Seit dem 30.08.2013 ist das Point-and-Click-Adventure Memoria im Handel erhältlich. Damit gibt es jetzt schon zwei Spiele aus dem Hause Daedalic, die in Aventurien angesiedelt sind – somit wurde es höchste Zeit für ein Interview. Autor und Gamedesigner Kevin Mentz stand uns Rede und Antwort und berichtete über die Entwicklung von Memoria, den Umgang mit dem aventurischen Setting und die Arbeit bei Daedalic im Allgemeinen.
Allgemeines zu Daedalic
Nandurion: Wie darf man sich einen durchschnittlichen Tag bei Daedalic vorstellen?
Kevin Mentz: Im Grunde läuft es hier nicht viel anders als bei jeder anderen Büroarbeit. Man setzt sich morgens (meist mit einer Tasse Kaffee oder Tee) an seinen Platz und beginnt seine Tasks für den Tag abzuarbeiten. Zwischendurch versammelt man sich in Meetings und bespricht Firmeninternes oder das aktuelle Projekt und am Abend geht man dann nach Hause (sofern nicht ein fieser Abgabetermin ansteht und Überstunden beginnen).
Nandurion: Habt ihr in eurem Team auch Leute, die aktiv PnP spielen oder es früher mal getan haben? Und wenn ja, welches System wurde/wird gespielt?
Kevin Mentz: In unserem Memoria-Team gab es tatsächlich einige DSA-Veteranen. Den ein oder anderen Charakter haben wir sogar im Spiel verewigt (zum Beispiel den Thorwaler im Gasthof Zum Fetten Schinken). Darüber hinaus haben manche noch Shadowrun und Vampire: The Masquerade, oder was man in jungen Jahren sonst noch alles in die Finger bekam, gespielt.
Nandurion: Jetzt, wo ihr euch sowohl bei Satinavs Ketten als auch bei Memoria und bei Blackguards mit dem aventurischen Hintergrund beschäftigt habt: Wie gut gefällt euch Aventurien bzw. was gefällt euch daran nicht?
Kevin Mentz: Das Schöne an DSA ist, dass es zum einen eine sehr ausgefeilte, wie auch zugängliche Welt bietet. Wer etwas mit klassischen Fantasy-Szenarien à la Tolkien anfangen kann, der wird sich auch in DSA sehr schnell wie zuhause fühlen. Mit anderen Worten: Man braucht nicht viele Vorkenntnisse, um sofort in ein Abenteuer einzusteigen und zum Beispiel zu verstehen, dass Orks gefährlich sind oder ein Magier zaubern kann. Alle Besonderheiten lernt man dann nach und nach und kann so nach einem sehr reibungslosen Einstieg immer tiefer in Aventurien eintauchen. Das ist bei anderen Rollenspielsystemen nicht so einfach, wo man erst einmal mehrere Basis-Werke gewälzt haben muss, um überhaupt auch nur eine grobe Vorstellung von der jeweiligen Welt und deren Regeln zu bekommen.
Auf der anderen Seite ist dies leider auch der Grund, warum man DSA recht langweilig und verstaubt finden kann. Es knüpft eben sehr stark an die verschiedensten Fantasy-Klischees an und bietet auf den ersten Blick wenig Raum für Unkonventionelles und Überraschungen. Dass das aber nicht sein muss, wollten wir unter anderem auch mit der Story von Memoria zeigen.
Nandurion: Wenn jemand, der jetzt die Schule beendet hat, sagt: Ich will später einmal bei Daedalic Spiele entwickeln oder programmieren, was empfehlt ihr so jemanden als Berufsausbildung oder Studium?
Kevin Mentz: Das hängt davon ab, was sie oder er später am liebsten machen will bzw. wo man die eigenen Talente verorten würde. Grafiker sollten viel malen und zeichnen, sich in Perspektive und/oder Anatomie üben und mit Farben experimentieren. Dementsprechend sollte man dann auch die Ausbildung wählen. Programmierer oder Sound-Designer dagegen brauchen ganz andere Kompetenzen. Auch hierfür gibt es entsprechende Ausbildungen.
Viele unserer Grafiker zeichnen auch in ihrer Freizeit sehr viel und entwickeln sich so immer weiter. Spätestens, wenn man sich dann für einen Job in dem jeweiligen Bereich bewirbt, hat man im besten Falle auch schon einiges an Arbeitsproben und Referenzen vorzuweisen.
Memoria und Satinavs Ketten
Nandurion: Wie seid ihr darauf gekommen, Aventurien als Setting für ein Point-and-Click-Adventure zu verwenden?
Kevin Mentz: Wie schon gesagt, sind wir hier bei Daedalic nicht nur Adventure-Fans, sondern manche eben auch DSA-ler der ersten Stunde. Und bei Satinavs Ketten kamen diese beiden Leidenschaften dann schließlich zusammen. Das Schöne an DSA ist ja eben nicht nur das Erstellen und Spielen von eigenen Charakteren, sondern auch das Erleben von Abenteuern in der Welt von Aventurien. Und gerade Letzteres lässt sich auch ohne Probleme in einem Adventure zum Kern des Spielerlebnisses machen. Darüber hinaus können wir hier auf engem Raum viel komplexere und tiefgreifendere Geschichten erzählen als in so manchem Rollenspiel, wo oft das Kämpfen im Vordergrund steht. Das heißt: Adventures sind in der Regel sehr viel persönlicher als Computer-Rollenspiele und ich wage zu behaupten, dass sie zudem einen größeren Freiraum zum Erzählen von Geschichten besitzen.
Nandurion: Wie sehr wart ihr bei der Entwicklung im Kontakt mit DSA-Autoren oder der Redaktion?
Kevin Mentz: Uns stand von Anfang an Hadmar von Wieser zur Verfügung, der gerade in den Anfangsjahren von DSA sehr viel zur Mythologie und Geschichte von Aventurien beigetragen hat. Aus seiner Feder stammt unter anderem die Drachenfestung Drakonia und die Schlacht gegen Borbarad in der Gorischen Wüste. Beides sind sehr wichtige Elemente in Memoria und Hadmar hat darüber gewacht, dass wir seine Ideen angemessen und richtig umsetzen.
Nandurion: Wie viele Leute haben an Memoria mitgearbeitet?
Kevin Mentz: An Memoria haben insgesamt ca. 40 bis 50 Leute mitgearbeitet, allerdings niemals alle zur gleichen Zeit. Das Kernteam besteht in der Regel aus einem Leitenden Game Designer, einem Projektmanager und dann den Leitern der Programmierung und der Grafikproduktion. Gerade letztere haben eigene Teams, die wiederum aus mehren Kollegen bestehen. Außerhalb der Firma beschäftigen wir dann noch Sound-Designer, Komponisten, Übersetzer und eben auch die Sprecher der einzelnen Rollen. Da kommt sehr schnell so einiges zusammen.
Nandurion: Wie entsteht ein Spiel wie Memoria? Welche Schritte der Entwicklung gibt es da?
Kevin Mentz: Ganz zu Beginn steht meist eine simple Idee. In diesem Fall war es der Wunsch, ein Spiel über Erinnerungen und Vergangenheit zu machen, sozusagen als Gegenentwurf zu Satinavs Ketten, wo es um Zukunft und Schicksal ging. Daraus entwickelt man dann in der sogenannten Präproduktionszeit die Geschichte mit allen wichtigen Charakteren, Orten und Ereignissen, die für das Erzählen der Geschichte notwendig sind. Gleichzeitig wird das Gameplay definiert und was der Spieler an welcher Stelle machen muss, um weiterzukommen. All dies wird am Ende der Präproduktion dann in einem sogenannten Game Design Dokument (GDD) festgelegt sein, womit dann die eigentliche Produktion startet.
Ausgehend von dem GDD werden unter anderem nun Grafik- und Soundlisten erstellt, die dann von den Grafikern unter Absprache mit dem leitenden Game Designer abgearbeitet werden. Gleichzeitig sitzen die Skripter an unserer Engine und bauen das eigentliche Spiel (zum großen Teil erst mal mit Platzhaltergrafiken) zusammen, so dass man das Spiel möglichst früh inhaltlich testen und überprüfen kann, ob man an alles gedacht hat bzw. ob das Ganze überhaupt Spaß macht. So wird immer weiter produziert und eingebaut und getestet.
Ab einem gewissen Punkt kommt dann unsere Quality Assurance ins Boot, die das Spiel immer und immer wieder durchspielt und auf Bugs abklopft. Texte werden geschrieben, Sprachaufnahmen gemacht und letztlich noch mal das ganze Spiel Schritt für Schritt durchgegangen und glatt geschliffen, wo es noch nicht unseren Ansprüchen genügt.
Nandurion: Durch welche Einflüsse (PC-Spiele, Bücher, Filme, etc.) habt ihr euch zu Satinavs Ketten und Memoria inspirieren lassen?
Kevin Mentz: Gerade Memoria ist sehr stark von den frühen Adventures aus den 80er und 90er Jahren beeinflusst worden (dem tragen auch sehr viele Easter Eggs im Spiel Rechnung). Es sollte sich genauso anfühlen wie früher, nicht zu einfach und nicht zu schwer sein und im besten Falle den Spielern wieder vor Augen führen, warum man Adventures damals so sehr geliebt hat. Memoria ist ein sehr nostalgisches Spiel, was auch auf der Ebene der Story eine wichtige Rolle spielt.
Nandurion: Memoria ist ja jetzt schon euer zweites Point & Click Adventure in Aventurien. Gibt es Sachen aus Satinavs Ketten, die ihr dort noch nicht zu 100% perfekt fandet und die ihr hier anders angepackt habt? Welche Kritik an Satinavs Ketten habt ihr von den Spielern bekommen und inwiefern hat das eure Arbeit an Memoria beeinflusst?
Kevin Mentz: Wir haben vor allem den Anfang und das Ende anders gestaltet. Der Anfang des ersten Teils war vielen noch zu unspektakulär und verschlafen, während das Ende zu abrupt kam. Beides haben wir geändert. In Memoria wird man nun gleich zu Beginn in sehr dramatische Ereignisse gerissen. Und am Ende erwarten einen gleich mehrere kleine Ausgänge, die hintereinander mit mehreren Twists aufwarten. Das führt dazu, dass der zweite Teil viel spannender erzählt ist als noch Satinavs Ketten und mit einigen Überraschungen aufwartet.
Nandurion: Manche Point & Click Adventures kokettieren ja mit den teilweise unrealistischen Rahmenbedingungen im Spiel, wie den unendlich großen Taschen, die man dort meistens dabei hat. Wo ist für euch bei Memoria die Grenze zwischen Realismus und Spielbarkeit?
Kevin Mentz: Uns ist sehr wichtig, dass alle Rätsel glaubwürdig in die Geschichte und die Welt des Schwarzen Auges eingebettet sind. Im ganzen Spiel gibt es kein einziges Rätsel, das nur um seiner selbst willen vorkommt, ohne die Story voranzutreiben. Das Schöne ist zudem, dass man in Aventurien viele etwas unrealistischere Logiken mit Magie erklären kann. Dafür ist es natürlich wichtig, dem Spieler die Regeln dieser Magie früh deutlich zu machen, aber wenn einem das gelungen ist, kann man viele ungewöhnliche und interessante Rätsel einbauen, die zwar nicht den Regeln eines herkömmlichen Realismus‘ gehorchen, dafür aber dennoch lösbar und umso erfrischender sind.
Nandurion: Man sagt ja aller guten Dinge seien drei: Gibt es Pläne, Satinavs Ketten und Memoria zu einer Trilogie auszubauen?
Kevin Mentz: Bisher noch nicht. Erst einmal müssen wir natürlich auch abwarten, wie sich Memoria verkauft.
Nandurion: Satinavs Ketten spielte im beschaulichen Andergast. In Memoria gibt es jetzt mit den Tulamidenlanden in den Magierkriegen und Drakonia als Schauplatz ein sehr viel epischeres Setting. Wie kam es zu der Entscheidung, den Schauplatz so entscheidend zu verändern?
Kevin Mentz: Aventurien ist ein großer und sehr reichhaltiger Kontinent. Dem wollen wir auch in unseren Spielen Rechnung tragen. Daher haben wir uns dafür entschieden, einen möglichst starken Kontrast zum ruhigen Andergast aufzumachen und den Spielern mehr aus der Welt von DSA zu zeigen als noch im ersten Teil. Überhaupt lebt der Charme von Memoria sehr stark von diesem ständigen Hin und Her zwischen monumentaler Epik und persönlicher Beschaulichkeit, zwei Seiten, die die Welt von DSA gleichermaßen ausmachen.
Nandurion: Auf der Role Play Convention habt ihr gesagt, dass es bei Memoria diesmal zwei leicht unterschiedliche Enden geben wird. Wie groß wird dieser Unterschied sein, und wie sehr hängt das jeweilige Ende von den Entscheidungen des Spielers ab?
Kevin Mentz: Der Spieler wird am Ende des Spiels vor eine wichtige Entscheidung gestellt. Interessanterweise gehen die Ansichten darüber, welche Entscheidung die richtige ist, bei unseren Spielern sehr weit auseinander. Während ein Spieler zum Beispiel geradezu verwundert war, warum er überhaupt eine Entscheidung zu treffen hatte, wo doch ganz eindeutig nur Antwort A in Frage kam, entschied sich ein 13-jähriger Spieler ohne zu zögern für Antwort B. Er hielt die Wahl des ersten Spielers für moralisch fragwürdig und gefährlich.
Ich persönlich habe eine sehr klare Meinung dazu, welches Ende das gute und richtige und welches das falsche ist, aber ich habe die Texte bei beiden Enden so geschrieben, dass meine eigene Interpretation nicht zu sehr zum Tragen kommt und sich die Spieler selbst Gedanken machen können.
Nandurion: Könntet ihr euch vorstellen, in Zukunft auch das eine oder andere Ereignis des ominösen Metaplots in Form eines Adventures umzusetzen?
Kevin Mentz: Das wäre natürlich wunderbar, aber bis es soweit kommen kann, müssten wir erst einmal beschließen, eine Fortsetzung zu machen und uns dann mit der DSA-Redaktion zusammensetzen, dass auch alles seine richtigen Wege gehen kann. Reizvoll wäre es aber allemal.
Nandurion: Wie schwer ist es heutzutage, in den Zeiten von Spielen wie Skyrim und co., mit einem Point&Click-Adventure auf dem Markt zu bestehen?
Kevin Mentz: Adventures sind nach wie vor ein Nischenmarkt, daher kann man nicht damit rechnen, ähnlich groß rauszukommen wie zum Beispiel mit einem Bethesda-Spiel. Im Grunde ist es auch ein generell anderer Markt, daher kann man das kaum miteinander vergleichen. Zum Glück haben wir uns in den letzten Jahren unter Adventure-Spielern (auch international) einen Namen gemacht, so dass wir auf diesem speziellen Markt sehr gut positioniert sind. Ob das so bleibt, hängt letztlich aber von jedem neuen Spiel ab und davon, ob uns unsere Spieler weiter unterstützen und ihnen auch weiterhin gefällt, was wir machen.
Nandurion: Habt ihr Geron eigentlich spaßeshalber einmal nach den kompletten DSA-Regeln generiert?
Kevin Mentz: Ja. Sowohl in der Collector’s Edition von Satinavs Ketten als auch in der von Memoria liegen Charakterkarten der wichtigsten Charaktere aus den jeweiligen Spielen bei. Da lassen sich unter anderem auch Gerons Werte und Sonderfähigkeiten nachlesen. 🙂
Entweder … oder?
Nandurion: Guybrush Threepwood oder Geisterpirat Le Chuck?
Kevin Mentz: Der eine wäre nichts ohne den anderen.
Nandurion: LucasArts oder Sierra?
Kevin Mentz: Die Frage könnte auch lauten: „Quest for Glory 4 oder Monkey Island 2?“ Beide gehören zu meinen absoluten Lieblingsadventures und sind viel zu unterschiedlich, um sie zu vergleichen.
Nandurion: Bethesda oder Bioware?
Kevin Mentz: „Fallout 3“ hatte die bessere Welt, „Dragon Age: Origins“ die kniffligeren Entscheidungen.
Nandurion: RPG-Games: Open World oder Storyzentriert?
Kevin Mentz: Tendenziell immer storyzentriert. Wäre aber schön, wenn das immer seltener zum Widerspruch werden würde.
Nandurion: Firstperson oder Thirdperson?
Kevin Mentz: Thirdperson (wegen Motion Sickness).
Wir danken Kevin Mentz und Daedalic für das Interview und wünschen allen Spielern viel Vergnügen mit Memoria!
Das Interview führte: Curima
Danke für das schöne Interview.
Anmerkung: Bei der letzten Frage scheinen die Bezeichnungen der Sprecher durcheinandergekommen zu sein (Kevin Mentz fragt, Daedalic antwortet).
Danke für den Hinweis, ist repariert.
„Thirdperson (wegen Motion Sickness)“
Das ist nicht der Grund dafür (es gibt Point’n’Klick Adventures in Firstperson, wie z.B. Zork Nemesis oder Barrow Hill, da wird niemandem schwindelig), sondern die 360-Grad-Perspektive.
Ansonsten Kompliment zu Memoria! Hatte es lange nur angespielt, weil es mir zu flach und kindisch erschien (die erwähnten Fantasy-Klischees), hatte mich aber geirrt. Eine hochspannende Geschichte mit durchaus einigem Tiefgang, wunderbare Szenenbilder und tolle Rätsel! Es gibt ganz wenige Adventures, die mir wirklich gefallen, und Memoria ist eins davon.