Retro-Rezension: Ein Stab aus Ulmenholz

Gastrezension von Engor

Cover von A36 "Ein Stab aus Ulmenholz"Vorbemerkung: Auch in diesem Jahr ereilte mich wieder der Ruf der Nanduriaten (hier ein besonderer Gruß an den lieben Kollegen Nottel), ob es möglich sei, einen kleinen Beitrag zum Adventskalender beizusteuern. Natürlich folge ich dem wie immer gerne, auch wenn es mir wieder einmal eine schwere Entscheidung abverlangt: Was aus meinem reich gefüllten Klassiker-Regal möchte ich in diesem Jahr auswählen? Tatsächlich ist mir die Wahl im Endeffekt dann doch nicht ganz so schwer gefallen, war doch bereits der zweite Band, der mir in die Hände fiel, Ein Stab aus Ulmenholz von Jörg Raddatz, Heike Kamaris und Andreas Blumenkamp (alias Ulrich Kiesow), bei dem mir sofort eine ganze Reihe von nostalgischen Flashbacks ins Gehirn geschossen sind und wobei ich zusätzlich noch meiner Vorliebe für Soloabenteuer frönen kann. Und wie üblich soll im Folgenden auch der Frage nachgegangen werden, wie gut der Band gealtert ist und ob mein erwachsenes Ich immer noch die Begeisterung meines Teenager-Ichs teilen kann.

In Zahlen:
– 53 Seiten
– 493 Abschnitte
– 1 Magier mit je 8 Talenten und Zaubersprüchen
– erschienen 1992

I. Aufbau und Inhalt

Die Besonderheit im Vergleich zu den meisten älteren Soloabenteuern ist, dass sich Ein Stab aus Ulmenholz explizit an einen Magier richtet. Für diesen Charakter, einen jungen Zauberlehrling mit dem Namen Darion Ährenfeld, existiert im Anhang ein kleiner Bogen mit den Werten, die im Rahmen des Abenteuers relevant sind. Neben einigen Talenten kann er auch auf 8 Zaubersprüche zurückgreifen. Diese können in bestimmten Abschnitten verwendet werden. Dabei ist nie eine bestimmte Zauberformel vorgegeben, sondern man hat immer die freie Auswahl, welchen man anwenden möchte, somit existieren immer 8 Verweise, wie es nach einem erfolgreichen oder vergeblichen Versuch weitergeht. Gleiches gilt für die Talente, auch hier ist es dem Spieler/der Spielerin freigestellt, mit welchem Talent man eine schwierige Stelle meistern möchte. Mitunter führt dies zu teils absurden Auflösungen, wenn man z.B. Talente oder Zaubersprüche verwenden möchte, die eigentlich ganz offensichtlich nicht zur beschriebenen Situation passen.

Inhaltlich gilt es Darion auf einer ersten Heldenreise zu begleiten. Sein Lehrmeister Darben schickt ihn auf eine ganz besondere Mission: Darion soll sich seinen Zauberstab besorgen, um endlich vom Lehrling den Schritt zu einem echten Magier zu vollziehen. Das Abenteuer verfügt über vergleichsweise viele kleine Abschnitte, so dass man sehr häufig vor Entscheidungen gestellt wird, wie man seinen weiteren Weg gestalten möchte. Eine erste Wahl besteht beispielsweise darin, ob man sich zunächst nach Greifenfurt begibt, die nächstgelegene große Stadt, in der Darion sich einige Informationen beschaffen kann, oder aber sich auch einfach vom städtischen Trubel treiben lassen kann. Folgend besteht eine Richtungsentscheidung darin, ob man entweder nach Gareth oder nach Andergast weiterziehen soll. Der Weg enthält – wenn man denn allen ausgelegten Spuren folgen möchte – jede Menge Begegnungen für den jungen Magus bereit. So kann er auf Einsiedler, Holzfäller, Orks und andere Reisende treffen, auch das eine oder andere amouröse Abenteuer ist möglich. Letztlich sind auch Zusammentreffen mit echter aventurischer Prominenz möglich, was bis in die höchsten Staatskreise geht.

Im Regelfall kann Darion dabei in kritischen Situationen auf seine Talente oder seine Zauberformeln zurückgreifen, in einen richtigen Kampf wird er optional nur an einer einzigen Stelle verwickelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Abenteuer frei von tödlichen Stellen ist, man kann sich durchaus in verschiedene Situationen manövrieren, in denen man (meist durch unbedachtes Handeln) sein Leben verlieren oder zumindest scheitern kann. Letztlich ist es aber mit einer gewissen Hartnäckigkeit erreichbar, Darion zu seinem Zauberstab zu verhelfen. Allerdings ist der Weg dorthin nicht gradlinig gestaltet, es gibt tatsächlich einige unterschiedliche Lösungswege. Ebenso sind sogar Irrwege vergleichsweise umfangreich ausgeführt, so dass man auch den falschen Weg relativ lange verfolgen kann.

II. Figuren

Darion Ährenfeld in einer Bärenfalle

Darion ist in eine Bärenfalle geraten. Bild von Uğurcan Yüce.

Die zentrale Figur ist natürlich Darion selbst, der kein generischer Held ist, sondern eine vorgegebene Figur mit einer individuellen Biografie, der aus ärmsten Verhältnissen stammt. Dabei ist – anders als in einigen moderneren Abenteuern – das Geschlecht vorgegeben, er ist eindeutig als männlicher Held ausgelegt. Sein Mentor Gerban wird nur am Anfang als Auftraggeber kurz vorgestellt und spielt eine verhältnismäßig kleine Rolle.

Bedingt durch die vielen kleinen Abschnitte trifft der junge Magier auf eine große Anzahl an NSC, wobei allerdings die meisten von ihnen jeweils nur für einen sehr kurzen Zeitraum den Weg Darions kreuzen, bevor er weiterzieht.

Spannend wird es vor allem dann, wenn Darion auf echte aventurische Prominenz trifft. Dies ist gegen Ende des Abenteuers (allerdings auch wieder optional vom Verlauf abhängig) möglich, wenn es unter anderem zu einem Stelldichein mit Dexter Nemrod persönlich kommen kann, wobei der gestrenge Geheimdienstler auch einige unkonventionelle Züge erhalten kann, je nachdem unter welchen Umständen Darion ihm begegnet.

III. Kritik

Wie üblich kann ich bei einigen der Soloklassiker einen gewissen Nostalgiefaktor nicht abstreiten. Darions Heldenreise ist mir auch nach über 20 Jahren in vielen Stationen noch sehr präsent geblieben, was gerade auch an dem humorigen Unterton liegt. Zunächst bleibt allerdings der sympathische Held im Gedächtnis: Darion ist ein unerfahrener Bursche, der sich mit seiner Naivität in die eine oder andere Verlegenheit gerät, sich aber gleich mehrfach unverhofft noch retten kann und sei es aus Nemrods Kerker. Etwas schade finde ich, dass er als Charakter nicht ausgeführt ist, hat er doch neben seinen Grundwerten nur eine Handvoll Talente und seine Zaubersprüche, der Charakterbogen ist unvollständig. Wer also nach beendetem Abenteuer mit ihm weiterspielen möchte, muss vieles ergänzen.

Aus technischer Sicht kann ich die Reduktion der Zaubersprüche durchaus verstehen, ein Magier mit seinen theoretisch deutlich erhöhten Möglichkeiten ist mit den begrenzten Optionen eines Soloabenteuers nicht einfach darzustellen. Aus diesem Grund halte ich es für nachvollziehbar, ihn nur an bestimmten Stellen auf die vorgegebenen Zaubersprüche zurückgreifen zu lassen. Immerhin hat man dort jeweils die vollkommen freie Wahl und muss selbst entscheiden, welcher Spruch in der aktuellen Situation die vielversprechendste Variante ist. Hier ist zudem oft mehr als eine Option die richtige Entscheidung, allerdings muss auch kritisch angemerkt werden, dass hier stellenweise auch einige der klassischen Solofallen versteckt sind, die einen unweigerlich in eine (mitunter tödliche) Sackgasse manövrieren. Dafür liegt umgekehrt auch gerade hier ein besonderer Reiz des Abenteuers, wenn man bewusst eine absurde Auswahl trifft und dann nachschaut, was für eine kuriose Situation sich daraus ergibt.

Ohnehin liegt hierin – wie schon angesprochen – die sicherlich größte Stärke des Abenteuers. Das gesamte Solo verfügt über einen humorig-ironischen Unterton, in nur wenigen Situationen verspürt man den blutigen Ernst, passend zur Figur des Magiers führt zumeist nicht grobe Gewalt zum Ziel, sondern ein Gespür für gewitzte Handlungen. Wie üblich bei den Klassikern lässt sich ein gewisser Schuss Moralinsäure dabei nicht ganz abstreiten, ist es doch auffällig, dass absolute Ehrlichkeit in der Regel belohnt wird, während Lügen bzw. das Verschweigen von Tatsachen Probleme bereitet. Trotzdem ist es in der Regel spannend zu verfolgen, wie man seinen naiven Helden immer wieder in aberwitzige Situationen bringen kann und man sowohl als Verführer von Nemrods Frau zum Ziel gelangen kann, als auch als schlammbesudelter Raufbold dessen Anerkennung gewinnen kann, während man nach einem Stelldichein mit einer jungen Bauernmagd recht schnell mit den Brüdern besagter Maid (und ihren Mistgabeln) konfrontiert wird.

Daraus ergibt sich ein leichter Unterton, der dem Abenteuer meist recht gut zu Gesicht steht, selbst die Todesabschnitte entlocken einem nicht selten eher ein Lächeln als echten Ärger. Dabei wird natürlich stellenweise auch ein sehr schmaler Grat beschritten, gerade die Darstellung Dexter Nemrods (aber auch die einiger anderer Figuren bzw. Situationen) bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen humorig und albern, an dieser Stelle ist sicher auch persönlicher Geschmack ausschlaggebend, ob man gewisse Abweichungen von der gewohnten Darstellung akzeptieren kann oder nicht.

Die vielen kurzen Abschnitte führen einerseits zu einem sehr abwechslungsreichen Abenteuer mit vielen einzelnen Episoden und einer breiten Figurenriege, allerdings hat dies auch den Nachteil, dass alles etwas oberflächlich ausfällt, Orte werden nur sehr knapp beschrieben und die Nebenfiguren erhalten kaum Tiefenschärfe, da das Zusammentreffen mit Darion immer nur sehr kurz ausfällt.

Uğurcan Yüce

Uğurcan Yüce, Selbstportrait.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es sich hier im Bereich der Illustrationen um ein besonderes Abenteuer handelt, ist es doch einer der wenigen Bände, bei denen Altmeister Ugurcan Yüce (Interview mit Herokon Online) auch die Innenillustrationen erstellt hat. Dabei geht er wie üblich etwas plakativ vor, nur wird der muskelbepackte Flügelhelm-Hüne diesmal durch einen blonden Schönling mit einer sehr klischeehaften sternenbesetzten Robe ersetzt. Auch das ist wie üblich sicherlich nichts, was allen gefällt, ich kann mich persönlich aber sehr gut damit anfreunden, verkörpert es doch genau wie der Abenteuerinhalt ein etwas urtümlicheres, naives DSA. Das Highlight ist aber aus meiner Sicht eindeutig das Cover selbst, wird hier doch tatsächlich eine Szene aus dem Abenteuer gezeigt, die aber wiederum eigentlich ganz anders ausgestaltet ist, als es auf den ersten Blick wirkt.

IV. Fazit

Von ursprünglich neun Einhörnern, die den jungen Magus auf seiner Reise begleitet haben, ist eines auf der Suche nach Darions verlorenen Werten zurückgefallen. Ein weiteres konnte sich mit diversen Albernheiten nicht anfreunden und hat sich zusammen mit einem dritten Einhorn zusammengetan, das sich mehr Figuren mit spürbaren Charakterinhalten gewünscht hätte. Die übrigen sechs Einhörner haben allerdings sehr viel Spaß bei ihren Abenteuern mit dem jungen Darion und finden Gefallen an seiner sympathischen Naivität, so dass sie ihm bereitwillig bei seinen kuriosen Abenteuern zur Seite stehen, um ihm endlich zu seinem Zauberstab zu verhelfen. Sollte eines der verlorenen Einhörner nostalgisch angehaucht sein, könnte es eventuell sogar gewillt sein, sich der Herde wieder anzuschließen.

Bewertung: 6 von 9 Rentieren (plus ein optionales siebtes für hoffnungslose Nostalgiker)

Nandurion bedankt sich bei Engor ganz herzlich für die Gastrezension!

Engor heißt im wahren Leben Dominik und war über 10 Jahre lange intensiver DSA-Spieler. Nach einer arbeitsbedingten langen Pause stieg er Ende 2012 voller Neugier über die aventurischen Ereignisse der Zwischenzeit wieder in die Spielwelt ein und bloggt seitdem über alles Mögliche rund um das Thema DSA, deutlich mit einem Schwerpunkt auf Rezensionen.

Über Nottel

Nottel heißt Michael und wohnt am Bodensee. Seit 93 stromert er als Spieler und Spielleiter mit Gleichgesinnten durch fantastische Gedankenwelten. Zunächst in Aventurien und dem Riesland, später in der Dark Future, der Welt der Dunkelheit, im Trinity Universum und dringt in Galaxien vor, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
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3 Antworten zu Retro-Rezension: Ein Stab aus Ulmenholz

  1. Nottel sagt:

    Damals hatte ich das Abenteuer als Fehldruck gekauft und wieder zurückgegeben. Es waren manche Seiten doppelt und andere fehlten dafür. So kam es, dass ich dieses Solo erst viel später, vor etwa drei Jahren, tatsächlich zum ersten Mal gelesen und auch oft geschmunzelt habe.

    An einer Stelle vermute ich, dass Spielercharaktere aus dem Briefspiel eingebaut wurden, denen Darion begegnen kann: Es könnte sich um Hagen, den Dunklen, Salpikon Savertin und den „Echsenmischling“ Dr. Drinji Barn handeln. Ausserdem ist dieses Abenteuer ein Muss für jeden Kenner von Dexter Nemrod.

  2. Pingback: Törchen von Freitag, dem 13.: Retro-Magier, Gewinner, Rallye, Bilderreihe, Steinschiff und Rahja – Nuntiovolo.de

  3. Horasid sagt:

    Danke für die (wieder einmal) schöne Rezension, Engor! „Ein Stab aus Ulmenholz“ ist nach den Witzko Solos ganz oben in meiner ewigen Bestenliste. ESaU habe ich vor einigen Jahren in meiner aktuellen Runde als one-on-one für die Vorgeschichte des Magiers geleitet. Hat uns beiden viel Spaß gemacht.

    @Nottel: Danke für die Info zu der merkwürdigen Heldenrunde. Hab mich immer gefragt, wer das sein soll.

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