Von Kyndoch nach Fairngard

Das Kyndoch-Kontor war von Ende der 90er bis weit in die Nuller-Jahre hinein eine Internetseite, wie es seinerzeit viele gab. Das besondere Verdienst des Betreibers Jesco von Voss war jedoch die Sammlung von Errata und Meistertipps, die man hier zu beinahe jedem Abenteuer gebündelt einsehen konnte. Nach dem Aus dieser bemerkenswerten Internetpräsenz fanden diese Inhalte eine vorübergehende Heimat auf Alveran.org, zu dieser Zeit eine der größte und aktivsten DSA-Webseiten. Nachdem auch Alveran wenige Jahre später seine Pforten für immer schloss, wanderte von Voss Vermächtnis in die umfangreichen Archive der Wiki-Aventurica. Dort sind sie auch heute noch zu finden.

In der Tradition dieser wundervollen Sammlungen möchte ich einen Beitrag zu einem Abenteuer leisten und meine Erfahrungen in Form von Tipps und Handreichungen weitergeben.
Heute: Die Bestie von Fairngard aus der Anthologie Verwunschen & Verzaubert.

Motivation und Verfügbarkeit

Für meine eher hotzenplotzige Runde zwischen Gratenfels und Honigen suchte ich ein kleines, nicht zu langes Abenteuer mit phantastischem Einschlag, in dem die Gruppe sich mit einer klassischen Heldentat Ruhm erwerben konnte. Dafür hatte ich schon länger die Anthologie Verwunschen & Verzaubert ins Auge gefasst. Dieser 2005 erschienene Hardcover-Band sammelt einige kleine Abenteuer mit märchenhaftem Einschlag. Genau mein Ding also. Autor Tobias Radloff hatte ich noch von einigen anderen Publikationen in guter Erinnerung und so gab es keinen Grund, meine kleine Truppe nicht nach Fairngard zu schicken.

Auf Ebay ist der Band für über 100 € zu haben. Ein PDF findet sich im Ebook-Shop leider nicht. Wer den Band also nicht ohnehin im Regal stehen hat, der muss wohl viel Geduld aufbringen oder einen Glücksgriff landen.

Das Abenteuer richtet sich an Einsteigerhelden und sollte auch mit wenig erfahrenen Helden gespielt werden. Der Spielort ist das nordöstliche Albernia. Die Zeit ist flexibel. Das Abenteuer erschien mit DSA4-Regeln, wurde von mir aber mit DSA5 geleitet. Da es wenig spezifische Regelfälle gibt, sollte dies auch einem nur mit DSA5 erfahrenen Meister problemlos gelingen.

Struktur des Abenteuers

Wie in meiner Rezension zu Lars-Hendrik Schillings Handbuch des Drachen Kaufabenteuer verfeinern beschrieben, lassen sich die Strukturen eines Abenteuers in verschiedenen Formen visualisieren. Das Ablaufdiagramm eignet sich gut für den vorliegenden Fall und sollte auch ohne Erfahrung im Umgang mit diesem Werkzeug leicht zugänglich sein.

  • Ablaufplan für das Abenteuer

    Für die Vorbereitung sind zwei Dinge von Belang. Zum einen kann eine Verbindung der Helden zur lokalen Bevölkerung und/oder der Baronin von Gemharsbusch Finnya ni Bennain hergestellt werden.
    Darüber hinaus kann die Legende vom Nachtreißer den Helden an geeigneter Stelle schon vor dem Abenteuer präsentiert werden.

  • Es ist glaubhaft zu machen, warum die Baronin mit Ihren Rittern sich der Sache nicht annimmt, der Hilferuf aus Fairngard aber dennoch wichtig ist. Dies kann wie im Abenteuer vorgeschlagen durch ihre Abwesenheit erfolgen, aber auch andere Gründe haben.
  • Die Ignoranz der Dörfler gegenüber der Problematik, in unmittelbarer Nähe zum verwunschenen Farindelwald den Baum einer Fee zu fällen bedarf einer Erklärung. Schließlich meidet es die lokale Bevölkerung angstvoll, im Wald selbst Holz zu schlagen.
  • Die verschiedenen Ereignisse nach der Ankunft im Dorf müssen keineswegs in der vom Abenteuer angedachten Reihenfolge stattfinden. Es kann vor dem Kampf mit dem Nachtreißer zur Erkundung des Turms kommen. Die Helden können aktiv versuchen Kontakt mit der Fee aufzunehmen oder versuchen den Nachtreißer bei Tag ausfindig zu machen.
  • Ein Kritikpunkt am Abenteuer war die beschränkte Kampfkraft des Nachtreißers.

Der Praxistest

Den Einstieg gestaltete ich mit Vorbereitung von langer Hand. Die Helden begleiteten die Baronin Finnya ni Bennain auf einer gefährlichen Queste. Dabei wurde die Baronin schwer verletzt und musste verwundet nach Gemharsbusch zurückkehren. Während dort noch beratschlagt wurde, wie gegen den tückischen Schwarzen Alrik vorzugehen sei, erreichten die Hilfesuchenden aus Fairngard den Hof der Baronin. Da die Baronin offensichtlich nicht in der Lage war zu helfen und ihre verfügbaren Ritter lieber die prestigeträchtige Verfolgung des Schwarzen Alriks aufnahmen, waren die Helden die einzige Wahl für die Queste nach Fairngard.

Da ich meine Spielrunde üblicherweise nicht mit aventurischen Märchen beglücke, die erst ein halbes Jahr später von Bedeutung sind, wollte ich noch etwas Kontext zur Geschichte vom Nachtreißer einbringen. Dazu erzählte die junge Knappin der Baronin, gerade von den Helden im letzten Abenteuer gerettet, eine Geschichte aus Kindertagen. Die Mär vom Nachreißer, der „vor langer, langer Zeit“ sein Unwesen in Fairngard trieb. Da die Erzählerin ein junges Mädchen war, musste ich hier keine bühnenreife Erzählung vorlegen und hatte auch keinen langweiligen Vorlesetext vorbereitet. Statt dessen konnten die Helden nach einem kurzen und spontanen Abriss der Geschichte in den Dialog mit dem Mädchen treten. Das gab mir an dieser Stelle schon die Möglichkeit herauszufinden, worauf die Spieler sich fokussierten und welche Teile der Geschichte ihnen womöglich weniger präsent waren.

Die erste Begegnung mit dem Nachtreißer findet kurz vor dem Eingang zum Tal von Fairngard statt. Die gerettete Finniam steht zunächst unter Schock und kann den Helden keine Erklärungen geben. Das verdichtet die Ereignisse und lässt die Helden relativ unvorbereitet auf die Dörfler treffen.

Bei der Ankunft im Dorf hat sich die gesamte Bevölkerung bereits vor dem Dorf versammelt. Tarmon ui Ludd begrüßt die Helden mit den Worten:

Ich bin Tarmon ui Ludd, Junker von Fairngard. Wer seid ihr und was wollt ihr hier am Ende der Welt?

Für den Junker habe ich mir extra eine knurrige Stimme, ein verkniffenes Gesicht und eine Kopfbedeckung als Requisite zugelegt. Die Kappe sollte schon bald das Markenzeichen des Junkers werden.
Nach dem Austausch unterkühlter Höflichkeiten erfährt Tarmon vom Tod seines Sohnes. Während er sich mühsam beherrscht, beginnt seine Frau hinter ihm lautes Weinen und Wehklagen und will ihren toten Sohn sehen. Die Situation unterstreicht einerseits mit welcher Härte Tarmon auch gegen sich selbst vorgeht, zugleich wird hier aber auch die Ambivalenz der Stimmungen deutlich. Auch wenn den Helden aufgrund der Rettung Finniams teils starke Abneigung entgegenschlägt, gibt es auch andere Gefühle bei den Dörflern. Diese Ambivalenz, die aus der völligen Überforderung der Bauern mit der Situation geboren wird, versuchte ich auch in den kommenden Dialogen immer wieder anzubringen.

Das Tal von Fairngard mit markanten Spielpunkten

Für die weiteren Recherche der Geschehnisse durch die Helden ist eine grobe Zeitlinie unerlässlich. Zu präzise muss es allerdings nicht sein, da die Dörfler sich auch hier ständig widersprechen und Dinge durcheinander bringen.

  • Vor zwei Wochen: Fällen der Eiche, Finniam protestiert und verweist auf die Fee
  • In der darauffolgenden Nacht: Der Nachtreißer erscheint
  • Seitdem Angriffe auf: Wild – Schafe – Hirte VigorFinniams Mutter Gunna in ihrer Hütte
  • Dörfler verschanzen sich in der Burg
  • Drei Tage vor Beginn des Abenteuers: Yanduin und Baras werde nach Gemharsbusch geschickt

Der weitere Verlauf des Abenteuers ist in meinen Augen kein linearer Pfad mehr sondern eher eine Spielwiese, auf der die Helden sich tummeln können.

Da der Nachtreißer in dieser Nacht bereits zugeschlagen hat, ist das Dorf zumindest bis zum nächsten Abend sicher.

Die Dörfler wollen Finniam nicht im Dorf haben. Doch bei den Erklärungen stoßen sie bald auf ihren eigenen schändlichen Beitrag zu dem Unglück und versuchen dann ungelenk die Schuld von sich abzuwälzen.
Etwas am Rand steht noch die Frage, warum die Dörfler überhaupt den Baum gefällt haben. Da meine Spieler wenig spezifische Hintergrundkenntnisse haben und die Dörfler keinen Grund, ihre eigene Dummheit noch zu betonen, war dies kein wirkliches Thema. Im Hintergrund hatte ich jedoch festgelegt, dass Tarmon nach dem Tod des letzten Junkers die letzte Nachkommin der Linie ui Llud geheiratet hatte. Tarmon ist zwar von Stand, war jedoch ohne eigenes Land und ist sozusagen zugewandert. Nachdem seine Frau kurz nach der Vermählung gestorben war, heiratete er erneut ein Mädchen aus dem Dorf. Den Namen ui Llud hat er zur Legitimation angenommen. Tarmon selbst hält die Ängste der Dörfler für übertrieben und der perfekte Baum im Tal ist ja auch nicht Teil des Farindel. Nach und nach gelingt es ihm, sich selbst und das Dorf davon zu überzeugen, dass das Fällen des Baumes eine gute Idee wäre.
Falls man die erste Reaktion der Dörfler auf Yanduins Tod noch dramatischer gestalten möchte, könnte Yanduin auch der einzige Sohn der verstorbenen Frau des Junkers und damit der letzte Nachkomme des Brenwyn ui Llud gewesen sein.

Die Helden können versuchen Asamriel aktiv zu kontaktieren. Meiner Spieler-Elfe misslingt jedoch eine Singen-Probe am Baumstumpf und die Dryade hält sich zurück.

Einfaches Schema des Turms mit aufgepflanztem Banner

Der verlassene Turm erweckt natürlich sofort Aufmerksamkeit und so beschließen die Helden noch vor dem Sonnenuntergang in das „verfluchte“ Gemäuer einzudringen. Das Eindringen in den Turm nutze ich im übrigen als Cliffhanger und die Sitzung endet mit der ersten Heldin im Turm.
An dieser Stelle nutzte ich eine Besonderheit in der Runde. Ein neuer Spieler stieß in der zweiten Sitzung zur Spielrunde hinzu und betrat in der Abenddämmerung das Tal von Fairngard. Gleichzeitig untersuchten zwei andere Helden den Turm. Während der Neuankömmling im Tal auf die verdutzten Dörfler stieß, die erneut dem Biest die arme Finniam zum Fraß vorwerfen wollten, kletterten derweil die übrigen Helden auf dem Dach des Turmes herum. So konnten die Helden von oben gerade noch erkennen, welches Drama sich im aufziehenden Nebel im Tal anbahnte. Die Szenen wurden in schnellem Wechsel parallel miteinander gespielt, bis die Truppe aus dem Turm schließlich mit dem verwunschenen Speer im Tal ankam.

Für die finale Konfrontation mit dem Nachtreißer wurden dann alle Register gezogen: verzweifelte Dörfler, gefährliche Angriffe des Nachtreißers und schließlich der heldenhafte Einsatz von Tarmon als Köder. Wie schon zuvor hatte ich für den Nachtreißer, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, ein Musikstück aufgelegt und die Kampfszene mit gehetzten Tönen unterlegt.

Rückschau

Ein zentrales Element, das für mich einen großen Reiz des Abenteuers ausmacht, sind die Bewohner von Fairngard. Zum einen sind sie die Opfer in dieser Geschichte, die gerettet werden müssen. Zum anderen sind sie aber zugleich auch die Täter, die sich ihr eigenes Grab geschaufelt haben. Die Ambivalenz der Menschen trägt viel zur Stimmung des Abenteuers bei. Gewiss verstehen die Dörfler wenigstens zum Teil, dass sie selbst in ihrer Ignoranz Unheil über ihr Dorf gebracht haben. Zugleich wollen sie dies aber auch nicht zugeben und versuchen weiterhin Finniam als Sündenbock zu opfern. Manch eine Heldin möchte vielleicht das ganze Pack seinem Schicksal überlassen. Aber ein ganzes Dorf zu opfern ist dann doch alles andere als heldenhaft. Mit diesem Widerspruch müssen die Helden umgehen und lernen so vielleicht auch noch mehr über sich und das Heldentum als sie erwartet hatten.

Das parallele Spiel zweier zeitgleich in Sichtweite stattfindender Handlungen mit unterschiedlichen Spielern ist sicher ein Spezialfall. Normalerweise hätte ich so etwas nicht versucht und hatte für diesen Fall die Szenenübergänge auch sehr detailliert durchgeplant. Tatsächlich hat dieses Manöver überraschend gut funktioniert und war so spannend wie wenige andere Begegnungen.

Als Meister sollte man sich in jedem Fall darauf einstellen, dass die Spieler sich keineswegs an die Reihenfolge und beschriebenen Schritte halten. Der Turm weckt sicher Neugier. Eine Kontaktaufnahme mit der Fee liegt auf der Hand und zudem scheint es auch logisch zu versuchen, den Nachtreißer in seinem Tagversteck zu finden.

Grundrisse des Turms von Burg Fairngard

Zumindest im DSA-Forum wurde Kritik geäußert, die Kampfkraft des Nachtreißers sei unzureichend. Gegen eine durchschnittlich motivierte Hand der Pfeile des Lichts würde die Kreatur kaum eine anständige Feldschlacht liefern. Natürlich ist es unsinnig, mit solchen Maßstäben zu messen. Das Setting ist hier ein abgelegenes Dorf ohne weitere Bedeutung. Wie in meinen Ausführungen zum Einstieg weiter oben erläutert, dürfte so etwas kaum das Interesse schlagkräftiger Kriegshaufen wecken. Eben darum sind es ja die Helden, die sich auf diese Quest wagen, die man in Gemharsbusch nicht so recht ernst nehmen will.
Dennoch sei hier natürlich angemerkt, dass der Kampf im Herbst während der Abendstunden an einem See stattfindet. Wenn Nebel und Dunkelheit den Helden nicht genügend Probleme bereiten, dann mögen die panischen Dörfler das übrige tun, um die Helden durch kopflose Aktionen zu behindern.

Abschließend sei noch angemerkt, dass die Vernichtung des Nachtreißers, die Erlösung eines Geistes, die Begegnung mit einer Fee/Dryade und die Rettung eines Dorfes eine ziemlich gute Geschichte ergeben. In Verbindung mit der ursprünglichen Erzählung vom Nachtreißer kann damit sicher auch am Lagerfeuer oder im Gasthaus gepunktet werden. Einer meiner Spieler griff das auch gleich im kommenden Abenteuer auf und stellte sich als Bezwinger des Nachtreißers vor.

Handouts

Als Handouts für das Spiel habe ich einfache Skizzen gefertigt.

Karte des Tals: Besonders hervorzuheben ist die ehemalige Ruhestelle des Nachtreißers. Die Verfärbung des Bodens kann den Helden am Tag auch aus der Entfernung auffallen. Der See ist teilweise durch starken Schilfbewuchs unzugänglich.

Außenansicht des Turms: Sehr wichtig, sobald die Helden sich genauer mit dem Eindringen auseinandersetzen. Die Lösung, den gigantischen Steinhaufen vor der Tür mühsam abzutragen, halte ich für unwahrscheinlich. Vermutlich werden die Helden andere Wege finden. Zentral ist diese Darstellung auch, weil sie den Spielern noch einmal das Wappen auf der Turmspitze vor Augen führt.

Grundrisse des Turms: ganz klassisch für die Erkundung mit abgedeckten Stockwerken.

Referenzen

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1 Antwort zu Von Kyndoch nach Fairngard

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