Eine Redewendung besagt: „Es gibt nichts Schlimmeres, als die Rache einer geschmähten Frau.“ Ich bin mir nicht sicher, ob „geschmäht“ die richtige Bezeichnung für den Schwertbund der Amazonen ist. Aber wenn das erwählte Volk der Kriegsgöttin Rondra auszieht, um ihre verlorene Burg Kurkum wieder in Besitz zu nehmen, braut sich ein urgewaltiger Sturmwind über ihren Feinden zusammen.
Töchter der Rache lässt die Helden an dem Heerzug der Amazonen zur Rückeroberung Kurkums teilhaben. Es ist ein Spinoff vom Zyklus um die Splitterdämmerung. Für die beiden Autorinnen Yvonne Klaas-Körner und Alexandra Körner ist es das erste Gruppenabenteuer in der Welt des Schwarzen Auges, wobei die Erstgenannte bereits in diversen Botenartikeln ihre Feder für das Schicksal der Amazonen geschwungen hat. Auch im Vorwort bekräftigen die Frauen, dass sie mit dem Abenteuer einen Einblick in das Leben der Amazonen geben wollen. Zweifellos liegt die Zukunft der rondrianischen Kriegerinnen dem Autorinnen-Duo besonders am Herzen.
Helmbusch & Bronzebrünne – Äußerlichkeiten & Rahmenbedingungen
Anmutig, elegant, dynamisch – das Cover von Tristan Denecke gefällt mir schon mal hervorragend. Vor dem Löwentempel von Kurkum erwehrt sich eine Amazone des wuchtigen Angriffs einer Mactaleänata, die wie ein finsteres Spiegelbild der Kriegerin anmutet.
Der Innenteil lässt recht wenig Platz für Grafiken & Vignetten. Ein paar der enthaltenen Bilder sind natürlich recycelt, aber der Großteil der Zeichnungen setzt Bestandteile der Geschichte gekonnt in Szene. Die Bilder gefallen mir durch die Bank gut. Der einzige Ausreißer ist die etwas unpassende Darstellung der Burg Yeshinna, als „Beispiel für eine amazonische Bergfestung“. Ich kann verstehen, dass Keshal Rondra an dieser Stelle keine eigene Karte bekommt, da es eigentlich nur ein Nebenschauplatz ist, aber ein schlechter Ersatz ist auch keine Lösung. Passender wäre Mut zur Lücke gewesen oder im hinteren Teil des Buches eine Karte von Kurkum.
Sprache & Stil der Texte sind durchwachsen. Viele Beschreibungen und Vorlesetexte haben gutes literarisches Potenzial. Um einige der wiedergegebenen Szenen könnte ohne weiteres ein „Vorlese-Kasten“ gezogen werden. An anderen Stellen verstricken sich die Autorinnen in verschachtelte Kettensätze und eingeschobene Nebensätze, die das Lesen zu einer holprigen Angelegenheit machen. Von den vielen vorgestellten NSCs und Gruppierungen konnte ich leider mit keiner warm werden. Entweder bleiben die Charaktere farblos oder werden durch simple Klischees überzeichnet.
Das Lektorat ist solide. Beim Redigieren wurde allerdings Seite 14 ausgelassen. Dadurch können wir dort Eindrücke von einer Besprechung erhaschen, die in einer ursprünglicheren Version wohl in Yeshinna statt Keshal Rondra geplant war und der einige tobrische Persönlichkeiten beiwohnen sollten. Außerdem finden die Helden eine Fürsprecherin in einer befreundeten Amazone, die erst vier Seiten später vorgestellt wird, und der dort gewirkte Heilige Befehl bleibt unausgesprochen.
An was es dem Abenteuer aber vor allem mangelt ist eine ordentliche Struktur. Notwendige Erklärungen erfolgen schon mal zu spät, an anderer Stelle werden Informationen unnötig wiederholt, eine Beschreibung ist über mehrere Seiten verstreut oder bei den Vorschlägen für Talentproben fehlen gelegentlich Modifikatoren sowie Hinweise auf die Konsequenzen einer gescheiterten Probe. Zum Beispiel wäre für den Spielleiter bei der Vorstellung des Heerlagers eine Liste hilfreich, in der ein Dutzend Amazonen mit ihren Kurzcharakteristiken vorgestellt werden. Neben den NSC, die für das Abenteuer relevant sind, wären auch einige Dummys hilfreich, die der Spielleiter bei Bedarf frei einsetzen darf. Stattdessen wird die Vorstellung einzelner Amazonen irgendwo auf x Seiten Text eingestreut. Oder wenn die Beschreibung des entscheidenden Rituals schon in den Anhang verbannt wird, wäre bei der Ausführung im Abenteuer zumindest ein Hinweis auf eben jenen Anhang angebracht.
Kapitel 1 – ein Blutbad der Gefühle
Damit die Helden an der Rückeroberung Kurkums teilhaben können, müssen sie erst einmal einen Weg ins Abenteuer finden. Dazu sollten sie entweder vorher ein rondra-gefälliges Abenteuer bestanden haben oder aus anderen Gründen als rondrianische Recken berühmt sein. Für eine diskrete Gruppe, die ihre Probleme lieber ohne Gewalt löst, oder eine zwielichtige Gemeinschaft, die sich Phexens Pfad verbunden fühlt, wird der Einstieg schwierig. Für die wirklich wahren Helden ist das aber kein Problem; sie werden von den Amazonen einfach als Experten angeworben. Wobei „angeworben“ falsche Vorstellungen weckt; eigentlich werden die Helden gebeten ihr Leben unentgeltlich zu riskieren, um eine arkanophobe, männerfeindliche Schwesternschaft zu begleiten, die aus gekränktem Ehrgefühl ein inzwischen eher nutzloses Land zurückgewinnen will. Aber wahre Helden helfen natürlich gerne, wenn Frauen, Kinder oder Alte auf ihre Unterstützung angewiesen sind. *zwinker, zwinker* Nur gut, dass die Amazonen bei ihrem Vorhaben nicht umhin kommen, eine besetzte Stadt aus den Klauen ihrer Peiniger zu befreien.
Doch nicht nur die Beweggründe der Helden könnten Fragen aufwerfen. Irgendwie ist nicht ganz klar, warum die Amazonen die Helden überhaupt mitnehmen, geschweige denn in den „Kreis ihres Vertrauens“ aufnehmen. Inneraventurisch kommt es schon einem groben Affront gleich, dass Hochkönigin Thesia Gilia auch männlichen Helden und Verbündeten, entgegen alle Vorbehalten und Traditionen ihres Volkes, weitgehend Narrenfreiheit gewährt. Das Verhältnis zwischen den konservativen Amazonen des Raschtulswalls und den liberaleren Schwestern der Drachensteine sollte darunter erheblich leiden.
Konnten alle Teilnehmer des Abenteuers angemessen motiviert werden, lernen die Helden die Amazonen, ihre Feste Keshal Rondra und ihr Heer kennen. Mit Rondras erwähltem Volk ziehen einige Ritter, Freischärler und Nebachoten in den Kampf um Kurkum. Diese Gruppen werden durch ihre stereotypen Anführer verkörpert: der schweigsame, wildniskundige Guerilla-Kämpfer Firutin, der kühne, aber etwas tapsige Ra’oul mit dem drolligen Akzent („Där Muttär Kors zum Grußä“; woran erinnert mich die Figur nur? Achja!) und der strahlende, weltkluge Rittersmann Arnwulf.
Die Autorinnen räumen der Interaktion dieses Trios mit der Amazonen-Hochkönigin viel Raum ein. Ich weiß nicht, ob die Helden sich daran ein Beispiel nehmen sollen, aber nach meiner Erfahrung interessieren sich Spieler erst für die Beziehungen zwischen NSC, wenn sich daraus ein Abenteuerplot ergibt. Gerade die subtile Romanze zwischen dem blendenden Arnwulf (der aus unbekannten Gründen im Abenteuer ausdrücklich zwei Jahre älter gemacht wird) und der kumpelhaften Königin Thesia Gilia empfinde ich als zu gewunden. Soll ich wirklich anreißen, dass Arnwulf „eine unterschwellige Melancholie“ plagt oder die Königin „ihm wohlwollend – beinahe liebevoll – zu“ nickt? Sorry, nicht mein Ding!
Kapitel 2 – Reise, Reise
Mit einem Heerzug von knapp 200 Kämpferinnen und Kämpfern sowie einem Tross von unbekannter Größe brechen die Amazonen nach Kurkum auf. Der Klappentext von Töchter der Rache verspricht eine kurzweilige Reise: „Unterschiedliche Glaubensvorstellungen der Mitstreiter müssen berücksichtigt werden, und Streitigkeiten zwischen ihnen erfordern die Vermittlung kundiger Recken. In der Beilunkei wachen die Schergen des Fürstkomturs Helme Haffax darüber, dass niemand versucht, ihren Einfluss auf das Gebiet zu schmälern.“
Das Abenteuer ist da weit weniger pathetisch. In den knapp zwei Monaten, die die Helden den Zug begleiten, können sie Zelte auf- und abbauen, kleine Blessuren heilen, geringe Schäden an der Ausrüstung ausbessern, etwas kundschaften und natürlich beten, beten, beten. Daneben werden noch einige besondere Begebenheiten angeboten, wie die Vermittlung zwischen den streitbaren Verbündeten, eine kleine Ermittlungsarbeit oder das Aufspüren der obligatorischen Saboteurin. Doch keine Sorge, die vorgestellten Episoden sind rein optional und die Gruppe wird zu keinem Zeitpunkt sich selbst überlassen. Wann immer die Heldinnen zu unbedarft oder einfach zu faul sind, sich einer Herausforderung zu stellen, steht ein NSC bereit, um in die Bresche zu springen.
Ich möchte das anhand eines Beispiels erläutern: Auf ihrem Weg nach Kurkum sammeln die Amazonen Frauen ein, die bereit sind für ihre Sache zu kämpfen. (Ich bin kein Experte, aber in einem feudalistischen System sind die meisten Bewohner unfrei und machen sich strafbar, wenn sie ihre Heimat ohne Zustimmung ihrer Herren verlassen.) Eine der insgesamt sieben Freiwilligen (die einzige mit einer Hintergrundgeschichte) ist eine Saboteurin. Wenn die Helden diese Saboteurin nicht aufspüren (zum Beispiel mittels Respondami bei der Rekrutierung), verzögert sie den Zug der Amazonen mit perfiden Mitteln um wenige Tage, bevor sie sich selbst entlarvt. Die mögliche Verspätung hat aber für die Amazonen keine Auswirkung und auch ihre Feinde können daraus keinen Vorteil ziehen, da die Saboteurin ausdrücklich keine Informationen über die Amazonen weitergibt.
Aber ich möchte nicht verhehlen, dass es in diesem Kapitel auch zu einer Konfrontation mit dem Feind kommt. Gut ein Dutzend vom Fußvolk der Schwarzamazonen greift die fast 200 Reiterinnen und Reiter im Heer der Amazonen an. Eine verwegene Aktion! Ein Held mit der SF Schnellziehen könnte diese Gelegenheit nutzen, um selbst eine Attacke vorzubringen, bevor der Kampf entschieden sein dürfte. Mögliche Gefangene werden nach die „Schlacht“ von den Amazonen ohne viel Federlesen hingerichtet.
Kapitel 3 – Mach dich frei!
Das größte Potenzial für einen spannenden Teil des Abenteuers bietet die Befreiung der Stadt Shamaham (so viel sei schon mal verraten). Während das Heer der Amazonen ein paar Meilen vor der Stadt für unbestimmte Zeit unbemerkt campiert, sollen die Helden eine Invasion vorbereiten. Sie erhalten den Auftrag, die Stadt zu infiltrieren, einheimische Verbündete zu gewinnen und die Truppen des Feindes zu schwächen. Danach sollte der Weg frei sein, um mit einer berittenen Unterzahl eine doppelt so große Streitmacht zu schlagen, die sich seit Jahren in der Stadt verschanzt. Immerhin werden die Helden bei dieser Etappe des Abenteuers nur von wenigen NSC begleitet!
Die Autorinnen bieten ein paar Perspektiven an, um das verwegene Vorhaben der Heldinnen zu ermöglichen, aber die Details bleiben auch hier völlig der Spielleiterin überlassen. Ein Scheitern der Gruppe ist dabei keine Option; jedenfalls wird die Möglichkeit eines Rückschlages im Abenteuer nicht behandelt.
Die moralisch interessanteste Herausforderung dabei ist sicherlich, die Kollaborateurin Yosmina Tulop um Unterstützung zu bitten. Ein böser Kratzer auf dem Panzer aus Rechtschaffenheit der Hochkönigin, aber ich persönlich bin froh, dass Frau Tulop Aventurien noch eine Zeit als verschlagene Schurkin erhalten bleibt.
Ist die Stadt befreit, werden alle Nebachoten als neue Besatzung in Shamaham zurück gelassen, während der Rest des Heeres gen Kurkum aufbricht. Das bedeutet, anstelle von 400 Söldnern beschützen nun 50 (abzüglich der nicht bezifferten Gefallenen der vorherigen Schlacht) leichte Reiter den strategisch wichtigen Ort gegen die ansässigen Kriegsfürsten, Plünderer und Mordbrenner. Doch wehe den Feinden, die Ra’oul an der Stadtmauer empfängt.
Kapitel 4 – Wie die Amazonen Rondra zum Weinen bringen
Bevor die Amazonen ins Vildromtal einmarschieren, werden die Helden (in Begleitung einiger Kundschafterinnen der Amazonen) ausgesandt, um die Lage zu checken. Dabei stoßen sie auf ein weiteres Amazonenvolk, die gemäßigten „Zeuginnen der Schwarzen Göttin“ (kurz ZidSchG). Man könnte sich die Zeuginnen als Räuber-Amazonen vorstellen, die vermutlich nach der Splitterdämmerung die Mactaleänata ersetzen sollen. Doch egal wie sich die Begegnung entwickelt, die Amzonen ziehen unbeirrt ins Vildromtal ein und die Zeuginnen der Schwarzen Göttin verschwinden aus dieser Geschichte. Sie werden sich künftig bei der Borbarad-Kirche anbiedern, bis Azaril Scharlachkraut entscheidet, dass sie keine Tempelgarde benötigt.
Endlich ist der Weg ins Vildromtal frei, das noch immer unter Nagrachs Eis leidet. Hier steht die entscheidende Konfrontation mit den blutgierigen Belhalhar–Paktiererinnen bevor, die bei mir bisher als „Magdadingens“ bekannt waren. Tatsächlich heißen die Schwarzamazonen natürlich Mactaleänata. (Ich würde den Begriff gerne nominieren, für den zweiten Teil von „Aussprache von DSA-Begriffen“). Diese selbsternannten „Löwinnenschlächterinnen“ lauern offenbar schon seit Wochen in den umliegenden Bergen auf ihre Erzfeindinnen. Und sie müssen auch noch zwei Wochen länger lauern, denn die Amazonen müssen sich noch auf ein entscheidendes Ritual vorbereiten.
Die Schwertlöwin der Amazonen-Kirche Ayla Ylarsîl von Donnerbach will das Tal ein für alle Mal vom dämonischen Einfluss reinigen. Dazu hat sie ein sakrales Ritual ersonnen. Für ihr „Ritual von Rondras Tränen“ benötigt die Geweihte einen Drachenkarfunkel und das frische, blutige Herz einer Feindin. Das ist eine gute Idee, die den archaischen Stil der Amazonen-Kirche unterstreicht. Überhaupt ist ein Pluspunkt an Töchter der Rache, dass auf überkandidelte „Wundermittel und Höllentinkturen“ verzichtet wird, zugunsten von karmalen Artefakten und Liturgien.
Voller Gottvertrauen sind die Amazonen aus Yeshinna aufgebrochen, ohne sich einen Karfunkelstein aus der Karfunkel-Höhle ihres Verbündeten Apep zu borgen. Sie hoffen einfach darauf, den seit Jahren verschollenen Seelenstein des Kaiserdrachen Smardur zu finden, der beim Kampf um Kurkum sein Leben gegeben hat. Doch der Boden der einstigen Amazonen-Festung wurde von einem sehr großen Geschöpf aufgewühlt. Das lässt (logischerweise) nur den Schluss zu, dass der Karfunkel von einem Jungdrachen geborgen wurde, der gleichzeitig auch den Hort von Smardur in Besitz genommen hat. Und da die Hochkönigin weiß, wo dieser Hort ist, nimmt sie die Helden auf eine zweiwöchige Klettertour durch die Berge mit, bis zum Hort des Drachen. Ihre Schlussfolgerungen haben Thesia Gilia natürlich nicht getrogen und so gelingt es ihr nicht nur den Karfunkel von Smardur zu leihen, sondern auch eine neue drachische Verbündete zu gewinnen. Und die Helden? Die haben die Chance, eine Erwählte der Götter bei ihren ruhmreichen Heldentaten zu beobachten.
Der Rest ist Geschichte: Die geweihten Amazonen wirken ein karmales Großritual, während die Mactaleänata ihren finalen Angriff starten. Schwertlöwin Ayla wird unrettbar niedergeschossen, wie eine räudige Hündin. Und da Hochkönigin Thesia Gilia von einem Karmoth-Hieb ausgeknockt wird, dürfen die Helden die Oberschurkin Nakika Bärenfang erschlagen. Falls das Kräfteverhältnis von 70 Mactaleänata & Söldnern gegen etwa 85 Amazonen, Ritter und Freischärler (ein Drittel der Streitmacht habe ich nach der Schlacht um Shamaham abgezogen) unausgewogen erscheint, können noch der Geist des Drachen Smardur, seine Teen-Tochter Scathanaë und die heilige Yppolita für das Gute einstehen. So gelingt es schließlich, die Schwarzamazonen zu besiegt und alle dämonischen Einflüsse aus dem Vildromtal zu bannen.
Anhang, –hang, –hang, –hang….
„Töchter der Rache“ wartet mit sieben Anhängen auf. Darin werden beinahe alle Beteiligten nochmals vorgestellt. Die meisten Texte hätte ich mir eher im Abenteuer gewünscht, zumal einige Informationen dort schon enthalten sind, während andere Details wiederrum im Anhang fehlen.
Die obligatorischen Spielwerte am Schluss sind gut gelungen. Besonders positiv finde ich, dass die Protagonisten seit der letzten Veröffentlichung ihre Spielwerte verbessert haben. Ein gutes Beispiel für das lebendige Aventurien. Nur Nakika Bärenfang hat (wie auch schon in Schattenlande Seite 132) die Schwarze Gabe der Lähmenden Furcht eingebüßt, die sie noch im Dienste des Unersättlichen hatte. Sei‘s drum!
Fazit – Rache ist Hartwurst
Mit Töchter der Rache haben die Autorinnen den Sprung in Nagrachs Eiswasser gewagt. Schön, dass Ulisses jungen Autorinnen diese Chance einräumt; schade, dass der Verlag solche Projekte nicht durch ein Tutorium unterstützt. So hätten vielleicht einige klassische Fehler vermieden werden können.
Das Abenteuer leidet unter dem „Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes“-Dilemma: Die Helden dürfen sich zwar mächtig ins Zeug legen, aber am Ausgang der Ereignisse ändert sich dadurch nichts. Stellenweise werden sie sogar zu reinen Statisten degradiert. Die Komplexität für den Spieler finde ich daher mit „mittel“ zu hoch gegriffen. Im Gegensatz dazu muss der Spielleiter nicht nur einer ganzen Reihe von NSCs Leben einhauchen, sondern auch viele Etappen der Geschichte selbst ausarbeiten. Die Komplexität für den Meister würde ich daher als „hoch“ einschätzen.
Töchter der Rache ist schon ein spezielles Abenteuer. Ich muss gestehen, dass ich beim Lesen mehrfach die Augen verdreht habe. Aber heißt es nicht, „es ist nicht alles Mist, was stinkt“? Hinter Chaos & Kitsch bei der Lektüre verbirgt sich die heldenhafte Eroberung Kurkums, gewürzt mit reichlich Theatralik und etwas Schlachten-Porno Atmosphäre. Ein engagierter Spielleiter kann mit ein paar Änderungen und einen deutlicheren Fokus auf die Helden das Abenteuer rocken. Und auch eine hoch motivierte Motto-Gruppe mit martialischen Charakteren (wie Amazonen, Rondra-Geweihte und Ritter) wird an der Geschichte ihren Spaß haben.
Wertung
Einhörner sind scheue Wesen, doch zuweilen sieht man an ihrer Seite eine jungfräuliche Gefährtin. Die Heerfahrt der Amazonen hat gleich neun der virilen Zauberhengste angelockt. Doch nicht alle konnten ihr Herz für eine Amazonen-Kriegerin erwärmen.
- Für ein Einhorn war der Aufbau des Abenteuers stellenweise so chaotisch, dass sein Geist Zuflucht im Wahnsinn gesucht hat.
- Einem Einhorn fehlte schlicht die Motivation. Weder die Beweggründe der Amazonen konnte es verstehen, noch den Anreiz für die Helden nachvollziehen.
- Die vielen NSCs, die immer wieder für die Helden einspringen, haben ein Einhorn so sehr demoralisiert, dass es sein freies Leben aufgegeben hat, um künftig als Wasserspeier zu jobben.
- Einhörner sind keine Nandus-Strategen und erwarten auch kein militärisches Fachwissen von Literaten. Einige taktische Entscheidungen und logische Unstimmigkeiten haben ein Monoceros trotzdem in grüblerische Meditation versinken lassen.
- Ein Einhorn betrauert noch den müßigen Tod der Schwertlöwin, als Sinnbild für den Fatalismus bei Töchter der Rache.
- Dass die meisten Prüfsteine für die Helden vom Spielleiter selbst ausgearbeitet werden müssen, erinnert eher an eine Baugrube, als an eine Sandbox. Doch Nandus (Erstes Äon, 2014) liebt die Freiheit und die Herausforderung. Daher kann sich auch sein heiliges „Tier“ in diesem Punkt nicht abwenden.
Mit Ach und Krach bleiben also vier Einhörner übrig, die sich für die Amazonen in die Schlacht um Kurkum stürzen würden.
Optimierungsvorschläge
Es ist immer leicht sich zu beschweren. Ich würde aber dem geneigten Spielleiter gerne noch ein Paar Alternativen für einzelne Szenen im Abenteuer vorschlagen:
- Bei der Motivation muss die Spielleiterin etwas nachbessern, um eine persönliche Bindung zwischen den Beteiligten zu konstruieren. Zum Beispiel könnten die Helden in Punin mit dem Arkanium-Korps (Schattenlande 98) aneinander geraten, während die dunklen Heroen sich als „Spezialeinheit“ bei den Amazonen einschleichen möchten oder einen Anschlag auf Königin Thesia Gilia und ihre Tochter planen.
- Als Saboteurin würde ich keine gediegene Söldnerin wählen, sondern eine gescheiterte Amazone: Die in die Jahre gekommene Grinhild wurde vor einiger Zeit bei einem Scharmützel gegen eine Mactaleänata besiegt. Doch anstatt ihre Gegnerin zu töten verhöhnte die Schwarzamazone sie, weil sie alt und schwach ist. Seither verachtet Grinhild sich selbst für ihren verfallenden Körper und hofft von der Schwarzen Mutter der Mactaleänata eine zweite Chance zu erhalten. Die Helden könnten auf eine Verräterin aufmerksam werden, als sie einen Nuntiovolo Botenvogel (gekauft in Borbarad-Tempel von Shamaham) abfangen. Wird Grinhild nicht gefasst, könnte sie es sogar sein, die der Hochkönigin ihre Verletzung beibringt.
- In meinem Aventurien verlassen die Helden in Perricum den Heerzug, fahren mit einer kleinen Schaluppe zur Geisterstadt Saldersand (Schattenlande Seite 92 & M220) und erreichen Shamaham von Osten. Auf die Weise können sie etwas Piratenküsten-Atmosphäre schnuppern und erreichen die Stadt einige Tage vor den Amazonen. Diese Zeit muss ihnen reichen, um erste Erkundigungen einzuholen und sich eine grundlegende Strategie zu Recht zu legen.
- Um die Helden nochmals mit der Nasenspitze auf den Rondra-Tempel (und die Geister) der Stadt aufmerksam zu machen, schlägt die Schwertlöwin vor, dort zum Zeitpunkt des Angriffes die Liturgie Segen des Heiligen Hlûthar zu wirken und dabei die Bürger der Stadt zum Widerstand aufzurufen. Aufgabe der Helden ist es dabei, den Ritualplatz vorzubereiten, ausreichend Waffen für die Bürger dort bereit zu halten und natürlich die Priesterinnen vor dem Feind zu schützen.
- Natürlich dürfen die Helden alleine zur Drachenhöhle kraxeln und den Karfunkel borgen. (Ich würde den Seelenstein am Ende eh gerne zerstört sehen, damit die Seele von Smardur in Rondras Hallen eingehen kann und [der Legende nach] an der Seite von Yppolita künftig als Schutzheiliger über Kurkum wacht.)
- Um alle Sinne anzusprechen würde ich beim Ritual von Rondras Tränen die Liturgie Rondras Hochzeit zu Beginn einbauen. Die finale Schlacht findet dann bei heftigem Niederschlag in aufweichendem Boden statt und mündet eventuell im Auge eines aufziehenden Rondrikans. Außerdem macht es Sinn eine Göttliche Strafe (LL 165) ins Großritual einzubauen. Der Schaden für Paktierer könnte den Kampf mit dem Ende des Rituals entscheiden und künftig wäre die gesamte Ruine geschützt.
- Nakika Bärenfang wird als hohe Paktiererin natürlich nicht von Yppolitas Segen beeinflusst. Zur Not erweitert sie dafür sogar auf dem Schlachtfeld ihren Pakt. Sie wird versuchen, die Schwäche der Königin auszunutzen, um ihr den Gnadenstoß zu geben. Nur die Helden können sie davon abhalten.
- Ayla Ylarsîl von Donnerbach sollte nicht im Bolzenhagel sterben. Als die Königin in eine Falle gelockt wird, weist sie die Helden an sie zu retten und opfert ihr eigenes Leben in einem Großen Matyrium (LL 341). Die mächtige Liturgie könnte sie im Zuge ihrer Recherchen in Donnerbach gelernt haben.
Zum Schluss habe ich noch die Profile der Amazonen und neuen Rekrutinnen aus Töchter der Rache zusammengetragen:
- Hochkönigin Thesia Gilia von Kurkum (*3. Rondra 996 BF, 1,90 Schritt, blondes Haar (schulterlang), blaue Augen, ernstes und manchmal hartes Gesicht)
- Reitmeisterin Arwynn von Keshal Rondra (*998 BF, 1,82 Schritt, kurzes blondes Haar, blaue Augen, leicht aufbrausend)
- Schatzmeisterin Prinis von Yeshinna (*992 BF, 1,78 Schritt, mittellanges braunes Haar, grüne Augen, charmant und diplomatisch)
- Kastellmeisterin Helote von Yeshinna (*997 BF, 1,81 Schritt, dunkelbraune Locken, braune Augen, zielstrebig)
- Schwertlöwin Ayla Ylarsîl von Donnerbach (*15. Rondra 991 BF, 1,70 Schritt, schwarze schulterlange Locken mit weißen Strähnen, schwarze Augen)
- Blutlöwin Morenai von Yeshinna (*1004 BF, 1,88 Schritt, glattes braunes Haar, ein grünes und ein blaues Auge, breite und muskulöse Statur, Mystikerin)
- Blutlöwin Palinai von Kurkum (*1006 BF, dunkelblond, Löwenmähne, neugierig funkelnde Augen, welterfahrene Kämpferin)
- Blutlöwin Emer (*1001 BF, 1,79 Schritt, rotes Haar, grüne Augen)
- Rovena von Yeshinna (*1009 BF, 1,73 Schritt, kurzes braunes Haar, braune Augen, gedrungene Gestalt, beherrschte Bewegungen, ernsthaft und pflichtbewusst, trägt die typische Amazonenrüstung)
- Belizeth (*1016 BF, 1,69 Schritt, dunkelblond, kurzes Haar, eher schmal)
- Yanis (*1013 BF, 1,85 Schritt, brünett, Kurzhaarschnitt, normale Statur)
- Hildelind (*1013 BF, 1,74 Schritt, Aknenarben, dunkelbrau-nes, kurzes Haar),
- Sigisburg (*1018 BF, 1,77 Schritt, hellblond, recht hübsch)
- Linje (*1006 BF, 1,85 Schritt, rothaarig, sehr muskulös)
- Shila von Yeshinna
- Solivai von Keshal Rondra
- Trinde von Yeshinna
- Sefiora von Keshal Rondra
- Gari von Yeshinna
- Aldea von Keshal Rondra
- Marja von Yeshinna
Neue Rekrutinnen:
- Shahane Monzon (*1019 BF, 1,78 Schritt, schwarzes langes Haar, dunkle Glutaugen, stämmig gebaut, zuweilen hitziges Auftreten, gänzlich kampfunerfahren)
- Glenna Tucher (*1010 BF, 1,82 Schritt, brünett, braune Augen, drahtig, Schmiedegesellin, rudimentäre Fertigkeiten mit mehreren Waffentypen)
- Manjula (*1014 BF, 1,77 Schritt, rothaarig, sehr gewandt, tulamidische Sharisad, Kenntnisse in der Handhabung von Säbeln und Dolchen)
- Isidre Zandor (*1015 BF, 1,90 Schritt, lange rote Haare, blaue Augen, schlank und in der Statur durchschnittlich, recht gewandt in den Bewegungen, freundlich, enthusiastisch und manchmal gar vertrauensselig, mit Bogen, Jagdspieß)
- Firunja Wagner, die Saboteurin (*1006 BF, 1,77 Schritt, braunes Haar, schulterlang, zu einem Pferd-schwanz gebunden, blaue Augen, kräftig gebaut)
- Dythilde Karolus (*1018 BF, 1,75 Schritt, kurzes schwarzes Haar, braune Augen, Tochter eines Bauern, keine Kampffertigkeiten) und
- Ulmia Gillisen (*1021 BF, mittellanges braunes Haar, grüne Augen, Tochter des Müllers, keine Kampffertigkeiten)
Nandurion dankt Kai Lemberg herzlich für die Gastrezension.
Schöne Rezension! Sie las sich sehr flott, und gerade die Tipps am Ende kann ich gar nicht genug würdigen – etwas scharf aber gleichzeitig sachlich zu kritisieren ist schon schwierig genug. Gute Verbesserungsvorschläge zu bringen ist ist noch mal eine Steigerung!
Schade um das Abenteuer… aber helft einem alten Mann mal auf die Sprünge: Sind das nicht haargenau diesselben Kritikpunkte, an denen vor ca. 20 Jahren auch schon das Abenteuer um Kurkums Fall gekrankt hat? Für ein paar Momente dachte ich, der Rezensent mach sich einen Jux daraus, die Kritiken zu „Goldene Blüten“ nochmal runterzuschreiben…
Ich kenne zwar die „Goldene Blüten“ nicht, aber es würde mich nicht überraschen, wenn es dort die gleichen Kritikpunkte gäbe, denn: die Amazonen waren noch nie für ihre Toleranz (insbesondere Männern gegenüber) bekannt, insbesondere, solange sie sich auf einem Kriegszug befinden und sich in den Augen ihrer Göttin beweisen wollen. Also wieso sollte es heute leichter sein, ein entsprechendes Abenteuer für eine zumeist männliche Heldengruppe zu schreiben?
Stimmt schon.
Aber dass die Amazonen mit männlichen Helden zusammenarbeiten, das scheint mir nach der Lektüre der Rezi überhaupt kein Problem zu sein. Eher das Gegenteil: Die Amazonen arbeiten ja nicht nur mit den Helden, sondern auch mit anderen männlichen NSC (anscheinend relativ reibungsfrei) zusammen.
Ich will ein paar der damaligen Kritikpunkte von „Goldene Blüten“ aufzählen…
1. Der Einstieg. Schwertlöwin Ayla ruft laut: „Die Borbaradianer ziehen auf Kurkum!!!“ Die Helden springen auf ihre Pferde und reiten ihr hinterher, um die Verteidigerinnen zu unterstützen. Weil sie ja Helden sind.
2. Die Zusammenarbeit mit den Amazonen. Königin Yppolita nimmt die Helden ohne viele Fragen als Verteidiger der „allerheiligsten Amazonenburg“ mit ins Team auf. Weil sie eben Helden sind und gerade da sind.
3. Die Belagerung. Hier können die Helden Belagerungsalltagskleinkram erledigen und den Meisterpersonen beim Vorlesetexte ablesen zuhören. Sie können eine richtige Saboteurin (die aber auf jeden Fall entkommen muss) und eine falsche Saboteurin (die einen endlosen Amazonen-Meister-Monolog auslöst) entlarven.
Dazu kommt, das in der Belagerung recht wenig auf militärisch-logisches geachtet wurde. Stattdessen sollen die Amazonen von Kurkum möglichst martialisch-heroisch in Szene gesetzt werden. Und es hat eigentlich keine Aktion der Helden irgendeine Auswirkung auf den Verlauf des Abenteuers.
4. Das Finale. In der finalen Schlacht dürfen die Helden auch wieder verschiedene Trigger auslösen, um entsprechende Meisterpersonenszenen auszulösen. Wem der Sinn nach mehr Kampf steht, der darf mit einem Shruuf noch den Boden aufwischen. Das Ende der Schlacht steht bereits komplett fest.
Das sind alles größtenteils handwerkliche Probleme, die nichts mit den Amazonen zu tun haben. Es ist viel mehr die Sichtweise, wie vor 20 Jahren metaplotlastige Abenteuer geschrieben wurden, und wie das heute passiert.
Zum Beispiel ist auch die Praioskirche nicht unbedingt für eine hohe Toleranz gegenüber „typischen Helden“ bekannt. Trotzdem gilt die Quanionsqueste als eines der besten modernen DSA-Abenteuer.
Tolle Rezension!
Warum müssen Amazonen nur immer so unfassbar Klischee aufgeladen sein? Oder besser: Warum müssen emanzipierte Frauen IMMER in Minirock rumlaufen?
Aber mit Helm! Janz wichtig!
Das Abenteuer ist in dem Sinne unschuldig.
Erstmal ist ein Helm tatsächlich sehr wichtig, da der Kopf eine der empfindlichsten und wichtigsten Stellen des menschlichen Körpers ist. Der Harnisch der Rüstung entspricht einem historischen Glockenpanzer, der sinnvoll an die weibliche Anatomie angepasst wurde ohne dabei dem rondrarianischem Ketten-BH nach Wege der Götter zu entsprechen. Will heißen: auch der obere Busenbereich ist gerüstet. Der „Minirock“ ist ein Oberschenkelschutz, der ebenfalls von Hobliten getragen wurde. Diese Abbildung zeigt das Original https://de.wikipedia.org/wiki/Hoplit#/media/File:Hoplite1.gif
Schöne Rezension! Die Kritikpunkte halte ich für völlig nachvollziehbar, vor allem die Sturheit der Amazonen sorgt für eine völlig unlogischen Kriegszug, zudem ist die Beteiligung der Spieler arg limitiert. Schön aber auch die Verbesserungsvorschläge.
Die ziegen ja auch, dass es verdammt schade um das Abenteuer an sich ist, die Grundidee der Rückeroberung Kurkums hat ja jede Menge Potential, das leider überhaupt nicht ausgenutzt wird.
Viel Mühe. Viel Arbeit.
Aber eine super Rezension. Nein, mehr als das. Dieser Bericht ist für mich eine praktische Spielhilfe. Klasse. Danke.
Eine sehr gute Renzension. Durch sie habe ich mich zuerst dagegen entschieden, das Abenteuer anzuschaffen, nur um mich aufgrund der spannend wirkenden Tipps im Anschluss wieder umzuentscheiden.
Stilistisch fand ich die Verwendung des generischen Feminums sehr schön, gerade wenn man bedenkt, dass ein Abenteuer über Amazonen rezensiert wurde.
Starke Rezension, so wünsch ich mir das öfter.
Danke