Das Rondra-Vademecum ist eine handliche Spielhilfe für Das Schwarze Auge mit Ingame-Texten, die den Hintergrund der Rondra-Kirche und ihrer aventurischen Diener näher beleuchten. Es richtet sich an Spieler von Rondra-Geweihten, aber natürlich auch an Spielleiter des Schwarzen Auges, die der Kirche mehr Tiefe in ihren Kampagnen verleihen wollen. Der gut DIN A6 große Band ist in rotes Kunstleder gebunden, den Buchdeckel schmückt ein geprägtes Löwensymbol und ein Lesebändchen rundet den edlen Gesamteindruck ab.
Mit dem Vademecum betritt der Ulisses-Verlag Neuland. Ein Grundsatz des Rollenspiel-Geschäftes ist der hohe Bedarf an generischen Produkten für ein breites Publikum. Nicht umsonst gehört der Ausrüstungskatalog bei den meisten Systemen zu den am besten verkauften Produkten überhaupt. Ein derart spezifisches Produkt, welches sich an einen bestimmten Heldentypus richtet, stellt also ein gewisses Risiko für den Verlag dar. Nichtsdestotrotz finden sich ähnliche Zielgruppenkonzepte auch bei anderen Anbietern. Das bekannte Dungeons & Dragons etwa, bietet eigene Produkte für spezifische Rassen an. Nachdem der Verlag nach letzten Meldungen auch weitere Produkte der Vademecum-Reihe in Planung hat, scheint das Konzept auch hier aufzugehen.
Der Band gliedert sich in drei wesentliche Teile, die Liturgie, Theologie und Organisation der Kirche beleuchten. Ein kleiner Anhang gibt Hinweise zur regeltechnischen Interpretation der Inhalte. Im liturgischen Teil werden konkrete Texte für Gebete, Lieder und Rituale der Kirche vorgestellt. Diese können direkt am Spieltisch (oder beim LARP) verwendet werden. Der theologische Teil stellt neben den Heiligen und Alveraniaren auch zentrale Konzepte der Kirche vor. Darunter finden sich so bedeutsame Dinge wie Ehre und Pflicht, die gerade für den Einsatz am Spieltisch höchste Relevanz besitzen. Reinwald und Richter vertreten hier klar die neue Linie, nach der Rondra nicht mehr als Göttin des Krieges gesehen wird, sondern andere Aspekte das Wesen der Göttin bestimmen. Speziell das Kapitel von den Prinzipien des Bundes kann daher allen Spielern einer Geweihten wärmstens ans Herz gelegt werden. Im dritten Teil findet der Leser einen kurzen Abriss der Geschichte des Schwertbundes sowie eine Vorstellung der regionalen Kirchen, die hier Sennen heißen. Auch die Unterschiede zwischen den Regionen werden herausgearbeitet, so dass die Unterschiede zwischen einem Arivorer Traditionalisten und einem Havenischen Freidenker auch am Spieltisch sichtbar gemacht werden können.
All diese Texte sind als Ingame-Texte geschrieben, sie könnten also in dieser Form tatsächlich in einem aventurischen Buch zu finden sein. Stilistisch haben sich die Autoren für eine klare, einheitliche Sprache entschieden. Das verbessert sicher die Lesbarkeit, sprachliche Relikte alttulamidischer Göttinenanbeter wird man hier jedoch vergeblich suchen. Das X. Kapitel liefert nun darüber hinaus gehend noch Anregungen zur Abbildung der hier vorgestellten Konzepte in den Regeln. Angenehm ist dabei, dass keine neuen Regeln eingeführt werden, sondern tatsächlich nur eine Auswahl aus den bekannten Elementen der Regelwerke nötig ist. Durch den steten Verweis auf die Ingame-Konzepte wird auch klar, dass der regeltechnisch hinterlegte Ehrenkodex der Rondra-Geweihten keinesfalls ein dogmatisches Regelwerk ist, sondern durchaus der individuellen Interpretation und Ausgestaltung bedarf.
Abgesehen von den eher aufzählenden Teilen, wie Historie, Heiligen und Gebeten, muss das Vademecum der Rondra besonders zwei Punkten gerecht werden. Der erste Punkt ist die Neuinterpretation der Göttin Rondra als Gottheit von Sturm und Zweikampf. In der Vergangenheit traf dieses Bild immer wieder mit der nominellen Zuordnung als Göttin des Krieges zusammen. Spieler wie Autoren bemerkten, dass sich diese Aspekte in einem unauflösbaren Widerspruch bewegten. Das Rondra-Vademecum führt diese neuen Setzungen noch einmal deutlich aus. Dabei handelt es sich tatsächlich um Retconning, also die rückwirkende Neusetzung von Inhalten. Da diese Regelung jedoch die innere Logik der Spielwelt stärkt und mit Kor und Shinxir andere Gottheiten den Aspekt des Krieges besetzen, dürfte dies nur eingefleischte Kontinuitätsfanatiker stören. Ein zweiter Punkt ist die Ausführung der rondrianischen Glaubens- und Ehrvorstellungen. Spieltechnisch wird dieses schwierige Konzept einfach durch den Nachteil ‚Prinzipientreue‘ abgebildet. Um konkrete Hilfestellungen für die Ausgestaltung am Spieltisch hatte man sich bislang immer ein wenig gedrückt. Reinwald und Richter nehmen die Aufgabe hier an und widmen dieser Frage ein ganzes Kapitel. Da auch dieses Kapitel als Ingame-Text geschrieben ist, fallen die Formulierungen hier leider nicht immer so klar aus, wie sich das manch einer gewünscht hätte. Für manchen Leser mögen die Ausführungen klar genug sein. Leider gilt dies wohl nicht für alle Spieler und so bleiben diese wichtigen Ausführungen letztlich etwas vager als es wünschenswert gewesen wäre. Die Hinweise im X. Kapitel schaffen hier nur bedingt Abhilfe.
Fazit
Tatsächlich überzeugt das Rondra-Vademecum nicht nur durch seine hochwertige Aufmachung, sondern auch durch sorgsam zusammengetragene Inhalte. Die Illustrationen von Andreas Aigner im Holzschnittstil fügen sich organisch zu Inhalt und Aufmachung. Größter Kritikpunkt bleibt dennoch die eingeschränkte Verwendbarkeit. Die vorgestellten Konzepte beziehen sich natürlich alle auf den spezifischen Glauben der Rondrianer. Teile davon lassen sich auch für andere Konzepte von Kriegern und Kämpfern verwenden, die dann sogar vom Spielsystem unabhängig sind. Immerhin sind die Verweise auf Regeln des Schwarzen Auges so allgemein gehalten, dass man sie genauso gut hätte weglassen können. Alle Spieler des beliebtesten Geweihten-Typus aus der Welt des Schwarzen Auges erhalten mit dem Vademecum für 15 Euro umfassende Einblicke in die Kirche der Rondra, die sich auch direkt am Spieltisch umsetzen lassen. Zumindest wer seine Mitspieler gelegentlich mit einem ordentlichen Choral der Heiligen Ardare am Spieltisch beglücken will, kann hier nichts falsch machen.
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