machen die verderbten Alchemisten dingfest, die das Rauschgift herstellen. Doch diese Heldentaten kosten mehr, als sie ursprünglich gedacht haben.
Nandurion: Alle drei Romancover zeigen deine beiden Protagonisten Adara und Faisal. Welches der drei Bilder magst du am liebsten?
Das ist schwierig. Das Cover des Nachtrichters ziert meine allererste professionelle Veröffentlichung und hat damit einen ganz besonderen Stellenwert. Dem Scharfrichter hat Luisa Preißler sehr viel Action mitgegeben, aber ich habe das Bild leider noch nicht gedruckt gesehen. Mein Liebling ist das Tagrichter-Cover. Die vielen Farben, Adara mit der Unterarmkrücke und Faisals Kleider sind einfach unübertroffen. Auch wenn Adaras Haare viel zu lang sind. Die würde sie eher heute als morgen abschneiden.
Nandurion: Wie gehst du vor, wenn du schreibst: einfach drauflos, alles vorher durchplotten oder irgendwas dazwischen?
Dorothea Bergermann: Ich schreibe kontrolliert chaotisch. Meine ersten Plotskizzen sind Textbilder, die irgendwo zwischen Mindmap, Flowchart und Schaltdiagramm liegen. Das Ganze sieht in etwa so aus wie das Bild links. Das stammt aus einer frühen Planungsphase zum Tagrichter.
Ist meine Skizze halbwegs vollständig, überführe ich den Schaltkreis in normale Textform und mache daraus ein Exposé für den Verlag. Werden wir handelseinig, expandiere ich den Schrieb und presse alle Handlungsstränge in ein 5-Akt-Schema. Dabei nehme ich eine Zeile pro Charakter, damit ich keine tragenden Elemente vergesse. Bei dieser Tätigkeit fallen mir meist die gröbsten Logikbrüche und Handlungsschwächen auf.
Danach drucke ich die Tabelle aus, lege sie unter meine Tastatur und beachte sie nicht mehr. Erst wenn ich mich verrannt habe, oder spätestens bei der ersten Überarbeitung kommt das gute Stück dann wieder zum Einsatz.
Nach der ganzen Planungsarbeit schreibe ich mich konsekutiv durch die Geschichte durch. Es kommt nur selten vor, dass ich eine weiter hinten liegende Szene vor den dahin führenden Szenen formuliere.
Nandurion: Lief beim Schreiben alles so, wie du es vorher geplant hattest? Wie sehr unterscheiden sich die fertigen Bücher von den ersten Entwürfen, die du gemacht hast?
Dorothea Bergermann: Den Nachtrichter habe ich am Reißbrett entworfen, und er wurde ein bisschen anders als geplant. Der Tagrichter ist entgegen aller Planung gewachsen, wie er wollte, und konnte nur durch extremes Auslichten zwischen zwei Buchdeckel geklemmt werden.
Beim Scharfrichter schließlich musste ich feststellen, dass eine genaue Handlungsplanung nur hilft, wenn man sich daran hält. Die laufend wechselnden Schauplätze haben mir ein Bein gestellt: Ich musste regelmäßig die Umgebung und alle Nebenpersonen austauschen. Dabei war es mir wichtig, ein lebendiges Bild der Orte zu zeichnen und die Leute dort mit Gründen für ihr Handeln auszustatten. Das verschlingt sehr viel Zeit und noch mehr Platz im Roman, der dann für die Haupthandlung fehlt. Ich weiß jetzt, weshalb Karl May in seinen Reiseromanen nur mit Archetypen gearbeitet hat: Es beschleunigt die Handlung.
Nandurion: Wie gehst du vor, wenn du dir Charaktere ausdenkst? Wie viel Einfluss von dir selbst oder von Leuten aus deinem Leben steckt da drin?
Dorothea Bergermann: Ich bilde keine realen Personen ab. In dieser Hinsicht habe ich eine ausgeprägte Beißhemmung.
Bei Charakternamen dagegen schränke ich mich nicht so ein: Ragnar ist nach einem Assamitenkrieger meines Mannes (aus Vampire: The Dark Ages), Faisal völlig unverschämt nach dem arabischen König Faisal bin Abdulaziz Al Saud benannt, und Phejanca Wirt trägt den Namen der vierjährigen Pflegetochter eines meiner DSA-Charaktere.
Das Grundgerüst für Romancharaktere erstelle ich meist anhand der Vampire: The Masquerade – Regelung mit innerem Archetyp und nach außen getragenem Verhalten. Je weiter Archetyp und Verhalten auseinandergehen, desto mehr Potenzial für Konflikte hat der Charakter.
Adara zum Beispiel ist von ihrer inneren Natur her Fanatiker. Ihr Gott löst jedes Problem, und ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, ihm zu dienen. Dieser Tatsache ordnet sie alles, auch persönliche Beziehungen und ihr eigenes Glück, unter. Nach außen hin verhält sie sich wie ein Lehrer. Zugegeben, es ist eine sehr priesterliche Kombination, doch Adaras abgeleitete Eigenschaften entwickeln sich ganz natürlich aus dieser Grundkonstellation.
Nandurion: Das finde ich eine interessante Herangehensweise. Als DSA-Charakter mit Vor- und Nachteilen hast du die Figuren aber nicht nachgebaut, oder?
Dorothea Bergermann: Ich kenne mich in der DSA-Charaktergenerierung nicht mehr aus und lasse lieber die Finger davon. Mir fehlt der Überblick über die regeltechnischen Vor- und Nachteile, wie sie heißen und wie sie sich spieltechnisch auswirken.
Meine DSA-Runde zieht mich deshalb regelmäßig auf, aber was ich nicht mit der Heldensoftware unter Auslassung der Vor- und Nachteilslisten zusammenklicken kann, das spiele ich nicht. Wenn ich bestimmte Eigenschaften (das meine ich jetzt nicht im regeltechnischen Zusammenhang) für den Charakter brauche, dann spiele ich sie aus. Die ganzen anhängenden Modifikatoren vergesse ich sowieso spätestens nach einer Stunde und würfle treudoof auf die Basiswerte.
Nachdem ich das gesagt habe, muss ich noch mal zurückrudern. Adara hat einen sehr charakteristischen Nachteil. Er steht als solcher nur nicht im Grundregelwerk, sondern als Dämoneneigenschaft im Wege der Zauberei, verschämt in einem kleinen grauen Kästchen versteckt. Das Phänomen nennt sich »Empfindlichkeit gegen göttliches Wirken« und ist in verschiedenen Ausbaustufen zu haben. An anderer Stelle und in einem anderen Kästchen steht, dass Geweihte und gehörnte Dämonen regeltechnisch gleich behandelt werden. Auf Basis dieser Regelungen habe ich das »Göttlich« aus der Beschreibung durch »Dämonisch« ersetzt und Adara entsprechend ausgestattet. Sie ist überempfindlich gegen dämonische Einflüsse. Damit ist sie eine Frau, die sich tunlichst außer Reichweite von Dämonen und Unheiligtümern aufhalten sollte. Da sie aber eine gewisse fanatische Neigung hat, tut sie das genaue Gegenteil.
Nandurion: Hast du eigentlich einen Lieblingscharakter in der Trilogie?
Dorothea Bergermann: Das ist schwierig. Spontan würde ich den Magier Faisal Ibn Ahmed anführen, auch wenn er beim Schreiben sehr anstrengend ist. Die verschwurbelten Sätze, die Adjektivgräber seiner Sprache und das gewisse Etwas an Arroganz stellen hohe Ansprüche. Nicht zuletzt, weil ich mich bemühe, seine ausgefeilten Komplimente und Beleidigungen innerhalb eines Buchs nicht zu wiederholen.
Von der Charakterentwicklung her mag ich Ragnar Björnesson und Jana Bauer, die ehemalige Hure, die Phejanca gegen Ende des Tagrichters in ihr Haus holt, am liebsten. Sie gehen den weitesten Weg. Phejanca Wirt ist ein Charakter, den ich irgendwann selbst spielen möchte. Leider krankt sie daran, dass sie der Scholle und ihrer Familie sehr verbunden ist, deshalb wenig reist und kaum traditionelle Abenteuer erleben kann. Wie schon an anderer Stelle gesagt wurde: Vogtvikare reisen nicht. Sie schicken andere Leute los, um den Kopf hinzuhalten.
Zuletzt wäre da noch Adara. Es hat Spaß gemacht, ihr diese Geschichte auf den Leib zu schneidern. Sie ist eine interessante Person. Aber wenn sie bei mir zu Gast wäre, würde ich ihr nach ein paar Tagen nahelegen müssen, sich ein Hotelzimmer zu suchen. Wir sind nicht kompatibel.
Nandurion: Eine Kritik, die ich mehrfach in Bezug auf die Bücher gelesen habe, ist, dass Adaras Fähigkeiten zu stark und zu vielfältig sind. Was sagst du dazu?
Dorothea Bergermann: Ich war jung, dumm und brauchte die AP? Ernsthafter, mir fehlte es am Anfang wirklich an Erfahrung. Mir war nicht bewusst, wie sehr ein paar positive Eigenschaften alles überstrahlen können. Einige Schwächen, die ich Adara mitgegeben habe, wurden von vielen DSA-Lesern nicht erkannt – Leute, die mit DSA keine engere Verbindung pflegen, sehen sie deutlicher. Das liegt zum einen daran, dass ich Adaras Charaktereigenschaften im Nachtrichter nicht stark genug gezeichnet habe. Zum anderen ist in den Augen der DSA-versierten Leser Fanatismus für eine Geweihte keine Sünde. Genauso scheint ihr Hang zum Übererfüllen ihrer (selbst angeeigneten) Pflichten kaum negativ gewertet worden zu sein.
Zum Dritten gehen sowohl Adara als auch Faisal auf die Vierzig zu. Sie sind keine unerfahrenen Anfänger, sondern Veteranen der Borbaradkrise mit reichlich Lebenserfahrung. Sie haben die Schwarzen Lande eingehend bereist, um den Dämonenanbetern auf ihre Art und Weise das Leben schwer zu machen. Ich habe versucht, die Vorgeschichte aus zwei Dutzend Jahren Phexensdienst anzudeuten.
Nandurion: Das fand ich beim Lesen übrigens sehr ungewöhnlich: Dass Adara und Faisal so oft Bezug auf ihre gemeinsamen Abenteuer nehmen, die sie vor Beginn der Trilogie erlebt haben. Ich hatte am Anfang fast das Gefühl, dass ich es versäumt habe, einen Vorgängerband zu lesen. Wird man denn im dritten Band noch genauer erfahren, wie die beiden eigentlich dazu gekommen sind, zusammen durch Aventurien zu ziehen?
Dorothea Bergermann: Jain – DSA-Romane umfassen maximal 600.000 Zeichen. Das ist eine gute Romanlänge. Die Handlung und alle Vorgeschichten unterzubringen, gestaltet sich dennoch schwierig. Im Scharfrichter gibt es neue Einblicke in die Vergangenheit von Adara und Faisal – unter anderem, weshalb die beiden nicht gut auf die Bannstrahler zu sprechen sind. Alles konnte ich aber nicht ausbreiten.
Zugegeben, hinter Adara und Faisal stehen einige Kurzgeschichten, die ich nie veröffentlicht habe. Ich werde sie auch nie unters Volk bringen, weil sie zu dilettantisch geschrieben sind und ich mich um meinen guten Ruf sorge. Einen reichen Charakterhintergrund haben sie mir dennoch beschert, und ich habe ihn natürlich weidlich ausgenutzt.
Nandurion: Ich persönlich fand ja die kleine Lovestory im Tagrichter zwischen Ragnar und Isida ganz entzückend und war traurig, dass sie am Ende so relativ schnell vorbei war. Gibt es dafür Gründe? Sollte sie dem Showdown nicht im Weg stehen?
Dorothea Bergermann: Diesen Teil der Geschichte habe ich absichtlich offen gehalten. Sowohl Ragnar der Phexnovize als auch die Praiosnovizin Isida suchen ihren eigenen Weg; ihre Lehrherren räumen ihnen dafür Platz ein, ohne sich einzumischen. Was die jungen Leute daraus machen, ist ihre Sache – sofern sie darauf achten, keine unversorgten Kinder in die Welt zu setzen.
Darüber hinaus war der Tagrichter kurz vor Abgabetermin etwa 200.000 Zeichen zu lang – ich musste ihn um ein Viertel kürzen. Die Liste der herausgenommenen Szenen enthält auch einiges aus dieser Romanze. Leider hatte ich auch im Scharfrichter keinen Platz mehr, die Beziehung weiter auszuspinnen. Geplant waren ein paar Briefwechsel, die aber beim besten Willen nicht mehr in den Band gepasst haben. Gemeinhin gehe ich davon aus, dass Ragnar seine Wanderjahre dazu nutzt, um wieder nach Elenvina zurückzukehren und die Beziehung mit Isida wieder aufzunehmen ähm, ich meine natürlich, um sich bei Hochwürden Phejanca nützlich zu machen.
Nandurion: Um welche Szene, die du aus Platzgründen (oder anderen Gründen) rauswerfen musstest, tut es dir am meisten leid?
Dorothea Bergermann: Meine Lieblingsszene im Tagrichter war ein kleines »Dämonenaustreibungstrainig«, das Faisal auf Wunsch Phejancas für ihre Novizen und Akoluthen abhalten sollte. Nach der Nachtandacht ruft Faisal seine Studenten zusammen. Er doziert lang und breit über Gefahren und Möglichkeiten des Dämoneneinsatzes. Gerade als er den Beschwörungskreis auf den Boden malt, entdeckt Ragnar den Praiosnovizen Rhys im Gebälk der Lagerhalle und versucht, ihn abzufangen, bevor er sie alle an den Bannstrahler Aureolus verpetzt. Aureolus wartet zu dem Zeitpunkt nur darauf, dass die Phexis einen Fehltritt machen. Es kommt zu der Verfolgungsszene, in der Ragnar und Rhys sich in frommer gegenseitiger Abneigung in den Großen Fluss stürzen.
Die Szene sollte Faisals zwiespältigen Stand als Schwarzmagier aus Fasar und Phexakoluth der Nachborbaradzeit beleuchten. Trotz seiner Berufung steht er Dämonen sachorientiert gegenüber: Ihr Einsatz ist riskant, aber unter bestimmten Umständen rechtfertigt das zu erwartende Ergebnis die Gefahr. Darüber hinaus war die Szene Teil des Praiosnovizen-Plots, mit dem ich Rhys in Phejancas einladend geöffnete Arme treiben wollte. Rhys zeigt nur bedingt Eignung für den Dienst an Praios. Die Phexensdiener beobachten ihn deshalb sehr interessiert.
Nachdem ich gut ein Viertel des Romans einkürzen musste, flogen neben vielen Adara-und-Faisal-Szenen auch fast alle Zusammenstöße zwischen Rhys und Ragnar heraus. Rückblickend hätte ich im Sinne des Gleichgewichts die Seminarhandlung stärker kürzen und dafür mehr Adara und Faisal beibehalten sollen. In der gedruckten Fassung sind die designierten Hauptpersonen zu untätig, obwohl sie das eigentlich nicht sind. Aber auch das läuft unter der Überschrift »Leben und Lernen«.
Nandurion: Scharfrichter, der letzte Teil der Reihe, erscheint bald. Stand von Anfang an fest, welcher Teil der Handlung sich über alle drei Bücher ziehen wird?
Dorothea Bergermann: Die oronischen Traumsteine und ihre Herstellung waren von Anfang an Teil der übergreifenden Romanhandlung. Nur die genauen Modalitäten – wie werden die Traumsteine gehandelt und verschifft, wie sehen die grausigen Details ihrer Herstellung aus, welche Motivation hat der Hauptbösewicht – wandelten sich mehrfach und gewannen gleichzeitig immer mehr an Detailschärfe.
Gleichzeitig war auch die persönliche Entwicklung Ragnars, Faisals und Adaras von vorneherein geplant, genauso wie das genaue Ende des Scharfrichters mit allen Nebenwirkungen. Es tut mir natürlich für die Rezensenten leid, die bei den Besprechungen zum Nachtrichter lobend erwähnten, dass Adara und Faisal wirklich nur gute Freunde wären. Das war die Ausgangskonstellation.
Nandurion: Zugegeben, es ist jetzt schon eine Weile her, dass ich Tagrichter gelesen habe – so richtig angebandelt haben die beiden aber doch nicht, oder?
Dorothea Bergermann: Im Nachtrichter fiel einigen findigen Lesern auf, dass Faisal Adara sehr gern hat, sich aber nicht wirklich an sie herantraut. Im Tagrichter wird Faisal, nicht zuletzt durch seinen sozialen Aufstieg unter den Phexensdienern, etwas offensichtlicher. Nur Adara bemerkt davon nichts. Den Ereignissen im Scharfrichter möchte ich natürlich nicht vorgreifen.
Nandurion: Kannst du uns denn trotzdem schon mal einen kleinen Ausblick auf Scharfrichter geben?
Dorothea Bergermann: Der Scharfrichter schließt die Geschichte um die Traumsteine und Adara, Faisal und Ragnar ab. Diverse Handel werden geschlossen, erfüllt und gebrochen, Geheimnisse gelüftet und Intrigen gesponnen und zerlegt. An Schauplätzen gibt es einen Bilderbogen vom großen und rechtgläubigen Elenvina bis hin zu einem spirituell orientierungslosen Kaff im hinteren Nirgendwo. Und natürlich Tempel von Praios über Phex bis Rahja.
Nandurion: Die Phexens Diener-Trilogie spielt in einer städtischen Umgebung, was logischerweise eine Vielzahl an Institutionen und Personen mit in die Geschichte hineinbringt. Ist es nicht schwierig, immer zu berücksichtigen, wer jetzt vielleicht noch involviert werden müsste?
Dorothea Bergermann: Es war und ist schwierig, aventurische Städte mit all ihren Einrichtungen gut darzustellen. Ich bin sicher, mir sind bei aller Sorgfalt ein paar Details durch die Lappen gegangen. Mit den Menschen, die diese Städte bevölkern, ist es sogar noch schwieriger.
Lang ist es her, da hatte ich mich in einen offiziellen Charakter verliebt, den ich unbedingt in den Romanen haben wollte. Nur ergab die Recherche, dass er sich zu dem Zeitpunkt, zu dem ich ihn vor Ort in Elenvina brauchte, irgendwo in Hinterpusemuckelhausen am Rande der Welt unterwegs war. Erst hat mich das geärgert, danach habe ich einen eigenen Charakter für die Rolle erfunden und war später sehr glücklich über die Freiheiten, die mir das bescherte. Gleichzeitig wurde Elenvina ohne mein vorheriges Wissen für den Magierakademienband überarbeitet. Damit musste ich nachträglich viel im Tagrichter anpassen.
Städte haben mit ihren vielen Einwohnern ein riesiges Potenzial zum Geschichtenerzählen. Man kann mit einer kurzen Erwähnung die Protagonisten mit den Stadtoberen zusammenrasseln lassen oder ihnen völlig logisch Unterstützung aus unverhoffter Quelle zuschanzen. Für Gesellschaftscharaktere wie Phexgeweihte, die sehr menschenorientiert agieren, ist das ideal. Ein Phexensdiener im Wald, ohne konkrete Aufgabe und ohne Mitreisende, an denen er seine Zunge wetzen kann? Das ist langweilig.
Nandurion: Anders herum gefragt: Könntest du dir auch vorstellen, einen Roman in der Wildnis anzusiedeln, ohne dass die Protagonisten auf viele andere Menschen treffen?
Dorothea Bergermann: Ich habe schon damit geliebäugelt, eine Geschichte mit überschaubarer Besetzung zu schreiben. Eine Seefahrtsgeschichte mit zwei Brüdern in den Hauptrollen: Kapitän und Erster Offizier. Mit einer Mannschaft von acht bis zehn Leuten – völlig ausreichend für einen unbewaffneten Schoner auf Handelsfahrt – gibt das ein ganz anderes Konfliktpotenzial her als eine große Stadt. Vor allem hat man in solch begrenzter Umgebung die Möglichkeit, jeden Charakter voll auszuarbeiten. Bei Besetzungen mit dem berühmten »Cast of Thousand« muss man gezwungenermaßen auf Archetypen zurückgreifen, um die Geschichte nicht zu überladen.
Nandurion: Wie stehst du zum Thema Charaktertod?
Dorothea Bergermann: Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich. Erich Kästner hat da ein wahres Wort gesprochen.
Aber genauso geht es mir gegen den Strich, Charaktere grundlos über die Klinge springen zu lassen. Was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, ist die Mode in der »Military Fiction«, einen Charakter und seinen Lebenswandel nur einzuführen, um ihn dann fünfzigtausend Zeichen weiter mit den Worten »Dann schlug der Torpedo ein und dieser Charakter und alle fünfhundert anderen Nasen an Bord dieses Kriegsschiffes waren tot« abzuservieren. Sie bekommen noch nicht einmal ein »ertranken jämmerlich« mitgegeben, sondern ändern nur wie ein Schaltkreis ihren Zustand. Das ist mir zu unpersönlich. Ein Tod ist ein einschneidendes Ereignis und verdient entsprechend Beachtung.
Nandurion: Hast du beim Schreiben manchmal Phasen, in denen du nicht weiter weißt, und wenn ja, was machst du dann?
Dorothea Bergermann: Jeder Schreiber kommt mal an einen Punkt, an dem es hakt. Ich trinke zu solchen Gelegenheiten einen Liter Saftschorle zum Abregen und beiße anschließend vor Frust in meinen Schreibtisch. Wenn das nicht hilft, mache ich einen langen Spaziergang, und danach schiebe ich einen Handarbeitstag am Webstuhl ein. Körperliche Betätigung tut Wunder für Schreibblockaden.
Reichen die eineinhalb Tage Pause nicht, so geht es ernsthaft an die Arbeit: Ich analysiere den Plot, wo er hinführt, und was genau ich geschrieben habe. Meist finde ich eine Stelle, an der der Plot etwas von den Charakteren verlangt, das sie auf keinen Fall tun würden. An diesem Punkt setze ich an und ändere entweder den Plot oder die Umstände, bis es passt. Habe ich die richtigen Entscheidungen getroffen, so flutscht es wieder in gewohnter Frische.
Nandurion: Die Darstellung der Phexkirche in den Romanen wurde von vielen Seiten gelobt. Hast du diesbezüglich auch noch weitergehende Ambitionen, z. B. eine Mitwirkung am geplanten Phex-Vademecum?
Dorothea Bergermann: Leider musste ich die Mitarbeit am Phex-Vademecum aus persönlichen Gründen ablehnen. Ich habe drei Romane lang meine Ansichten zu Phexgeweihten, Akoluthen und Novizen, dem Tempelleben, Phexmystik, Visionen, Ritualen, Deckenmalereien und Meditationen dargelegt. Für die Pforten nach Alveran habe ich zwei offiziellen Tempeln meinen eigenen Stempel aufgedrückt.
Langsam fühlt es sich an, als hielte ich das Monopol auf den Fuchsgott. Fünf Jahre lang die heilige Dorothea-Interpretation zu Phex, dem Leben und dem ganzen Rest auszubreiten, ist mehr als genug. Es ist Zeit für etwas Neues, andere Blickwinkel und frische Stimmen. Schließlich möchte ich auch etwas über die Phexgeweihten lesen, das ich nicht in allen fünfhundert Schreib- und Bearbeitungsversionen kenne.
Das heißt nicht, dass ich mich nicht mehr an DSA beteiligen will. Ich habe nur vor, mir mal etwas anderes als mystische Fanatiker und Gotteshäuser, die sich nach dem Vorbild der japanischen Shinto-Tempel unterhalten und finanzieren, herauszusuchen.
Nandurion: Das ist gut zu hören. Hast du denn schon einen neuen Aventurienroman in Planung?
Dorothea Bergermann: Für DSA habe ich so kurz nach dem Scharfrichter nichts in Arbeit, das kann sich aber noch ändern. Gegenwärtig habe ich einen bürokratiegetränkten Zeitreiseroman am Wickel und eine tragisch-schöne Liebesschnulze in der Planung. Nur suchen beide Projekte noch einen Verlag, zu einer Zeit, in der weder Fantasy noch Science Fiction groß nachgefragt werden. Aber das ist nichts Neues.
Nandurion: Wir wünschen auf jeden Fall viel Erfolg mit deinen weiteren Projekten und bedanken uns vielmals für das Interview!
Das Interview führte: Curima
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Danke für das Interview… 🙂 freue mich jetzt schon auf den 3. Band… aber in Buchform 😉
„Nachtrichter“ und „Tagrichter“ gehören für mich definitiv zu den Highlights unter den DSA-Romanen der letzten Jahre, vor allem die liebevoll ausgearbeiteten Charaktere haben es mir sehr angetan (gerade weil sie auch glaubhafte Schwächen haben, von denen ich gar nicht mal finde, daß sie deutlich zu kurz kamen). Schade um die ganzen Kürzungen, wegen mir hätten die Bücher auch gerne je 100 Seiten oder so länger sein dürfen – gerade bei „Tagrichter“ hatte ich das Gefühl, daß ein größerer Umfang die Story noch besser gemacht hätte.
Leider gab und gibt es ein festes Limit, wie viele Seiten die Bindemaschinen beim Buchdrucken packen. Tagrichter war so schon eng gesetzt und hart gebunden – mit gut hundert Seiten mehr haette FanPro den Band teilen muessen, und das war dramaturgisch nicht drin. Alternativ haette der Waelzer ordentlich mehr kosten muessen. Das ging aber bei der sehr preisbewussten Kundschaft auch nicht.
Ich hoffe, der dritte Band gefaellt euch auch. 😉
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