„Sie schalt uns Diebe und Betrüger und erklärte, dass man von Bewohnern einer Insel auf der nur Giftmischer und Meuchelmörder lebten, nichts anderes erwarten könne. – Ihre ständigen Fehleinschätzungen leid, entgegnete ich, dass ich genau wisse, dass auf Maraskan nicht nur Giftmischer und Meuchelmörder lebten, sondern auch Dämonenpaktierer.“
— Westwärts, Geschuppte!
Während der Ulisses-Verlag die Zahl der Produkte weiter erhöht, erscheint Mitte 2010 relativ unbeachtet Michael Masbergs Abenteuerband Der Lilienthron. Das unabhängige Abenteuer weist gleichwohl einige Besonderheiten auf, die es von vielen anderen unterscheidet. Schon das Cover verrät dem Eingeweihten diese ungewöhnliche Gestaltung, zeigt es doch anstatt generischer Heldenfiguren drei sehr spezifische Meisterpersonen. Neben der Hohen Schwester Milhibethjida werden allerdings nur die wenigsten die maraskanische Königin Nedimajida und den Bluttempler Belharion Menning erkannt haben. Mit diesem Wissen lassen sich auch die drei Mächtegruppen identifizieren, die den Metaplot in diesem Abenteuer vorantreiben werden. Dass es Michael Masberg ist, der sich des maraskanischen Metaplots angenommen hat, ist wenig verwunderlich. Der Oberhausener mit einem Faible für das Maraskanische hat sich bereits öfter in der Vergangenheit auch in unabhängigen Werken mit einigen Nischen des Metaplots beschäftigt.
Über die Geschehnisse
Der Lilienthron behandelt die Befreiung der heiligen Stadt Boran und den Sturz der falschen Königin Nedimajida. Wenig ist diesem Handlungsstrang an konkreten Abenteuern vorausgegangen auch wenn Masberg einen umfangreichen Überblick über die jüngere Geschichte der verfluchten Insel gibt. Mit der Befreiung Borans wird jedoch eine Handlungslinie vorangetrieben, die mit Haffax Invasion und späterer Eroberung Mendenas ihren Anfang nahm. Die „Haffajas“ ziehen sich von der Insel zurück und die „Wissenden“ beginnen die fremde Herrschaft abzuschütteln. Das Abenteuer ist damit Ausgangspunkt für Entwicklungen, die in der Spielhilfe Schattenlande ihr vorläufiges Ende finden werden.
Für die Helden beginnt das Abenteuer mit der Anwerbung durch die einflussreiche Gemeinde der Exilmaraskaner. Im Auftrag der Kindlichen selbst werden sie nach Boran entsandt, um einen Aufstand vorzubereiten, der den Weg für die Rückeroberung ebnen soll. Das Shikanydad hat Truppen gesammelt, um die Stadt zu erobern, doch durch Agenten in der Stadt soll dies im Handstreich gelingen. In Boran angelangt kommen den Helden dabei die Expansionspläne der Königin sehr zupass. Nachdem diese mit einer Streitmacht nach Jergan aufgebrochen ist, sollte es den Helden bedeutend leichter fallen, die Bevölkerung für den Aufstand zu mobilisieren. Die Herausforderung besteht in erster Linie darin, sich so geschickt in dem Geflecht der verschiedenen Mächtegruppen zu bewegen, dass die Kräfte zum eigenen Vorteil genutzt werden können, bevor man zwischen den Mächten zerrieben wird. Dabei sind natürlich maraskanische Spielerfiguren hier im Vorteil, doch auch Figuren anderer Kulturen sind in den verschiedensten Rollen vertreten. Tatsächlich endet das Ganze in der heroischen Befreiung Borans und die Helden dürfen eine bedeutende Rolle bei der Befreiung der heiligen Stadt spielen.
Damit könnte das Abenteuer zu Ende sein, wäre da nicht die Königin Nedimajida. Nach der Eroberung Jergans scheint sie eine sichere Position erreicht zu haben. Doch nachdem der Fürstkomtur höchstpersönlich auf See einen Sieg über die Truppen der falschen Königin erringt, muss Nedimajida fliehen. Wieder sind des die Helden, die im Auftrag des Shikanydads ausgeschickt werden. Nicht weniger als eine Exekution ist es, die von den Helden verlangt wird. Es gilt die flüchtige Königin ausfindig zu machen und endgültig zu vernichten. Die Suche selbst dauert angesichts der Umstände nicht lange und so kommt es zu einem wahrlich maraskanischen Finale. Tief im Dschungel konfrontieren die Helden zwischen den Ruinen echsischer Kultur die flüchtige Königin und ihre Schergen. Die Wahl des Ortes ist jedoch mehr als nur reiner Fluff. Tatsächlich liefert die verborgene Pyramide und das Vermächtnis ihres Erbauers einen Anstoß für die mystische Handlungslinie, die im weiteren Verlauf des Metaplots noch eine Rolle spielen wird.
Den Abschluss des Bandes bildet neben den ausführlichen Anhängen ein kurzer Ausblick auf die agierenden Mächtegruppen und ihre Aktivitäten. Neben den politischen Aktivitäten über die es wenig spektakuläres zu berichten gibt, wird auch die mystische Handlungslinie thematisiert, die sich um das verborgene Herz der Insel drehen wird und in der auch die Zwillingsschwerter Antworter und Vergelter wieder eine Rolle spiele sollen. Neben den Dramatis Personae findet der Leser im Anhang auch eine umfangreiche Beschreibung der Stadt Boran, den dazugehörigen Steckbrief aus nach Patrizier und Diebesbanden, sowie einen Stadtplan von Daniel Jödemann. Letzterer ist wie immer von hoher Qualität weist jedoch leider einen leichten Grauschleier auf.
Über das Handwerkliche
Im Aufbau des Abenteuers ist unschwer Masbergs Anspruch zu erkennen, den Kampf um den Lilienthron für die Spieler möglichst offen zu gestalten. Erreicht wird dies in erster Linie über sehr umfangreiche Personenbeschreibungen. Neben fünf Seiten Dramatis Personae werden zu Beginn des Abenteuers die wichtigsten Spieler auf einer weiteren Seite vorgestellt. Bereits hier kommt es zu Querverweisen, die im Buch sehr zahlreich zu finden sind und das Lesen nicht immer vereinfachen. Dazu kommen noch einmal drei Seiten bei den Beschreibungen der Mächtegruppen in Boran, die ebenfalls Personen betreffen. Damit sind fast 10 Seiten des Bandes den Personenbeschreibungen gewidmet, der auf insgesamt 45 Seiten Texte kommt. Berücksichtigt man nun noch die nicht immer ganz einfachen Namen sowie das komplizierte Beziehungsgeflecht der Akteure wird klar, dass dem Management der Meisterpersonen hier nicht nur für den Meister eine bedeutende Rolle zukommt. Eine Relationship-Map wäre hier vermutlich mehr als angebracht.
Neben Personen und Orten werden jedem Kapitel auch die zentralen Ereignisse vorangestellt, die in erster Linie von den Meisterpersonen vorangetrieben werden. Innerhalb dieses Rahmens haben die Helden nahezu alle Freiheiten und Masberg erfüllt den Anspruch der Handlungsfreiheit zumindest für das Spiel in Boran geradezu vorbildlich. Wie immer hat dies jedoch auch seinen Preis. Je nach Typ bedeutet Der Lilienthron entweder umfangreiche Vorbereitung oder ein hohes Maß an Improvisation für die Spielleitung. Gerade im Bezug auf die Ereignisse zeigt sich hier ein Schwachpunkt von Metaplot-Abenteuern, denen man gemeinhin nachsagt, Handlungsfreiheit sei hier nahezu ausgeschlossen. Masberg löst dieses Problem weitgehend dadurch, dass er die Spieler auf sehr ausgewählte Handlungsstränge beschränkt. Obschon die Helden hier größte Handlungsfreiheit genießen müssen sie mit einer sehr eingeschränkten Sicht auf die Dinge leben. Über den allgegenwärtigen Kladj besteht immerhin die Möglichkeit die Helden von anderen Dingen in Kenntnis zu setzen, aktives Einfgreifen ist dort jedoch nicht vorgesehen.
Diese Perspektive kann für Helden wie Spieler gleichermaßen zum Problem werden, wenn sie die Zusammenhänge und Entwicklungen aus Unkenntnis einfach nicht mehr bewerten können. Auch in diesem Abenteuer schmückt Masberg seine Texte immer wieder mit Hinweisen und Details, die für den unbedarften Leser kryptisch wirken mögen. Der Hang des Autors auch kuriose Einzelheiten immer wieder als bekannt vorauszusetzen gepaart mit zahlreichen Anknüpfungen an wenig bekannte und beschriebene Ereignislinien trübt manchmal das Bild. Das der Band auch zahlreiche interne Verweise benötigt, weist auf die Schwierigkeiten hin, die Masberg bei der Strukturierung der verstreuten Informationen gehabt haben muss. Inhaltlich bleibt noch zu sagen, dass einer oder mehrere maraskanische Helden, insbesondere aber auch entsprechend begeisterungsfähige Spieler, fast schon ein Muss für dieses Abenteuer sind. Diese thematische wie inhaltliche Fokussierung auf die Freunde des Zwillingsglaubens mag auch das begrenzte Echo erklären, das Der Lilienthron bislang erfahren hat. All diesen Interessierten jedoch verspricht das Spiel in Boran eine gute Gelegenheit sich auszutoben. Im Gegensatz dazu wirkt der zweite Teil der Handlung stromlinienförmig und auf das Notwendigste reduziert. Zudem mag es durchaus Helden geben, die mit dem unverblümten Mordauftrag ihre Probleme haben werden. Die Erwartungen an die Moral der Helden hat sich aber wohl geändert, seit Hadmar Wieser 1993 die Helden des Khomkrieges mit einem ähnlichen Auftrag beglückte.
Über den Meta-Plot
Mit dem Lilienthron werden die Entwicklungen, die zu einer Befreiung der Insel Maraskan von fremden Besatzern führen sollen, erstmals in greifbare Abenteuerform gebracht. Masbergs Werk kann dabei durchaus als Anfang einer Ereignislinie gesehen werden, sind doch die Quellenverweise in die Vergangenheit mehr als spärlich zu nennen. Viel konkreter wird es allerdings auch beim Blick auf künftige Publikationen nicht. Offensichtlich sind zu den skizzierten Ereignissen noch keine konkreten Publikationen geplant. Es bleibt daher abzuwarten, ob der Band tatsächlich würdige Nachfolger finden wird, die die begonnen Handlungsfäden aufgreifen, oder diese aber einem ökonomischen Kalkül zum Opfer fallen werden.
In wieweit dagegen der von Masberg angedeutete Konflikt um die Deutung des maraskanischen Königtums in spielbarer Handlung verarbeitet werden wird, oder ob es sich hier bis auf weiteres lediglich um ein Setting-Element handeln wird, dürfte in der bald erscheinenden Spielhilfe Schattenlande deutlicher werden.
Fazit
Michael Masberg gelingt ein maraskanisches Abenteuer mit hoher Handlungsfreiheit, das sich dennoch einen Flecken des Metaplots erobert. Dafür muss er einige Kompromisse eingehen, die dem einen oder anderen wohl unangenehm aufstoßen werden. Den Meister erwartet in jedem Fall eine Menge Arbeit, wenn er seinen Maraskanern den Kampf um den Lilienthron nahebringen will. Dem Autor ist in jedem Fall sein Faible für das Maraskanische anzumerken und ein solches sollten auch die Spieler pflegen, wenn das Abenteuer in seiner Gänze gewürdigt werden soll. Wie immer ist auch Masbergs Liebe zum Detail nicht nur ein Segen, sondern dürfte gelegentlich auch für Verwirrung sorgen. Ob das Konzept als Ganzes aufgeht bleibt fraglich. Der Autor liefert hier zwar eine ordentliche Arbeit ab, aber ob er sich mit diesem Vorstoß auch ökonomisch und damit nachhaltig behaupten kann, wage ich zu bezweifeln. Zu speziell ist doch das Thema und die besonderen Umstände bedeuten selbst für geneigte Spielrunden einen erheblichen Aufwand. Maraskan ist einfach zu speziell, um mehr als ein Nischendasein führen zu können, so bedauerlich das auch für die Freunde des verfluchten Eilandes voller Giftmischer und Meuchelmörder sein muss.
Auch wenn ich viele der hier Kritikpunkte nachvollziehen kann, finde ich die Gesamt-Punktzahl, welche hier vergeben wurde, deutlich zu niedrig angesetzt.
Das Maraskanische Flair und die große Handlungsfreiheit bei gleichzeitiger Metaplotrelevanz, die politische Dimension und der Schrecken der Besatzer sind bei meinen Spielern auf große Gegenliebe gestoßen.
Seid „Von Eigenen Gnaden“ und der Box „Die Dunklen Zeiten“ wohl eine der lohnenswertesten Publikationen für DSA. Daher würde ich trotz einiger Schwächen eher 8 bis 9 von 10 Punkten dafür geben.
Ja, es ist interessant wie jeder anders bewertet.
Ich selber würde dem Abenteuer auch mehr Einhörner zu gestehen.
Aber so sieht es jeder anders. 🙂
Gruß,
Amirwolf
PS: Wir haben nur max. 9 Punkte zu vergeben. 😉
Es sind noch zu viele Einhörner – das Abenteuer erschien mir von vorne bis hinten wie ein Witzko-Rip-Off – alles, was der geneigte Spieler an Maraskan schätzen gelernt hat, wurde hineinverwurstet, ob es passte oder nicht, Hauptsache die Signalwörter waren da – man war sich nichtmals zu schade, einen Herrn von Tarschoggyn als Botenjunge auftreten zu lassen.
Das Abenteuer selbst nimmt im Vergleich zu den ausufernden und im Inhalt so ziemlich aus der Box „Borbarads Erben“ abgekupferten Hintergrundbeschreibungen erstaunlich wenig Platz ein – und so ziemlich jede Szene wird dem Meister beschrieben als „Du kannst es so machen, aber auch so, oder ganz anders oder es auch lassen“ – wenn man nicht ein erhebliches Maß an eigener Arbeit hineinsteckt um überhaupt Struktur hineinzubringen, stehen Spieler und Meister schon nach kurzer Zeit alleine im Dschungel.
Ich kann nur sagen, nicht überall, wo Maraskan draufsteht, ist auch Maraskan drin und speziell dieses Abenteuer ist ein Wegweiser für die immer stärker abfallende Qualität von DSA – wobei ich zu dem Zeitpunkt, als es herauskam, die Drachenchronik natürlich noch nicht kannte, die in Sachen Mängelware alles nochmal toppt.
„Witzko-Rip-Off“ ist ein schwieriger Vorwurf, Bruderschwester. Ich finde es eher gut, dass versucht wird, das alte Witzko-Maraskan auch durch Anspielungen weiter zu erhalten. Ich glaube, das Abenteuer ist besser als es bislang hier wegkommt. Schade ist aber, dass es aufgrund der Kürze sein Potential nicht entfalten kann.
Wie dem auch sei, die Welt ist schön!