„Endlich, darin befinden sich die Überreste des königlichen Ghulshev.“
„Also dieser Ghulshev ist aber ein winziges Kerlchen!“
– Gespräch zwischen zwei Glücksrittern, vor einer kleinen Kiste stehend
„Es wimmelt hier nur so von untoten Viechern!“
„Deshalb nennt man das ja auch das Totenmoor.“
– gehört in einer Reisegruppe auf dem Weg ins nördliche Bornland
„Iljan Strobanoff! War es nicht der Sultan von Thalusa, der drohte, seinen Elf
deinen Kopf abhacken zu lassen, solltest du jemals zurückkehren?“
„Nein, es war nicht mein Kopf.“
„Dann waren es deine Hände?“
„Nein, es waren auch nicht meine Hände. Es war … ein Missverständnis.“
– Gespräch aus den Memoiren des Schwertkönigs
Schloss Strobanoff – da klingt natürlich erstmal die Verballhornung des Bœuf Stroganoff durch, und man mag kurz an eine launige Anthologie zur gleichzeitig erschienenen Culinaria Aventurica denken. Wortspiele haben beim Schwarzen Auge – man denke an Ulrich „Alrik“ Kiesow, wenn die Legenden stimmen – eine lange Tradition, und sie decken zwischen albernen Scherzen und doppelbödigen Tiefgründigkeiten ein weites Feld ab. In diesem Fall trifft es also die russische Adelsfamilie Stroganow, deren Name im berühmten Gericht verewigt wurde. Absicht oder nicht: Neben der häufigen Verbindung von Bornland und Russland in kultureller Hinsicht gibt es hier auch noch eine zweite Verbindung. Die Stroganows wurden im 16. Jahrhundert durch den Handel mit Sibiriens Schätzen reich, und so führt der Bogen zurück zu Iljan Strobanoff, der das Schloss des Abenteuertitels mit seinem Geld im derischen Sewerien erbauen ließ. So schließt sich dieser Kreis, und der Maraskaner in mir ist froh.
Kommen wir also zum Abenteuer. Es geht um die Hinterlassenschaften eines sewerischen Adoptiv-Bronnjaren, der ursprünglich als klassischer Abenteurer umher zog und mit den erworbenen Schätzen ein wunderliches Schloss errichtete, das nun verflucht sein soll und allerlei Jäger verlorener Schätze anzieht – das schreit natürlich nach echten Helden, ob mit Peitsche oder ohne.
Bevor ich zur eigentlichen Rezension komme, hier der Hinweis, dass ich auch Lesern, die lieber eine kurze Information suchen oder keine großen Spoiler zum Inhalt wünschen, etwas anbieten möchte. Deswegen führt der Link unter diesem Absatz direkt zum Fazit, bei dem ich in knapper Form meine Bewertung möglichst spoilerfrei zusammengefasst habe. Alle anderen können nun den Nanduswall überschreiten und sich dem ausführlicheren Teil dort widmen.
Leser sei gewarnt!
Unterhalb des Nanduswalls mögen Spoiler auf Dich warten!
„Rezept für …“ – Hintergrund und Handlung
Schloss Strobanoff ist von der Form her deutlich offener als die meisten anderen DSA-Abenteuer der letzten 30 Jahre. Es bietet einen sehr weiten Handlungsrahmen, bei dem Spielleiter und Gruppe die Handlung frei gestalten können. Erst zum Finale hin spürt man die altbekannten Schienen wieder stärker unter sich. Beim Hauptteil handelt es sich um einen Sandkasten, bei dem kein roter Faden den Weg des Abenteuers vorschreibt. Dafür führen Nichtspielercharaktere ein deutliches Eigenleben jenseits der Heldeninteraktion und treten so als echte Konkurrenz auf.
Als Hintergrund dienen die Hinterlassenschaften des Abenteurers Iljan Strobanoff, der als Zeitgenosse und zeitweiliger Gefährte des Schwertkönigs und Rakorium Muntagonus‘ viele Abenteuer erlebte und überlebte. Dank der gewonnenen Schätze wurde er per Adoption Bronnjar und errichtete mit dem Geld ein Schloss am Rande des Totenmoors. Dummerweise trieb er es bei einer seiner späteren Expeditionen, zu der ihm der Unglücksrabe Nahema den Tipp gegeben hatte, jedoch zu weit und entweihte das Grab des Ghulshev Nebahar, einem ehemaligen Heerführer der Magiermogule (wo wir wieder beim Thema Wortspiele in Aventurien sind. Ghul-Shev? Ghul-Chef? Nomen est omen!). Der mächtige Untote nahm ihm wohl vor allem krumm, dass Iljan den an einer magischen Krone festsitzenden Schädel mit sich nahm. Glück im Unglück: Von bösen Vorahnungen und schlechtem Gewissen getrieben, versteckte der Bornländer den Schädel hinter vielen Sicherungen in seinem Schloss, was zur Folge hatte, dass der kopflose Tulamide sein verlorenes Körperteil nicht erspüren konnte und deswegen die Spur verlor. Dennoch blieb die Angst vor der Strafe Borons und dessen Kirche, und so legte Iljan eine Rätselspur aus, die dereinst potente Streiter auf die Spur des untoten Hauptes führen sollte. So sollte schließlich doch noch sein Frevel für sein Seelenheil gesühnt werden und die Vollstrecker seines Willens sollten gerechterweise Erben seiner Reichtümer werden.
In der Gegenwart sorgt erneut Nahema dafür, dass Jahre nach Strobanoffs Tod auch die letzten Bewohner das Schloss verlassen müssen, da das Geld zur Instandhaltung versiegt. In der Folge schickt die Halle des Quecksilbers eine Expedition zum langsam verfallenden Schloss, die aber durch Zauberei unabsichtlich die magische Sicherung um den Schädel sprengt. So wird das Abenteuer eingeleitet, da neben den Magiern auch weitere an Strobanoffs sagenhaften Schätzen interessierte Gruppen ihren Weg zum Anwesen planen und auch der untote Ghulshev, der nun seinen Schädel wieder erspüren kann, samt Leichengefolge im Bornland auftaucht. Spätestens am Schloss treffen alle Konkurrenten aufeinander, und ein Wettstreit um die Hinterlassenschaften entbrennt.
„Man nehme …“ – der Aufbau eines Sandkasten-Abenteuers
Sandkasten-Abenteuer bedingen einen anderen Aufbau als die chronologischen Szenenabfolgen linearer Plots. Man benötigt vor allem ausführliche Beschreibungen von Örtlichkeiten und handelnden Personen, inklusive umfassender Motivation und zugrunde liegenden Beziehungsgeflechten. Der Band bietet dazu eine Fülle an Material, aus dem im Spiel nach Lust und Laune ausgewählt werden kann. Dabei haben die Autoren versucht, an nahezu jeder Stelle neben den grundlegenden Ideen auch Alternativen zu präsentieren und sogar Freunden eher zugförmiger Plots Hilfestellung zu geben. Das gefällt mir sehr gut.
Zu Beginn gibt es zunächst die üblichen Informationen zu Hintergründen und der Plot-Historie vor Abenteuerbeginn. Man findet hier aber auch einiges zur Frage „Wie spiele ich dieses Abenteuer?“ inklusive einiger Überlegungen zu alternativen Handlungsansätzen und gar einem kurzen Abschnitt zur Möglichkeit, basierend auf dem Band ein multiparalleles Abenteuer (MPA) zu gestalten.
Der zweite Teil des Abenteuers, der bei einem anderen Band die Szenen des eigentlichen Abenteuers ausmachen würde, umfasst hier nur etwa die Hälfte des Inhalts. Da dieses Material aber nur ein Gerüst für die Handlung bietet, deren Fleisch die handelnden Figuren bilden, ist dieser vergleichsweise niedrige Anteil nur folgerichtig. Man findet hier drei etwa gleich große Abschnitte: die Einbindung der Heldengruppe und ihrer Konkurrenz ins Abenteuer, die Beschreibung des Schlosses als zentralem Schauplatz und die Vorstellung der Rätselkette Iljan Strobanoffs.
Dank kurzem Mittelteil machen die Anhänge einen vergleichsweise hohen Anteil aus. Neben einer Vielzahl teilweise sehr detailliert, teilweise etwas gröber ausgearbeiteter Artefakte, für die unser nanduriatischer Chefartefakter Feyamius verantwortlich zeichnet, werden hier alle möglichen Konkurrenzgruppen der Helden vorgestellt. Deren lebhafte Einbindung ins Geschehen stellt die Hauptanforderung an den Spielleiter dar, der hier das dafür nötige Material findet.
„Man trenne Eiweiß und Eigelb …“ – die Konkurrenz und ihre Ausarbeitung
Kommen wir also zu diesen NPCs, auf die der Spielleiter zurückgreifen kann. Vier Gruppen sind als Fraktionen vorgesehen, die um die Schätze kämpfen:
- Eine Gruppe Festumer Magier der Halle des Quecksilbers, die auch schon die erste Untersuchung des Schlosses eingeleitet hatte.
- Eine Gruppe Draconiter, die mögliche gefährliche Artefakte zur sicheren Verwahrung bergen will, obwohl nach der Entdeckung neuerer Schriften im Bornland das Recht an solchen bei der Halles des Quecksilbers liegt.
- Eine Gruppe Glücksritter, die einfach nach Reichtümern sucht.
- Eine Gruppe um den vermeintlichen Erben Ugo Strobanoff, der als Bornländer in der Kusliker Unterwelt Karriere gemacht hat und hier skrupellos seinem Hobby, dem Artefaktsammeln, nachgehen möchte.
Neben diesen gibt es auch noch drei weitere mögliche Parteien:
- Eine Gruppe Untote um den Magiermogul-Heerführer Ghulshev Nebahar und den gefallenen Diener der Umm Ghulshach Sharanbel. Sie wollen Ghulshevs Schädel und Eigentum (magische Waffen und Rüstung) wiederfinden und außerdem Rache an Strobanoffs Familie nehmen.
- Eine Gruppe Goblins, die das verwilderte Schlossgelände als neue Heimat auserkoren hat.
- Der Druide Melcher, der entweder das Schlossgelände per Druidenrache und damit beschworenem elementarem Meister verflucht hat (dann taucht er natürlich nicht mehr lebend auf) oder als noch lebender Hüter die unter dem Schloss liegende Kraftlinienkreuzung und druidische Ritualstelle zu schützen sucht.
Die Gruppen sind als Angebot vorgesehen, aus dem ausgewählt wird. Jeder Spielleiter nimmt so viele, wie er/sie/es sich zutraut und für passend hält. Dazu kann eine der Gruppen auch ganz oder teilweise durch die Heldengruppe ersetzt werden, zum Beispiel, indem die entsprechende Institution als Auftraggeber fungiert. Als besondere Idee für experimentelle Gruppen wird auch der Ansatz präsentiert, die Spieler die Rolle der Untotenfraktion übernehmen zu lassen.
Um den Einsatz leicht zu machen, sind alle Gruppen sehr umfangreich ausgearbeitet: Nach einer Liste der Namen der Mitglieder folgen Abschnitte zu Motivation, Charakter bzw. Stil, kurzen Charakterisierungen der Mitglieder, vorhandenen Ressourcen, Strategie der eigenen Handlungen sowie zu Kooperationsmöglichkeiten mit den anderen Fraktionen. Schließlich folgen sehr detaillierte Beschreibungen der einzelnen Mitglieder mit umfangreichen Wertekästen. Was hier wohl geplant war, aber nicht mehr umgesetzt wurde, ist die Angabe von drei verschiedenen Erfahrungsstufen für jeden NPC. Zu Beginn des Anhangs wird dies angekündigt, die Beschreibungstexte greifen es hier und da auch auf, aber die Wertekästen differenzieren nicht nach Erfahrung. Ehrlicherweise vermisse ich diese Differenzierung auch nicht – die Einträge hätten möglicherweise deutlich an Übersicht verloren, wenn sie in ihrer ohnehin schon langen Form noch weiter aufgebläht worden wären.
Zu den Figuren selbst kann man sagen, dass man das Bemühen bemerkt, diese breitgefächert darzustellen. Bei der Gestaltung von zwei Gelehrten- und zwei zwielichtigen Gruppen kommt es aber wohl zwangsläufig zu Überschneidungen, so dass gewisse Redundanzen zu erkennen sind. Es bleiben aber jeder Gruppe Eigenheiten, mit denen sie sich vom Rest abhebt (die Draconiter z. B. mit ihrem Geweihtem). Die Charaktere bedienen auch einige Stereotypen und Klischees (der in seine Studien vertiefte und deshalb die Körperhygiene vernachlässigende Nerd; die vernarbte Söldnerin mit Stoppelhaaren; die charmante und gut aussehende rechte Hand des Bösewichts; die blonde, gut aussehende Frau, die überraschend gut kämpfen kann etc.), was je nach Vorliebe von Vor- oder Nachteil sein kann, weshalb jeder für sich einschätzen muss, ob das dem eigenen Spiel eher hilft oder Gift für die Stimmung ist.
„Und würze nach Gutdünken.“ – Materialien und Alternativen
Eine wirklich herausragende Stärke des Abenteuers ist das Angebot von unzähligen Alternativen. Das geht bei der Auswahl der Gegner-Gruppen los, die allesamt optionale Bestandteile sind und zu denen viele Ideen präsentiert werden, die in angepasster Form eingebaut werden können. Auch im Abenteuer selbst gibt es immer wieder alternative Ansätze. Nahema ist ein rotes Tuch? Kein Problem, es gibt einen Druiden mitsamt alternativem Hintergrund für die Ereignisse um Iljan Stobanoff. Sandkasten ist doof? Auch kein Problem, es gibt einen Einstieg und Handlungsausblick für Gruppen, die eine gelenktere Handlung wünschen. Lieber Monty Python-Slapstick oder Night of the Living Dead? Zu beiden finden sich Hinweise. Fokus auf Simulation oder Dramaturgie? Auch das wird häufig thematisiert. Tatsächlich dürfte damit nahezu jeder Spielleiter Hilfen für den eigenen Spielstil finden.
Die Vielzahl an möglichen Varianten bedingt zwangsweise eine entsprechend durchdachte Vorbereitung durch den Spielleiter. Dabei geht es vor allem um die Auswahl der enthaltenen Hilfsmaterialien und deren Anpassung an die eigene Gruppe, komplett neu muss man notwendigerweise nichts erstellen – man kann aber natürlich. Dennoch sollte man bedenken, dass die Komplexitätsangabe des Einbandes mit „mittel“ für Spielleiter und Spieler nicht für alle möglichen Varianten gilt. Wer sich das Vorwort anschaut, wird wohl über die riesige Liste von Abkürzungen für Werke stoßen, auf die im Band Bezug genommen wird. Tatsächlich habe ich noch keinen Band bewusst in der Hand gehalten, der derart umfangreich auf andere Werke verweist, und das, obwohl es sich hierbei meist um nicht zwingend notwendige Vertiefungsinformationen handelt.
Bei den Materialien bietet das Abenteuer einiges an Handouts für die Spieler und Übersichten für den Spielleiter. Vom Gelände und den Schlossebenen existieren schöne Karten von Steffen Brand. Bei diesen wirklich hübsch gestalteten Werken fehlen mir nur zwei Dinge zum vollkommenen Glück: Ein Maßstab für die Hauspläne – dieser kann aber aus dem Übersichtsplan rekonstruiert werden, 1 cm entsprechen hier maraskanisch korrekt 16 Spann, was die Schönheit der Karten unterstreicht – und ein Übersichtsplan für das Schlossgelände, der wirklich bis zu dessen Grenzen geht. Der vorhandene Ausschnitt zeigt detailliert die wichtigsten Bereiche, aber auch das weitere Umfeld dürfte ein wahrscheinlicher Tummelplatz der Handlung werden.
Schließlich gibt es auch noch viele Bilder von wichtigen Gemälden, Artefakten, Rätseln und Örtlichkeiten. Gerade letztere bieten eine gute Möglichkeit, die Vorstellung der Spieler vom Schloss einheitlich und schnell zu bilden. Leider stimmen einige der Bilder in manchen Details nicht exakt mit den Beschreibungen überein (im nebenstehenden Speisesaal fehlen an der rechten Wand die Fenster, und der Tisch im Bodenplan ist oval; in der weiter oben stehenden Frontalansicht des Hauptgebäudes ist zwar ein Balkon vorhanden, der geht aber nicht über die tatsächlich in Plan und Beschreibung verzeichnete Breite usw.), was schade ist. Dazu kommt das Problem, dass die verschiedenen möglichen Abenteueransätze auch deutlich unterschiedliche Zustände der Räumlichkeiten bedingen, von einem kaum angegammelten Schloss bis zur schwer zugewucherten Ruine. Die Bilder können dabei natürlich nur eine mögliche Darstellung bieten. Der oben schon erwähnte Speisesaal liest sich in der Normalbeschreibung mit verschmutzten und verschimmelten Gemälden, umgeworfenen und zerbrochenen Stühlen und zerkratzten Türen auf jeden Fall deutlich abgeranzter, als die saubere bildliche Darstellung es vermuten ließe.
„Am Ende eine Prise Salz.“ – Einige Worte zur Rätselkette
Kommen wir zum Salz in der Suppe: Die Knobeleien und Fallen, mit denen Iljan Strobanoff den Zugang zu Ghulshevs Schädel schützt. Positiv stechen hier die aufwändigen Handouts mit einem „echten“ Seemond als zentralem Puzzleteil heraus. Dieser hängt offen im Anwesen und enthält in seinem Rahmen eine sich wiederholende Schrift in Nanduria, die Helden mit eigenem Wissen oder einem Übersetzungsbuch in Kusliker Zeichen übersetzen können. Dabei heraus kommt ein zunächst sinnloser Text, der offenbar in einem Code geschrieben ist und damit mit Sicherheit das Interesse der Spieler wecken wird, auch wenn noch nicht klar ist, wohin er führen wird, da es keinen offensichtlichen Bezug zum Erbe gibt. Der Text ist polyalphabetisch verschlüsselt, weshalb ohne Schlüssel eine Lösung für die Spieler unmöglich sein dürfte.
So dreht sich der Beginn der Rätselkette auch um das Auffinden der sechs Zeichen des Schlüssels. Dazu muss man aus sechs Rätseln jeweils die Kombination eines Buchstabens und einer Zahl zwischen eins und sechs erhalten. Das Ganze ist mit einiger Komplexität gesegnet, und nicht jeder Spieler dürfte die Hintergründe einer solchen Verschlüsselung mit einem Codewort kennen. Hier ist ein erstes Problem, nämlich dass Spieler schnell überfordert sein können und gar nicht verstehen, was sie denn gerade suchen, und so bei einem zentralen Element der Lösung die Lust verlieren.
Selbst wenn das Prozedere im Prinzip klar ist, gibt es noch zwei weitere Hürden: Weder gibt es einen Hinweis darauf, dass der Codeschlüssel aus sechs Zeichen bestehen muss, noch lässt sich die Existenz oder gar der Fundort der zugehörigen Rätsel leicht ermitteln. Für die Spieler sollen die Hinweise auf die sechs Örtlichkeiten in einem Gedichttext Strobanoffs zu finden sein. Dazu müssen sie – ohne Hilfe durch einen Hinweis zur Rätsellösung – in dem Text sechs Wörter ausfindig machen, die sich senkrecht oder quer in verschiedenen Schreibrichtungen in diesem Text verbergen, der ohne Leerzeichen geschrieben ist. Zum Beispiel kann man an einer Stelle von links nach rechts DELG lesen, was für „Geld“ steht oder von oben nach unten BARG entdecken, was „Grab“ ergibt. Diese Worte muss man nun passenden Örtlichkeiten zuordnen: Geld meint das Büro des Verwalters, Grab den Boronanger.
Eine Lösung durch Spieler halte ich in diesem Fall für eine sehr optimistische Schätzung. Diese wissen weder sicher, dass sie hier Wörter auf diese Art und Weise suchen müssen, noch, dass diese nur senkrecht oder quer vorhanden sind. In einem Gewirr von Buchstaben findet man leicht auch noch viele weitere Worte, die ähnlich einfach wie „Geld“ oder „Grab“ sind. Dazu kommt, dass die Hilfestellung, die im Text vorhanden ist, eher verwirren als helfen dürfte. Einige Buchstaben sind sehr offensichtlich hervorgehoben. Es gilt: Jedes gesuchte Worte fängt mit einem Buchstaben an, der auch hervorgehoben ist, aber nicht der hervorgehobene Buchstabe selbst ist der Beginn des Wortes, sondern ein gleicher Buchstabe an anderer Stelle. Außerdem gehört, anders herum, nicht zu jedem hervorgehobenen Buchstaben auch ein entsprechendes Lösungswort. Man kann also noch nicht einmal die Länge des Schlüssels – so man das Prinzip überhaupt verstanden hat – hier bestimmen. Rundum gesagt halte ich dieses Gedicht-Rätsel für eine ziemlich sichere Spieler-Frustrations-Quelle.
Schaut man auf die sechs Einzelrätsel, auf die man prinzipiell auch zufällig stoßen kann, dann gilt auch hier, dass nicht jede Lösung wirklich spielerfreundlich ist. Grundsätzlich wurden viele verschiedene Lösungsansätze gewählt, was die übliche Schnitzeljagd-Langeweile löblicherweise bremsen sollte. Es findet sich eine breite Anforderungspalette von rein körperlichen Aktionen wie Tauchen im Teich, wo man einen sonst nicht weiter verschlüsselten „4E“-Hinweis findet, bis hin zu einem nur durch Denken lösbaren Rechenquadrat, das dann „A5“ ausspuckt.
Aber auch hier hakt manches Rätsel: Aus dem falschen Todeszeitpunkt „Boron 1002 BF“ auf dem falschen Grab Strobanoffs die Lösung „2B“ zu ziehen, ist nicht zwingend und erfordert auf jeden Fall das Verständnis, dass man Kombinationen von einzelnen Buchstaben mit Zahlen sucht. Und wenn man im Observatorium drei Symbole als Hinweis auf Orte findet, die die Ecke eines Dreiecks auf dem Grundstück bilden, dessen Schwerpunkt die Schmiede bildet, wo man schließlich einen weiteren Schlüssel finden kann, dann läuft hier gleich mehreres ungünstig: Erstmal sind die Eckpunkte mit ziemlicher Unschärfe versehen (Felder, Ställe), was für den zugehörigen Schwerpunkt eine hohe Ungenauigkeit beim Abschätzen der Lage bedeutet. Aber schwerwiegender: Auch wenn das Abenteuer beschreibt, dass die Lösung mit dem Teleskop zu suchen ist und dafür auch Proben als Alternativ-Lösungsweg angibt, so ist dies leider einfach falsch, und das Rätsel lässt sich einzig und allein mit einer Umgebungskarte lösen – oder halt über die reinen Probenwürfe. Warum ist das so? Um den Schwerpunkt des Dreiecks zu finden, soll man die drei Eckpunkte über Anpeilen mit dem Teleskop bestimmen. Dies ist aber nicht möglich, da man für solche trigonometrischen Aufgaben immer zwei verschiedene Messpunkte mit bekanntem Abstand und Richtung zueinander haben muss. Mit Hilfe der Trigonometrie könnte man dann über die Peilung von diesen beiden Messpunkten aus die Lage der angepeilten Punkte zueinander bestimmen. Sprich: Man würde eine Karte erstellen. Hat man sowieso eine Karte (ist als Handout glücklicherweise vorhanden), ist das Teleskop nicht vonnöten, da man die Orte dort direkt markieren kann.
Wenn die Helden dann alle Rätsel gelöst und den Schlüssel beisammen haben, geht es ans Entschlüsseln des Rätseltextes. Hier taucht das nächste Problem auf: Spieler, die sich schon einmal mit Kryptographie beschäftigt haben, werden vermutlich schnell auf die Vigenère-Verschlüsselung als Lösungsansatz kommen. Das ist auch richtig – fast. Nimmt man das Standard-Vigenère-Quadrat zur Lösung (Erklärung zur Technik siehe hier), dann erhält man leider nicht die Lösung, da das Rätsel im Buch durch eine andere Form erstellt wurde. Hier gibt der Buchstabe im Schlüssel jeweils nicht den ersten Buchstaben des verschobenen Alphabets an, sondern seine Position im Alphabet gibt die Weite der Verschiebung an. Dies hat im Endeffekt zur Folge, dass alle Buchstaben um eine Position weiter verschoben werden als im Vigenère-Quadrat. Statt der Lösung „FINDE UND FOLGE DES SCHWERTKOENIGS KLINGE“ erhält man so „GJOEFVOEGPMHFEFTTDIXFSULPFOJHTLMJOHF“ und ist möglicherweise zu frustriert, um weiter zu knobeln. Es ist nicht so, dass das Rätsel so nicht lösbar ist, aber hier nicht das Standardverfahren genommen zu haben, ist in meinen Augen unnötig kompliziert.
Schließlich noch ein Blick auf die finalen Fallen: Haben sie erst den Zugang zu den Katakomben gefunden, müssen die Helden durch einen Fallenparcours, der durchaus tödlich enden kann. Der mögliche Gewinn auf Strobanoffs Anwesen ist mit vielen Schätzen und Artefakten aber auch sehr hoch, so dass die hohe Gefahr hier in meinen Augen völlig in Ordnung ist. Bei der Art der Fallen hat man sich für einige Klassiker entschieden, die unübersehbare Anleihen bei Meridiana Josch Indiana Jones nehmen: die rollende Steinkugel und der mit Buchstabenplatten überbrückte Abgrund (inklusive Feqz/Phex-Iehova/Jehova-Analogie) sind hier eine klare Hommage. Dazu kommen die in einem Gang quer zur Laufrichtung schwingenden Klingen. Hier muss wieder jeder für sich entscheiden, ob derlei irdische Anleihen für das eigene Spiel in Ordnung sind oder ob sie eher stören. Die Fallen sind so oder so eher bekannte Hausmannskost als innovatives Gourmetgericht, aber auch das ist bekanntlich Geschmackssache.
Leser sei gewarnt!
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„Und fertig ist das Gericht.“ – Das Fazit
Schloss Strobanoff bietet insgesamt einen gut ausgearbeiteten Sandkasten, der vor allem durch die ausführlich beschriebene Örtlichkeit und die detailliert ausgearbeiteten NSCs punkten kann. Das Abenteuer bietet zudem sehr, sehr, sehr viele Hilfestellungen für alternative Ansätze, von verschiedenen Formen des Einstiegs über vielfältige mögliche Anpassungen des Setting-Hintergrunds bis zur Umgestaltung des Sandkastens in einen Sandweg für Spieler mit Roter-Faden-Bedarf. Dazu kommt ein bunter Blumenstrauß ausgearbeiteter Artefakte, die auch außerhalb des Abenteuers nutzbar sind. Freunde von Anspielungen auf DSA-Klassiker und irdische Vorbildern werden ebenfalls ihre Freude haben, Spieler, die das nicht so mögen, sollten hier Anpassungen vornehmen.
Zum Ende hin wird das Abenteuer linearer und verliert auch etwas an Funktionalität. Einige Ideen zünden dann nicht mehr richtig, Rätsel haken und können wohl auch zu Unmut führen, sofern man keine Spieler hat, die wirklich sehr gerne lange knobeln und dabei eine hohe Frustrationstoleranz besitzen. Außerdem wird aus dem im Hauptteil, zumindest für DSA, doch sehr innovativen Abenteuer zum Ende hin eher Hausmannskost, die aber immer noch auf der aventurischen Ebene einige Schätze für die Spieler bereit hält.
Alles in allem verbleiben so sieben bornische Karene, die Ilaj Strobanoffs spannendes Schloss bis in die tiefsten Tiefen ergründet haben. Wer Rätseln einen hohen Stellenwert zuschreibt und weniger auf Sandkästen Wert legt, sollte nochmal 1-2 Rudölfe abziehen.
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Hey,
danke für die Rezi 🙂
Es war ursprünglich geplant, alle NSC mit drei Erfahrungsstufen im Band abzudrucken, aber das hätte den Rahmen gesprengt. Die fehlenden Werte wird es in Kürze als kostenlosen Download auf der Ulisses-Website geben. Da finden sich ja auch schon einige Handouts zum Abenteuer.
Hey,
kein Problem, ich fand den Band ja sehr kurzweilig zum Lesen. Ist natürlich super, wenn es die Werte noch geben wird.
Für alle Interessierten hier der Link zur Produktseite, wo sich auch schon die Handouts befinden.