Mit Myrunhall ist im Jahr 2013 ein weiterer Band für den westlichen Kontinent Deres erschienen, der aber insgesamt weniger Aufmerksamkeit erhielt als etwa Unter dem Sternenpfeiler. Myrunhall ist kein reiner Regionalband, sondern gleichzeitig eine Spielhilfe für Myranor-Neulinge. Ob dieses für DSA eher ungewöhnliche Konzept gut umgesetzt worden ist, werde ich mir im Folgenden einmal näher ansehen.
Ein erster Blick
Vorab werfe ich zunächst einen Blick auf die Optik und ein paar andere Dinge. Der Band ist gerade für Myranor-Neulinge sinnvoll aufgebaut. Auf den ersten 14 Seiten gibt er eine kompakte Vorstellung des Güldenlandes, bevor er dann die namensgebende Provinz Myrunhall und deren wichtigste Orte und Siedlungen vorstellt. Dieser Teil nimmt knapp die Hälfte des Bandes ein, bevor es dann mit Szenarien, Archetypen und einigen Listen und Übersichten für Einsteiger weitergeht.
Das Buch verfügt dankenswerterweise über einen Index, dafür gibt es leider keine Karten als Handouts. Die Karten sind zwar ergänzend noch einmal am Ende abgedruckt, lassen sich aber bei Hardcovern bekanntlich nur recht umständlich kopieren, insbesondere, wenn sich eine Karte über eine Doppelseite erstreckt. Das ist zwar immer noch deutlich besser, als die Karten auf die Rückseite des Buchdeckels zu drucken – aber eben noch kein Handout.
Ein anderer Schwachpunkt sind für mich die Bilder des Bandes. So manches Bild kam mir doch beim Lesen sehr bekannt vor, während einige neuere Bilder in meinen Augen deutlich hinter älteren Bänden zurückbleiben. Das finde ich insbesondere bei Publikationen, die sich auch an Myranor-Neulinge wenden, sehr schade. So werden bei der Vorstellung der Rassen leider auch hier durchgehend die Bilder aus Wege nach Myranor verwendet, anstatt die älteren Kulturtafeln aus dem Myranor-Hardcover. Eher eine Randnotiz sind für mich einige unnötige Schreibfehler, die jedenfalls in Überschriften hätten auffallen können.
Imperium Myranum
Die Zusammenfassung Myranors (in diesem Fall eher des Imperiums) ist gut gelungen. Auf 15 Seiten können auch Neulinge sich einen guten Überblick über Kultur, Lebensumstände und Politik des Imperiums verschaffen, die in weiten Teilen auch für die Region Myrunhall prägend sind. Das alltägliche Leben wird ebenso erläutert wie Religionen und Gesellschaftsstrukturen. Dabei dürfen natürlich auch die in Myranor vorkommenden Rassen nicht fehlen, wobei der Band hier einen deutlichen Schwerpunkt auf jene legt, die in der Region auch vorkommen. Einziger kleiner Schwachpunkt dieses Kapitels ist für mich, dass sich ein paar kürzere Abschnitte, etwa zur Gleichberechtigung der Geschlechter, in den Abschnitt zur Provinz Myrunhall verirrt haben, obwohl sie nach dem Text das Imperium beschreiben.
Es folgt etwas mehr als eine Seite zum Horasiat Gyldraland (in dem sich die Provinz Myrunhall befindet), so dass die folgenden Beschreibungen auch im Kontext der jüngeren Vergangenheit des Horasiats gesehen werden können. Um später die heutige Lage Myrunhalls zu verstehen, sind einige Grundkenntnisse der jüngeren Geschichte des Horasiats nötig. Vor allem der hundertjährige Seekrieg in Folge der Unabhängigkeit des benachbarten Seerovia ist von Bedeutung. Auch wenn dieser Abschnitt sehr kurz gehalten ist, hilft er insgesamt beim Verständnis von Myrunhalls aktueller Lage und ist eine hübsche Überleitung vom großen Kontinent zur kleinen Provinz.
Sehr viel schwieriger ist es hingegen, diese kleine Provinz im Imperium zu verorten. Auf der im Buch enthaltenen Karte des nördlichen Imperiums sind weder Myrunhall noch eine der beschriebenen Städte auffindbar. Aufgrund der Beschreibung und der lokalen Karte Myrunhalls kommt zwar nur ein kleines Gebiet in Frage, so ganz genau lässt sich aber nicht klären, welchen Kartenausschnitt wir auf der lokalen Karte überhaupt sehen. Auch der Maßstab dieser Karte scheint nicht zu stimmen, sondern um den Faktor 10 zu klein zu sein. Bei einem Blick ins Unter dem Sternenpfeiler lässt sich zudem keine Stadt namens Sidor Myrunhalis im Horasiat Gyldraland finden – in Myranor fällt eine Stadt mit 40.000 Einwohnern aber auch nicht wirklich ins Gewicht, so dass erst einmal nichts gegen die Neueinführung zu sagen ist.
Myrunhall
Der Aufbau der Beschreibung Myrunhalls selbst ist im Wesentlichen so, wie man es als DSA-Spieler von beiden Seiten des Thalassion kennt: Zunächst gibt es eine Beschreibung der Landschaft mit Flora und Fauna, es folgen dann Bevölkerung, Gesellschaft, Straßen und Siedlungen, Politik, Religion und Wirtschaft. Insbesondere die Abschnitte zu Landschaft und Siedlungen dürften für Einsteiger sehr hilfreich sein, während die recht detaillierten Beschreibungen des politischen Systems von Myrunhall, der Aufgaben der Garden der Oktade und der politischen Interessengruppen auch erfahreneren Gruppen interessanten Hintergrund für politische Kampagnen in Myrunhall liefert. Für Myranor-Neulinge oder weniger an politischen Abenteuern interessierte Gruppen dürfte dieser Abschnitt hingegen etwas zu sehr ins Detail gehen, und letztendlich wird sich die exakte Kompetenzverteilung zwischen Senat, Prätorium, Curia und Trodinar nur in wenigen Abenteuern auswirken. Für eine längere, politische Kampagne könnten die Erläuterungen hingegen interessant sein.
Sehr gut gefallen hat mir die Beschreibung der einzelnen Optimatenhäuser, die in Myrunhall, wie auch im übrigen Imperium, untrennbar mit der Politik verwoben sind. Jedes Optimaten-Haus wird sowohl im Allgemeinen als auch speziell im Hinblick auf Myrunhall beschrieben. Myranor-Neulinge können damit sowohl das jeweilige Haus im Kontext richtig einordnen (und erfahren so etwas, das über Myrunhall hinaus gilt), als auch direkt im Spiel verwendbare Informationen mitnehmen, etwa zur lokalen Agenda und zu Mitgliedern, Stärken und Schwächen des Hauses. Eine Besonderheit Myrunhalls ist dabei das lokale Haus Astradis, das aus einem Zusammenschluss einiger Optimaten verschiedener Häuser entstanden ist und in Myrunhall einen durchaus beachtlichen Einfluss hat. Name und Wappen des Hauses wecken dabei einige Erinnerungen an Frank Herberts „Dune“.
Was mir in den Beschreibungen dagegen etwas zu kurz kommt, ist der verheerte Osten Myrunhalls, der am stärksten unter dem Seekrieg gelitten und sich bis heute nicht wirklich erholt hat. Neben einem kurzen Abschnitt und einer sehr kurzen Stadtbeschreibung findet sich hierzu leider nur recht wenig. Dabei hätte dieser Kontrast gerade als Region für Einsteiger noch etwas mehr Abwechslung nach Myrunhall bringen können – denn der Ansatz, sehr unterschiedlich entwickelte Gebiete in die Region einzufügen, ist an sich sehr vielversprechend.
Stadt, Land, Herrscher
Der nächste Abschnitt beginnt mit gut neun Seiten zu einzelnen NPCs in Myrunhall, die in bekannter DSA-Manier mit kurzer Beschreibung, teils mit und teils ohne Bild vorgestellt werden. Dazu werden sie mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Spielwerte sowie mit Hinweisen zur Verwendung im Spiel und zur Darstellung versehen. Die Anzahl der Personen wirkt zunächst recht hoch gegriffen, dürfte aber für Myranor-Neulinge sehr hilfreich sein. Neben den Spitzen des lokalen Mächtespiels finden sich auch Anführer lokaler Zirkel, Republikaner des Hauses Ennandu, ein Offizier, ein Gardist und einige Domänen-Prokuratoren. Myranor-Veteranen werden die Beschreibungen und Werte dieser NPCs vielleicht nicht unbedingt brauchen, aber für Myranor-Neulinge sind solche NPCs als Helfer, Auftraggeber oder Widersacher nützlich.
Im Stile der aus Aventurien bekannten Regionalbände dürfen natürlich auch Beschreibungen der einzelnen Städte Myrunhalls nicht fehlen. Der Schwerpunkt liegt dabei klar auf Sidor Myrunhalis, das über vier Seiten (inklusive eines etwas spartanisch anmutenden Stadtplans) recht gut beschrieben wird. Eine Vorstellung der einzelnen Stadtvierteil, inklusive Arcopole, Nekropole und Nerinith, bietet dem Spielleiter gute Möglichkeiten, auch eigene Stadtabenteuer hier anzusiedeln, ohne dass die Beschreibung den Detailgrad aventurischer Hauptstädte erreichen würde. Als Kontrast zur großen Hauptstadt werden mit dem heruntergekommenen Akalona, dem arbeitsamen Deleronis, Skisonaia im verheerten Osten und dem aufstrebenden Teleropolis noch vier weitere Städte vorgestellt. Danach folgt eine Übersicht über die größeren Dörfer Myrunhalls.
Gut gelungen ist in meinen Augen der nächste Abschnitt über die Domänen. Zunächst werden die Domänen im Allgemeinen mit Blick auf ihre Funktion, ihren Aufbau und ihre Bewohner vorgestellt, so dass sich dieser Abschnitt auch für Abenteuer außerhalb Myrunhalls sehr gut nutzen lässt. Anschließend wird dem Leser auf weiteren zwei Seiten eine Domäne als Beispiel im Detail beschrieben, so dass sie sich sehr gut auch als Schauplatz eines Abenteuers nutzen lässt.
Auf ins Abenteuer Szenario
Weiter geht es mit einer Reihe von Szenarien und Szenario-Ideen. Diese sind nach Auswahl und Komplexität in meinen Augen klar auf Myranor-Neulinge zugeschnitten und werden für alte Hasen leider kaum etwas Neues bieten. Die gestohlene Statue dürfte sogar eher etwas für Rollenspiel-Neulinge sein. Die (gutherzigen) Helden sollen einigen Minotauren eine Statue zurückbringen und müssen dafür einige Prüfungen eines Biestingers absolvieren. In Mord im Badehaus (Ermittlungen und kurzer Dungeon) suchen die Helden den Mörder eines Honoraten und stellen dabei fest, dass der Mörder tatsächlich beim Verstecken entlaufender Sklaven erwischt wurde. Dieses Abenteuer erhielt in Ausgabe 1 des Uhrwerk-Magazins einiges an Bonus-Material in Form von Plänen und Karten, das dem Spielleiter des Szenarios sehr weiterhelfen dürfte. Mit Die Probleme der feinen Gesellschaft wird auch ein Detektivabenteuer mit offenem Ausgang geboten, das auf Seiten des Spielleiters schon etwas mehr Übung verlangt.
Die Szenariovorschläge sind in meinen Augen von unterschiedlichen Qualität: Zwei etwas länger ausgeführte Ideen sind m.E. sogar besser als die eigentlichen Szenarien, einige weitere sind in Ordnung. Dass in den Wäldern Räuber und entflohene Sklaven leben, die die Helden bekämpfen oder (im Fall der Sklaven) retten könnten, ist für mich hingegen nicht einmal ein Szenariovorschlag und hätte auch nicht abgedruckt werden müssen.
Was mir in diesem Abschnitt fehlt, sind Abenteuer, die Besonderheiten Myrunhalls aufgreifen. Es ist zwar im Grunde nicht schlecht, wenn einige Abenteuer und Szenarien universell nutzbar sind, aber hier fehlt es an ein oder zwei Ideen, die das Unverwechselbare dieser Region am Spieltisch zum Leben erwecken.
Starthilfe
Es folgt ein Glossar über fast drei Seiten, das Myranor-Neulingen ein schnelleres Nachschlagen unbekannter Worte (gerade auch am Spieltisch) erleichtern dürfte. Dazu kommen eine Übersicht über Götter, Währungen, Maßeinheiten etc. sowie Namen-, Waffen- und Ausrüstungslisten, so dass Myranor-Neulinge tatsächlich mit diesem Band direkt loslegen können. Noch einfacher geht das natürlich mit den fünf Archetypen, die allerdings nur aus einigen Sätzen Erklärung und den Spielwerten bestehen. Eine lange Hintergrundgeschichte gibt es nicht, dafür finden sich (wenn auch deplatziert zwischen Kalender und Preislisten) Regelergänzungen zu Wege des Schwertes, so dass auch die Besonderheiten der Rassen und Professionen der Archetypen direkt genutzt werden können. Die Archetypen bestehen aus einem leonischen Shinxir-Gardisten, einem menschlichen Brajanspilger, einem neristischen Streuner, einem amaunischen Medicus und einem menschlichen Viehtreiber.
Fazit
Myrunhall versucht sich an einem neuen Konzept, das in meinen Augen trotz kleinerer Unzulänglichkeiten weitgehend aufgeht. Der Band bietet eine etwas näher beschriebene Region Myrunhalls als Einstieg für Neu-Myraner, insbesondere für Spieler (und Spielleiter), die in Aventurien bereits heimisch sind. An Rollenspielneulinge richtet sich der Band eher nicht, insbesondere weil er (anders als die aventurischen Einsteiger-Werke) kein Regelwerk enthält. Myranor-Veteranen können einige neue Informationen, speziell zur Region Myrunhall, in diesem Band finden, wobei die enthaltenen Szenarien aus meiner Sicht aber kein Kaufargument sind. DSA-Spielern, die mal den einen oder anderen Abend Myranor testen oder nur mal etwas Abwechslung von Aventurien wollen, bietet Myrunhall aber tatsächlich sehr gute Möglichkeiten dazu. Vor allem, weil hier niemand nur für das Anspielen das alte Hardcover oder Wege nach Myranor und Unter dem Sternenpfeiler wälzen muss.
Neben der Lamea-Kampagne bietet Myranor nun einen zweiten, schnelleren Einstieg für DSA-Spieler. Wie viele Einhörner kommen also mit? Eines scheut vor den Bildern und fehlenden Handouts zurück, eines sortiert die allgemeinen und regionalen Informationen neu, und ein drittes ist aufgebrochen, um typische Abenteuer der Region zu erleben. Damit verbleiben 6 Einhörner, die sich über einen schlanken, unkomplizierten Einstieg nach Myranor freuen.
Was meiner Meinung nach den nutzten des Bades etwas trübt, sind die Spielwerte der NSCs.
Teilweise sind die in meinen Augen entweder zu hoch (Himmel der Trodiar hat Werte, die ich einem Horas geben würde…) oder zu niedrig (viele andere).
Passend sind mEn leider nur die wenigsten.
Das ist besonderes deswegen Schade, weil ich in den neueren ABs und Spielhilfen von DSA allgemein (also sowohl Aventurien, als auch Myranor und auch bei dem vom Uthuria das ich gesehen habe) die NSC-Werte Eigentlich ziemlich als passend empfand.
Da fällt so was dann recht Negativ auf.
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