Jens Ullrich ist Historiker, Gamedesigner, Weltenbastler und inzwischen wieder Dozent für Game Design an der Hochschule Trier. Seit inzwischen mehr als 20 Jahren schreibt er Texte für Rollenspielprodukte; zunächst für Shadowrun und seither bekannt unter dem Namen „Eismann“, ab 2011 dann für Das Schwarze Auge. Er ist einer der Entwickler des Grundregelwerks von DSA5, weitere Publikationen sind das Abenteuer Familienbande, die Regionalspielhilfe Die Reisende Kaiserin und der Splitterdämmerungsband Firuns Flüstern. Seine bisher reichhaltigste Schöpfung ist das Rollenspiel Die Schwarze Katze (DSK) aus dem Jahr 2019. Dazu ist soeben die Erweiterung Fasar: Brüchiger Frieden erschienen.
Jens dokumentiert seit zehn Jahren auf seinem Blog Eisparadies seine Erfahrungen mit und sein Schaffen an Rollenspielen. Schwerpunkte bilden hierbei DSA und vor allem DSK, aber auch Hintergründe zur Rollenspielentwicklung. So hat er beispielsweise zum Quellenband Die Reisende Kaiserin sowie zu DSK einige Hintergrundbeiträge als auch jeweils ausführliche Post-Mortem-Analysen verfasst.
Nandurion: Lieber Jens, sei gegrüßt! Nachdem wir dich und deine bisherige Vita bereits skizziert haben, lass uns bitte direkt über DSK reden: Wie fühlt es sich an, ein solches Setting und Rollenspiel erschaffen zu haben? Was sind die Chancen und Risiken in Weltenbau und -entwicklung?
Jens: Ja, hallo erstmal!
Für mich ist die Arbeit an DSK schon eine schöne Sache. Ohne viele Einmischungen konnte ich hier werkeln und das System und den Hintergrund so umsetzen, wie ich ihn für richtig halte. Ich habe zuvor ja bereits einiges für DSA gemacht, und auch wenn die Arbeit an Aventurien durchaus spannende Aufgaben hervorbringt, findet sie üblicherweise in einem festen Rahmen aus Vorgaben und Setzungen statt, die einen enormen Recherche- und Planungsaufwand erfordern und viele Möglichkeiten von vorneherein einschränken oder gleich unmöglich machen. Im Kontext eines über 30 Jahre alten Hintergrundes und des Wunsches die Kontinuität der Welt plausibel und möglichst flächig abzubilden, ist das sicher nicht überraschend.
Daher ist DSK die Gelegenheit an und mit Aventurien zu arbeiten, mit all den Vorteilen die es hat, aber ohne die Nachteile. Ich kann aus dem reichhaltigen Hintergrund schöpfen, aber muss nicht jede Setzung mitnehmen, da DSK nicht den Anspruch hat die ganze Welt beschreiben zu wollen. Zudem schleppt DSK nicht Jahrzehnte an teils widersprüchlichen Beschreibungen mit sich herum. Was nicht spielrelevant oder spannend ist, landet so gar nicht erst im Buch. Entsprechend fokussieren sich die Beschreibungen in DSK auf interessante Orte und NSCs, die Konflikte und Abenteuer versprechen, während die weniger spannenden Regionen drumherum nur grob skizziert werden oder schlicht nur als Weg von A nach B Eingang in die Beschreibungen finden. Kleine, verspielte Handlungen sind hier genauso möglich wie der große Pinsel, der Gemälde von aufsteigenden Dämonen, uralten Schrecken und verschlagenen Masterminds auf die Leinwand bannt. Vielleicht sieht das alles in 20 Jahren ganz anders aus, sollte es DSK dann noch geben, aber aktuell genieße ich die Freiheit der kreativen Anarchie.
Nandurion: Inwiefern weckt ein Regelsystem Erwartungen, was ist also dran an der Aussage „System matters“?
Jens: Spielregeln formen die Art des Spielens, da Regeln üblicherweise belohnen und bestrafen. Zudem können sie bestimmte Spielstile unterstützen oder unterminieren. Ein grobes Beispiel: Wenn in einem Kampfsystem eine einzelne Probe über Leben und Tod entscheidet und diese zudem vom Spieler kaum beeinflusst werden kann, man also ohne Eingriffsmöglichkeiten in Wohl und Wehe vom Zufall abhängig ist, werden Spieler es sich deutlich überlegen, in einen Kampf zu ziehen, dessen Ausgang nicht von vorneherein recht sicher ist. Entscheidet sich in einem Kampf das Ende jedoch über Ressourcen, die sich nach und nach abbauen, und habe ich Möglichkeiten, meine Chancen durch taktisches Geschick zu verbessern oder mich aus dem Kampf zurückzuziehen, dann kann ich sehr viel gezielter Risiken eingehen, mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit plötzlich tot am Boden zu liegen. Ein solches Kampfsystem fördert und fordert eine taktische Herangehensweise, so dass an Kämpfen interessierte Spieler diese Option sehr viel häufiger und risikofreudiger nutzen werden.
Erstere Herangehensweise kann also sinnvoll sein, wenn ich möchte, dass Spieler Kämpfe eher meiden oder sie nur eingehen, wenn sie alle Trümpfe in der Hand haben, also in großer Überzahl und besser bewaffnet sind, aus dem Hinterhalt angreifen oder andere Tricks und Finten nutzen können. Die zweite Variante hingegen ermöglicht auch weniger einseitige Kämpfe und kann, je nachdem, wie die Regeln im Detail gebaut sind, geradezu dazu einladen, Konflikte mit Schwert oder Kanone zu lösen.
Das ist, wie gesagt, nur ein recht grobes Beispiel. Die Entwicklung von Regeln läuft stets auf eine Vielzahl von Entscheidungen hinaus, wie und mit welchem Ziel ich meine Regeln gestalten will. Daher ist es auch so wichtig, sich vorher klar bewusst zu machen, für welche Zielgruppe man die Regeln entwickelt, für welche Spielstile, für was für Charaktere und mit was für einem Spielziel. Beschäftigen sich die Regeln hauptsächlich damit Spotlight auf die Spieler zu verteilen und Player Empowerment zu managen, wird damit vermutlich eher narrativ gespielt. Werden die Kompetenzen oder die psychologischen Besonderheiten von Charaktere kleinteilig dargestellt, werden damit hingegen vermutlich häufiger Charaktere simuliert werden. Natürlich kann man Regelsets am Spieltisch auch entgegen dieser Ausrichtungen nutzen, und das wird auch oft gemacht, aber es ist doch angenehmer, wenn Spielstil und Regeln Hand in Hand gehen.
Nandurion: Worauf kommt es beim Abenteuerdesign deiner Meinung nach an?
Jens: Das ist so eine Frage … Es gibt da eine ganze Reihe von Faktoren, die hier hineinspielen, aber ich kann zumindest ein paar Beispiele nennen, die mir wichtig sind. Inhaltlich bin ich beispielsweise kein großer Freund des Auftraggebertums. Abenteuer sollten idealerweise die Motivationen der Charaktere und der Spieler ansprechen, ohne dass ihnen jemand sagen muss, was zu tun ist. Man kann in Abenteuer hineinstolpern, sich berufen fühlen oder ohne es zu merken Teil der Handlung werden, auch ohne dass der mysteriöse Fremde am Nebentisch mit einem Beutel Gold lockt.
Formal sollten Abenteuer ihre Erwartungshaltung gegenüber den Spielern nicht innerhalb der Handlung wechseln. Wer zuerst vorsichtige Charaktere erwartet, die sich bei übermächtigen Bedrohungen zurückziehen, um einige Szenen später dann davon auszugehen, dass die Charaktere sich todesmutig dem Bösen entgegenwerfen werden, einfach weil es der Dramaturgie zuträglich ist, macht dem Spielleiter das Leben unnötig schwer. Zu guter Letzt sollte bei jeder Forderung nach einer Probe, egal auf was, das Abenteuer eine gut spielbare Antwort auf alle möglichen Ergebnisse bereithalten. Wenn eine Handlung zum Erliegen kommen kann, weil die Chance besteht, dass dank einer schlecht gelaufenen Wahrnehmungsprobe ein zentraler Hinweis nicht gefunden wird, dann hat sich der Autor selbst und dem Spielleiter gleich mit ein Bein gestellt.
Zudem sollte man Abenteuer im Zweifel wie Rezepte oder Dokumentationen angehen. Natürlich ist es erfreulich, wenn sie in einem schönen Stil geschrieben sind, aber sie sind keine klassische Unterhaltungsliteratur, die für den Leser (!) einen Spannungsbogen aufbauen soll. Der Leser sollte didaktisch sinnvoll und gut sortiert alle relevanten Informationen präsentiert bekommen. Und das bedeutet auch, dass er schon auf der ersten Seite weiß, wer der Mörder ist.
Ansonsten erwarte ich von Abenteuern, dass sie überraschende Wendungen, kreative Interpretationen alter Stoffe oder Besonderheiten für den Spielleiter bereithalten, die den Sense of Wonder wecken. Denn für ein “normales” Abenteuer aus Auftraggeber, zu erlangendem Ziel und typischer Opposition muss man kein Geld ausgeben.
Nandurion: Gibt es bei deinen Werken einen roten Faden bzw. was ist ein besonderes Kennzeichen deiner Schöpfungen?
Jens: Im Nachhinein aufgefallen ist mir selbst eine Neigung dazu, mit Perspektiven zu spielen. Ob es der aus Sicht der Charaktere fast klischeehaft böse Dämonenbeschwörer ist, der schlicht aus Verzweiflung als letztes Mittel auf niederhöllische Unterstützung zurückgreifen muss, oder das Wechselspiel zwischen Menschen und Orks in Firuns Flüstern, viele von mir entwickelte Abenteuerplots drehen sich um verschiedene Perspektiven und die Verständigungsprobleme, die daraus entstehen. DSK ist hier quasi nur ein weiterer Schritt in diese Richtung. Mit den Erwachten lässt sich Aventurien aus einer völlig neuen Perspektive entdecken. Gerade langjährige Spieler, die Havena oder Fasar mit ihren Helden ausgiebig erkundet haben, können diese Orte aus ganz neuen Blickwinkeln noch einmal neu kennenlernen.
Nandurion: Warum wäre es keine gute Idee, sich dich als allmächtigen Autor für DSA zu wünschen?
Jens: Es gab ja einige Male die Kritik, warum man denn seine Zeit mit sowas wie Katzen verbringen könne, statt DSA-Produkte zu schreiben. Die Antwort war und ist: Weil ich’s kann. Aber selbst wenn ich’s machen würde, weiß ich nicht, ob das bei allen so gut ankäme. Ich bin kein großer Freund so tiefgehender und breit gestreuter Simulation, wie es bei DSA ja nicht ungewöhnlich ist, oder der Vielzahl zum Teil recht kleinschrittiger Regelerweiterungen. Zudem mag ich durchaus auch gerne größere und vielleicht auch etwas wildere Plots, die manch einem vielleicht das geliebte Aventurien zu arg durcheinander wirbeln. Wie man sich das vorstellen könnte, kann man denke ich ganz gut an den bisherigen DSK-Publikationen erahnen. Wobei da noch jede Menge Luft nach oben ist. Aber man kommt ja zu nix.
Nandurion: Ein nicht versiegendes Thema der DSA-Community sind die epischen Abenteuer wie die Phileasson-Saga und die Borbarad-Kampagne. Worin liegt diese ungebrochene Faszination begründet?
Jens: Sie gehören schlicht zu den “Klassikern”, die man selbst dann oftmals kennt, auch wenn man sie selbst vielleicht nie gelesen oder bespielt hat. Sie haben die Vergangenheit geprägt, und ob sie nun von diesem Kontext befreit heute noch als gut spielbar angesehen würden oder nicht, spielt da nur bedingt eine Rolle. Die vielen Erlebnisse, oft vor Jahren, und Erzählungen prägen ihr Bild. Außerdem schwingen sie erzählerisch den großen Pinsel, wovon ich großer Fan bin. Gerade was die 7G-Kampagne angeht, kann man die Auswirkungen bis heute beobachten, auch wenn sie, so wie ich die Arbeitsweise bei Fanpro damals kennengelernt habe, kaum in dieser Tiefe durchgeplant gewesen sein werden. Viele Entwicklungen entstehen ja eher schrittweise, so wie Produkte eben gerade entwickelt werden wollen, und von verschiedenen Autoren mit kaum Absprache eher erratisch vorangetriebene Fäden werden dann zu einer großen Kampagne verwoben.
Die Frage ist nun natürlich, wie man nun mit der beständigen Nachfrage nach diesen alten Kampagnen umgeht. Gerade die 7G lockt natürlich viele, die darüber bisher nur Geschichten gehört haben. Andererseits ist sie ein riesiger Brocken, und mehr als eine Spielrunde hat den Versuch sie zu bespielen nicht überlebt. Und es ist sicher auch nicht leicht Autoren zu finden, die einen solchen Brocken noch einmal überarbeiten, aktualisieren und mit zu DSA5 passenden Regelelementen versehen wollen, statt vielleicht ein eigenes Werk zu veröffentlichen.
Nandurion: Du pflegst seit dem Fanpro-Forum zu Ende der 90er eine Beziehung zu den Communities der Rollenspielszene. Wie habt ihr euch im Lauf der Zeit zueinander entwickelt und was sind deine Beobachtungen?
Jens: Da muss ich jetzt arg im Gedächtnis herumkramen. Dazu möchte ich erst einmal sagen: Ob Autor, Redakteur oder Sonstwas bin ich erst einmal schlicht ein Teil der verschiedenen Communities, in denen ich mich so herumtreibe.
Einer meiner ersten Schritte dürfte die Moderation im Forum von Fanpro gewesen sein, hauptsächlich im Bereich für Shadowrun. Hier kam mir eine gewisse Erfahrung als Moderator im Fidonet (die älteren Semester mit DFÜ-Erfahrung kennen das vielleicht noch) zu pass. Als meine Autorentätigkeit für Shadowrun umfassender wurde, kamen Spielrunden für den Verlag auf Conventions und Messen hinzu, dann auch Workshops und die regelmäßige Versorgung der damaligen Shadowrun-Home mit Inhalten wie kostenlosen Abenteuern, kleinen Spielhilfen etc. Hierdurch wurde ich für viele Fans Anlaufstelle für Fragen, Vorschläge und Kritik. Damit verbunden waren natürlich all die schönen und weniger schönen Dinge, die man mit Fans so erleben kann. Einerseits ist da natürlich die Freude zu nennen, sich mit dem ganzen Thema Rollenspiele zu beschäftigen. Für wildfremde Spieler auf einer Convention eine Runde zu leiten und ihre Begeisterung und Energie zu beobachten, ist schon eine tolle Sache. Genauso sind lobende Worte oder die Nachfrage nach einer Widmung durchaus motivierend. Auf der anderen Seite ist man als “Mitarbeiter”, selbst wenn man als Freelancer nur ein kleines Licht sein mag, quasi Verantwortlicher für das ganze Spiel, selbst bei Shadowrun, bei dem ein guter Teil der Publikationen Übersetzungen sind, für deren Inhalt man nun wirklich nichts kann. Und so trifft einen nicht nur Begeisterung, sondern auch Frust und Unverständnis, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sich der eine oder andere wünscht. Zudem gilt gerade auf Conventions: Es gibt viele Fans und einige recht besondere Leute. Und entsprechend gibt es auch einige recht besondere Fans mit eigenwilligen Vorstellungen von Umgang, Sozialverhalten oder Privatsphäre. Entsprechend habe ich mir denke ich mit der Zeit ein recht dickes Fell wachsen lassen, das zudem eine Schicht aus Gleichmut und eigenwilligem Humor bedeckt, was sich in solchen Situationen als recht hilfreich erweist. Denn auf Interaktion mit anderen Fans zu verzichten, nur weil ein paar etwas verhaltenskreativ sind, wäre ein Preis, den ich ungern bezahlen würde.
Am Ende des Tages aber gilt: Die Communities (es sind ja beispielsweise bei DSA durchaus mehr als eine) sind Herz und Rückgrat des Rollenspiels. Aus ihr gehen die Schaffenden hervor und für sie wird entwickelt und geschrieben. Daher bin ich ein großer Fan von offener Zweiwegekommunikation mit dem Fandom, auch wenn das natürlich immer auch das Risiko birgt, dass jemand diese Möglichkeiten missbraucht, um mal sein Mütchen “an denen da oben” zu kühlen. Ich versuche die Fans beim Entstehungsprozess mitzunehmen, ob damals im Ulisses-Forum beim Grundregelwerk von DSA5 oder auf Facebook oder Discord bei der Entwicklung von DSK. Ich möchte, dass sie eine Vorstellung davon erhalten, wie solche Bücher geschrieben und, was mir auch sehr wichtig ist, wie sie visuell gestaltet werden. Und vielleicht weckt das bei dem einen oder anderen, auch das Interesse selbst mal kreativ tätig zu werden und eine kleine Fan-Veröffentlichung zu versuchen.
Nandurion: Es gibt wenige der Autorenzunft, die einen Blog schreiben so wie du. Empfiehlst du das auch anderen und wer profitiert wie davon deine Dokumentationen zu lesen?
Jens: Ich bin bekennender Rollenspiel-Missionar. Ich liebe das Hobby, zu dem nicht nur das Spielen, sondern eben auch das Entwickeln und Schreiben gehört. Entsprechend schreibe ich über meine Beobachtungen und Erfahrungen als Rollenspielautor, um vielleicht dem einen oder anderen damit zu helfen oder das Interesse zu wecken selbst mal zum digitalen Stift zu greifen. Dazu gehört auch, beispielsweise in Form einer Selbstrezension, das eigene Werk noch einmal unter die Lupe zu nehmen und zu analysieren, warum die Texte so aufgebaut sind, wie sie es sind. Ich könnte natürlich auch die Produkte anderer rezensieren, aber da ich selbst eben auch Autor bin, fände ich das schwierig, da es mir gefühlt nicht zusteht so über Kollegen zu urteilen, und dann auch noch öffentlich. Ist aber sicher Einstellungssache.
Etwas sortierter und weiterführender finden sich einige Gedankenspiele in meinen Beiträgen zu den “Handbüchern des Drachen”.
Nandurion: Was fordert dich in deiner aktuellen beruflichen Tätigkeit als Hochschuldozent und welche Vorerfahrungen bringst Du dazu mit?
Jens: Ich arbeite an der Hochschule Trier in einem Projekt zur Forschung an und Entwicklung von Therapiespielen für Senioren, beispielsweise bei Aphasien, Parkinson oder zur Schmerztherapie. Entsprechend laufen hier meine Erfahrungen im akademischen Betrieb und als Game Designer zusammen. Ich habe zudem dieses Semester die Freude, eine Vorlesung zur Entwicklung von Rollenspielen halten zu dürfen. Die Hochschule Trier ist mit ihren Studiengängen “Intermediadesign” im Fachbereich Gestaltung und “Digitale Medien und Spiele” im Fachbereich Informatik der größte Ausbildungsstandort für Spieleentwicklung in Deutschland. Entsprechend viele interessierte Studenten finden sich hier zu so einem Thema. Dies hat den angenehmen Nebeneffekt, dass ich mich deutlich strukturierter mit Herangehensweisen und Fragen der Rollenspielentwicklung beschäftige, als es als reiner Autor nötig wäre.
Nandurion: Inwiefern helfen die Vorlesungsinhalte zu Rollenspiel dabei in dieser Branche zu arbeiten?
Jens: Dazu kann ich nur sagen, was ich auch meinen Studenten sage: Von der eigentlichen Entwicklung und dem Schreiben von Rollenspielen lebt in Deutschland wenn es hoch kommt ein Dutzend Personen, vermutlich weniger, und das eher schlecht als recht. Von daher ist es nicht der Sinn und Zweck der Veranstaltung, Vollzeitrollenspielautoren auszubilden. Die Beschäftigung mit Rollenspielen, auch auf theoretischer Ebene, und das Verständnis dafür wie sie funktionieren und wie sie geplant und umgesetzt werden, ist aber ausgesprochen hilfreich, um allgemein tiefergehende Einblicke in Game Design, beispielsweise für Videospiele, zu erhalten. Denn hier haben analog betriebene Rollenspiele einige Vorzüge. Zuerst zu nennen ist der enorme Freiheitsgrad: In Videospielen können nur Handlungen ausgeführt werden, die explizit vom Entwickler vorgesehen und entsprechend implementiert wurden. Im Rollenspiel kann man hingegen so ziemlich alles machen, was sich irgendwie im Rahmen der Vorstellungskraft der Beteiligten bewegt, höchstens begrenzt von den Regeln und der Bereitschaft sie auf die Situation anzupassen. Gleichzeitig zwingt die Entwicklung von Rollenspielen dazu, jede Regel darauf abzuklopfen, ob sie sich nicht leichter und einfacher umsetzen lässt. Zudem müssen sie klar und eindeutig definiert und formuliert werden, damit sie wie gewünscht am Spieltisch verwendet werden können. Hinzu kommen einige andere Punkte in der üblicherweise nonlinearen und recht dynamischen Narration, im Balancing oder im Level Design, die für angehende Game Designer interessant sein können. Und natürlich nutze ich wie oben schon angemerkt diese Gelegenheit als Missionar, um Studenten zu ermutigen dieses Hobby zu betreiben. Inwieweit meine Vorlesungen innerhalb der Branche hilfreich sind, kann ich nicht beurteilen, da ich um ehrlich zu sein gar nicht absehen kann, ob sich meine Studenten irgendwann dorthin verirren. Aber ich versuche ihnen so weit es geht beizubringen, was ich als Entwickler über die Jahre gelernt habe und was ich für relevant und nützlich halte.
Nandurion: Herzlichen Dank für Deine Auskünfte und Geduld mit unseren Fragen, lieber Jens. Wir wünschen weiterhin gutes Gelingen!
Weiterführende Links
- Jens Ullrichs Blog „Eisparadies“
- Eintrag im Wiki Aventurica
- Eintrag im Shadowiki
- Engors Dereblick – Interview mit Jens Ullrich zu DSK (2022)
- Teilzeithelden – Interview zu DSA5 (2015)
- Nandurion – Interview mit den DSA5-Machern (2014)
- Nandurion – Interview mit der DSA-Redaktion (2013)
- Nandurion – Interview mit Jens Ullrich (2013)
- DSAforum – 5 Fragen an den Eismann (2013)
- Ulisses Spiele – Zuwachs für die Redaktion (2013)
- Der Dicke Preuße (Podcast) – Die Schwarze Katze, Interview mit Jens Ullrich (2018)
- Lurch und Lama (YouTube) – Zu Gast: Jens Ullrich und die alten Rollenspiel Zeiten
- Ulisses Spiele (Youtube) – Die Schwarze Katze: Panel mit Jens Ullrich zum neuen DSA-Spin Off
„Zu guter Letzt sollte bei jeder Forderung nach einer Probe, egal auf was, das Abenteuer eine gut spielbare Antwort auf alle möglichen Ergebnisse bereithalten. Wenn eine Handlung zum Erliegen kommen kann, weil die Chance besteht, dass dank einer schlecht gelaufenen Wahrnehmungsprobe ein zentraler Hinweis nicht gefunden wird, dann hat sich der Autor selbst und dem Spielleiter gleich mit ein Bein gestellt.“
Dass sollte Herr Ullrich mal dem Kollegen Spohr nahelegen. Ich sag nur Sinnenschärfeprobe am Ende von Schleierfall…
Ich eigne mich schlecht als Postbote. Aber du kannst es ihm auch einfach selbst nahelegen, im Zweifelsfalle über die Feedback-Adresse.
Danke für das schöne Interview!
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