„Des Weiteren sind Powergamer, Metagaming sowie das Erschaffen von Munchkins nicht erwünscht.“
„Metagaming wird ungern gesehen.“
„Kein Stundenlanges OC Gelaber / Metagaming“
„Ich lege viel Wert darauf, dass kein Metagaming betrieben wird und dass die Spieler da selbst drauf achten.“
– Verschiedene Gruppengesuche auf der Onlinespielerbörse Drachenzwinge
Soweit eine eindeutige Meinung. Oberflächlich betrachtet scheint Metagaming in der Rollenspielerszene etwa so unbeliebt wie Powergaming zu sein. Aber was ist Metagaming überhaupt? Was sind die Probleme damit? Und gibt es nicht vielleicht Situationen oder Anwendungsweisen, in denen Metagaming unproblematisch oder gar etwas Positives ist?
Metagaming – was ist das?
Als Metagaming bezeichnet man in Rollenspielerkreisen, innerhalb des Spiels Wissen einzubringen, über das der Charakter eigentlich nicht verfügen kann, um Entscheidungen zu treffen. Das kann sein, weil das Wissen am Spieltisch – aber außerhalb der Hörweite des eigenen Charakters – besprochen wurde, oder weil der Spieler Wissen aus den Hintergrundbeschreibungen hat. In der extremsten Variante kennt er schlicht das Abenteuer schon.
Wie kann sowas dann also aussehen? Metagaming geht von relativ leichten Fällen los. Beispielsweise vertrauen sich die SCs meistens relativ schnell: „I notice your group has no wizard.“ – „You seem trustworthy. Would you care to join us in our noble quest?“ Härter wird es dann schon, wenn Spieler zum Beispiel bei einer getrennten Gruppe auf der einen Seite mithören und die daraus gewonnenen Infos auf der anderen Seite verwenden. Beispiel: Ein Teil der Gruppe ist auf dem Adelsball aktiv, ein anderer sammelt in der Gossentaverne Informationen und erfährt so, dass der neue Kontakt der Gruppe eigentlich eine fiese Verräterin ist. Und plötzlich finden die Charaktere auf dem Adelsball ihre neue Freundin auch nicht mehr sympathisch und weihen sie doch nicht in ihre Pläne zum Sturz des Grafen ein.
Wieso ist das schlecht?
Metagaming hat einen schalen Beigeschmack, weil es einige der grundlegenden Vereinbarungen am Spieltisch zu verletzen scheint. Wir betreiben schließlich Rollenspiel. Das (oder besser: Ein) Ziel ist, in die Rolle des Charakters einzutauchen, ihn glaubhaft zu führen wie eine Figur in einem Film oder Roman, bei dem wohl auch niemand erwarten würde, auf die Frage „Woher wusstest du, dass es der Butler war?“ die Antwort „Ich habe vorgeblättert und auf Seite 321 gelesen, wie ich ihn in Handschellen abführe!“ zu bekommen. Dieser Konsens wird durch Metagaming mal weniger, mal mehr angegriffen.
Und wo wir grad schon das Wort Rollenspiel haben: Auch der zweite Teil, das „Spiel“ wird durch Metagaming in Frage gestellt. Klar gibt es den alten Spruch, dass man beim Rollenspiel nicht gewinnen oder verlieren kann, aber mal ehrlich: Das Gefühl, sich durch alle Handouts zu wühlen und über drei Ecken den entscheidenden Hinweis gefunden zu haben, dass die Adlige tatsächlich von ihrer Vertrauten vergiftet wurde, ist schon irgendwie verdammt cool. Da kann „Ja, im Regionalband steht, dass die von der umgebracht wurde“ eher nicht mithalten – und schon gar nicht damit, wenn einem das wer blasiert am Spieltisch erzählt und damit eben genau das Triumphgefühl des Selbst-Rausfindens nimmt.
Aber …?
Die schlechten Seiten des Metagamings sind also offensichtlich und hinlänglich bekannt. Aber der Titel dieser Kolumne gibt ja doch einen subtilen Hinweis darauf, dass das nicht alles ist. Wie sieht also gutes Metagaming aus?
Ich würde behaupten: Es beginnt mit dem, was wir alle alltäglich schon an unseren Tischen betreiben. Wenn die Meisterin am Anfang des Spielabends sagt: „Durch die Straßen läuft ein Ausrufer, der die Eröffnung des neuen Bestiariums des Grafen kundtut. Heute Abend soll es sogar für die Öffentlichkeit zugänglich sein!“ Was ist dann wohl die wahrscheinlichste Reaktion der Spieler? Im Prinzip müsste doch regelmäßig die halbe Gruppe das tun, was ich mit der allgegenwärtigen Werbung in unserem Alltag mache: Nicken, kurz drüber nachdenken, komplett vergessen und den Abend anders verbringen. Stattdessen gibt es aber in den meisten Gruppen eine stillschweigende Übereinkunft, dass offensichtliche Plothooks grundsätzlich angegangen werden. Noch viel wichtiger ist diese Übereinkunft auf Cons, denn wenn in vier bis sechs Stunden ein Abenteuer abgehandelt sein soll, dann wird idealerweise nicht die Hälfte der Zeit darauf verwendet, einzelne Charaktere irgendwie zu beknien, sich doch des Plots anzunehmen, auch wenn das charakterlich zu ihnen passen würde.
Natürlich kann man diese Metaübereinkunft noch etwas verfeinern: Statt zu sagen „Jeder findet bitte einen Grund, den Plothook zu schlucken!“ kann man in bestehenden Gruppen auch die anderen Spieler einbeziehen. Also: Nein, es muss nicht jeder darauf brennen, zum Bardenfest zu gehen. Aber die Bardin und der Taugenichts wollen. Der Magier würde eigentlich lieber studieren (und kann diesen Widerwillen auch ausspielen), wird aber von der Bardin angebettelt, dass ihre Vorstellung mit etwas Bühnenzauber doch viel besser rüberkäme. Und die Leibwächterin kann natürlich nicht den Taugenichts allein dort herumlaufen lassen – in was für Schwierigkeiten der sonst wieder geraten würde! So bleiben alle ihrem Charakter stärker treu und finden sich dennoch am Abenteuerschauplatz wieder. Wichtig ist hier natürlich, dass die Spieler wissen, worauf man hinauswill. Geht die Bardin zum Magier, fragt einmal höflich nach und lässt sich von der ersten Absage abwimmeln, steht der Magierspieler doof da.
Extrem wichtig wird Metagaming bei bestimmten sehr extremen Charakterkonzepten. Wer kennt sie nicht, die Worte „Meine Heldin musste das jetzt tun“? Bevorzugt ausgesprochen über den rauchenden Trümmern eines Abenteuers? Nein, sie musste nicht. Die Heldin muss gar nichts, denn sie ist kein Lebewesen, sondern eine Idee in den Köpfen einer oder mehrerer Personen am Spieltisch. Und wenn Immersion manchmal auch noch so toll ist, sollte man sich doch daran erinnern, dass sie nicht für alle Spieler den höchsten Stellenwert hat. Viele Spieler erfreuen sich lieber an einem einigermaßen vorgeplanten Abenteuer, als zu bewundern, wie konsequent doch gerade die Kriegerin den Auftraggeber oder gar die Mitheldin erschlagen hat. Metagaming kann hier also bedeuten, sich selbst zu überlegen, was man statt der destruktiven Handlung tut, oder im Zweifel auch die Mitspieler zu fragen, ob einem jemand aus der Patsche helfen kann. In einer Onlinerunde habe ich zum Beispiel schon zweimal in einer ruhigen Minute den SL per Textnachricht gefragt, ob Aktion X gerade den Plot sprengen würde. Die eine passte gut rein, die andere habe ich dann gegen was anderes ausgetauscht, was für den Charakter auch Sinn ergab.
Ebenfalls notwendig ist Metagaming dann, wenn es nicht nur um den Fortgang des Abenteuers geht, sondern um die emotionale Sicherheit von Spielern und Spielleiterin. Ja, die Charaktere mögen aus einer pseudomittelalterlichen Welt kommen, wo es deutlich andere moralische Maßstäbe gibt, was zum Beispiel Themen wie extreme Gewalt, Folter, Sklaverei, Drogenmissbrauch oder dergleichen angeht. Die Spieler stammen aber nicht aus dieser Welt und wenn einer von ihnen mit einem angespielten Thema partout nicht umgehen möchte, ist es Aufgabe der Gruppe, Wege zu finden, dieses Thema aus dem Spiel zu halten. Soll heißen, die Praiotin muss nicht bei jeder Folter persönlich mitwirken und der Barbar kann vielleicht auch das erste Nein vom Schankburschen akzeptieren, wenn andere Mitglieder der Spielergruppe mit diesen Themen Probleme haben.
Aber auch sonst kann Metagaming nützlich sein, um bestimmte Charakterkonzepte zu erhalten. Man nehme einen Praiosgeweihten und einen Hexer in einer Gruppe. Aus persönlicher Erfahrung: Kann funktionieren – aber bevorzugt dann, wenn sich der Praiosgeweihte ein paar Runden lang im Zweifel blind und taub stellt und schöne, rustikale Architektur bewundern geht, wann immer der Hexer gerade mal dringend was zaubern möchte. Eine Enthüllung zum dramatisch passenden Moment, wo der Hexer dann mit seinen Fähigkeiten den Tag rettet und der Praiot dadurch eine Brücke gebaut bekommt, warum er die Täuschung verzeihen kann, kann dazu führen, dass beide Charaktere natürlicher zueinander finden. Also mehr metagamen, um weniger zu metagamen. In manchen Spielen ist derlei sogar in den Regeln verankert: In der zweiten Edition des Warhammer Fantasy RPG gibt es die stark geschlechterdiskriminierende bretonische Rittergesellschaft. Die als männlicher Ritter verkleidete Frau ist dabei ein klassischer Topos. Und während WHFRPG ansonsten gern mal Charaktere verstümmelt, wahnsinnig werden lässt oder durch Chaoseinfluss mutiert, gibt es hier die absolute Regel, dass die Tarnung einer solchen Ritterin nicht gegen den Willen des Spielers durchschaut werden kann, also eine klare Abweichung von den sonstigen Regeln, wo immer Wurf gegen Wurf steht, zum Schutz eines Charakterkonzepts.
Nicht nur Charaktere lassen sich so schützen, sondern auch ganze Genres. „Wir sollten uns aufteilen“ ist wohl der Leitsatz eines jeden Horrorfilms und deshalb auch genau das, was clevere Spielercharaktere niemals machen sollten. Lieber geht man zusammen aufs Klo und reicht sich noch das Toilettenpapier in die Kabine, als einen Augenblick die Anderen aus den Augen zu lassen. Taktisch klug gespielt, Abenteuer überlebt, Welt gerettet. So weit, so clever, doch was, wenn man genau Horror erleben will? Ein Horrorabenteuer, bei dem sich niemand gruselt, ist wie die flammende Ansprache, während der die Spieler auf die Smartphones gucken. Hier kann es also helfen, der Meisterin unter die Arme zu greifen und aktiv Gründe zu suchen, suboptimal zu spielen, also zum Beispiel sich zu trennen oder anderen Charakteren zu misstrauen. Denn tatsächlich gibt es aus Meisterinnensicht wenig Schöneres, als eine Gruppe, bei der ein oder zwei Charaktere gerade um ihr Leben fürchten, während der Rest dabei am Tisch zusehen, aber nicht eingreifen kann und durch diese erzwungene Untätigkeit die Panik noch steigert. Das Ganze hat natürlich einen Haken: Wenn man sich als Spieler hier verkalkuliert und annimmt, dass es um ein schönes Atmosphäre-Abenteuer geht, in Wahrheit die Spielleiterin aber knallhart die Heldinnen herausfordern will, kann das ziemlich ins Auge gehen. Vor ein paar Jahren ging der Begriff des Taschenlampenfallenlassers durch die Szene, also der Spieler, der in einem kampforientierten Horrorspiel aus selbstdefinierter Panik die Taschenlampe fallen ließ und dann vom Spieltisch aufstand und ging, während die restliche Gruppe gefressen wurde. Auch hier also: Kommunikation ist alles! Wenn man weiß, welche „Fehler“ für die eigene Gruppe das Spiel verbessern und welche tatsächlich tödlich enden oder den anderen den Spielspaß nehmen, kann man wesentlich bewusster agieren.
Der Extremfall liegt wohl vor, wenn ein Spieler ein Abenteuer schon einmal gespielt hat – oder in manchen Systemen mit mehr Player Empowerment, wenn er extremen Einfluss auf den weiteren Fortgang der Geschichte nehmen kann. Und wo manche Puristen jetzt sagen mögen, dass man dann doch bitte dem Abenteuer fernbleiben soll, würde ich behaupten: Das kann gut gehen. Man kann dann zum Beispiel andere Lösungswege ausprobieren, die sich aus unterschiedlichen Gruppenkonstellationen ergeben, oder sich zurücknehmen und Charakterspiel betreiben oder auch in gar zu verfahrenen Situationen doch mal den rettenden „Geistesblitz“ haben, bevor die nächste zweistündige Diskussion ansteht. Oder man trifft ganz bewusst als eine Art Reiseleiter die Entscheidungen, die die Gruppe zu den interessantesten Stellen des Abenteuers befördern, um so zum Beispiel NSCs einen Auftritt zu verschaffen, von denen man schon weiß, dass sie später in der Kampagne wichtig werden. Derweil umschifft man etwaige Schwachstellen des Werks gekonnt („Die Spieler werden jetzt nicht wissen, was sie weiter tun sollen, und deshalb nach Gareth reisen.“ – Teilsatz 1 korrekt, Teilsatz 2 fragwürdig).
Und nun?
Wie sieht also das Fazit aus? Im Prinzip ist es mit Metagaming wie mit Powergaming: Hat einen schlechten Ruf, kann aber maßvoll eingesetzt sehr sinnvoll sein. Wer möchte schon, dass die eigene Heldin nur laut Konzept eine große Schwertkämpferin ist, tatsächlich aber drei von vier Attacken versemmelt – oder am Abenteuer schlicht vorbeiläuft, weil „mein Charakter ja so handeln musste“? Und jetzt der langweilige Teil, der in jeder solchen Spielhilfe vorkommen muss: Wichtig ist vor allem, mit der eigenen Gruppe über das Thema zu reden, ganz besonders, wenn das Spielsystem nicht schon einen Ansatz vorgibt. Dass man sich bei Fiasco gemeinschaftlich in den Dreck reitet, dass bei Monsterhearts die Charaktere gegeneinander intrigieren, ist offensichtlich – aus einem vergleichsweise universellen System wie DSA kann man hier weit weniger Schlüsse ziehen. Umso bedeutsamer ist die Absprache mit der Gruppe. Wie viel Metagaming ist gewünscht? Sollen alle Vorteile genutzt werden, um überhaupt eine Chance zu haben? Soll bewusst anders gespielt werden, um dem Genre gerecht zu werden, obwohl es der Charakter besser wissen müsste? Wie viel Rücksicht soll auf den gemutmaßten Verlauf des Plots genommen werden? All das kann nur in der Gruppe sinnvoll besprochen werden – und in der Kommentarspalte. Wenn ihr Meinungen habt, zu eurem bevorzugten Spielstil oder anderen Situationen, in denen Metagaming hilfreich oder hinderlich ist, immer raus damit!
Danke für den coolen Artikel (und die Eastereggs 😉 ). Ich würde noch ergänzen, dass die Ablehnung von Metagaming oft auch aus dem starken Gefälle zwischen Spielleitung und Spieler*innen fußt, die vor allem traditionelle Systeme noch ausmacht. Wenn man FATE, PbtA oder andere erzähllastigere Systeme spielt, kommt man durch hohes Player Empowerment gar nicht um Meta-Überlegungen herum. Was auch ein Grund dafür ist, warum ich immer noch gerne DSA und Erzählsysteme abwechselnd spiele – mal mag ich es sehr gerne, wirklich Dinge ingame herausfinden zu können und überrascht zu werden, mal möchte ich selbst kreativ die Welt und die Geschichte mitgestalten.
Dem kann ich mich nur anschließen.
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Sehr guter Artikel!
Rollenspiel komplett ohne Metagaming ist mAn kaum möglich, darum sollte man sich sowohl der Möglichkeiten wie auch der Fallstricke dadurch bewusst sein.