Myranisches Zauberwerk: Passierschlag

Myranisches Zauberwerk CoverChimären, Golems, Untote, Arkanomechaniken: Was man in Aventurien höchstens in den Schattenlanden mal regelmäßiger findet, ist in Myranor Alltag. Oder sollte es zumindest sein, denn die dahinterstehenden Regeln fehlten bisher. Dies hat sich nun mit dem wirklich langersehnten Band Myranisches Zauberwerk geändert. Es ist Großes erschienen, lasst uns darüber reden!

Durch eine Verkettung (un)glücklicher Umstände verschob sich das Erscheinen des sehnlich erwarteten Regelwerks noch einmal um zwei Wochen, während drei Nanduriaten das Werk bereits vorlag. Daher lassen wir nun Cifer, Feyamius und Sedef zu Wort kommen: Hat sich das Warten gelohnt?

Die Disputanten

Sedef: Hat seit Jahren vor, einen Artefaktmagier zu bauen und kommt nie dazu. Baut semipermanente Artefakte und Auxiliatoren nach den Regeln aus Wege der Alchimie. Verwendet Arkanoglyphen, Runen und Von Toten und Untoten in seiner Runde.

Cifer: Will, seitdem er Myranor für sich entdeckt hat, endlich den ganzen technomantischen Krams ausprobieren, den der Hintergrund verspricht. Mal schauen, was davon man mit dem Band so alles basteln kann.

Feyamius: Hat vor zig Jahren einen Artefaktmagier nach DSA3 (mit den Regeln aus dem Hesindespiegel) gespielt und baute semipermanente Artefakte für den Aventurischen Boten nach DSA4.1 … Myranor versprach bisher immer abstrahierte 4.1-Regeln, kann es etwa auch den Artefaktregel-Moloch bändigen?

Aussehen und Aufbau des Buchs

Feyamius: Zunächst einmal der allererste Eindruck: Das Cover ist wirklich gelungen. Schade nur, dass das darauf abgebildete Viech nicht auch als beschriebene Chimäre im Buch enthalten ist. Die Innenillustrationen, aus den Federn von Melanie Philippi und Steffen Brand, können da qualitativ zwar gut mithalten, aber: Es sind einfach viel zu wenige! Ich meine: Der Band über myranisches Zauberwerk enthält nicht ein einziges Bild eines Insektopters! Skandal! Allgemein hätte gefühlt bei jedem Zauberding, zumindest jedem zweiten, ein Bild dazugekonnt. Gearporn ohne Bildchen ist halt ein bisschen unbefriedigend.

Sedef: Auch wenn man sicherlich nicht zu jedem Artefakt ein Bild haben kann, wären ein paar mehr schön gewesen. Die Optik entspricht im Übrigen dem inzwischen etablierten Standard von Myranor und passt damit gut zu den übrigen Bänden. Das Cover gefällt mir sehr gut, insgesamt bin ich mit der Optik zufrieden.

Cifer: Auf Bilder kann ich eher verzichten, insofern bin ich mit dem Layout ziemlich zufrieden. Vielleicht ändert sich das nochmal, wenn ich es als gedrucktes Werk in den Händen halte.

Hintergrund

Cifer: Jeder Teil des Buchs beginnt mit einer Hintergrundbeschreibung, wie die entsprechenden Influxionen in Myranor genutzt werden – dass also zum Beispiel Chimärologie in der Landwirtschaft verbreitet ist, Artefakte und Arkanomechaniken besonders von bestimmten Optimatenhäusern hergestellt werden und Untote eher ein Schattendasein fristen. Das ist hilfreich, weil es den hochmagischen Hintergrund Myranors weiter ausbaut. Seltsam erscheint hierbei lediglich, dass „Zauberwaffen“ für Privatpersonen (inklusive Optimaten) nicht legal zu erwerben sind. Wenn damit jetzt nicht gerade Geschütze und Insektopter gemeint sind: Weshalb? Myranor ist der Kontinent, auf dem gerade mundane Charaktere regelmäßig magische Waffen brauchen werden, weil regelmäßig Zauberwesen auftauchen, die über blanken Stahl eher schmunzeln. Wozu wird da jetzt eine Hürde aufgebaut?

Sedef: Der Ritt durch die Zauberwerk-Geschichte Myranors liest sich spannend, bietet aber auch wenig grundliegend Neues. Sehr gut gefallen haben mir die Sammlung der Fachbegriffe (Vivomorphie wird ab sofort in meinen myranischen Wortschatz aufgenommen), sowie die Abschnitte zum Handel (und Schmuggel) mit Zauberwerken und die Verteilung nach Lebensstil. Mit dem Handelsabschnitt gibt es auch einige Informationen, auf welche Weise sich solches Zauberwerk als Held beschaffen lässt, während die Verteilung nach Lebensstil einen sehr guten Eindruck davon vermittelt, welcher NPC welche Zaubermittel zur Verfügung haben sollte. Gleichzeitig gibt es einen sehr guten Überblick darüber, wie die verschiedenen Kulturen Myranors Artefaktmagie, Arcanomechanik etc. sehen und selbst nutzen.

Feyamius: Auf die Auswirkungen des schon von Cifer erwähnten hochmagischen Hintergrunds, der hier bezüglich verzauberter Objekte und Wesen schön ausgebaut wird, werde ich später nochmal zu sprechen kommen. Die herrschaftliche Stellung der Optimaten zeigt sich natürlich auch auf diesem Gebiet deutlich, was zu umfangreichen Handelsbeschränkungen führt, sodass diverses Zauberwerk schonmal grundsätzlich eben nicht frei erhältlich ist. Eine Setzung, die man als Spieler jetzt lieben oder hassen kann … oder man findet’s mittelmäßig. So geht es mir zumindest dabei, ich bin da etwas zwiegespalten. Auf der einen Seite passen diese Restriktionen gut ins Bild, wonach das mächtigere Zauberwerk Privileg der Eliten bleiben soll, auf der anderen Seite dürften sie die Mehrzahl der Charaktere vom wirklich interessanten Kram fernhalten oder – wenn sie es trotzdem nutzen – in die Illegalität treiben. Wenn Helden zumeist in der Halbwelt unterwegs sein sollen, kann dieser Effekt jedoch auch erwünscht sein.

Cifer: Zudem ist das mit der Illegalität auch wieder relativ zu sehen – es scheint ja durch, dass das bei vielen Gegenständen eher ein fast schon erwartetes Kavaliersdelikt von der Schwere eines Sondertarifs für beschleunigte Bearbeitung bei imperialen Beamten ist …

Feyamius: Achja: Die Fachbegriffe sind auch nicht grundlegend neu, sondern waren spätestens seit Myranische Mysterien vorhanden. Ich vermisse hier sogar einen Begriff, der sich mir wohl gerade durch seinen zungenbrecherischen Klang ins Hirn gebrannt hat, sodass ich ihn jetzt auch nach über einer Dekade nicht nachschlagen zu müssen glaube: Chalketoniken.

Artefakte

MyZa Gorgonenhaupt by Melanie Philippi

Mehr solcher Bildchen wäre echt schön gewesen. (Bild von Melanie Philippi)

Cifer: An Artefakten kennt MyZa Beschwörungsmatrizen (erlauben es, einen darin gespeicherten Zauber mit den AsP des Nutzers zu sprechen), Beschwörungsspeicher (wirken wie der Zauberspeicher des Stabes), Beschwörungstalismane (erhöhen die ZfP* eines vom Nutzer gesprochenen Zaubers). Dazu kommen dann noch Kraftspeicher (erzeugen und speichern AsP), Kraftumwandler (speichern AsP, die sie berührenden Wesen als LeP abziehen) und Sphärenstabilisatoren (schützen vor der Kritischen Essenz) – besonders letztere sind angesichts des beliebten imperialen Witzes „Kommen drei Magi in eine Taverne“ — „BUMM!“ extrem bedeutsam. Wichtig dabei: Die Artefaktarten können miteinander kombiniert werden. Eine Beschwörungsmatrix, die von einem Kraftspeicher selbstständig aufgeladen wird, ergibt zum Beispiel ein semipermanentes Artefakt. Einzig eine Antwort auf das „wie“ habe ich bisher noch nicht gefunden. Braucht es dafür eine eigene Probe? Können mehrere Artefaktwirkungen in einem Objekt zum Tragen kommen oder müssen dafür mehrere Objekte zusammengebaut werden?

Sedef: Erst mal: Mehr Metalle, mehr seltsames Holz, mehr magisches … Zeugs! Graublut-Tarnex, Quoranium und Co. erweitern hier die Materialauswahl für Artefakte, dazu sind auch die aus dem Wege der Alchimie bekannten Dinge nochmal abgedruckt. Damit kann man mich jedenfalls schon einmal begeistern. Das MyZa steht damit (wie auch das neue Myranische Magie) für sich und verweist nicht auf sein aventurisches Pendant. Mit dem Begriff Influxion (in Hintergrund wie auch Regeln) knüpft es außerdem an die Setzungen im Myranische Magie an.

Bei den eigentlichen Artefakten gibt es auch nicht nur Waffen und Kriegsgerät, sondern auch Artefakte für Unterhaltung, Medizin und dergleichen. Sehr schön. Ansonsten hat Cifer das schon sehr gut zusammengefasst: Kennern der aventurischen Artefaktmagie werden hier viele Effekte bekannt vorkommen, dazu gibt es aber auch einige neue Möglichkeiten. Insgesamt scheint der Abschnitt dem komplexen und „magischeren“ Setting von Myranor gerecht zu werden, wobei ich noch keine Gelegenheit hatte, die Artefaktregeln einmal näher durchzurechnen.

Cifer: Mir scheint es so, als läge zumindest beim Kraftspeicher ein ziemliches Balancingproblem vor – ob der nämlich einen AsP pro Tag oder pro Spielrunde regeneriert, entscheidet sich daran, ob man bei der (allgemein schwierigen) Erschaffung zwei Punkte zusätzliche Erschwernis und 24 AsP mehr in Kauf nimmt. Auch kann man sich bei sehr vielen Spielereien die pAsP komplett sparen, wenn man sich damit zufriedengibt, seine Artefakte nach einem Jahr erneut zu verzaubern. Während man also allgemein clever genug war, zum Beispiel den Beschwörungsspeicher durch die Übernahme der Zauberdauer zu entschärfen, kann ein entsprechend begabter Optimat relativ fix seine AsP als begrenzenden Faktor ausschalten – und für diejenigen, die solchen Krams nicht selbst herstellen können, ist er auch relativ billig zu erwerben. Die Artefaktauflistung sieht soweit gut aus, allerdings haben einige Artefakte einen nicht weiter erwähnten Haken: Ihre Zauber wirken nur auf Gegenstände mit einem Maximalgewicht von 1 Stein, die darin verwendeten AsP erfordern aber eigentlich ein Objekt mit höherem Gewicht, wenn man nicht auf sehr spezielle Materialien zurückgreifen möchte. Und wo wir grad bei Materialien sind: Die Idee, Tätowierungen als Flüssigartefakte abzuhandeln, ist auch ganz cool – allerdings macht einem auch hier wieder die Grundmenge einen Strich durch die Rechnung, denn für eine Influxion mit 25 AsP (für Artefakte relativ wenig) braucht man schon 1 Liter Flüssigkeit.

Sedef: Ein Liter Tinte unter der Haut klingt erst einmal ungesund. Die Anmerkung mit dem Durchrechnen war aber eigentlich eine Ausrede, Cifer, keine Aufforderung die Wände mit Artefaktberechnungen vollzuschmieren.

Cifer: Pah!

Feyamius: Hier profitiert der Band, wie oben angedeutet, auf jeden Fall davon, dass Myranor weitaus magischer ist als Aventurien – die Regelung des Beschwörungsspeichers ist schön einfach und funktional, wäre auf dem Nachbarkontinent aber vermutlich ziemlich „imba“. So eine regelleichte Abhandlung der Artefaktmagie wäre wohl ein feuchter Traum für jeden, der seit Stäbe, Ringe, Dschinnenlampen das Artefaktebasteln nur noch mit der Kneifzange anfasst, weil er den Bachelorstudiengang Aventurische Thaumaturgie nicht belegt hat. Ob das Ganze aber womöglich sogar für Myranor zu abgefahren geworden ist, müssen jene entscheiden, die sich in dem Setting heimischer fühlen als ich. Rein formal gesehen gefallen mir die Regelungen aber gut, auch wenn man an den Ausführungen der Miteinhörner schon erahnen kann, dass bei einer Vereinfachung der Zweigesichtige schnell seine Finger im Spiel hat, was die Details angeht. Alles wirkt sehr rund und funtioniert ähnlich – so ähnlich, dass man an manchen Stellen sogar glaubt, ein Déjà-vu zu haben, weil Passagen einfach beinahe 1:1 übernommen werden konnten. Das dürfte der Merk- und Anwendbarkeit der Regeln sehr zugute kommen.

Arkanomechaniken

MyZa Mechanopath by Melanie Philippi

Macht auch ohne kritische Essenz BUMM: der Mechanopath (Bild von Melanie Philippi)

Sedef: Auf diesen Abschnitt habe ich mich am meisten gefreut, und auf den ersten Blick scheine ich nicht enttäuscht zu werden. Schon der Abschnitt über Mechanopathen macht Lust, sich einen entsprechenden Helden zu bauen. Arkanomatische Magofakturen sind ebenfalls ein neues Element, das östlich des Thalassion nicht anzutreffen ist. Mit knapp zwei Seiten Beispielrechnung für eine arkanomechanische Spinne dürfte diesem Buch auch der Preis für das längste Rechenbeispiel der DSA-Geschichte sicher sein.

Cifer: Ja, der Abschnitt ist definitiv großes Harpastum. Zwar geht es hier oftmals um Dinge, die bei einer normalen Abenteurergruppe nie eine Rolle spielen werden (oder wann habt ihr zuletzt einen 4 Schritt großen Spinnenläufer konstruiert?), aber Myranor lädt ja geradezu dazu ein, auch mal nichttraditionelle Spielkonzepte auszuprobieren. Bei der anderthalb Seiten starken Beispielrechnung zur Erstellung der Spinne bin ich zumindest schonmal gespannt, ob man es hier tatsächlich geschafft haben sollte, im letzten für DSA 4.1 erscheinenden Regelwerk das vermutlich erste korrekte längere Rechenbeispiel abzuliefern.

In dem für mich interessantesten Teil, den Cybergliedmaßen Magoprothesen, finden sich leider zwei Enttäuschungen: Erstens sind die Gliedmaßen relativ mundaner Natur: Als Mensch kann man sich keine Flügel anbauen lassen, es können auch nur ganze Gliedmaßen statt einzelnen Teilen ersetzt werden und außer ggf. verbesserten Eigenschaftswerten haben die Gliedmaßen keine besonders tollen Extrafähigkeiten oder sind aus ungewöhnlichen Materialien zu konstruieren. Zweitens sind sie rein RAW für SCs eigentlich unbrauchbar, denn Magoprothesen können nicht zur Beseitigung von bei Generierung vorhandenen Nachteilen genutzt werden. Gleichzeitig existiert in DSA auch keine Regel zum Gliedmaßenverlust nach der Generierung, wenn man mal von Schleichendem Verfall absieht – es gibt also eigentlich keine Situation, in der ein Held eine Prothese braucht. Hier hätte man aus meiner Sicht ein wenig mehr Möglichkeiten bereitstellen und ggf. durch AP-Ausgaben zum Wegkauf von Nachteilen oder Kauf von Vorteilen balancieren sollen. So bleiben viele spaßige Konzepte des Themas „künstliche Gliedmaßen“ nicht bzw. nur über Umwege (Beschwörungsmatrix für passende Instruktionen) bespielbar.

Feyamius: Genau das (der Umfang, der der Magoprothetik zugestanden wurde) war für mich ebenfalls etwas enttäuschend. Ich habe hier z. B. Prothesen vermisst, die neue, vorher nicht vorhandene Gliedmaßen verleihen. Wie cool wäre es gewesen, wenn ein geschickter Neristu-Implanteur auch Menschen ein zweites Armpaar oder gar Ashariel-ähnliche Flügel verpassen könnte? Aber auch ganz profane Aussagen über ihre Heilkunst – was bringt es zum Beispiel, dass sie lebende Organe konservieren und transplantieren können, konkret? – hätte ich mir gewünscht. Ich finde das Feld der Magoprothetik einfach äußerst interessant und gerade hier gibt es wenig mehr als den kleinen Abschnitt zu „Gliedmaßen“ bei den Arkanomechaniken. Und ja, dass sie die regeltechnischen Nachteile abgetrennter Extremitäten nicht wettmachen können, ist ein zusätzlicher Dämpfer in ihrer spieltechnischen Nützlichkeit.

Sedef: Also mir ist Myranor eigentlich auch schon fantastisch genug, ohne das sich die Optimaten noch Flügel und Katzenohren als Modeaccessoire einsetzen lassen. Die Regeln gegen das Ersetzen von Nachteilen finde ich aber auch etwas zu hart, das wäre ein gutes Anwendungsfeld für das ohnehin in DSA 4.1 geregelte „Wegkaufen“ von Nachteilen (bzw. verringern, falls die Prothese weniger gut ist). Alternativ hätte man eine Art SF Magoprothesen-Gewöhnung einführen können, um die Spielbalance zu erhalten. Und was das nachträgliche Verstümmeln angeht, kann der geneigte Spielleiter ja nachhelfen. Hausregelvorschlag: Bei der 4. Wunde an der Zone sind Arm oder Bein (oder Kopf) ab. Schließlich muss es für die spezielle Balsam-Variante und die Magoprothesen auch ein Anwendungsfeld geben.

Chimären, Golems und Untote

Feyamius: Obwohl die Regelmechanismen des Bandes im Großen und Ganzen ein schönes, rundes Gesamtpaket geworden sind, lugt an einigen Stellen noch etwas aus dem Karton hinaus, nämlich genau hier in diesem Kapitel. Obwohl das Alchimie- und Arkanomatikensystem ein ziemlich gleichförmiges und brauchbares Zutatensystem nutzt, werden die Auswirkungen der Materialien, aus denen Golems und Untote bestehen, anders gehandhabt – und auch noch voneinander abweichend. Also hat man doch wieder drei verschiedene Mechanismen, wie sich – mal ganz regeltechnisch abstrakt gesprochen – unterschiedliche Grundstoffe auf das fertige Produkt auswirken. Hier hätte man die grundsätzlich vielversprechende Vereinheitlichung konsequenter fortführen sollen.

Sedef: Abseits der Regeln gefallen mir hier aber die nochmal verdeutlichten Unterschiede zu Aventurien sehr gut. Der Satz „Golems sind in der Öffentlichkeit nicht so verbreitet wie Chimären“ illustriert das ganz gut. Auch Endurium- oder Gasgolems habe ich in Transysilien noch nicht gesehen. Der Einfluss des Von Toten und Untoten ist dagegen nicht zu übersehen, die Verlorenen haben es aus Lordaeron über Aventurien nun auch nach Myranor geschafft.

Cifer: Naja, das Konzept von Untoten mit Bewusstsein ist glaube ich schon minimal älter als Warcraft III. Abseits davon muss man dem Buch erstmal zugestehen, dass es die grundlegenden Regeln für Golem- und Untotenerschaffung auf je knapp einer Seite unterbringt, auch wenn Untote zumindest auf den ersten Blick arg schmalbrüstig wirken und sich auch deutlich von ihren aventurischen Pendants unterscheiden – die myranische Mumie mit KK 8 ist jedenfalls nicht gar so beeindruckend wie die aventurische, die schon seit dem Grabmal von Brig-Lo Heldengruppen verprügelt.

Alchimie

MyZa Bansumiter Händler by Melanie Philippi

Diverse Kulturen handeln mit verschiedenem Zauberwerk unterschiedlich offen (Bild von Melanie Philippi)

Cifer: Auch hier schlägt die Generalisierung …

Feyamius: General Isierung! *salutier*

Cifer: … zu. Statt für einen Kontinent von gewaltigen Ausmaßen ein paar Dutzend universell nutzbare Rezepte zu verfassen (und damit festzulegen, dass natürlich auch die Alchimisten der Pardirdschungel für ihre Heiltränke Gletschereis brauchen), hat man Zutaten in verschiedene Kategorien wie Alkohol, Blut, Heilpflanze oder Säure eingeteilt, die in einer bestimmten Menge für Rezepte notwendig sind – ein Intuitionselixier benötigt zum Beispiel vier Zutaten der Kategorie Auge, einen Edelstein, etwas Metall, zwei Rauschpflanzen und zwei Übernatürliche Pflanzen. Insgesamt eine klasse Idee. Nicht ganz so klasse ist stellenweise die Umsetzung in der Praxis, denn da sind die Zutaten nominell gleicher Qualitätsstufen doch etwas ungleich. Man behilft sich zwar damit, zu schreiben, dass oftmals ganz „spezielle Varianten“ des jeweiligen Stoffs für die Alchimie gebraucht werden, aber dass zum Beispiel zwei Kilo alchimietauglicher Marmor (Gesteinszutat Stufe 5) den gleichen Preis von 5 Aureal erzielen wie ein drittes Optimatenauge (Augenzutat Stufe 5), scheint mir dann doch etwas seltsam.

Die Alchimieregeln sehen ansonsten sehr gradlinig aus: Jeder Trank hat eine von sechs Qualitätsstufen, anhand der sich der Effekt linear berechnet. Ein Heiltrank heilt 2W6 LeP pro Qualitätsstufe, ein Charismaelixier steigert das Charisma um 1 pro Qualitätsstufe und so weiter. Insgesamt hat man hier sehr schön abstrahiert, um die Rezepte eines ganzen Kontinents auf 15 Seiten zu pressen. Einmal von den etwas seltsamen Zutaten-Qualitätszuordnungen abgesehen gefällt mir das Kapitel gut.

Feyamius: Ich bin hier ziemlich hin und her gerissen: Oberflächlich betrachtet erfüllt oder übertrifft das neue Alchimiesystem die Erwartungen, die ich im Vorfeld an es gestellt habe. Ich habe zum Beispiel nicht mit einem Alchimiesystem gerechnet, das im Vergleich zu dem in Wege der Alchimie quasi von hinten aufgezäumt wurde (es gibt nicht mehr feste Rezepte, die modifiziert werden können, sondern „Meta-Rezepte“, die dann ihrerseits lokal/kulturell konkretisiert werden können) – das ist ganz großes Phantasmagorium! Auf der anderen Seite hat das bei mir aber sofort neue Erwartungen geschürt, die dann jedoch nicht mehr erfüllt werden können: Was ist mit der Sympathetik? Dazu gibt es einen seitenfüllenden grauen Kasten ziemlich zu Beginn, aber im weiteren Band wird darauf kaum bis überhaupt kein Bezug mehr genommen. Im Rezept steht z. B. 3x Holz, aber ob man da jetzt für ein (hypothetisches) Levitationselixier drei Schwebebäume oder drei Eisenbäume nimmt, ist zumindest regeltechnisch egal. Das muss alles gehandwedelt werden. Und auch da heißt es dann wieder: Man liebt es oder man hasst es. (Oder man findet’s mittelmäßig.) Ich find’s eher so meh und hätte mir eine ausformulierte Verknüpfung mit den Anregungen für passende Sympathetik gewünscht.

Sedef: Viel Bekanntes und viel Neues, auf den ersten Blick scheint das alles zusammen zu passen. Die bekannten drei Laborstufen werden um alchimistische Manufakturen ergänzt, dazu muss natürlich auf Aspekte wie „Alchimie unter Wasser“ eingegangen werden. Die Alchimieschale heißt hier Crater und bekommt gleich noch ein paar neue Crater-Rituale spendiert. Dieser Abschnitt hat mir in der Spielpraxis ehrlich gesagt mit am meisten gefehlt. Die Helden versuchen selten (wirklich!) ein arkanomechanisches Riesenmonster zu bauen, aber das Talent Alchimie will dann doch der eine oder andere nutzen. Auch für Spielleiter der Lamea-Kampagne ist das interessant, wenn früher oder später einer der Helden myranische Rezepturen ausprobieren will.

Charaktererschaffung

Sedef: Okay, noch mehr interessante Professionen, die ich vermutlich nie werde spielen können. Ein neuer Vorteil (Mechanopath) und ein kleines Arsenal an Sonderfertigkeiten für die Magieregeln in diesem Buch. Dazu kommen noch drei neue Professionen, insgesamt ist dieses Kapitel offenbar mehr als kleine Ergänzung gedacht.

Cifer: Klein, aber fein. Die enthaltenen SFs scheinen mir eine nützliche Ergänzung für Zauberwerker aller Art, vom Chimärologen Vivomorphisten bis zum Alchimisten zu sein. Und Mechanopathie ist grundsätzlich cool und hier auch sehr schön umgesetzt – das muss ich als alter Techpriesterspieler einfach mal sagen.

Abenteuerschauplätze

Feyamius: Ganz ehrlich? Laaangweilig!

Sedef: Da bin ich anderer Meinung, allerdings ist „Abenteuerschauplatz“ vielleicht nicht der richtige Titel. Die beiden Beschreibungen sind schön detailliert und mit „Schaufelradgaleere“ und „Magofaktur“ so universell, dass der Spielleiter sie auf verschiedene Weise in eigene Abenteuer einbauen kann. Mich erinnerte das ein wenig an die Beschreibung aus Ritterburgen und Spelunken. Szenario-Ideen scheinen es nicht mehr in den Band geschafft zu haben, dafür sind allerdings ein paar im aktuellen Uhrwerk-Magazin drin (Nandurion disputierte).

Cifer: Dem stimme ich zu. Sowohl die „Galeere“ (kann man die eigentlich noch Galeere nennen, wenn sie gar keine Riemen hat?) als auch die Magofaktur sind jetzt nicht für sich sonderlich aufregend, aber sie nehmen dem Meister massiv Arbeit ab, wenn man zum Beispiel das Abenteuer Mord im Orismani-Express schreiben will und sich dafür nicht erst überlegen muss, welche Räumlichkeiten es genau in so einem Schiff gibt und wieviel Personal es braucht. Was ich in dem Kapitel allerdings ein wenig vermisst habe war eine Auflistung der Fahrpreise. Zwar wird erwähnt, dass man als Deckpassagier wohl weniger zahlt als mit einer Kabine oder gar einer Suite, aber wieviel das nun jeweils ist, bleibt unklar.

Fazit

Feyamius: Das große Thema und die lange Wartezeit dieser sehnlichst erwarteten Publikation hat die Messlatte natürlich ziemlich hoch gehängt. Hat das Buch es darüber geschafft? Najaaa, knapp, mit einem deutlichen Zittern der Holzstange! Dies liegt zu einem Großteil an der spärlichen Bebilderung, denn bei allem theoretischen Verständnis für begrenztes Illustrationenbudget in der Preiskalkulation vergleichsweise auflagenschwacher Sachbücher geht es hier letztendlich auch um einen emotionalen Ersteindruck, und der könnte mit mehr Zeichnungen deutlich besser sein. Rein inhaltlich gefällt mir der Band aber ziemlich gut. Ich bin gespannt, was sich alles damit basteln lässt – die näksten Uhrwerk!-Ausgaben machen hoffentlich ihrem Namen alle Ehre und enthalten ein paar magotechnische Spielereien aus der Community.

Sedef: Ich störe mich deutlich weniger an der Anzahl der Bilder, die mir am Ende beim Spielen auch nur begrenzt helfen. Insgesamt erfüllt der Band alle meine Erwartungen: Alle magischen Bereiche, die für Myranor noch gefehlt haben, sind enthalten und bis hin zu den gigantischen Konstruktionen mit Regeln versehen. Gleichzeitig wird in dem Band großen Wert darauf gelegt, nicht nur Optimaten und das Imperium, sondern auch kleinere Kulturen, Unterwasserwesen, Draydal und andere mit zu berücksichtigen. Für das Spielen in Myranor stehen neben ein paar neuen Professionen und Settings jetzt vor allem auch ausgearbeitete Artefakte und Elixiere zur Verfügung, ohne auf die aventurischen Regeln ausweichen zu müssen. Welche Untiefen in den einzelnen Regeln lauern, kann ich zwar noch nicht überblicken, aber nach dem ersten Eindruck bin ich doch ziemlich begeistert.

Cifer: Ja, im Großen und Ganzen sehe ich meine Erwartungen an den Duke Nukem Forever der DSA-Geschichte auch erfüllt. Die Regeln sind stark generalisiert und ohne die drölfzig Ausnahmefälle konstruiert, die das DSA-Magieregelwerk sonst oftmals plagen – das ist grundlegend gut so, heißt aber leider auch, dass an den Stellen, an denen diese Ausnahmen hilfreich wären, sie nicht drin sind. Von den 157 Seiten fällt mir aber auch keine ein, die man problemlos hätte weglassen können, insofern war das wohl schlicht ein Platzproblem. Aber vielleicht schaffen es ja noch ein paar Designers‘ Notes oder Fanerweiterungen ins Uhrwerk!. Beim Balancing bin ich stellenweise noch etwas skeptisch, weil man anscheinend doch einige Grundprinzipien des Systems (AsP-Regeneration von maximal um die 12 AsP pro Tag) gut aushebeln kann (Kraftspeicher regeneriert 1 AsP pro SR) – hier hoffe ich auf Errata.

Über Curima

Moin, ich heiße Lena, bin 32, komme aus Hamburg und spiele seit 2003 DSA. Ich spiele lieber als ich leite und schicke meine diversen Charaktere fast jeden Samstag durch Aventurien. Seit Mitte Mai 2012 arbeite ich bei Nandurion mit.
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1 Antwort zu Myranisches Zauberwerk: Passierschlag

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