1993 oder Wie ich beinahe kein DSA-Spieler wurde

A beginning is a very delicate time.
– Dune (the motion picture)

Das Jahr 2024 ist das 40. Jubiläumsjahr des Schwarzen Auges. Allenthalben wird Im Wirtshaus zum Schwarzen Keiler gespielt und die alten Opas erinnern sich gefühlvoll an damals. Auch wenn ich generell kein Freund nostalgischer Selbstverliebtheit bin und lieber nach vorne schaue, so bietet dieses Jubiläum vielleicht doch einmal die Gelegenheit, eine Geschichte zu erzählen, die ich so in den vielen Jahren meiner DSA-Geschichte noch nie erzählt habe. Es ist eine Geschichte des Anfangs. Eines Anfangs, der beinahe schief gegangen wäre. Eine Geschichte, die deutlich macht, mit welchen Hürden die Menschen im Prä-Internet-Zeitalter kämpften und zugleich auch eine Geschichte darüber, wie schwierig es manchmal sein kann, sein liebstes Hobby zu erkennen.

HeroQuest durch Keller und Verliese

Der genaue Zeitpunkt ist in meiner kindlichen Erinnerung begraben, es wird jedoch vermutlich Weihnachten 1990 gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt bekam ich das Brettspiel HeroQuest geschenkt. Dieser Prototyp, ja nennen wir es ruhig die Mutter aller Dungeoncrawler, wurde sofort zu einem festen Bestandteil meines Lebens. Mit meinen beiden Brüdern und jedem, der sonst verfügbar war, verbrachte ich zahllose Stunden damit, die vier roten Heldenfiguren im heroic scale der Firma Games Workshop über das ewig gleiche Spielbrett zu schieben, Orks zu verhauen und Chaoskriegern die Stirn zu bieten. Nach und nach erweiterten wir das Spiel um die vier in Deutschland erhältlichen Erweiterungen Karak Varn, Die Rückkehr des Hexers, Gegen die Ogre-Horden und Morcars Magier. Besonders die letzten beiden Boxen mit ihren neuen Monsterklassen und Spielmechanismen sorgten für einen wahren Rausch unter dem begeisterten Spielvolk.

Irgendwann waren alle Erweiterungen ausgespielt und die Kindheit war noch lange nicht zu Ende. Ich begann eigene Szenarien zu entwerfen und endlose Dungeons zu gestalten. Doch irgendwann gelangte HeroQuest einfach an seine Grenzen. Auch die Alternative StarQuest, bei der man genetisch modifizierte Superkrieger im Dienste der Menschheit durch einen Raumschiffdungeon führte, mit den Erweiterungen für Eldar und Dreadnaughts (der totale Wahnsinn!), war irgendwann nicht mehr genug. Mein 12-jähriges Ich konnte einfach nicht genug von phantastischen Welten, Miniaturen und heldenhaften Konfrontationen haben. Bis dahin war der Plan von Games Workshop also aufgegangen. Denn im Grunde war HeroQuest nichts anderes als eine Einstiegskarte für das Tabletop Warhammer Fantasy Battle. StarQuest war die kinderfreundliche (und politisch korrekt gewaltbefreite) Variante von SpaceHulk, einem Brettspiel in der Welt von Warhammer 40k.

Relikt aus einer anderen Zeit: Schriftrolle mit eigens ausgedachten und völlig absurden Szenarien für Heroquest; Testament des ungebremsten Hungers nach Abenteuern in einer phantastischen Welt

Irgendwann in dieser Zeit musste auch das Tabletop-Brettspiel Claymore-Saga seinen Weg in unseren Haushalt gefunden haben. Genaugenommen handelt es sich dabei weder um ein Tabletop, denn das Spielfeld war viel zu groß für einen Tisch, noch um ein Brettspiel, denn die Spielfläche war eher ein Teppich. Auch dieses Spiel kam mit Citadel Miniaturen daher und war ein weiteres Mittel, die Jugend der 90er in die Welt von Games Workshop zu locken. Das Spiel war nichts anderes als die simplifizierte Variante des bereits erwähnten Tabletops, das damals hoch im Kurs stand. Doch auch wenn ich die Miniaturen mochte, konnte das Spiel meinen Hunger nach Geschichten nicht befriedigen. Um Miniaturen zu bemalen war ich damals noch zu jung, und immer wieder die gleichen Einheiten gegeneinander zu schicken (auch hier wurden zwei Erweiterungen gekauft) war auf Dauer zu wenig.

Ein Anfang mit Schrecken und Grauen

Irgendwann erfuhr ich von einem Klassenkameraden meines Bruders von einem Spiel, dass sich Das Schwarze Auge nannte. Im Schulbus schmökerte dieser in einem Softcover mit dem vielversprechenden Bild eines Tigers in einer Schneelandschaft. Seine Berichte von einem Spiel, das kein Ende hätte und einer Welt, die nicht auf ein Spielbrett gebannt werde müsste, waren in meinen Ohren phantastischer als die Verheißung eines Tages verstehen zu können, was im Kopf einer Frau vorginge. Nicht das Letzteres damals schon eine Rolle für mich gespielt hätte. Und so beschloss ich irgendwann das zu tun, was man damals tat, wenn man ein neues Spiel ausprobieren wollte. Ich fuhr in die Stadt, begab mich schnurstracks in den lokalen Spieleladen und suchte dort im ersten Stock die Abteilung für Brettspiele auf. Dort gab es eine ganze Fläche mit den Produkten von Schmidt-Spiele, einem der Giganten des deutschen Spielemarkts.

Kaum groß genug über die Regale zu schauen fand ich dort ein ganzes Regal mit Boxen, die den Titel Das Schwarze Auge trugen. Auch der Tiger hatte dort seine Heimat und schmückte eine Box mit dem Titel Die Kreaturen des Schwarzen Auges. Obenauf standen Heftständer mit weiteren Modulen und ebenso phantastischen Bildern schnauzbärtiger Flügelhelmträger. Eine schier endlose Menge an Material!

Doch im Angesicht dieser schier unfassbaren Menge von Spielen, stieß ich auf ein unerwartetes Problem. Schließlich war ich es von meinen Miniaturenspielen gewohnt, dass es eine große Grundbox gab, an die ich kleinere Erweiterungen andocken konnte. Doch die Boxen hier waren alle gleich groß und ich konnte nicht erkennen, welche das Grundspiel enthielt. Doch nach einiger Suche fand ich schließlich, eine deutlich größere Box mit einem noch phänomenaleren Cover und erwarb das, was ich für meine Eintrittskarte in eine neue Welt hielt.

An diesem Tag wurde ich Besitzer des Brettspiels Burg des Schreckens. Nachdem ich hunderte Stunden HeroQuest und StarQuest gespielt hatte, war die Burg trotz ihrer beeindruckenden Optik eine herbe Enttäuschung. Kein Kampagnenmodus, keine individuellen Helden. Die Qualität der Miniaturen schlechter als die Citadel Produkte, die ich gewohnt war. Kein brauchbarer Hinweis auf die grenzenlose Spielwelt, nach der es mich verlangte. Also musste ich zurück in Spielwarenhaus und zu dem Regal der unzähligen Möglichkeiten.

Ein weiteres Mal stand ich vor dem Regal mit den bunten Boxen und musste mich entscheiden. Aus heutiger Sicht mag es unverständlich erscheinen, warum ich nicht in der Lage war, eine Verkäuferin nach dem Grundspiel zu fragen, doch ich war wohl schlicht und ergreifend zu jung und zu schüchtern. So begab es sich also, dass ich abermals zur nächsten großen Box griff und ein weiteres Spiel von meinem gesparten Taschengeld erwarb. Ich war nicht vollständig überzeugt, aber der neue Titel Dorf des Grauens kam ebenfalls mit Miniaturen und reißerischem Bild auf der Box daher.

Nun was soll ich sagen. Ich spielte ein paar Runden im Dorf des Grauens, doch es war schnell klar, dass ich auch hier erneut nicht mein El Dorado der phantastischen Spiele gefunden hatte. Hätte es damals schon Die Schlacht der Dinosaurier gegeben, wäre ich vermutlich wenig später auch Besitzer dieses famosen Brettspiels gewesen. Doch dieses Spiel sollte zum Glück erst ein paar Monate später seinen Weg in die Läden finden.

Die Schurken des Schwarzen Auges, zumindest wenn man ein Brettspieler war. Fast wäre ich Nemesis, dem Kobraner und Turak, dem Tyrannen zum Opfer gefallen.

Auf nach Aventurien

So stand ich also irgendwann ein drittes Mal in besagtem Spieleladen vor dem Regal der unbegrenzten Möglichkeiten. Mein Frust und meine inzwischen fast aufgebrauchten finanziellen Mittel hatten in mir den Entschluss reifen lassen, nun einen letzten Versuch zu starten. Ich stand gewissermaßen am Wendepunkt. Entweder es gelang mir nun endlich das richtige Spiel zu kaufen oder ich würde bis auf Weiteres diesem dämlichen Schwarzen Auge den Rücken kehren. Vielleicht hatte ich mich ja getäuscht und dieses Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten existierte nur in meiner Phantasie.

Während ich da also mit einem leichten Anflug von Verzweiflung vor dem Regal voller Boxen stand und nach einer Möglichkeit suchte, dieses Mal endlich die richtige Box zu finden, manifestierte das Schicksal eine merkwürdige Gestalt neben mir. Wahrscheinlich würde manch einer den freundlichen jungen Mann, der mir begegnete, als ungewaschenen langhaarigen Nerd bezeichnen. Wahr ist auch, dass er mir gefühlt mindestens eine halbe Stunde von Dingen erzählte, die ich nicht verstand. Danach wusste ich, dass man im Abenteuer Nedime, die Tochter des Kalifen einen völlig übertriebenen Zaubertrank finden konnte und dass Vallusa eine Stadt an der aventurischen Ostküste ist. Dennoch denke ich mit großer Sympathie an diese Begegnung. Den dieser Fanboy des Schwarzen Auges war selbstverständlich in der Lage mir die kürzlich erschienene Basisbox der dritten Edition zu zeigen, und mich auch gleich auf die Erweiterungsbox Mit Mantel, Schwert und Zauberstab hinzuweisen.

So begann also endlich meine Reise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Meine Brüder und meine Vater mussten mich zum Schwarzen Turm begleiten und wenig später wurde das Grabmal von Brig-Lo erkundet. Tatsächlich fand mein Vater in diesen Jahren noch die Zeit mit seinen Kindern die gesamte Phileasson-Saga zu spielen, was ich ihm bis heute hoch anrechne.

Aufbruch in unendliche Welten

Die DSA3 Basisbox mit dem legendären Alrik Immerdar als Posterboy und der Dämonenbrache im Zentrum der regionalen Karte. Mit dieser Box begann mein Weg nach Aventurien.

Manchmal stelle ich mir die Frage, ob ich ohne die schicksalhafte Begegnung an jenem Tag niemals mit dem Rollenspiel begonnen hätte. Die Antwort darauf ist wohl, dass ich es doch getan hätte. Nachdem ich im Frühjahr 1993 endlich zum Schwarzen Auge als Rollenspiel gefunden und meinen Freunden davon erzählt hatte, wurde vor den Sommerferien eine Projektwoche an der Schule veranstaltet. Dort gab es auch eine Rollenspielrunde, die mit mir und meinen Kumpels wissbegierige Jünger dieser neuen Religion fanden. Hier wurde jedoch Shadowrun gespielt und meine Schulkameraden blieben dabei, dass Cyberpunk viel cooler sei als das olle Schwarze Auge. Schließlich waren die Romane zu FASAs Fantasy-Cyberpunk System um Längen cooler als das Geschreibsel aventurischer Geschichten. So spielte ich lange Zeit parallel beide Systeme in unterschiedlichen Konstellationen. Der zweite Teil der Antwort ist damit wohl auch dies. Ich wäre damals auch so zum Rollenspiel gekommen, hätte jedoch wahrscheinlich vor allem Shadowrun und kein DSA gespielt.

Durch diese zwei parallelen Startsysteme war ich auch stets offen für andere Dinge. In den Jahren der Schulzeit wurden manche Dinge ausprobiert. Mit dem Studium musste ich mich neu orientieren und Shadowrun als ein Hauptsystem versank mit immer neuen Regeleditionen und seinem speziellen Fokus aus meiner Wahrnehmung. Das Schwarze Auge begleitet mich jedoch seitdem und ist ein steter Teil meines Lebens.

Wir sollten das hier ernst nehmen. Rollenspiel ist nicht nur ein Hobby. Es ist nicht nur ein Spiel. Es begleitet uns wahrscheinlich länger, als irgend etwas anderes in unserem Leben.
– Hadmar von Wieser

Niemals vergessen werde ich jedoch, wie die Strategie von Schmidt-Spiele mit Brettspielen neue Kunden für das Schwarze Auge zu gewinnen (oder vielleicht auch einfach nur mehr Umsatz zu machen), beinahe verhindert hätte, dass ich das Rollenspiel spiele. Mittelmäßige Produkte mir dem Logo des Schwarzen Auges fanden sich auch später mit dem Sammelkartenspiel Dark Force oder dem Miniaturenspiel Schicksalspfade und selbst heute frage ich mich, warum die Actual Plays mit DSA1 Regeln 40 Jahre alte Abenteuer präsentieren. Als hätte es keine Entwicklung und keine Verbesserungen seither gegeben.

So endet dieser nostalgische Artikel auch nicht mit einem Blick in die Vergangenheit, sondern mit dem Blick in die Zukunft. Das Rollenspiel als geselliges Ereignis ist mit aller Macht zurückgekehrt. Doch das heißt nicht, dass es keine Herausforderungen gäbe. Es ist nicht egal, ob unter dem Logo Das Schwarze Auge, aus womöglich irregeleitetem finanziellen Kalkül, wenig spieltaugliche Produkte verkauft werden. Es ist wichtig, dass die Spielerschaft ermutigend und begeisternd von ihrem Hobby spricht, wie jener liebenswerte Nerd, der mir den Weg zu meiner ersten DSA-Box wies. Das Rollenspiel sollte Vielfalt und Offenheit unterstützen und keinen Platz für das Kleinhalten von Neulingen oder anderen Fans bieten.

Ihr, die ihr das hier lest, seid wahrscheinlich genau jene Menschen, die es in der Hand haben. Wollt ihr Menschen für das Schwarze Auge und das Rollenspiel begeistern und ihnen den Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zeigen oder wollt ihr rechthaberische Regeldiskussionen und Editionskriege führen und ewig-nölende Kritik üben? Was entsteht heute aus einer Begegnung zwischen euch und einem Rollenspielinteressierten, egal ob persönlich oder irgendwo in den Weiten des Internets?

Referenzen

Dieser Beitrag wurde unter Das Schwarze Auge, DSA3, Kolumnen abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu 1993 oder Wie ich beinahe kein DSA-Spieler wurde

  1. Pingback: Was spielst du da eigentlich? | Nandurion

  2. Pingback: Nandurion: 1993 oder Wie ich beinahe kein DSA-Spieler wurde – Nuntiovolo.de

  3. Toller Artikel. Vielen Dank, dass du uns auf deine Reise in die Vergangenheit mitgenommen hast. 🙂

  4. queery sagt:

    Danke für den schönen Artikel

  5. Syrrenholt sagt:

    Ein toller Artikel – vielen Dank für die Reminiszenz an unsere Jugend und die Anfänge im Allgemeinen, die wohl jeder so oder so ähnlich erlebt hat 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert