Während andernorts der Weihnachtsmann den unartigen Kindern Kohlen gibt, verteilt hierzulande die Meisterin an unartige Spieler Abenteuerpunktabzug für schlechtes Rollenspiel. Aber darf sie das überhaupt?
Damit und mit anderen Themen der Meisterwillkür, des Spielleitens an sich und dem ganzen Rest beschäftigen sich die Einhörner Nick-Nack, Vibart und Curima, unterstützt von Special-Guest-Spötter Xeledon im heutigen Disput.
Unsere Erfahrung mit Spielleite(r)n
Nick-Nack: Wie man leicht durch Abzählen der Videos, in denen ich zu sehen bin, erkennen kann, leite ich öfter als dass ich spiele. Glücklicherweise ist das in meinem “Privatleben” derzeit genau andersherum: Da bin ich Spieler, da kann ich’s sein.
Vibart: Spielleiten? Tue ich aus politischen Gründen nicht. Ich meistere, das neumodische Zeug ist doch eher was für junge Leute. Und hier gilt, um beim Thema zu bleiben: Willkür ist doof, vor allem wenn der Volkszorn sich dagegen stellt. Ich rate eher zum aufgeklärten Absolutismus im frühneuzeitlichen Verfassungsstaat.
Xeledon: Meine Mitspieler machen sich inzwischen schon einen Spaß daraus, mich mit dem von mir selbst höchst ungeliebten M-Wort zu titulieren, bei dem ich immer allzu starre Hierarchien im Kopf habe. Insofern muss ich hier also das neumodische Jungvolk vertreten und mich als bekennenden Spielleiter outen. In meiner langjährigen Rollenspiel-Karriere war ich sowieso viel zu selten einfacher Spieler, sondern habe die meiste Zeit über gelitten (und ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass das die korrekte grammatikalische Form ist). Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass mein eigener Spaß immer dann am größten wird, wenn ich mich selbst möglichst weit zurücknehme und versuche, so gut es geht einfach nur die Erwartungen, Wünsche und Ideen der Spieler aufzugreifen und zu verarbeiten. Als Spielleiter lässt es sich ohnehin nicht vermeiden, dass man derjenige ist, der dem Spiel am deutlichsten seinen Stempel aufdrückt. Je weniger man dies aber forciert, desto größer wird nicht nur der Einfluss der Spieler, sondern desto mehr Verantwortung und Arbeit kann man auch an sie abgeben, was die Spielleitung unter dem Strich sogar entspannter und weniger arbeitsintensiv macht – und Faulheit zieht als Argument ja sowieso immer!
Curima: Ach, meistern, spielleiten … ich bin da flexibel und sage beides. Und finde auch nicht, dass allein die Tatsache, welches Wort man bevorzugt, schon was über den SL-Stil sagt – höchstens darüber, wie lange man eigentlich schon Rollenspiel macht.
Meine Erfahrung mit Spielleitern: Das Gelingen der Runde hängt natürlich nicht nur am SL, aber schon zu einem großen Teil. Erfahrungsgemäß kann ich gut damit umgehen, wenn seitens des Meisters mal Fragen oder Unsicherheiten auftauchen oder auch das Spiel mal kurz unterbrochen werden muss. Was mich nervt, sind SL, die stur ihren Plot “vorlesen” wollen und sich nicht auf Aktionen der SC einlassen. Für mich sollte die Spielleitung vor allem die Möglichkeit bieten, die Charaktere agieren zu lassen und die Welt drumherum abbilden. Alles andere – Stimmung, gut gespielte NPC, Handouts, Musik, usw. – kommen als Bonus natürlich obendrauf, wenn es gut läuft.
Meine Erfahrung mit Spielleiten: Ich habe eine Weile einigermaßen regelmäßig geleitet, weil ich quasi auch mal was zurückgeben und nicht immer nur Spielerin sein wollte. Am Anfang war ich recht unsicher, nach einer gewissen Zeit und etlichen Spielabenden kam dann schon eine gewisse Routine, nur irgendein Gefühl von Spaß an dem Ganzen stellte sich nicht ein. Nach einem eher gescheiterten Versuch, in meiner Runde die Drachenchronik zu leiten, habe ich das Meistern dann ganz an den Nagel gehängt. Dass ich ab und zu mal für einen Abend ein Kurzabenteuer leite, kommt immer noch vor, ansonsten würde ich von mir aber sagen, dass ich als Spielerin besser geeignet bin und mehr Spaß habe.
Was darf ein Meister bei uns, was er in anderen Gruppen nicht dürfte?
Curima: Verdeckt würfeln. Und bitte gerne schummeln, wenns darum geht, dass die SC gerade gigantisches Würfelpech und die Gegner ebenso gigantisches Würfelglück haben. Aber das dürfen SL bestimmt auch in anderen Runden, nur halt nicht in allen.
Xeledon: Die Regeln, was jeweils erlaubt ist und was nicht, entwickeln sich eh von selbst, wenn man mal eine Weile zusammen spielt (siehe Gruppenvertrag). Das gegenseitige Vertrauen sehe ich dabei als die wichtigste Basis, so dass der Spielleiter in meinen Runden zwar ausnahmslos alles darf, aber selbst genau genug wissen sollte, mit was er das Vertrauen seiner Mitspieler aufs Spiel setzen würde, um genau das dann eben bleiben zu lassen. Das einzige echte Spielleiterprivileg in unserer Runde dürfte wohl das Führen der zahlungspflichtigen Schlechte-Wortspiel-Strichliste darstellen.
Curima: Schlechte Wortspiele? Zahlungspflichtig? Falls ich jemals bei euch mitspielen sollte, erinnere mich daran, dass ich vorher zur Bank muss.
Xeledon: Streng genommen sind die guten Wortspiele natürlich auch zahlungspflichtig. Jeder Strich kostet dabei ein beliebiges Geldstück – seitdem wird bei uns auch eifrig das Kupfergeld gehortet. Anfangs haben wir noch jedes Wortspiel direkt gezahlt, aber damit die Leute sich zwischendurch auch mal wieder hinsetzen können, haben wir die Strichliste eingeführt, die am Ende jeder Spielsitzung abgerechnet wird.
Vibart: Vermutlich dürfte ich die “schlechte Witze an unpassenden Stellen”-Liste nicht führen, weil ich sonst nicht mehr zum Leiten käme … (Ja, ich kann mich auch der Nachkriegswelt anpassen, wenn es sein muss, liebe Jugendlichen.)
Nick-Nack: In meinen Runden darf die Spielleiterin eigentlich alles. Was nicht heißt, dass sie alles muss. Beispielsweise wandert der Blick dann doch bei Regelfragen oder manchen Fragen zum Hintergrund mal gerne in die Runde. Meiner Erfahrung nach ergeben sich Einschränkungen vor allem dann, wenn die Gruppe einander nicht vertraut, oder man nicht bereit ist, offen über die eigenen Vorstellungen vom Rollenspiel zu reden. Trotzdem – oder gerade deshalb – gibt es aber ein paar stille Vereinbarungen …
Was darf ein Meister bei uns nicht, was er in anderen Gruppen dürfte?
Nick-Nack: … und zwar, dass niemand in der Gruppe getötet und jeder Spielstil akzeptiert wird. Egal, ob unser Powergamer seine neuste Kombination aus SFs ausprobieren will, oder der Charakterspieler ein neues Haustier zur Heldengruppe bringt, als Spielleiter sollte man dies nicht blocken, sondern den Spielern ihren Spaß lassen.
Vibart: Keine Ahnung – ich kenne ja nur meine Gruppen genauer. Darf man in anderen Gruppen am Tisch furzen? Sich ungefragt aus allen Pizzakartons im Raum bedienen? Mitten im Kampf weggehen und im Nebenzimmer mit der Schwester der Gastgeberin herumknutschen? An die Hauswand der Nachbarn “Kemi go home!” sprayen?” Das wären vier Dinge, die ich mir in unserer aktuellen Gruppe eher sparen würde … auch mangels hübscher Schwestern in Nebenräumen.
Xeledon: Naja, die allgemeinen Grundregeln menschlichen Zusammenlebens sollten halt auch am Spieltisch gelten, wenn das gemeinsame Spiel dauerhaft funktionieren soll und gewaltsame Auseinandersetzungen auf die Spielwelt beschränkt bleiben sollen. Hier bekommt aber – zumindest bei uns – der Spielleiter keinerlei Sonderbehandlung, weder im Positiven noch im Negativen. Aus spielpraktischen Gründen hat es sich dann aber doch irgendwie eingebürgert, dass der Spielleiter am wenigsten Knabberkram abbekommt, erst dann aufs Klo geht, wenn es sich wirklich nicht mehr verkneifen lässt, und der einzige am Spieltisch ist, der zwischendurch nicht mal für ein halbes Stündchen wegdösen darf. Wenn ich es recht bedenke, ist Spielleiter sein in meiner Stammrunde ein ziemlich undankbarer Job.
Curima: Wir haben die Vereinbarung, dass kein SC an doofen Zufallsbegegnungen, Würfelpech oder dergleichen stirbt, insofern gibt es da eine – allerdings auch vom Meister gewollte – Einschränkung.
Wie viel Railroading darfs denn sein?
Vibart: Wenn es eine schöne und tolle Eisenbahn ist, die in genau die Richtung geht die alle wollen: Viel. Aber es gibt auch das Gegenbeispiel: Abenteuer, die von Helden Aktionen und Pläne einfordern und dann klar erkennen lassen, dass es sowieso an Punkt X enden musste, ganz egal, was man sich ausdachte.
Es gibt übrigens noch schlimmere Varianten als eine offene und ehrliche Railroad: Die scheinbar freie Wildbahn mit den Glaswänden, die so tut, als wäre sie ein offenes Feld, bis man sich die Nase an den unsichtbaren Leitplanken blutig stößt.
Curima: Das stimmt. Wenn man merkt, dass man gerade nicht so schrecklich viel Entscheidungen treffen kann, aber die Geschichte trotzdem spannend ist und viel Atmosphäre vermittelt, kann ich mich auch auf eine Railroading-Episode einlassen. Wenn man denkt, jetzt frei agieren zu können, während eigentlich nur Zeitpunkt X eintreffen muss, an dem Zufallsereignis Y triggert, macht mich das sehr gnatzig.
Xeledon: Letztlich ist das vor allem eine Frage der Erfahrung. Wenn ich mich an meine Anfänge als Spielleiter zurück erinnere, habe ich da die Schienen doch sehr stark gebraucht, weil mein Improvisationstalent noch nicht so stark ausgeprägt war wie heute. Gleiches gilt aber auch für die Mitspieler, Rollenspiel-Neulinge können sich auch leicht einmal überfordert fühlen, wenn das Abenteuer zuviel Eigeninitiative von ihnen erwartet.
Vibart: Je länger ich spiele, desto mutiger werde ich übrigens beim Über-Bord-Schmeißen von vorgegebenen Abenteuer-Ideen. Oft sind nämlich die fremden Handlungsstränge nicht wirklich so viel besser, als die, die man selber weiterspinnt. Den Zug zu crashen und sich dann zu Fuß durchzuschlagen ist mühsamer als alles mit eiserner Hand in der Spur zu halten. Aber man sieht in der ersten Version oft viel schönere Strecken.
Xeledon: Ich freue mich auch jedes Mal, wenn die Spieler den Story-Zug gepflegt zum Entgleisen bringen – zumindest dann, wenn sich das aus dem nachvollziehbaren Ausspielen ihres Charakters ergibt und ich nicht das Gefühl vermittelt bekomme, dass da gerade jemand nur austesten möchte, wie weit er eigentlich gehen kann. Selbst bei größeren Kampagnen kommt man irgendwann doch wieder zurück auf den eigentlich Plot, selbst wenn man dafür Teile überspringen, anders anordnen oder einmal komplett auf links drehen muss. Und bis dahin hat man dann in der Regel den größten Spaß an dem, was sich so spontan alles ergibt.
Tatsächlich liegt es aber hauptsächlich in der Verantwortung der Spieler, selbst die Initiative zu ergreifen und zu handeln. Wenn die es sich stattdessen lieber in ihrem Zugabteil bequem machen und die Aussicht genießen, geht das mir als Spielleiter in der Regel ziemlich auf die Nerven und ich fange an, sie zu Aktionen zu provozieren. Wenn dann Sachen dabei herauskommen, mit denen ich im Vorfeld überhaupt nicht gerechnet habe – umso besser! Denn die Geschichte, die ich vorbereitet habe, kenne ich bereits ziemlich genau, so dass ich das, was die Spieler aus dieser Geschichte machen, umso spannender finde, je weiter es sich von meiner ursprünglichen Planung entfernt.
Was haltet ihr von “Erziehungsmaßnahmen” wie AP-Abzügen oder Belohnungen für gutes/schlechtes Rollenspiel oder Extra-AP für Spielberichte?
Vibart: Nix. Schlechtes Rollenspiel ist bestraft sein genug.
Xeledon: Eigentlich gar nix – und schon gar nicht in Form von AP. Die Vorstellung, dass dabei letztlich ein einzelner (der Spielleiter) darüber entscheidet, wie gutes Rollenspiel™ auszuschauen hat, finde ich nicht nur schwer befremdlich, sondern sogar ziemlich schrecklich. Darüber hinaus sollten die Erfahrungspunkte immer die Erlebnisse des Charakters reflektieren und nicht das vermeintlich richtige oder falsche Verhalten seines Spielers belohnen/bestrafen. Wenn ich also einen Anreiz für gutes Rollenspiel schaffen möchte, halte ich Gummiepunkte für ein wesentlich geeigneteres Mittel. Und die vergibt auch nicht der Spielleiter, sondern die kommen aus einem stark begrenzten Pool in der Tischmitte und werden von den Spielern selbst an einzelne Mitspieler verliehen, deren Darstellung in der gerade abgeschlossenen Spielszene sie für besonders belohnungswürdig halten. Auf diese Weise kann so ein System für mich funktionieren und dem Spielleiter insbesondere auch wertvolles Feedback über den jeweils präferierten Spielstil liefern, das er dann wiederum bei der Gestaltung seiner Abenteuer berücksichtigen kann.
Nick-Nack: Erziehungsmaßnahmen mag ich gar nicht, aber das andere kann schon seinen Reiz haben. Letztlich spielen wir ja, um Spaß zu haben, und wenn eine richtig geile Szene dann so gewürdigt wird, haben letztlich alle was davon. Man muss sich auch einfach mal feiern dürfen.
Curima: Ich mag das nicht. Bei einem gemeinsamen Hobby die Mitspieler zu belohnen oder abzustrafen, finde ich sowieso sehr fragwürdig. Zumal es nun mal so ist, dass verschiedene Spieler verschiedene Dinge verschieden gut können. Wenn jemand eher nicht so gut darin ist, seinen Charakter schauspielerisch zu verkörpern, dann bringt es meiner Ansicht nach nix, ihn durch AP-Abzug oder weniger Gummipunkte noch mehr unter Druck zu setzen. Wenn Leute Bock haben, einen Spielbericht zu schreiben, machen sie das meiner Erfahrung nach auch ohne Belohnung in Form von AP, wer sowas gar nicht mag, wird es auch mit dem Anreiz einer Belohnung nicht tun.
Geheim würfeln oder offen?
Vibart: Wer schon einmal erlebt hat, wie beschissen die Stimmung am Spieltisch wird, wenn die Räuberbande einen Einser nach dem anderen würfelt und der erste Held aufgrund von unwahrscheinlichem Glück auf Meisterseite zu Boden geht, der weiß um die heilende Wirkung einer leicht abgewandelten Ansage. Wenn der todwunde Streuner, der mit letzter Kraft die sterbende Magierin beschützt, dann noch von einem dusselbaurigen Goblinkrieger 2 x W6+4 abbekommt, dann erkennt man die Wohltat des abgeschirmten Würfelwurfes und sagt als Meister, der eine gute Geschichte liebt: 3 Trefferpunkte, du kannst dich gerade noch auf den Beinen halten.
Wenn es dem Gott des Rollenspieles gefiel, dass der ersten DSA-Box ein Meisterschirm beilag, dann wollte er offensichtlich, dass wir ihn benutzen. Es gibt aber eine Grundregel: Lass es dir nicht anmerken. Und drehe Würfel nur, wenn am Ende dadurch die bessere Szene entsteht.
Es bleibt aber am Ende des Tages eine Geschmacksfrage. Sehe ich mich als Meister oder Spielverwalter? Bin ich Regisseur oder Bote des Zufalls? Stehe ich eher auf Mathematik oder auf Erzählung? Ich habe mich in meiner Rolle jedenfalls gefunden.
Curima: Verdeckt würfeln. Wegen allem, was Vibart sagt.
Nick-Nack: Bei mir als Meister gibt es nur zwei Arten des Würfelns: Entweder ich würfle verdeckt, oder die Spieler würfeln offen. Zum einen, weil ich sowieso viel lieber die Spieler würfeln lasse als mir selbst die Arbeit zu machen. Wozu soll ich eine Verbergen-Probe würfeln, wenn die Spieler sowieso schon auf Sinnesschärfe werfen? Und wenn ich selbst würfle, dann eigentlich sowieso nur zum Schein. Ich bin viel zu faul, mir genaue Werte für die ganzen NSCs auszudenken. Ich entscheide dann einfach aus dem Bauch heraus, ob die Attacke des Goblins trifft, oder nicht.
Xeledon: Da bin ich knallharter Verfechter des offenen Würfelns. Wenn ich doch einmal verdeckt würfle, dann nur aus logistischen Gründen (beispielsweise zu großer Abstand zu den Spielern und nicht genug Platz auf dem Spieltisch). Als Spieler merkt man doch recht schnell, wenn der Zufall ausgerechnet in kritischen Situationen immer zu den eigenen Gunsten entscheidet und beginnt im schlimmsten Fall sogar, sich auf die schützende Hand des Spielleiters zu verlassen. Offen zu würfeln erhöht dagegen die Spannung und die Möglichkeit des Scheiterns (was in letzter Konsequenz “sterben” bedeuten kann, aber nicht zwingend muss), verleiht den eigenen Handlungen wesentlich mehr Gewicht. Wenn dann ein Spielercharakter einzig aufgrund von Würfelpech und ohne durch eigene Fehlentscheidungen dazu beigetragen zu haben, stirbt, dann liegt das Problem meiner Meinung nach auch nicht am offenen Würfeln, sondern dann ist die Spielmechanik (egal, ob nun auf Seiten des Regel- oder des Abenteuerdesigns) kaputt.
Als Spielleiter habe ich darüber hinaus sowieso genug Möglichkeiten zum Schummeln, ohne dass ich dazu auch nur ein einziges Würfelergebnis manipulieren müsste, da kann ich den Nervenkitzel unter den Spielern guten Gewissens durch offenes Würfeln erhöhen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich unter meinen Spielern für meine Unfähigkeit auf das Talent “Würfeln” bekannt bin und sie deshalb vermutlich in einem fair ausgewürfelten Kampf gar nicht töten könnte, selbst wenn ich es darauf anlegen würde. Hab ich euch eigentlich schon mal von dem Räuber erzählt, der in einem einzelnen Kampf so oft seine Waffe verloren und mühsam wieder aufgesammelt hatte, dass der gegen ihn kämpfende Spieler sich in seiner Ehrenhaftigkeit irgendwann einfach selbst gebückt und ihm das Ding mit einem höflich-genervten Lächeln wieder in die Hand gedrückt hat…?
Wann hat ein Spielleiter zu wenig Freiheiten?
Vibart: Wenn die Geschichte an Grenzen kaputt geht, die keinem mehr Spaß machen.
Nick-Nack: Wenn er selbst den Spaß am Spiel verliert.
Xeledon: Wenn er die Jobbeschreibung nicht richtig gelesen hat. Denn das schöne am Rollenspiel ist ja, dass es insbesondere dem Spielleiter die ultimative Freiheit bietet. Man muss sich nur trauen, sich diese zu nehmen, im Zweifelsfall auch auf Kosten der Geschichte. Alle Einschränkungen der spielleiterlichen Freiheit erlege ich mir letztlich selbst auf. Beispielsweise zwingt mich niemand, meine DSA-Runde konsistent zum offiziellen Aventurien zu halten, sondern ich bemühe mich aus freien Stücken darum. Persönlich sehe ich solche selbstgewählten Einschränkungen als eine Herausforderung und damit als etwas reizvolles an. Und wenn es hart auf hart kommt, kann ich mich dann ja immernoch darüber hinwegsetzen – auch diese Freiheit habe ich als Spielleiter.
Nick-Nack: Es heißt ja immer “Die Freiheit des einen endet also dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.” Wenn du sagst, als Spielleiter hätte man jede Freiheit, nimmst du damit doch letztlich den Spielern ihre? Oder wo ziehst du da die Grenzen?
Xeledon: Eine klare Grenze kann ich hier kaum ziehen, glücklicherweise erlebe ich die spielerische Freiheit aber auch in der Praxis nicht als begrenzte Ressource, um deren gerechte Verteilung zwischen Spielern und Spielleiter erbittert feilschen oder heftige Grabenkämpfe führen müssten. Vielmehr ist davon in der Regel genug für alle da und es lohnt sich für beide Seiten beherzt zuzugreifen, ohne befürchten zu müssen dass dabei die anderen zu kurz kommen. Nichtsdestotrotz hast du natürlich recht, dass es im konkreten Fall immer wieder zu Konflikten kommen kann (bei denen es aufgrund des spielimmanenten Machtgefälles praktisch immer der Spielleiter sein dürfte, der die Freiheit seiner Spieler einschränkt, und nur sehr selten einmal andersrum). Auf Basis eines gesunden Vertrauensverhältnisses innerhalb der Gruppe und des gemeinsamen Spaßes als ultimativem Spielziel sollten es die Spieler aber einerseits akzeptieren, dass der Spielleiter ihre Freiheit gelegentlich beschneiden wird, während es für den Spielleiter selbstverständlich sein sollte, dies nur dort zu tun, wo es dem gemeinsamen Spielspaß innerhalb der Runde zuträglich ist. Am Ende läuft es da für mich also wieder auf eine Art freiwillige Selbstbeschränkung des Spielleiters hinaus. Und natürlich ist es nur ein idealisiertes Modell, das ich hier skizziere – der reale Fall wird da mal mehr mal weniger stark von abweichen.
Curima: Finde ich schwer zu beantworten – ich denke, wichtig ist es, dass auch der Spielleiter Lust auf das Abenteuer, das Setting und die Gruppe hat und nicht irgendwas leiten “muss”, weil die Spieler das so wollen.
Wie viel Einfluss sollte der SL auf die Helden/SC-Auswahl haben?
Nick-Nack: Aus meiner Sicht muss das ein Gespräch sein. Das einzige, was mich mehr stört, als ein Meister, der mir meinen Helden vorschreiben will, ist einer, der keine Meinung zu meinem Helden hat. Wir wollen alle gemeinsam eine Geschichte erzählen, und die funktioniert nur, wenn die Helden sie gemeinsam erleben. Es gibt schon viel zu viele Helden-”Gruppen”, die eigentlich nichts zusammenhält als dass ihre Spieler jeden Samstag im selben Raum sitzen.
Xeledon: Mir ist es wichtig, dass die Spieler selbst entscheiden, was sie gerne für Charaktere spielen möchten. Um diese Entscheidung aber fundiert treffen zu können, müssen sie auch die Rahmenbedingungen kennen, sowohl was die geplanten Abenteuer angeht als auch die von den Mitspielern gespielten Charaktere. Als Spielleiter nehme ich hier gerne eine beratende Funktion ein und habe dadurch natürlich immer auch einen beträchtlichen Einfluss auf die jeweilige Charakterwahl und -ausgestaltung. Am Ende ist es aber der Spieler, der sich für einen Charakter entscheidet und ich passe lieber die gespielten Abenteuer an die jeweilige Runde an als dass ich jemanden in ein Charakterkorsett zwänge, mit dem er nicht glücklich wird.
Curima: Da kann ich mich meinen Vorrednern eigentlich nur anschließen. Es gibt nichts Blöderes, als mit einem total unpassenden Charakter im Abenteuer zu stecken und dann eigentlich nur faule Kompromisse machen zu müssen, damit er überhaupt dabeibleibt. Ob so etwas droht, kann aber nur der SL beurteilen, von daher erwarte ich dann auch eine Warnung, wenn ich vorhabe, im Einbruchsszenario einen Praioten zu spielen oder dergleichen. Die Spieler sehe ich bei der Thematik insoweit in der Verantwortung, dass sie eine gewisse Auswahl an SC haben oder bereit sein sollten, sich zur Not einen neuen zu erstellen. Ich achte zumindest immer darauf, dass ich in meiner SC-Mappe immer 1–3 habe, die sehr leicht zu motivieren und fast in jedes Abenteuer zu integrieren sind, damit ich auch für spontane One-Shots und dergleichen etwas Passendes habe.
Vibart: Das hängt wohl stark von der Entscheidung der Gruppe ab, was man als nächstes spielen will. Das generische Gareth-Stadt-Morde-Abenteuer kann ich tatsächlich auch mit einer Gruppe aus Goblin-Instrumentenbauerin, Selemer Sexualmagier, maraskanischem Echsenschamanen und männlicher Fjarninger-Kurtisane (Kurtisaner? Kurti-San?) aus Neetha bestreiten, macht halt, was ihr wollt. Wenn die Entscheidung fällt: “Wir spielen eine Umrazim-Expedition für 2-6 Zwergencharaktere”, dann finde ich schon, dass man einem Spieler vorschlagen kann, auf seinen Halbelfischen Luftelementaristen zu verzichten und seine Figur dem Setting anzupassen. Letztendlich beschränkt ja auch das System schon meine Charakterwahl: Einen US-Army-Ranger mit einer Spezialisierung auf leichte Maschinengewehre kann ich bei DSA nicht spielen, auch wenn es mich grad bockt. Und das akzeptiert ja auch irgendwie fast jeder.
Bei Regelunklarheit: Lieber während der Sitzung nachschlagen oder lieber (evtl. fehlerhafte) SL-Entscheidung?
Nick-Nack: Weder noch. Einmal in der Gruppe fragen und man einigt sich. Wenn das partout nicht geht, entscheidet der SL und man klärt danach im Gespräch, wieso diese Regel so wichtig war, dass es nicht schon in der Gruppe gelöst werden konnte.
Xeledon: Klingt vernünftig, würde ich so unterschreiben. Als Spielleiter halte ich mich sowieso nicht für den großen Bestimmer, der den anderen die Spielregeln vorschreibt, sondern finde, dass Spieler und Spielleiter gemeinsam entscheiden sollten, welche (Haus-)Regeln sie verwenden.
Curima: Kommt drauf an. Sowohl auf die Dauer, die das Nachschlagen dauert, als auch auf die Wichtigkeit der Regelungewissheit. Wenn da das Leben des SC dran hängt, weil er, wenn er den Schlag jetzt nicht abwehren kann, tot ist, kann man sich da an sich auch mal mehr Zeit für nehmen, nur macht das dann natürlich jede Spannung erstmal kaputt. Wenn es eigentlich egal ist, ob die Probe jetzt klappt, kann man das auch in Ruhe später diskutieren. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass “wir entscheiden das jetzt mal kurz gemeinsam als Gruppe” sehr selten klappt, weil man dann schnell in der Diskussion ist. Dann doch lieber entweder ein vorläufiges SL-Machtwort, ein kurzes (!) Nachschlagen oder einfach erstmal würfeln und gucken, ob es auf 2 Punkte Erschwernis mehr oder weniger überhaupt ankommt.
Vibart: *Handwedel* – nächste Frage bitte.
Mehr Macht den Spielern – funktionieren Player-Empowerment-Mechanismen (wie Schicksalspunkte zum Fakten schaffen oder dergleichen) für euch?
Nick-Nack: Ich bin ein großer Fan von Player Participation, wie es so schön im Englischen heißt. Ich habe schon viele schöne Abenteuer erlebt, bei denen wir gar keinen Spielleiter hatten, sondern selbst die Geschichte erzählt haben, und zwar nicht nur mit anderen Systemen, sondern auch in DSA. Letztlich funktionieren z. B. Forenabenteuer nicht anders.
Dabei braucht man aber nicht unbedingt mehr Regeln. Gerade als Spielleiter kann man hier viel beitragen, indem man Fragen stellt. Vermutlich kennt sich der Spieler des Gildenmagiers, der seit Jahren immer nur Gildenmagier spielt, sowieso viel besser mit Kraftlinienmagie aus als du, also wieso nicht ihn entscheiden lassen, ob am aktuellen Ort eine Kraftlinie verläuft?
Xeledon: Schicksalspunkte sind ein perfektes Mittel, um den Spielern gerade bei bedingungslos offenem Würfeln ein Mittel gegen allzu übles Würfelpech in die Hand zu geben. Viel wichtiger als Gummipunkt-Mechaniken finde ich es aber, dass die Spieler von sich aus relevante Entscheidungen treffen. Das können sie allerdings nur, wenn sie die Konsequenzen ihres Handelns abschätzen können, wofür ein verlässliches Regelgerüst und eine klar definierte Spielwelt unerlässlich sind. Je mehr ich davon durch Handwedelei und Spielleiterwillkür ersetze, desto hilfloser werden die Spieler und desto weniger Eigeninitiative legen sie an den Tag. Und das kann ich bestenfalls notdürftig damit kaschieren, dass ich ihnen dafür eine Ladung Schips in die Hand drücke, mit denen sie dann ihren Einfluss geltend machen können. Ich würde sogar so weit gehen, dass die Spieler in einer perfekten Rollenspielrunde gar keine Gummipunkte brauchen, um Fakten zu schaffen, die in ihren Augen das Spiel bereichern, sondern das auch einfach so gerne von sich aus tun dürfen.
Gerade als Spielleiter bin ich ohnehin um jedes Bisschen an Arbeit froh, welches mir die Spieler abnehmen möchten. Das fängt bei den Regeln an (wenn ein Spieler obskure Sonderregeln nutzen möchte, ist er selbst dafür verantwortlich, die spielmechanische Umsetzung zu kennen) und hört bei nicht-plotrelevanten Nebensächlichkeiten als Setzungen für die Spielwelt (wenn der Held einen Friseur seines Vertrauens in Gareth kennen möchte, dann gibt er mir damit direkt einen potentiellen NSC an die Hand, den ich aufgreifen und weiterentwickeln kann) noch längst nicht auf. Ein Veto-Recht nehme ich mir im Zweifelsfall als Spielleiter zwar heraus, aber wenn man mal eine Weile miteinander gespielt hat, haben die Spieler schon selbst ein ganz gutes Gespür dafür, was das Spiel bereichert und was es eher kaputt macht.
Curima: Ich bin da hin- und hergerissen. Ich mag einerseits Player Empowerment, sehe andererseits Schicksalspunkte aber eher kritisch. Versuch einer Erklärung: Ich mag es, als Spieler Kleinigkeiten zu ergänzen, die Welt mitzugestalten und vielleicht auch mal eine ungewöhnliche Problemlösung ins Spiel zu bringen. Gleichzeitig möchte ich irgendwie nicht das Gefühl haben, gar keine vom SL vorgegebenen Elemente, ob das jetzt ein fester Plot oder zumindest ein von den SC unabhängiger Konflikt ist, im Spiel zu haben. Zumindest nicht im klassischen Rollenspiel, bei sowas wie Fiasko natürlich schon. Ich mag den Ansatz, den das aktuelle Star Wars-Regelwerk von Fantasy Flight Games verfolgt, in dem die Spieler sehr viel als Gruppe entscheiden können, von der Reihenfolge der Aktionen im Kampf über gute und schlechte Nebeneffekte von Würfelproben bis hin zum Einsatz von Schicksalspunkten, die nicht jedem Spieler einzeln, sondern der Gruppe zur Verfügung stehen. Damit haben die Spieler Raum für Kreativität und Eigenbeteiligung, ohne dass das a) stets nur der einzelne Spieler jetzt gerade eine tolle Idee für seinen Charakter haben muss und b) gar kein vom SL gesteuertes Abenteuer mehr stattfindet. Bei Nick-Nacks Beispiel mit der Kraftlinie würde ich es zum Beispiel total blöd finden, wenn ich als Spielerin des Magiers jetzt selber entscheiden soll, ob da eine verläuft. Das heißt dann ja nur so viel wie „es ist vollkommen egal, ob da eine Kraftlinie ist, also hat sie auch nichts mit dem Abenteuer zu tun und kann als wichtiges Plotelement ausgeschlossen werden.“ Sowas finde ich dann lieber im Spiel raus als durch so einen Meta-Mechanismus.
Was Schicksalpunkte angeht: Ich bin ja sowieso kein Fan von offenem Würfeln, daher brauche ich auch keine Schicksalspunkte, um mich vor den Ergebnissen zu retten. Außerdem bringen irgendwelche Gummipunkte immer so eine Meta-Komponente ins Spiel, die mich nervt und aus der Immersion reißt. Gebe ich jetzt einen Punkt aus, um diese Probe besonders toll zu schaffen? Oder brauche ich die vielleicht alle noch im Finale? Kann ich meinen SC irgendwie besonders toll in die Scheiße reiten, damit ich dafür noch drei Gummipunkte kriege? Das nervt mich und gibt mir nicht das Gefühl, irgendwie einen Mehrwert dadurch zu erleben.
Vibart: Ich bin eigentlich ein großer Freund von (Plot-Fluff)-Schicksalspunkten und wir hatten sie auch mal in der Gruppe extra eingeführt. Bis sie nach zwei Abenteuern keiner mehr eingesetzt hat. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob sich der Mechanismus abgenutzt hat oder sich einfach die Erkenntnis einstellte, dass das für unser Spiel gar nicht wichtig war.
Sehr schön! Das war sehr unterhaltsame Lektüre, die natürlich von der Kontroverse lebt.
Toller Disput, der tatsächlich durch seine Multiperspektivität besticht.
Überraschend finde ich, dass sich die Mehrheit für Würfelbetrug ausgesprochen hat. Warum sollte man denn dann überhaupt würfeln, wenn eh betrogen wird? Dann spart man sich doch lieber das komplizierte Regelwerk und macht rein auf Erzählspiel. Insofern bin ich da ganz bei Xeledon. Sekundieren möchte ich, dass beim Einsatz von Spielleiterwillkür die teilnehmenden Spieler abhängig sind von ebendieser Willkür und somit in eine passive Rolle (des Almosenempfängers) gedrängt werden. Die gnadenlose (Un)berechenbarkeit des unbefangenen Regelsystems ist da die weit bessere Option.
Auch, wenn ich ja gerade zu der Fraktion gehöre, die sich das komplizierte Regelwerk zu Gunsten eines Erzählregelwerks spart: Die Willkür des Würfelwurfs ist deutlich schlimmer als die des Spielleiters, denn der Spielleiter hat das Ziel, gemeinsam eine schöne Geschichte zu erzählen. Die Würfel hingegen interessiert das nicht. Daher blocken sie viel eher interessante Aktionen der Spieler, als es der Spielleiter täte.
Meiner Erfahrung nach stehen die Würfel der Entstehung interessanter Geschichten viel weniger oft im Weg als sie diese überhaupt erst generieren. Da kann man vielleicht auch den im Computerspiele-Bereich schwer in Mode gekommenen Begriff des „emergent Storytelling“ ins Feld führen, bei dem Spieler gerade bei Spielen ohne fest von den Designern vorgegebene (also gescriptete) Geschichte rein aus ihrer eigenen Interpretation der Spielmechanik heraus die spannendsten Geschichten ziehen (siehe „Civilization“, diverse Indie-Rogue-likes oder auch Online-MMOs wie „Eve Online“). Das ist per se erstmal weder besser noch schlechter als die perfekt durchchoreographierten und mit zunehmender inszenatorischer Dichte immer linearer verlaufenden Geschichten, die man in modernen Actionspielen immer wieder miterleben darf (von „Call of Duty“ über „Uncharted“ bis hin zu den Telltale-Adventures), sondern einfach ein anderer Ansatz, Geschmackssache und hängt immer von der Qualität der Umsetzung ab.
Für den Rollenspieltisch bedeutet das, dass sich aus den Ergebnissen der Würfeleien – insbesondere übrigens dann, wenn sie eher skurrile und vollkommen unerwartete Resultate zeigen – ganz eigene kleine Geschichten entwickeln können. Der Knackpunkt ist hierbei einzig und alleine die Interpretation des Gewürfelten durch die Spielgruppe. In letzter Konsequenz darf man das gerne auch als ein Plädoyer für Zufallstabellen sehen – und zwar im klassischen Sinne eines spontanen Auswürfelns von Ereignissen und nicht als Ideen-Fundgrube, aus der sich der Spielleiter bereits bei der Vorbereitung die Rosinen herauspickt. Die Kunst besteht immer darin, die aus dem Gewürfel resultierenden unerwarteten Wendungen anzunehmen und durch die eigene Interpretation in etwas Spaßförderndes zu verwandeln. Da braucht es vermutlich ein gewisses Maß an Erfahrung als Rollenspieler zu, aber dann kann das Zufallselement die erlebte Geschichte deutlich stärker aufwerten als behindern.
Ich persönlich kann inzwischen einfach weder als Spieler noch als Spielleiter dem Konzept etwas abgewinnen, dass der Spielleiter als Märchenonkel seinen Plot abspult und dem alle Spielmechanik untergeordnet wird. Im Grunde läuft das auch auf eine Railroading-Debatte raus, aber im Kern sehe ich es halt auch so, dass man sich das Würfeln komplett sparen kann, wenn der Spielleiter die Ergebnisse eh nur dann akzeptiert, wenn sie ihm gerade in den Kram passen. Da ist dann der reine, komplett würfellose Erzählspiel-Ansatz deutlich ehrlicher. Mir persönlich würde dabei einiges an Reiz flöten gehen, was wohl wieder einmal zeigt, dass ich in meiner individuellen Entwicklung Rollenspieler den Kreis vom Märchenonkel über den Simulationisten zurück zum Gamisten inzwischen vollständig durchlaufen habe (wobei sich die Ausprägung gleichzeitig immer weiter von den Extremformen hin zu einem gemäßigteren Ansatz entwickelt hat).
Bei uns – wir würfeln ja verdeckt – dient das Verdeckt-Würfeln nicht dazu, irgendwie einen „Plot abzuspulen“. Sondern um a) Situationen wie „hey, zwei Helden haben gerade die Gefahreninstinkt-Probe verwürfelt, wir versuchen jetzt als Spieler mal alle ganz doll auszublenden, dass hier irgendwas ist“ zu vermeiden und b) wenn wirklich das Leben des SC auf der Kippe steht (weil der nächste Treffer ihn auf negative Konstitution kloppen würde und er unrettbar tot wäre), rettend einschreiten zu können. Das wars auch eigentlich schon und sehr viele Proben werden auf von den Spielern offen gewürfelt und wir kommen mit den teilweise skurrilen oder katastrophalen Ereignissen klar.
Insofern läuft es letztendlich bei uns drauf hinaus, dass SC bei uns nicht an Würfelpech sterben. Ja, kann man auch doof finden, aber diese Diskussion hab ich dieses Jahr schon SO ausführlich geführt, das fang ich jetzt nicht nochmal an. (Bei Interesse: https://xeledonsspiegel.wordpress.com/2016/10/19/dont-kill-my-darlings-wieso-ich-keine-charaktertode-brauche/)
Erstmal: Ich bin auhc ein großer Fan vom Zufall, aus dem Geschichten entstehen. Fiasko ist hier ein Rollenspiel, bei dem das sehr gut funktioniert: Hier würfelt man mehr oder minder die Charaktere aus, die man spielt.
Auch erinnere ich mich noch an eine Szene bei einem Con-Abenteuer, wo ich kurz vergessen hatte, dass der eine Stadtgardist ja gerade woanders sein muss und gar nicht bei den Helden sein kann – und so eben spontan zu seinem Zwillingsbruder wurde.
Allerdings ist die Frage, ob man den SL als Märchenonkel hat, völlig unabhängig davon, ob man das Erzählen dem Zufall überlässt. In allen modernen Erzählregelwerken liegt das nämlich genauso bei den Spielern wie auch dem SL.
Fiask0? Ist ein Liebling von mir, weil es aus meiner Sicht völlig das Märchenonkel-Prinzip bedient. Nein, besser: Die Märchenfamilie, weil alle gleichberechtigt und zusammen wild herum erzählen, frei von Gerüsten. Ich suche mir aktiv aus einer Liste bestimmte – bewusst komplett besetzbar formulierte – Vorgaben mit meinen Freunden aus, die zu unserer Sicht eines Settings passen, dann entwickle ich daraus fast komplett ohne jeden Würfeleinfluss meine konkrete Figur – mehr „drehen“ geht gar nicht. Man braucht keinen Spielleiter, der irgend eine Weltsimulation verwaltet. Am Ende haben Würfel nur noch die Funktion, eine helle oder dunkle Farbe zu tragen – perfekt. Man könnte ab diesem Zeitpunkt auch bunte Steine verwenden.
Aber offensichtlich gibt es selbst bei Fiasko unterschiedliche Spielstile.
Ein sehr interessanter Artikel mit vielen Aspekten, die wohl jeder DSA-Spieler kennt (und beschäftigt).
Eine Frage hätte ich aber doch an die Meister-Runde: Wie geht ihr mit Helden um, die sich ständig entgegen ihrer schlechten Eigenschaften verhalten?
Der goldgierige Zwerg den der schnöde Tand nicht interessiert, der neugierige Schurke der sich partout für nix interessiert, der Magier mit Höhenangst der sich stets auf Berggipfeln findet – insbesondere wenn die schlechte Eigenschaft Teil des rollenspielerischen Hintergrundes ist (Elf+Weltfremd).
Auch hier die Spieler gewähren lassen und nur „innerhalb der Spielwelt“ reagieren? Oder doch die Regelmechanik nutzen? Oder gar ganz andere Dinge?
Die billige Antwort, die allerdings nichtsdestoweniger der Wahrheit schon verdammt nahe kommt, wäre wohl: Mit solchen Leuten möchte ich nicht längerfristig zusammenspielen.
Etwas differenzierter betrachtet hängt es natürlich immer auch stark vom Ausmaß ab, den das Ignorieren von bei der Generierung punktwerten Einschränkungen annimmt. Wenn das normale Maß an Vergesslichkeit überschritten wird, ist es natürlich lästig – ich frage mich nur ehrlich gesagt, ob mir als Spielleiter das im Ernstfall zwingend auffallen würde. Denn tatsächlich kenne ich die Nachteile meiner Spieler nie deshalb, weil ich weiß, dass sie auf ihrem Heldenbogen stehen, sondern dadurch, dass sie auch entsprechend ausgespielt werden.
Wenn mir dann doch mal auffällt, dass ein Spieler seinen GP-werten Nachteil nie ausspielt, halte ich ein klärendes Gespräch für angebracht. Die Frage ist ja auch, ob der Spieler wirklich nur seinen Charakter von jedweder negativen Erfahrung fernhalten möchte (in dem Fall würde ich die steile These in den Raum werfen, dass derjenige den eigentlich Reiz des Rollenspiels nicht so ganz verstanden hat) oder ob er nicht vielmehr bei der Generierung einen Nachteil gewählt hat, von dem er später festgestellt hat, dass ihm das Ausspielen keinen Spaß macht. In letzterem Fall empfehle ich im Dialog zwischen Spieler und Spielleiter den Nachteil durch einen anderen, den auszuspielen dem Spieler mehr Spaß macht, zu ersetzen – nach DSA 5 ist das inzwischen völlig unproblematisch möglich, aber auch bei DSA 4 sollte einem eine entsprechende Anpassung nicht allzu viel Hirnschmalz abverlangen (Unfähigkeiten und ähnlichen kostenverschiebenden Quatsch mal außen vorgelassen).
Auf den Regeln rumzureiten, um dem Spieler mal seinen Nachteil klar vor Augen zu führen, kann zwar funktionieren, aber wenn da die ersten zaghaften Anläufe ins Leere laufen, dann sollte man sich von diesem Pfad fernhalten, denn das läuft sonst auch wieder nur auf eine Form von Wettrüsten hinaus, das viel Energie kostet und wenig Ertrag in Form von Spaß liefert (insbesondere für die unbeteiligten Mitspieler).
Eine Reaktion „innerhalb der Spielwelt“ stelle ich mir hingegen schwierig vor bzw. kann mir grade nicht so recht vorstellen, was du dir konkret darunter vorstellst. Vielleicht magst du ja mal ein Beispiel liefern, anhand dessen ich deinen Gedanken da besser nachvollziehen kann. Aktuell denke ich da eher an die klassischen Randgruppen-Nachteile (Albino, Unansehnlich, Dämonenmal, Migrationshintergrund, etc.), die aber ohnehin hauptsächlich davon leben, dass der Spielleiter sie mit den Reaktionen der NSCs bedient, wodurch sich hier der Spieler nicht mehr vorzuwerfen lassen braucht, als dass er seinen Meister (in diesem Kontext scheint mir der Begriff ausnahmsweise mal passender… ^o^) etwas häufiger daran erinnern könnte. Bei den Dingen, die auszuspielen letztlich in der Verantwortung des Spielers liegen würden, sehe ich als Spielleiter momentan eigentlich nur spielmechanische Möglichkeiten, um sie dem Spieler mit dem nötigen Nachdruck unter die Nase zu reiben.
Hier haben einige modernere Systeme als das altehrwürdige DSA den schönen Ansatz, Nachteile zu Vorteilen zu machen. Will heißen: Nachteile bringen dem Spieler nicht dann Boni, wenn er sie wählt, sondern dann, wenn er sie ausspielt, meist in Form von Schicksalspunkten (früher auch Erfahrungspunkten). Wenn der Spieler also sagt „Aus Grund XYZ ist mein Charakter gerade von seiner Höhenangst nicht betroffen“ kümmert das keinen – sagt er „Genau jetzt kann mein Charakter gerade absolut nicht auf der Balustrade dieses Hochhauses weiter und wird deshalb von den Agenten geschnappt“, kriegt er nen Punkt dafür.
Das finde ich als Ansatz zwar prinzipiell gut und ist auch definitiv eine Regelkomponente, die mir bei Fate und Konsorten gut gefällt – es löst aber das eigentliche Problem nicht, sondern macht es in gewisser Weise noch schlimmer. Wenn der Spieler einen Nachteil partout nicht ausspielen möchte, kann er damit sogar immer mit einem „was willst du eigentlich, ich verzichte auf den Gummipunkt und hab damit das Recht, meinen Nachteil zu ignorieren“ argumentieren. Und wenn er das entsprechend konsequent durchzieht, würde ich deine Aussage, dass das keinen kümmert, keineswegs unterschreiben – insbesondere dann nicht, wenn der Nachteil immer an den Stellen, wo echte Gefahr droht ignoriert wird, gleichzeitig aber als willkommener Punktelieferant in belang- und harmlosen Momenten angesehen wird. Wenn sich ein echter Powergamer mal dazu herablassen würde, eines dieser „modernen Märchenonkel-Systeme“ wie Fate zu spielen, hätte er da extrem leichtes Spiel, durch das konsequente Ausnutzen solcher Mechaniken die Spielbalance komplett zum Einsturz zu bringen.
Das sehe ich nicht so. In allen _guten_ Systemen gibt es die Gummipunkte nämlich nur dann, wenn der Nachteil in einer wirklich relevanten Situation eingesetzt wird. Dadurch ist mir da tatsächlich völlig egal, ob ein Spieler sie anwendet oder nicht, denn es obliegt ganz seiner oder ihrer Entscheidung, den Charakter so zu spielen, wie er oder sie möchte.
Genau damit legitimierst du aber halt den Ansatz, dass ein Spieler seinen Teflon-Charakter ohne jedweden Nachteil auch durchziehen kann. Das kann man durchaus so machen, will ich auch gar nix dagegen sagen, aber wenn einen sowas als Mitspieler stört – und das war meines Verständnisses nach die Grundlage für VSPs Frage – dann hilft ein solcher Ansatz halt in keinster Weise weiter, sondern verschlimmert das ganze Problem nur noch.
Das ist einer der Gründe, wieso ich etwa die Hälfte der Nachteile aus DSA für Blödsinn halte und hier modernere Regelansätze bevorzuge. Im Beispiel des Zwergen und des Magiers bietet DSA5 jedoch tatsächlich einen neuen Ansatz, den ich sehr angenehm finde: Wann immer eine Heldin sich in der Nähe des Auslösers eines Nachteils findet, kriegt sie eine Erschwernis auf alle Proben. Und ja, das betrifft auch z. B. den goldgierigen Dieb,der eine Schatztruhe knacken will, obwohl er ja eigentlich entsprechend des Nachteils handelt, denn er ist eben nicht zu 100% mit seinen Gedanken bei dem Schloss, sondern schon ein paar Schritte weiter.
Ich bin der Meinung, dass das bei DSA4 auch schon so war. Also sprich, bei Auslöser für schlechte Eigenschaften Erschwernisse auf die Proben in voller Höhe der schlechten Eigenschaft, bei gelungener Selbstbeherrschungsprobe nur die Hälfte. Zumindest spielen wir das so, ich kann aber nicht sagen, inwiefern das offiziell ist oder ne Hausregel von uns…
Das mit der exakt halbierenden Selbstbeherrschungsprobe ist glaube ich Hausregel. Bei 4.1 ist das exakte Geschehen bei anschlagenden Nachteilen leider etwas wischiwaschi – mal würfelt man einfach ne Probe auf die Eigenschaft und mal sind alle zukünftigen Proben um die Eigenschaft erschwert.
Na ja, der Charakter _hat_ den Nachteil dann ja gar nicht. Das wäre dann so, als würde man sich darüber aufregen, dass der Phexgeweihte Assaf (siehe „Ein Held für alle Fälle“) nicht hinter jeder Goldtruhe hinterher rennt. Der hat halt keine Goldgier.
Nachteile sind in modernen Systemen halt nichts absolutes, sondern etwas relatives, relativ zur Situation 🙂
In meinen Augen weichst du hier aber der konkreten Antwort auf die eigentliche Frage aus. Es geht hier keineswegs darum, dass ein Held einen bestimmten Nachteil nicht hat, sondern darum, dass der Nachteil auf dem Papier zwar existiert, in der Spielpraxis aber unter den Tisch fällt. In dem Moment, wo ein Nachteil in irgendeiner Form auf dem Charakterbogen auftaucht – und das muss er wohl in dem hypothetischen Fall, den wir hier diskutieren, sonst würde VSPs Frage jedweder Grundlage entbehren – kann ich aber schon erwarten, dass der auch ausgespielt wird. Wir reden hier nicht von der situationsabhängigen Interpretation, WANN ein Nachteil zum Einsatz kommen soll, sondern um die Grundsatzfrage, OB er das tut.
Wenn ich dich soweit richtig verstehe, ist deine Haltung diesbezüglich, dass es völlig egal ist, wenn ein Spieler den Nachteil nicht zum Tragen kommen lässt, weil er dann halt auch die damit verbundenen Vorteile nicht bekommt. Was auf dem Charakterbogen steht ist im Zweifelsfall irrelevant. Das ist eine Haltung, die ich nicht teile, aber im Rahmen der erwähnten „modernen Systeme“ legitim finde.
Wie sieht es aber bei „klassischen Systemen“ aus, welche Vorgehensweise würdest du hier empfehlen?
Was genau meinst du denn mit „moderne Systeme“ gegen „klassische Systeme“? Sagen wir mal konkret, wir würden DSA4 spielen, einer der Spieler hätte GP durch einen Nachteil erhalten, damit dem Helden weitere Fähigkeiten gegeben und dieser Nachteil würde nie auftreten. Dann wäre mir als Spielleiter das vollkommen egal. Das einzige „Problem“, das man da aus meiner Sicht haben könnte, ist Balancing, aber das löse ich als SL ohnehin völlig unabhängig davon. Denn was ist der Unterschied, ob ich GP/AP dadurch erhalte, dass ich einen Nachteil nehme und nie nutze, oder dadurch, dass ich auf für ein Abenteuer unnütze Vorteile und Talente verzichte? Meiner Ansicht nach keiner.
Stattdessen schaue ich, was die Helden können, und stelle sicher, dass im Abenteuer regelmäßig Szenen kommen, in denen sie mit ihren Stärkern glänzen können. Die Schwächen brauche ich dafür nicht.