ODER
Wie ich lernte ein Influencer zu sein
Neulich im DORP-Cast, die beiden Möchtegern-Griechen Thomas und Michael sprechen in ihrem zweiwöchentlichen Dialog über die Frage, was uns eigentlich motiviert (Rollenspiel-) Produkte zu kaufen. Irgendwann bringen sie die These:
Die Rezension ist tot. Produktempfehlungen funktionieren nur noch über Influencer.
In den Kommentaren melden sich einige Zuhörys zu Wort. Erfahrene Rezensenten bestätigen das Gefühl, sehen sich aber nicht in der Lage den Finger drauf zu legen, warum. Der Tenor bleibt dennoch in etwa der Gleiche. In unserer Gesellschaft zählen (alternative) Fakten schon lange nicht mehr. Meinung zählt und meine Meinung ist alles. Die Rezension ist tot. Es lebe der Influencer.
Am Boden
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schock. Soll ich etwa ein Influencer sein? Eines jener verkommenen Subjekte, die als Söldner für die Propaganda diverser Unternehmen marodierend durch die virtuellen Lande ziehen? Eine jener halbseidenen Gestalten, die dir für Geld ins Gesicht lügen und dabei behaupten, das sei ihre völlig authentische ehrliche Meinung?
Eine Weile nachdem meine Frau das schluchzende Bündel vom Boden aufgewischt und zum Trocknen aufgehängt hatte, fühlte ich mich wieder menschlich genug um das Problem anzupacken. In den nostalgisch verklärten goldenen Zeiten meiner Jugend war die Rezension nicht nur eine Kunstform in der das kleine Schreiby literarischen Titanen wie Reich-Ranicki nacheifern konnte. Die Rezension war ein Beitrag zur Subkultur nicht nur des Rollenspiels. Diese Texte war im positiven Sinne Stein des Anstoßes und wurden zum Bestandteil des Tagesgeschehens. Sie lieferten Impulse für weitere Texte und Diskussionen, oftmals über das heute kaum mehr präsente Medium des Internet-Forums. Und ganz tief drinnen, eingeschlossen im inneren Kern des Selbst, fühlte der Rezensent sich vielleicht ein bisschen wie ein Reporter, der aufsehenerregende Neuigkeiten verkündet und sorgfältig recherchierte Wahrheiten enthüllt. Natürlich war das Bild eines Journalisten damals noch ein ganz anderes. Journalisten waren renommierte Helden der freien Presse und nicht die Objekte eines fundamentalen Medienskeptizismus.
Doch all das Gejammere alter Männer nützt nichts. Ich brauche mir nichts vorzumachen. Der Fetisch der Subjektivität ist längst über die läppische Randerscheinung der Rezension hinweggerollt. Die Leute wollen Meinung. Aber bitteschön die richtige natürlich. Also eigentlich die Bestätigung der eigenen Meinung. Doch wie ist es damit bestellt? Wie sieht diese Meinungsäußerung aus?
Inzwischen äußern wir ja über alles und jeden unsere Meinung, meistens in fünf Sternen. Egal ob Google, Amazon oder Onkel Emils Internethandel, fünf Sterne sollen es sein. Spaß macht das nicht und informiert fühle ich mich dadurch zumeist auch nicht. Während mache Szene Bewertungen aggregiert um „Metascores“ zu bilden und damit den einen einzelnen Text endgültig entwertet, darf es andernorts wieder als emanzipiert gelten, sich vom Diktat der fünf Sterne zu befreien. Und die Rezension selbst? Allzu oft sterbenslangweilig und wenig hilfreich. Also flugs das Boronsrad gebunden und die Rezension zu Grabe getragen? Oder lässt sich das Genre der Rezension zu etwas Neuem weiterentwickeln?
Der Drache im Hamsterrad
Früher hatte eine Rezension auch den Anspruch eine Kaufempfehlung zu geben. Mein Eindruck ist jedoch, dass das schon längst nicht mehr der Fall ist. Auch ich wähle meine Abenteuer nicht nach der Punktzahl im Metascore aus, sondern suche mir ein Thema, welches zu mir und meiner Runde passt. Was der eine in den höchsten Tönen lobt ist für die andere der letzte Dreck. Oftmals sind es nur einzelne Details oder Nebensächlichkeiten, die das Bild des einzelnen Rezipienten massiv beeinflussen. Oder wie einer meiner Mitspieler auf die Frage, wie fandet ihr das Abenteuer immer antwortete: War ganz nett, aber es hätte mehr Punkte geben können.
Angesichts solchen Niedergangs muss die Rezension neu gedacht werden. Wie so vieles muss sie vom bierernsten akademischen Machwerk zum Lifestyleprodukt werden. Meinung an sich hat keinen Wert, wenn sie nicht unterhaltsam präsentiert wird. Unsereins kann sich nicht an der Eingangstür des Verlages festkleben, wenn es mit der Politik desselbigen nicht einverstanden ist. Vor der Druckerei campen, wenn das nächste Produkt zur Auslieferung ansteht, ist auch nicht so sinnig und bei meinem PDF-Konsum auch kaum vermittelbar. Ja selbst hysterische Reaktionsvideos auf das aktuelle Crowdfunding sind für meinen Geschmack kein Quotenbringer im Rollenspiel(sekundär)markt. Sprechen wir also endgültig den Grabsegen über die Rezension der Langeweile oder gibt es doch noch eine tsagefällige Auferstehung im neuen Gewand? Vielleicht gibt es tatsächlich einen Weg wie sich das Genre neu beleben kann. Ob es sich dabei um einen Nandusstreich oder einen Iribaarsweg handelt muss sich noch zeigen.
Immer wieder bin ich erstaunt, welchen Output der Ulisses-Verlag und mehr noch die Menschen, welche dort arbeiten, liefern. Neue Produkte, Meldungen, V-Logs, Crowdfundings, Showrunden und haufenweise verrückte Ideen. Es wird aus allen Rohren geschossen, was das Zeug hält. Gleichzeitig scheint die Resonanz auf gewisse Produkte so gering zu sein, dass sie völlig unter dem Radar bleiben. Ohne Engors letzte Bastion der Rezension würden mir viele Produkte kaum länger präsent bleiben. Die Romanreihe der Phileasson-Saga landet ständig auf Bestsellerlisten, aber in der irdischen Heimat der Thorwaler wird nicht mal müde darüber gelächelt. Lediglich eine neue Regionalspielhilfe, die groß ankündigt, mit den rassistischen Tropes der Vergangenheit aufzuräumen, findet irgendwie noch Beachtung.
Hier bin ich Nerd
Vielleicht ist es auch Übersättigung. Vielleicht hat man in der Vielzahl der erscheinenden Produkte einfach keine Kraft mehr sich an einzelnen Dingen zu erfreuen. Ein wenig beschleicht mich dieser Verdacht, wenn Markus Plötz davon spricht, dass man doch bitteschön zum Collectors Club kommen solle, damit wir endlich über die ganzen kaufbaren Produkte informiert werden können (Keynote Limburg 2022 01:56). Selbstverständlich muss ein Verlag Geld verdienen und der Direktvertrieb ist eine gute und wichtige Möglichkeit das zu tun. Aber der Ruf des Marktschreiers, Kauft Leute, kauft! reicht mir einfach nicht.
Wenn Läden „Event-Plätze“ sind und Crowdfundings ein notwendiges Mittel der Werbung, dann kann ein öffentliches WebLog ein Ort sein, an dem ich mich in den Geschichten über das Rollenspiel verlieren kann. Ein Ort an dem ich mich inspirieren lasse, an dem ich unterhalten werde und womöglich sogar ein Platz, an dem ich in Dialog mit anderen trete. Zumindest für mich und ein paar andere Verrückte, die weiterhin bloggen mag dies ein Weg sein. Ich will keine bezahlte Werbung machen und ich werde nicht für Geld lügen. Aber ich werde meinem ungebrochenen Enthusiasmus für das Schwarze Auge weiter Ausdruck verleihen. Und das ist dann vielleicht doch besser als jede Werbung und gut recherchierte Produktbesprechung.
Bleibt noch die Frage, wie nennen wir das Ganze? Eine authentische Produktmeinung? Eine Buchbesprechung? Ist es einfach nur ein Tagebucheintrag? Oder bleibt es einfach eine Rezension? In meiner Vision ist es ein Metatext, der sich zwar auf das Produkt bezieht, jedoch das Produkt nicht länger in den Mittelpunkt stellt. Ein Text, der dazugehört, aber die Verbindung zwischen Mensch und Produkt aufbaut. So wie der Ton, den wir einem Instrument entlocken, eine Verbindung zwischen dem Instrument und dem Höry aufbaut. Ein Beitrag der sich in das Gesamtkunstwerk des Rollenspiels einreiht und so im großen Konzert mitschwingt. Vielleicht werde ich es darum Resonanz nennen. Lasst uns herausfinden, was es zum Klingen bringt.
Mir haben gerade eure Rezensionen in der Vergangenheit sehr oft weitergeholfen. Bei der Auswahl, welche Kampagne man als nächstes spielen soll, half es mir sehr, eure ausführlichen Reviews zu lesen, und dann einschätzen zu können, wovon ich lieber die Finger lasse.
Viele Abenteuer kenne ich nur aus euren Rezensionen, habe aber trotzdem den Eindruck, ein halbwegs realistisches Bild von ihnen zu haben.
Es ist genau wie du schreibst: „Ohne Engors letzte Bastion der Rezension würden mir viele Produkte kaum länger präsent bleiben.“
-Viele der älteren Produkte sind mir nur durch Nandurion überhaupt präsent.
-Aktuell sind mir kaum DSA5-Produkte präsent.
Zieht man beide Sätze zusammen, ist die Konklusion klar: Ich vermisse eure Rezensionen. Ich glaube, für sie wäre immer noch Platz. Zumindest bei mir.
Pingback: Neu Kolumne bei Nandurion: Tod der Rezension – Nuntiovolo.de
Super Gedanken – vielen Dank für die wirklich gut durchdachten und humoristisch vorgebrachten Ideen und Anmerkungen – ich hoffe, Du findest immer wieder die Passende Resonanzfrequenz 😉
Bitte weiter solche Texte in einer Welt voller kurzer Statements ohne Inhalte
Die Idee der „Resonanz“ als kommunikativer Gegenentwurf zum Product-Influencing ist mit das Poetischste zum Thema DSA, was mir in den letzten Jahren untergekommen ist. Inniglicher Support für diesen Gedanken.
Kann bitte jemand das „Poetischste“ noch großschreiben? Hrrmppf.
Dem kann ich mich nur anschließen.
Aber gern darf es auch weiter ganz nach alter Schule „Rezension“ genannt werden. Ja, auch ich fliege leider viel zu oft über Artikel. Suche den „Gist“ oder „TLDR;“ aber dann will ich doch stehen bleiben. Mir Zeit nehmen und hochwertige Artikel wie die Rezensionen in Ruhe lesen.
Danke an dieser Stelle für das Engagement, die anhaltende Begeisterung für die Welt des schwarzen Auges und das literarische Geschick nachhaltig gute Texte zu veröffentlichen.
Danke.
Ich resoniere mit den bisherigen Kommentaren, und bedanke mich für diesen wunderbaren Text, und diesen schwingenden und flirrenden Blog, spontan dachte ich: „Krassling! Ich will ein Ki…eine Rezension von dir!“. Mir wurde (mal wieder) bewusst, für wie selbstverständlich ich derlei Perlen nehme, so wie man eben tagtäglich das Internet konsumiert, und wieder vergisst…und das ist falsch! (so, jetzt ist es raus)
Bleib bei dem Begriff „Rezension“, sonst wirst du womöglich von altmodischen Menschen nicht mehr gefunden. Vielleicht gibt es ja auch eine „Renaissance“ der Rezension, immerhin ist sie ja eine art Achtsamkeitsübung, dein Text macht auf jeden Fall Lust welche zu lesen, oder gar zu schreiben.(spontan möchte ich eine Rezension zu den „Streitenden Königreichen“ schreiben, ein schönes Buch, aber Andergast ohne Wühlschweine…Ich klage an!)
Die DSA-„Community“ scheint sich, im Verhältnis zu früheren Zeiten, zu Inselvölkern aufgespalten zu haben, so immer wieder mein Eindruck, dieser Blog ist eine der verbliebenen stabilen Brücken! Aber bevor ich mich weiter in schrecklich schwülstigen, aber leider treffenden, Metaphern verliere: Weitermachen!
Chapeu für diesen ebenso unterhaltsamen wie einsichtigen Text!
Aus privaten Gründen beschäftige ich mich gerade wieder mit DSA 4.1 und der „goldenen Zeit“ um die erste Dekadenwende dieses Jahrhunderts herum – golden, was die Community damals angeht, aber leider in vielen Bereichen halt auch deswegen vergangen, weil sich die technischen Möglichkeiten stark gewandelt haben. Und wer mit Tiktok und dem Scriptoium sozialisiert ist, wird kaum nachvollziehen können, was er in guten Foren und hervorragenden Fanseiten verpasst hat.
Die Keynote konnte ich mich ehrlich gesagt kaum anschauen… „Marktschreier“ ist noch ein extrem positiver Begriff für das, was da geboten wurde. Fand ich ehrlich gesagt auch etwas cringy und abtörnend, so wie das Überangebot an „Produkten“ generell. Wobei schnell ersichtlich wird, dass es auf die Qualität der Texte (früher mal der Kern eines Rollenspielbuches, vielleicht erinnert sich noch mancher…) nicht ankommen kann, wenn die eigentliche Regionalspielhilfe nur ein Bruchteil des gesamten „Produkt“pakets ist. Ultra-Fast-Fashion auf’s Rollenspiel gemünzt, immerhin mit weniger Umweltschaden. Ist nicht meins, wird es auch niemals werden.
Von daher hoffe ich, dass ihr noch lange durchhaltet, Nandurion ist wohl eine der letzten umfassenden und unabhängigen Anlaufstellen.
Und eure Rezensionen lese ich oft sogar, wenn mich das Besprochene gar nicht interessiert, weil ihr einfach sehr gute Schreiberlinge seid.
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