Die Karte hat als Abbild der Welt schon immer einen besonderen Stellenwert in der phantastischen Literatur und umso mehr im Rollenspiel. Heute ist Steffen Brand der Star unter den aventurischen Kartographen. Doch über sehr lange Zeit war der viel zu früh verstorbene Ralf Hlawatsch der Zeichner aventurischer Karten. In den DSA-Romanen vergangener Dekaden findet sich fast immer seine Aventurienkarte. Und auch für die Abenteuer des Schwarzen Auges steuerte er zahlreiche Karten, oft von Städten und Gebäuden, bei. Sein Stil war lange Zeit prägend für die Orte, welche aventurische Helden besuchen konnten und so in vielen Fällen gewissermaßen das Gesicht der Welt am Spieltisch.
Für meine Einsteiger-Kampagne in der Grafschaft Gratenfels war natürlich das Abenteuer Über den Greifenpass geplant. Um der Spielrunde einen Zugang zur Stadt Gratenfels und ihrer Geographie zu ermöglichen, wollte ich auf eine Karte nicht verzichten. Selbstverständlich liegt dem Abenteuer eine Karte des von mir so geschätzten Ralf Hlawatsch bei, doch diese entspricht nicht mehr den heutigen Gewohnheiten und passte nur bedingt zu meinen Vorstellungen für das Abenteuer. Zwar haben sich auch schon andere an einer Übertragung des Layouts auf alternative Designs versucht, doch hierbei handelt es ich um vollfarbige Darstellungen, die nicht meinem Bedarf entsprechen. Ich möchte meine Karten auf einem Schwarz-Weiß-Drucker produzieren können und darüber hinaus ist es mir wichtig, dass ich in den Karten herummalen und farbige Markierungen vornehmen kann. Die hochwertigen Bilder, die heute das Bild von Stadtkarten im Internet dominieren, liefern phantastische Grundlagen für das online-Spiel (oder den volldigitalisierten Spieltisch), sind jedoch für die haptische Orientierung meines Spieltisches eher ungeeignet.
Was kaum 2000 Einwohner? Was ist das denn hier für ein winziger Flecken?
– W. C. Felder, ein Streuner aus dem Westen
Darüber hinaus gab es noch einen zweiten Aspekt, der mich schon lange beschäftigt hatte. Die wunderschön anzuschauenden, detailreichen Karten diverser (nicht nur aventurischer) Fantasy-Städte weisen in den allermeisten Fällen einen Detailgrad auf, der jeden modernen Stadtplan bei weitem übertrifft. Erst seit den hochauflösenden Satellitenbildern von GoogleMaps haben wir uns daran gewöhnt tatsächlich einzelne Gebäude in der Vogelperspektive zu erkennen. In Ralfs Karten trifft diese Eigenschaft zudem noch auf einen sehr aufgeräumten Stil der Tuschezeichnungen. In der Karte von Gratenfels ist das besonders deutlich zu erkennen. Die Gebäude der Stadt scheinen regelrecht vor den einschüchternden Mauern und massigen Festungen zurückzuweichen und sich in zusammengedrängten Grüppchen in dem umfriedeten Gelände der Stadt zu versammeln.
Dieser reduzierte Stil in Verbindung mit der vollständigen Übersicht über jedes Gebäude der Stadt führt zu einem bildlichen Schrumpfen der Stadt selbst. Da sind der etwas unerfahrene Held vom Lande, die weltfremde Elfe oder auch der Magier aus seinem Elfenbeinturm. Sie alle treffen nun auf das pralle Leben einer bedeutenden Stadt und das auch noch während eines großen Festtages. Die geordneten Reihen einer Siedlung, die aus unserer heutigen Perspektive bestenfalls ein Dorf darstellen kann, passt einfach nicht zu dem Bild, welches den aventurischen Figuren vermittelt werden soll. In einem ersten Versuch entschloss ich mich also am Beispiel Gratenfels ein paar einfache Modifikationen vorzunehmen.
Als erste Maßnahme hülle ich die Wohnviertel in Schatten. Konkret bedeutet das, mit meinem Malprogramm GIMP (eine kostenfreie Alternative zu Photoshop) eine leicht transparente Fläche über die verschiedenen Stadtviertel zu legen. Wichtige Gebäude wie Tempel oder die Villa Balthasius werden dabei ausgelassen. In einigen Fällen rücke ich dabei zudem näher an die Mauer heran. Dies soll deutlich machen, dass es keinen freien Rundkurs rund um Gratenfels gibt, auf dem die örtliche Jugend Podrennen abhält, sondern die Wohnviertel in der Regel bis an die Mauer heranreichen.
Um die Menschenmengen zur Zeit des Kupperusfestes darzustellen verwende ich zwei Elemente. Die zahlreichen Stände und Buden werden mit einem (digitalen) Kohlestift eingezeichnet. Dieser etwas fragile und weniger substanzielle Pinsel deutet an, dass wir es hier nicht mit den steinernen Mauern dauerhafter Gebäude zu tun haben, sondern mit den Holzbuden und Zelten eines Jahrmarktes. Die verstreuten Menschenmengen ziehe ich mit einem Spezialpinsel, der mir unregelmäßige Punkte über das Blatt verteilt.
Beim Malen fallen mir noch einige Besonderheiten auf, die ich im späteren Abenteuer gebrauchen kann.
Die Garnisonen werden in Abhängigkeit der aktuellen Nutzung ausgestaltet. Die nordöstliche Garnison als Quartier der Gratenfelser Armbrustschützen bleibt unverändert. Die nordwestliche Anlage erhält Darstellungen von Stuhlreihen und einer Bühne, denn hier hat eine Theatercompanie ihr Lager aufgeschlagen. Die südliche Garnison soll von Graf Alrik ebenfalls gewinnbringend vermietet werden. Hier werden Garnisonszimmer zu überteuerten Preisen vermietet oder gegen Gebühr die Genehmigung erteilt, Zelte innerhalb der Stadtmauern aufzuschlagen.
Der Marktplatz ist natürlich das Zentrum der Festlichkeiten. Direkt am Schuldturm errichtet Meister Burras bizarres Bestiarium seine Wagenburg. Da ich im späteren Abenteuer Ereignisse und Personen innerhalb und außerhalb der Mauern sehe, werden auch vor den Toren Lager errichtet. Jene Gäste, die sich die Unterbringung oder Standgebühren innerhalb der Mauern nicht leisten können, müssen in den Lagern vor den Toren kampieren.
Mit diesen Elementen kann ich nun also meine Helden nach Gratenfels führen. Einer Spielerin mit der größten Affinität zu Karten werde ich noch ein paar Buntstifte in die Hand drücken, damit sie während der Sitzung die besonderen Sehenswürdigkeiten markieren kann und dann kann es losgehen mit den Festivitäten zum Kupperusfest.
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