Einleitung und Spoilerwarnung
Achtung: Die folgende Rezension ist frei ab 18. Auf Züge und Trends in der Rollenspielwelt soll man aufspringen, solange man dabei noch nicht über den Rolator stolpert, und deshalb werden im Folgenden schmutzige Worte benutzt werden. Überall ragen ab hier versaute Spoiler zum Plot und den Hintergründen des Abenteuers aus dem Text heraus. Dazu gibt es unanständige Musiklinks und unverhüllt offene Worte, die mit züchtigen und dezenten Rezensionen, wie sie in anständigen Häusern vorkommen, nichts mehr gemein haben. Kinder und Jugendliche holen an dieser Stelle nun ein Elternteil mit hinzu, um pädagogisch begleitet über solche Dinge zu reden. Und alle anderen wurden gewarnt.
Look and feel – Let’s judge a Book by it’s Cover
Viel Aufhebens – oder eher Verhülllens – wurde um das skandalumwitterte „echte“ Cover von Namenlose Nacht gemacht, das sich unter der schwarz-roten Schutzhülle verbirgt, bis es auf Twitter doch durchsickerte wie klebrig feuchte Rückstände durch eine garethischen Rohseidenbrouche. Insgesamt muss ich sagen, dass ich das Getue um das Sexcover nicht ganz verstehe, gezeigt wird handelsüblicher bunter Bonbonsex, im Stil angelehnt an das, was sich 20-jährige Tuningfreaks und bärtige Trucker gerne mit Paintbrush auf den Lack ähh… spritzen. Nur im Hintergrund ist verschwommen etwas Homosexualität angedeutet (Immerhin! Ein Hauch von Mut!), insgesamt könnte das Ganze als Film locker um 22.30 auf Super-RTL laufen. Ohne Schmutzumschlag. Schutzumschlag! Verdammt, Schutzumschlag!
Da wir das „echte“ Cover, um das so viel Getue entsteht, hier gar nicht zeigen dürfen, will ich es auch gar nicht zeigen, sondern nur… beschreiben. In der Fantasie ist ja sowieso alles viel erotischer, als wenn man es knallweich mit eigenen Augen sieht. Also, ganz wie wir es in Klasse 6 als Aufsatzform gelernt haben, es folgt:
Eine Bildbeschreibung
„Das mir vorliegende Cover ist in Rot-, Schwarz- und Gelbtönen gehalten, strahlt aber im Gegensatz zur Nationalflagge wenig Erhabenheit aus, sondern erzeugt eher eine schwülstige, dunkle Atmosphäre. Der Betrachter befindet sich in einer leicht erhöhten Perspektive und betrachtet die Szene im Großausschnitt (Anspielung), ganz als ob er Teil der Ereignisse wäre. Sein Blick wird sofort von dem im Vordergrund befindlichen Paar angezogen: Eine liegende, barbusige Schönheit im bosparanisch-tulamidischen Seidengewand wird von einem entschlossen blickenden Halbelfen bezirzt, der freiersfüßige Feierer hält eine Traubenrebe wurfbereit in seiner Rechten. Will er die Früchte im nächsten Moment einem rahjaverfluchten Vampir entgegenschleudern oder die Fruchtsammlung mit voller Wucht in den bereits gierig halbgeöffneten Mund der dunkelhaarigen Räklerin rammen? Das Gemälde überlässt dies der gereizten Fantasie des Betrachters.
Weiter hinten, links auf einem überdimensionierten Sofakissen aus einer Zyklopen-Liebesschaukel, sitzt die Kopenhagener Kleine Meerjungfrau, etwas in die Jahre gekommen, wie das füllig gewordene Gesäß verrät. Sie bleickt reichlich teilnahmslos zu dem auf einer kurzen Steintreppe kopulierende Pärchen dahinter, das sich, wohl um das restliche Cover nicht zu sehen, die Augen verbunden hat. Dabei bleibt es unklar, was mit den Beinen des Mannes unterhalb des Knies passiert ist, auf die Treppe können sie jedenfalls perspektivisch nicht passen. Seine Partnerin befindet sich offensichtlich in höchter Extase, was nicht nur die wilde Frisur verrät: Nur in einem echten Rauschzustand kann sie nämlich das schmerzhafte Aufschlagen des Hinterkopf auf dem rauhen Natursteinfußboden ignorieren, und wird – orgientypisch – die nächsten Tage mit heftigen Kopfschmerzen vollbringen.
Hinter den beiden balanciert ein Mohamädchen einen gebratenen Guruguru unbeirrt durch die paarungsbereite Menge, nur um nach wenigen Schritten über einen haarig-entspannten Zwergen im Zwiegespräch mit einer üppigen Nymphe zu stürzen. Beide haben als ironische Reminiszenz für DSA-Kenner bedeutungsgeladene Accesoires angelegt, der kinntätschelnde Angroscho einen Helm, seine bauchige Partnerin einen Kettenbikini.
Ganz im Hintergrund, halb verdeckt vom sich schwül ergießenden Zeichentuschedunst, ergehen sich die Village-People an einer phallisch aufragenden Säule in horasischen und al-anfanischen Genüssen. Noch weiter hinten öffnen sich als Vulvasymbol rotleuchtende Vorhänge zu noch kommenden Orgiengenüssen, die der mittlerweile angenehm angeregte Rollenspieler ganz in seiner Fantasie genießen darf.“
Nicht falsch verstehen, das macht das Cover immer noch nicht gut. Nur harmlos.
Kommen wir zum Rest. Hier bin ich im Urteil milder. Der Band ist ein stabiles Hardcover, der Schutzumschlag hätte als Design wesentlich mehr Stil als das Heavy-Metal-Cover, wäre da nicht das prollige „ab 18“ Schild. Nettes Detail hingegen: Das diesmal rote Ulisses-Symbol (Ein „Sex-Symbol?“). Der Band ist gut lesbar, der Druck der Bilder ist gut und nicht zu dunkel. Die Qualität der Illustrationen wird im oberen Bereich wieder von den Charakter-Portraits dominiert, nur wenige Illustrationen wirken manchmal ein wenig grob. Insgesamt sieht der Band gut aus. Das Lektorat funktionierte, ohne jetzt mit Rotstift und Adlerauge drüber gegangen zu sein, besser als in den letzten Jahren gewohnt. Alles in allem ein solides Produkt, wenn man die Form nimmt. Kommen wir zum Inhalt.
Handlung und Plot (Achtung: MEGASPOILER!)
Viel los ist in den düsteren Kaiser-Bardo Thermen an den Namenlosen Tagen 1036/1037 BF: Während sich die Jünger des Namenlosen als nicht ganz uneigennützige Eventmanager der Orgie betätigen, ist der getürkte Kaiser Bardo der echte Kaiser Bardo, der den illustren Gästen die Lebenszeit absaugen will. Verkompliziert wird das Ganze durch einen hungrigen Vampir, eine ihn jagende bornische Hexe, eine Bande Mädchenhändler (Plotauffhänger!), das hilfreiche Gespenst des Thermenbaumeisters und einige Diebe im Mohakostüm. Alles kapiert? Nein? Muss man auch nicht. Über Symbole, Zeittafeln und genaue Phasenbeschreibungen ist die Story eigentlich mustergültig von Tom Finn und Anton Weste aufgearbeitet worden. Eigentlich? Eigentlich. Denn trotz dieser tollen Struktur sehe ich zwei mögliche Probleme:
A: Plot-Overkill: Aus dem obigen verwirrenden Auf… Anriss der Ereignisse kann man schon erkennen, dass die Handlungsfäden eher ein dickes Knäul bilden, und ich habe Kleinigkeiten wie Gargylen, Wasserelementare oder die Wahl zur Ministerin des Monats noch gar nicht erwähnt. Gut möglich, dass viele Heldengruppen im Gef(l)echt den Durchblick verlieren und die Handlung bis zum Schluss vor lauter Ereignissen nicht sehen – deshalb liegt vermutlich auch im Geheimgang zum Finale ein Buch herum, das den Helden noch einmal alles erklärt. Meine Spieler kann ich zumindest immer schon mit zwei Plotlinien und einer halben falschen Spur ins weiße Plotrauschen schicken. Man muss klar sagen, dass jeder Handlungsfaden für sich hochklassig, spannend und stimmig ist, allerdings würde ich das Abenteuer in dieser Hinsicht als klare Herausforderung für alle Beteiligten betrachten.
B: So many Things, so little Time: „OK, also ich glaube mal, der Mädchenhändler ist der Halbelf – Oh, da ist ein Vampir anwesend? Na, wenn das nicht nach Namenlosen Nächten riecht? Und dieser Zurbaran mit dem purpurnen Schlüpfer, da … Hoppla, eine Kröte, da ist wohl auch eine Hexe… Wer hat mir mein Schwert aus dem Spind geklaut? Wache! Scheiße, wieso wird meine Schamlocke so schnell grau? Kann ich noch schnell Alara Paligan durchnudeln? (Jap, ist prinzipiell möglich, wenn man sich in eine Schlange stellen will). Verdammt, hier kommen wir wohl nicht so einfach raus, alles voller Eis. Stirb, Vampir! Hmmm… dieser Bardo-Mime …. Mein Auftraggeber ist uralt und verendet. Zurbaran übrigens auch. Doof. Oh, ein Geist! Was Statuen? Ächz, ich brauch nen Gehstock. Ab ins geheime Ritualdings! Stirb, Kaiser!! Scheiße, Orgie ist jetzt rum. Abenteuerpunkte.“
Insgesamt braucht also NN trotz vorbildlicher Hilfestellung einen erfahrenen Meister, der etliche Bälle in kurzer Zeit in die Luft werfen und dort halten kann. Spieler/Spielerinnen, die sich auf lange Orgien-Barbiespiele mit ihrem Charakter freuen, werden darüber enttäuscht sein, dass ihr Held / ihre Heldin in den sich überschlagenden Ereignissen nur wenig Zeit für Wurst-Verstecken mit Lady Paligan haben wird (oder natürlich auch Wurst-Haschen mit Rahja-Geweihtem Tausendschön Talafeyar, je nach dem bevorzugten Geschlecht).
Somit finden sich im Netz auch diverse Stimmen, die vorschlagen, die Handlung nicht auf eine Nacht zu beschränken, sondern die Ereignisse zu strecken. Insgesamt sehe ich aber auch in diesem Directors-Cut-Deluxe à la Heimwerker wieder Nachteile. Der Zeitdruck und die schnell eskalierende Bedrohungssituation machen mit den Reiz des Abenteuers aus. Der spannende Plot schlägt das Orgientreiben alle mal, das als Stimmungskulisse viel bessere Dienste tut denn als Haupthandlung und Füllmaterial. Also: Handlung und Setting sind richtig gut – aber der Meister dieser Lustbarkeiten muss noch viel besser sein. Die Komplexitätsangabe „Mittel“ auf dem Buchrücken (eh vom Schutzumschlag verschämt zugedeckt) ist meiner Ansicht nach eine klare Fehleinschätzung, das Abenteuer verlangt, einen Tick zu viel Handlung auf einen zu kurzen Zeitraum zu verteilen.
„Im Zweifel mit Humor“ (S. 22) – oder auch zweifelhafter Humor – oder auch verzweifelter Humor. Sagen wir, wie es ist: in NN kommt S E X vor. Nicht zu knapp. Aber er passt nicht zusammen. Was meine ich damit?
Da gibt es einerseits den knallbunten, aber grundnaiven Lollipop-Sex, die Art also, die auch auf dem Cover harmlose Badenutten über den harten Natursteinboden treibt. Er ist bunt und soll vor allem – hihi -komisch sein, eben als Knuff-Knuff-Moment für Spieler, die gerne beim Thema Sex kichern. („Kicher-Kicher, ein „Phallusstab“ (S. 88) als improvisierte Waffe! Ich hau dann jetzt den Kaiser mit nem Dildo.“)
Die Autoren raten der hilflosen DSA-Runde hesindeseidank jedoch davon ab, die schlüpfrigen Stellen am Spieltisch knallhart (*hüstel*) auszuspielen, bis der Meister jault. Sie schlagen vielmehr vor, den befürchteten Peinlichkeitseffekt „im Zweifel mit Humor“ zu bekämpfen. Eine effektive Waffe, solange sich das Abenteuer konsequent beim Thema Sex auf dem Niveau der Kleinen Grünen Männchen von Pat Mallet bewegt. Und das muss grandios scheitern, wenn das Abenteuer seine eigentlichen Stärken entwickelt und zu den Abgründen der menschlichen Triebe kommt: die Art von Sex, die nicht mehr amüsant ist, die aber das im Grunde superfinstere Ambiente und Ziel der Orgienfeier viel besser orchestriert. Beispiel gefällig?
„Zugedröhnte Levthansjünger zerreißen Schafe als Tieropfer und lieben sich im Blut liegend zu winselnden Flötentönen“ (S. 30)
„Zurbaran straft einen „Moha-Diener“: (…) Er (…) gießt heißes Bratenfett über ihn, so dass der Diener Schmerzen und Verbrennungen erleidet.“ (S. 34)
„Baldram Springlof (…) liebt es, Dinge in (…) Körperöffnungen einzuführen. Beim letzten Mal starb eine Hure, die er ekszessiv mit Münzen gefüttert hatte, an gerissenen Organen.“ (S. 130)
Wie soll ich eine echte Perversion (nicht das, was Kicher-Willy drunter versteht), mit „Humor“ behandeln? Hier scheitert das Feigenblatt „Mach halt Witze drüber“ an der im Grunde besseren Idee: „Zeig das Böse hinter dem geilen Treiben.“ Denn letztendlich ist die Orgie eine viel bessere Einfallspforte für die eigentliche Sünde – Massenmord und Lebensraub – als eine Projektionsfläche für Abiturientenwitze. Über die erste Schiene könnte man tatsächlich ein eindrückliches Spielerlebnis gestalten. Wenn man mit NN seine Spielergruppe abstößt, anstatt sie plump anzumachen, gewinnt die Atmosphäre plötzlich eine neue Dichte.
Selbstverständlich mögen viele Gruppen eher auf den naiven Spaß an harmlosen Tittenwitzchen setzen. Das ist durchaus möglich, wenn man auf die düsteren und perversen Elemente verzichtet, wie es die Autoren ja auch anregen. Welcher Seite der (un)menschlichen Triebe meine (rein plottechnische) Liebe gehört, machen meine durchaus tendentiösen Beschreibungen wohl klar. Insgesamt passt aber der „böse Sex“ mit dem „Witzchen-Sex“ nicht bruchlos zusammen.
Zur Ehrenrettung: Es gibt in den Thermen auch noch jede Menge andere Genüsse: Rauschmittel, Völlerei, Glücksspiel, Tanz und Showeinlagen. Aber das steht im Abenteuer klar weniger im Zentrum als das omnipräsente „Fass mich an“ – Spiel.
Aufbereitung, Meisterhilfen und Regelsupport
Vibart: Es wurde oben schon von mir erwähnt: Die Strukturierung des Abenteuers ist vorbildlich, und man versucht, durch eine klare Trennung in Zeitabschnitte und einzelne Handlungsfäden dem Spielleiter die Sache so einfach zu machen, wie nur möglich. Dazu gibt es immer wieder die hilfreichen grauen Kästen (sei es zu verfügbaren Rauschmitteln oder der garetischen Haltung zu Sex) oder die Zusammenstellung von Rechercheergebnissen bis Mitternacht. Das ist super so, und ich habe das Gefühl, dass bei DSA in der letzten Zeit ein neuer Qualitätsstandart in dieser Hinsicht Einzug gehalten hat. Jetzt fehlt nur noch, dass die Grauen Kästen als Liste gesammelt mit Seitenzahl neben das Inhaltsverzeichnis kommen, so schön der nackte Elfenarsch, der jetzt dort prangt, auch sein mag.
Auch der Support mit Regeln wirkt auf mich sehr umfassend, da findet man das regeltechnische Schnitzen von Anti-Vampir-Pflöcken und deren Anwendung, ein Punktesystem für das Finden von Unterstützung bei Autoritäten außerhalb des Spaßbades, oder den Umgang mit einem astral-monströsen Hexenknoten um die Therme. Natürlich gibt es schon wieder hitzige Diskussonen darüber, wie das jetzt mit Vampiren und Hexenknoten so sein mag, aber ehrlich gesagt … ist das völlig Wumpe. Das Closed-Room-Setting geht vor. An anderen Stellen treibt das Regelfutter eher absurde Blüten, z.B. wenn es um das Auswürfeln eines Gruppenbumsens als Preiskampf geht. Für alle, die den Wegen der Vereinigung ernsthaft hinterhertrauern, gebe ich die Regeln einfach mal zum selber Bespielen frei: „Die Kontrahenten sammeln im Wettstreit der Lust TaP* durch mehrere Betören-Proben an. Ein Beischlaf dauert durchschnittlich eine SR. In jeder SR wird eine KO-Probe abgelegt, bei deren Misslingen der Kontrahent W6 AuP verliert. (…) Anschließend ist eine Betören-Probe fällig, die um die Anzahl der bislang misslungenen KO-Proben erschwert ist. Sinken die AuP auf 0, so (…) endet der Wettstreit.„
Ganz ehrlich, lieber Herr Finn und lieber Herr Weste: Wenn ich diesen Regeltext einem der „Normalen“ da draußen vorlege, pinkelt der sich vor Lachen über uns Rollenspieler in die Hose. Aber wahrscheinlich rechnet das Abenteuer mit genug Probanden in der Zielgruppe, die genau so einer „Würfelorgie“ im engeren Sinn entgegenfiebern. Und genau für all diese Mitspieler unter uns rufe ich hiermit den Rollenspiel-Sex-Regel-Spenden-Wettbewerb (RSRSW) aus: Wer mir die absurdeste Beischlaf-Regel nach DSA 4.1 oder DSA5-Beta zusendet (Redaktion@Nandurion.de), dem schicke ich ein original Buch der Regeln von 1984 mit einem handsignierten schmutzigen Kritzelbildchen dazu. Einsendeschluss ist Mitte Praios am 15. Juli, so dass ihr über die Namenlosen Tage schön Zeit habt. Lasst die Köpfe (und bitte nur die …) rauchen!
Aventurische Stimmigkeit und Hintergrund
Insgesamt schlägt der Band eine schöne Verbindungslinie von der DSA-Frühzeit (Bardo, Alrik Immerdar (!), etc…) zur aktuellen Produktlinie (Gareth-Box). Der Band macht den Vorschlag, das Abenteuer bei Bedarf in diverse andere aventurische Großstädte zu verlegen, insgesamt halte ich das aber für Humbug. NN schreit so laut „Gareth“ wie die Beasty Boys „Girls“ gebrüllt haben. Nur in der Kaiserstadt macht das anwesende Personal so richtig Sinn, nur hier ist der Widerspruch zwischen verbreiteter Moralität im Schatten der Stadt des Lichts und dem Zusammenströmen der moralisch Verkommenen zur geheimen Orgie im noch geheimeren Dienst am Namenlosen vom Setting her fruchtbar. Und obwohl Gareth selbst nur in einigen Randbemerkungen des Abenteuers zum Tragen kommt, kann NN mit Fug und Recht als Teil einer Gareth-Kampagne im Rahmen der fantastischen Box gespielt werden.
Ansonsten geben sich die Schlüpfer Schöpfer redliche Mühe, die Hatz nach dem Juvenarium zu einer typischen DSA-Geschichte zu machen und möglichst viel Aventurien in die Orgie zu transportieren. Das macht richtig Spaß und zeigt, dass hier Leute am Werk waren, die das System seit Jahren begleiten und sich in Gradnochsjepengurken mindestens genau so gut auskennen wie in ihrem Badezimmerschrank. Hut ab. Nur eine Bitte: Ab der 100. Krustentieranspielung ist mal Schluss damit, liebe Redaktion, ok? Als faires Entgegenkommen entsteht dieser Text übrigens ohne jeden Eulenwitz.
Drumrum und Untenrum: Ortsbeschreibung und Meisterpersonen
Ja, oftmals gedenke ich der Zeiten, in denen ich mit geschwollenen Adern und zerbrüllten Stimmbändern über DSA, die aktuelle Kartenpolitik und den Mangel an ausreichender Bekartung von Produkten losrantete. Ich gebe es offen zu: Bei NN kann ich das diesmal nicht, sondern ich streiche zufrieden über die tolle, tolle Karte der Kaiser-Bardo-Therme. Gut, der Band machte es auch dem Verlag einfach, denn für ein Closed-Room-Setting braucht es genau einen gut kartographierten Ort, aber die Liebe und Genauigkeit, mit der die Bühne für die Hatz nach den verlorenen Jahren in eine Karte gegossen wurde, verdient besondere Würdigung. Dazu kommt, dass die beiden Autoren spürbar ein wenig in der Badewanne die einschlägige Thermenliteratur durchstöbert haben, denn man gewinnt den Eindruck, dass Bardos Badehaus mit all den bosparanisch benannten Räumen genau so oder ähnlich auch in Rom oder Byzanz hätte stehen können. Das mag sich eher nach Al’Anfa oder nach Bosparan anhören als nach garethischer Granitgotik, aber es passt einfach ganz herrlich mit dem Abenteuer zusammen. Allerdings: Leute, die Geheimgänge im Keller hätten jetzt echt auf einem Spielerhandout wegradiert gehört. Jetzt darf das arme Meisterlein wieder mit Scanner und Photoshop selbst an seinen Karten rumbasteln. Fühlt euch gekopfnusst.
Meisterpersonen sind ebenso eine kleine Herausforderung in dem Abenteuer, treiben sich doch in dieser Nacht etwa 200 Meisterpersonen auf und neben der Orgie herum, vom einfachen Küchenjungen bis hin zum aventurischen Superpromi. Das fordert den Meister ganz schön heraus, und auch hier tun die Autoren alles, um ihm ein wenig behilflich zu sein. Konkret heißt das: Der Personenbeschreibung wird viel Raum gegeben, ausführliche Profile der Hauptakteure finden sich neben übersichtlichen Tabellen zum schnellen Zusammenkleben des generischen Orgienkomparsen. Zu den üblichen Infos bekommt jeder hohe Gast auch noch eine sexuelle Vorliebe spendiert. Selten habe ich umfangreichere Werteblöcke bei DSA gesehen, mit denen die großen Fische im Abenteuer mit Zahlenmaterial versorgt werden. Ich habe wie immer nicht jeden Wert regeltechnisch überprüft, insgesamt kann ich in beiden Fällen (Ort- und Personenbeschreibung) aber nur ein Fazit ziehen: gute Arbeit.
Trotzdem kommt hier auf den Meister jede Menge darstellerischer und organisatorischer Aufwand zu, denn ein bisschen schmutziger Badespaß an den Namenlosen Tagen stellt vom Personalaufwand her manch allaventurischen Konvent oder reisekaiserlichen Hoftag in den Schatten. Hier – trotz aller sinnvoller Hilfestellungen – nicht den Überblick zu verlieren, ist dann wohl die Schlüsselkompetenz des Abenteuers. Und was heißt das alles auf unter dem Strich? Das:
Fazit
Ich muss sagen, dass mich Namenlose Nacht äußerst postiv überrascht hat, denn nach der etwas adoleszenten PR-Kampagne aus Waldems hatte ich mir ein Schenkelklopfer-Single-WG-Abenteuer erwartet. NN bedient diese Schiene durchaus, wenn man das will, offenbart aber echte Abenteuerqualitäten über den Herrenwitz hinaus. Denn das Orgientreiben entpuppt sich als gelungene Menage a Trois zwischen Sandbox, Closed-Room-Krimi und Rennen gegen die Zeit. Ich lege damit NN allen Spielergruppen ans Herz, die sich weder an naiver Jugendtreff-Erotik noch an finsteren Perversionen … äh stoßen. Dazu kommt eine wirklich tolle Ortsbeschreibung, die zeigt, dass die Herren Autoren genau in der klassischen Thermenbaukunde recherchiert haben. Fazit: ein fast rundum gelungener Abend mit dem namenlosen Lustobjekt der Wahl.
Was meinen aber unsere Einhörner? Na ja, da ist Nandorian, der heiße Hengst, der sich beim Meistern aber leider übernommen hat, der nicht mehr weiß, wie er den Hexenplot jetzt noch unterbringen soll, und dessen Spielertruppe meutert, weil sie sich gerade eigentlich mit ihren Helden durch das üppige Drogenbüffet fressen wollte, die aber dummerweise gerade viertelstündlich massiv vor sich hin altern. Und die Gradwanderung, ob er die nächste belkelelgefällige Szene als feuchtwarmen Sado-Maso-Witz einspielen soll, oder als miese und finstere Vergewaltigung, kriegt er auch nicht mehr hin. Nandorian schmeißt daraufhin entnervt das Handtuch und lädt sich lieber ein One-Page-Dungeon herunter. Und dann ist da Nandine, die einfach nicht versteht, warum ein Beischlaf in Aventurien immer in etwa 5 Minuten dauert, wieso der aber jetzt 5 Mal hintereinander erfolgt, nachdenkt, ob einmal 25 Minuten am Stück Sex-haben nicht etwas mehr Stil hätte, grübelt, wieso man das auswürfeln muss und warum alle anderen dabei mit Speichelfäden im Mundwinkel ununterbrochen kichern. Nandine geht lieber ein Abenteuer im Rahmen der Boronkirche spielen. Jetzt sind noch sieben Einhörner im Caldarium und planschen fröhlich prustend in die Namenlose Nacht. Und jetzt runter mit den Badehosen, meine sieben Hörnchen!
Pingback: Barden, Busen, Bademeister: Rezension zu “Namenlose Nacht” | Nandurion
Oh baby – Gib mir mehr Vibart ! – MEEEHHHRR – Leider geile Rezension!
Sehr, sehr geile Rezension! 🙂
Wie lange hat man denn Zeit für den RSRSW?
Ja, im Eifer des Gefechts geht einiges verloren: Der Einsendeschluss ist nach den Namenlosen Tagen 2014, also Mitte Praios (vulgo: 15. Juli). Das wurde auch in der Rezension jetzt noch ergänzt.
Vielen Dank, gnadenlos spitz(!)findig rezensiert.
Und Danke für die vielen tollen Links, die auch geil(!) recherchiert wurden.
Ich habe das Abenteuer auch gelesen, und meine Rezi würde wahrscheinlich ähnlich ausfallen.
Ich finde allein das Auftreten einer uralten, vergessenen Meisterperson, in diesem Stile grandios!
Das Abenteuer wird ja so hoch gelobt, dass ich von Natur aus skeptisch bin.
Ich habe es mir noch nicht gekauft, bin aber im DSA4 Forum gerade über folgenden Thread gestolpert http://www.dsa4forum.de/viewtopic.php?f=5&t=37648
und da frage ich mich doch ob die ganzen Rezensenten nicht einen wichtigen Punkt vergessen haben.
Liefert das Abenteuer eine Begründung dafür warum die Helden an den Namenlosen Tagen bei einer Orgie mitmachen sollten statt paranoid auf alles böse gefasst zu sein?
Das die Namenlosen Tage „real“ sind dürfte eigentlich jeder Aventurier wissen. Sie sind kein Scherz! Sie sind nicht die Zeit in der man noch mal abfeiert bevor die rituelle religiöse Fastenzeit beginnt (Fastnacht/Fasching). Sie sind die Zeit in der die Mauern der Welt dünn sind und in der das Böse nahe ist. Die Zeit in der der gefesselte Namenlose Gott in der Sternenleere im Zenit über der Welt steht. Und deshalb verbringen rechtschaffende Menschen diese Zeit mit beten und nicht mit einer Orgie.
Beschäftigt sich das Abenteuer mit dieser Motivationsfrage?
Und wenn nein: Hat das für die Rezension eigentlich eine Rolle gespielt?
Gruß Robak
Die Helden besuchen die Orgie ja nicht der Orgie wegen, sondern als angeheuerte Ermittler und Leibwächter in einem Entführungsfall. Im Grunde täuschen sie ihr Interesse für das unzüchtige Treiben nur vor, um einem Mädchenhändlerring auf die Fährte zu kommen. Hingegen sind die meisten „echten“ Gäste tatsächlich keine rechtschaffenden und götterfürchtigen Menschen und Metamenschen, sondern verkommene, wenn auch wohlhabende Lüstlinge. Allerdings erklärt sich das Orgien-Gesocks lange Zeit diverse unheimlichen Vorgänge damit, dass „sowas an den Namenlosen Tagen halt mal vorkommt.“
Von daher: Ja, das AB beschäftigt sich durchaus mit dem Problem und ja, die Helden sind nach meinem Verständnis auch sauber motiviert, an den Namenlosen den Hausschrein zu verlassen. Wie auch geschrieben: Die Orgie ist nicht die Handlung, sondern eine reichlich düstere Kulisse für die Handlung.
In meinem Aventurien sind nebenbei bemerkt nicht alle Bewohner so tief religiös, dass sie an den Namenlosen Tagen daheim im Bettchen hocken und um ihr Leben bibbern. Es gibt – gerade in einer Großstadt wie Gareth – durchaus hinreichend viele, die sich für hinreichend aufgeklärt halten, dass sie mit diesem „Aberglauben“, der die Zeit zwischen den Jahren umgibt, kokettieren, was letztlich auch überhaupt erst der Grund für die stattfindende Orgie ist. Die meisten werden sich hingegen irgendwo zwischen diesen beiden Positionen bewegen und mehr oder weniger ihrem normalen Tagwerk nachgehen, dabei aber tendenziell ein etwas ungutes Gefühl im Nacken haben und den Müßiggang deswegen eher herunterschrauben, ohne dass sie WIRKLICH gleich um ihr Leben fürchten würden. Denn auch an den Namenlosen Tagen stehen die Tore zu den Niederhöllen keineswegs so sperrangelweit offen, dass eine Paranoia, wie sie im verlinkten Thread beschrieben wird, ernsthaft angemessen wäre.
Mal ganz abgesehen davon, dass das Abenteuer eben auch die richtige Zielgruppe braucht und ich einen Haufen Weißmagier, Gesinnungs-Praioten und ähnliche da sicherlich nicht für die Idealbesetzung halte, sondern eher auf einen Hang zum Anrüchigen, Zwielichtigen setzen würde, dürfte das Einschalten von Autoritäten wie Praioten, Pfeilen des Lichts oder ähnlichem noch ein ganz anderes Problem liefern. Wenn die Helden diese nämlich von der Schlechtheit der Orgien-Veranstalter und -Besucher und einer gebotenen Dringlichkeit überzeugen könnten, hätte das zwangsläufig eine Razzia zur Folge, bei der einige der Besucher verhaftet (und teilweise in letzter Konsequenz wohl auch verurteilt und bestraft) würden, die meisten hingegen fliehen könnten. Mit größter Wahrscheinlichkeit dürfte es aber gerade den Menschenhändlern, nach denen die Gruppe sucht, gelingen, ihre Spuren zu verwischen und möglicherweise sogar mit ihrer „Ware“ zu entkommen. Und genau auf diesen Ablauf würde ich es als Spielleiter dann auch anlegen, was das Abenteuer im Zweifelsfall sehr kurz und zu einem eklatanten Fehlschlag im Hinblick auf den eigentlich simplen „Rette die Jungfrau in Nöten“-Auftrag machen könnte. Es gibt also durchaus auch gute Gründe für eine intelligent handelnde Heldengruppe, nicht sofort zu den Praioten oder den Pfeilen des Lichts zu rennen, um die die Orgie ordentlich aufmischen zu lassen.
Ansonsten gilt, was Vibart schon schrieb. 🙂
Also, also – ihr könnt doch nicht ernsthaft verlangen, dass endlich mit den Krustentierwitzen Schluss sein soll??? Dann muss ich mir einen neuen viralen Gag einfallen lassen, und, Leute, das ist gar nicht so einfach, wie es klingt! O__o
[quote]Das die Namenlosen Tage “real” sind dürfte eigentlich jeder Aventurier wissen. Sie sind kein Scherz! Sie sind nicht die Zeit in der man noch mal abfeiert bevor die rituelle religiöse Fastenzeit beginnt (Fastnacht/Fasching). Sie sind die Zeit in der die Mauern der Welt dünn sind und in der das Böse nahe ist. Die Zeit in der der gefesselte Namenlose Gott in der Sternenleere im Zenit über der Welt steht. Und deshalb verbringen rechtschaffende Menschen diese Zeit mit beten und nicht mit einer Orgie.[/quote]
Und genau da liegt der Hund begraben. Das Aventurienbild das viele Spieler haben ist einfach zu schwarz weiß! Bin auch eher bei Xeledon
Eigentlich habe ich gar nicht nach einer Rezension gesucht…
… aber diese hier ist – auch ohne das Abenteuer jemals spielen zu wollen – einfach
GENIAL!!!
Toller
KörperAufbau, scharfzüngigeErrektKonklusionen, gnadenlosesAuspeitschenAnprangern vonStimulationsSchwachpunkten.Ich bin sehr begeistert!
Vielen Dank
… für diese schönen und lohnenswerten Minuten meines oft viel zu kurzen Lesens von digitalen Informationsinhalten!
Und vielleicht schaffe ich auch noch einen Vorschlag zum scheinbar alternativlosen
HolzBanken-Stress-Test in Würfelform…Vielen Dank für die Blumen! Das geht auch an alle anderen, die hier welche digital überreicht haben, es freut mich immer, wenn man Nandurion mit Spaß liest.
Wenn ich da an den Roman „Die Zeit der Gräber“ zurückdenke, konnte der Dreizehnte Gott zwischen den Jahren einiges bewirken: Stürme und wild(geworden)e Tiere waren da nur der Gipfel des namenlosen Eisbergs…
Insofern sind auch für mich die Namenlosen Tage Zeiten, zu denen sich wirklich nur die Abgebrühtesten auf die Straße trauen.
Auf der anderen Seite ist mir natürlich klar, dass in einer Großstadt wie Gareth die Wohlhabenden sicher ganz anders darüber denken als der arme Bauer, der befürchten muss, dass ihm der nächste Blitz das Dach über dem Kopf anzündet und er dann mittellos dasteht.
Das ist aber auch wieder eine etwas blauäugige Pauschalisierung der Marke: „Wenn ich sehe, welche Schäden dieser Tsunami im März 2011 in Fukushima angerichtet hat, verstehe ich nicht, wie überhaupt noch Menschen in Japan wohnen können.“ Nur weil der Namenlose in der Zeit zwischen den Jahren mehr Spielraum zur Einflussname hat und diesen auch immer wieder zu nutzen pflegt (ich denke da übrigens eher an den atmosphärisch tollen Abenteuer-Klassiker „Die Tage des Namenlosen“), schwebt noch lange nicht jeder in Lebensgefahr, der sich nicht betend in seinem Bettchen verkriecht. Natürlich ist das Böse real und kann Einfluss nehmen, wenn wir aber von einem Ausmaß sprechen, das eine wirkliche Gefahr für Leib, Leben und Seele darstellt, tut es das selbst an den Namenlosen Tagen nicht ununterbrochen überall, sondern eher punktuell. Der Umgang der Leute damit dürfte dann schon den Charakter eines kalkulierten Risikos annehmen: Klar fordere ich mein Glück nicht heraus und werde größere Vorsicht walten lassen als während des restlichen Jahres. Ich fahre schließlich bei Glatteis auch tendenziell etwas vorsichtiger als bei trockener Fahrbahn, wenn ich aber über Weihnachten die Verwandtschaft auf dem Lande besuchen möchte, werde ich deswegen trotzdem nicht unbedingt zu Fuß gehen wollen. Und so viel gesunden Menschenverstand, dass sie sich nicht sofort in blinde Panik versetzen lassen, traue ich den Menschen im Allgemeinen (und sogar in Aventurien) auch dann noch zu, wenn sich die betreffende Gefahr als äußerst real erwiesen hat und Einzelperson sich davon zu entsprechenden Extrem-Reaktionen haben hinreißen lassen.
Für mich sind es definitiv nicht nur die Abgebrühtesten, die sich auf die Straße trauen, sondern alle, die einen hinreichend guten Grund dafür und Dinge zu erledigen haben, die keinen Aufschub dulden. Insofern dürfte die Mehrheit der Leute, die man an den Namenlosen Tagen auf den Straßen treffen wird, keine fröhlich pfeifenden Helden und auch keine irre kichernden Dunkelsinnigen sein, sondern eher sich immer wieder misstrauisch umblickende Normalos sein. Wer in dieser Zeit eine Orgie in den Thermen besucht, dürfte in den allermeisten Fällen auch kein sinistrer Gottesfrevler sein, sondern eher jemand, der in einem vermeintlich sicheren Umfeld nach Zerstreuung sucht, um sich nicht allzu viele Gedanken um die zu dieser Zeit besonders bedrohlich erscheinende Umwelt machen zu müssen. Und genau darum halte ich es für völlig überzogene und keineswegs gerechtfertigte Paranoia, wenn eine Heldengruppe die ganze versammelte Orgien-Besucherschaft gleich als Ketzer auf den Scheiterhaufen bringen möchte, selbst wenn sie durchaus berechtigte moralische Bedenken gegenüber der Grundeinstellung der feierwütigen Meute hegen mag und sich gerade in diesem Umfeld auch der ein oder andere echte Frevler besonders gut aufgehoben fühlen darf.
Ich weiß nicht, ob du da die gewöhnlichen Aventurier nicht ein wenig zu modern siehst. Und das Beispiel mit dem Tsunami ist auch nicht wirklich 1:1 übertragbar, denn vor einer Flutwelle magst du im Landesinneren sicher sein, aber wo versteckst du dich, wenn die Götter selbst schwach sind?
Mit Hilfe der Wiki Aventurica habe ich ne aktuelle Textstelle gefunden. Auf S. 89 in „Im Herzen der Metropole“ aus der Gareth-Box steht, dass an den Namenlosen Tagen nicht gearbeitet wird. Es herrscht sogar eine Ausgangssperre, weil widernatürliche Kreaturen die Straßen unsicher machen, und während die Armen sich in der Tat betend daheim verschanzen, gehen manche der Reichen lieber auf umso wildere Orgien.
Liegt vielleicht daran: beim Liebesspiel wird ja Rahja geopfert, das ist dann vermutlich genauso gut wie daheim beten. 🙂
Zusammenfassend: Für mich gelten hier folgende innerweltlichen Erklärungsmechanismen, die den Hintergrund von NN durchaus plausibel machen:
1. Die Namenlosen Tage gelten vielen als Zeit der Bedrohung, der Einkehr, das öffentliche Leben ruht.
2. Aber nicht überall tanzen Dämonen und Untote an diesen Tagen auf der Straße. (Seltsamerweise ereignen sich diese Manifestationen des Bösen anscheinend signifikant häufiger, wenn Spielercharaktere anwesend sind.)
3. Da das öffentliche Leben ruht, haben Orgien für die Reichen eine gewisse Tradition, auch wenn götterfürchtige Aventurier daran eher nicht teilnehmen.
4. Die meisten Teilnehmer der Orgie in der Kaiser-Bardo-Therme sind NICHT götterfürchtig, sondern in der Hauptsache ziemlich verkommene Subjekte, wenn auch wohlhabend.
5. Die Helden nehmen NICHT primär aus eigenem Interesse an der Orgie teil, auch wenn Charaktere, die solch treiben gut finden, in dem AB durchaus möglich sind; Ihr Kernmotiv ist aber inkognito ein Entführungsopfer aufzuspüren; Die Spur führt auf eben jene nicht-götterfürchtige Orgie. Die Helden dürfen durchaus ein wenig paranoid sein, das AB geht davon sogar in gewisser Weise aus (Wie verstecke ich Waffen?)
Insgesamt sehe ich dabei weder ein Motivationsproblem noch ein innerweltliches Kohärenzproblem für NN. Alles shiny für mich.
Natürlich ist der Tsunami-Vergleich nicht 1:1 übertragbar – genausowenig, wie die Handlung eines Romans oder der Plot eines Abenteuers 1:1 als Blaupause für die alltägliche Lebensrealität von Alrik Normalaventurier taugt. Und trotzdem verrät es uns einiges über die menschliche Natur und ihren Umgang mit Naturgewalten. Wenn ich vor dem Tsunami ins Landesinnere fliehen kann, warum existieren dann dort trotzdem überhaupt Städte an der Küste?
Ganz generell weiß ich nicht, was „modern“ an dem Gedanken sein soll, dass sich ein Mensch mit seiner Umwelt und ihren Gefahren in irgendeiner Weise arrangieren muss – das war schon immer so und wird auch immer so sein. Und wo der brave Handwerker die Arbeit ruhen lassen, daheim im Bettchen hocken und beten mag, wird beispielsweise der Bauer trotzdem nach draußen gehen müssen, um sein Vieh zu füttern. Den Luxus, angesichts der Namenlosen Tage in blinde Panik verfallen zu können, haben die meisten Aventurier einfach nicht – ergo muss man mit dem erhöhten Risiko leben und halbwegs vernünftig umzugehen lernen. Ich finde eher den Gedanken, man könnte sich einfach so mitten im Sommer mal eine fünftägige Auszeit nehmen, während der man sich aufs Beten und um sein Leben bittern beschränkt, ganz schrecklich modern und deplatziert.
Modern bezeichne ich das Denken, dass jeder Tag wie der Andere sei. Heute macht sich keiner (mehr) Sorgen, in der Walpurgisnacht, an Halloween oder ähnlichen Tagen nachts wegzugehen. Warum? Weil man ja weiß, dass das alles nur „Humbug“ ist.
In Aventurien dagegen ist die Existenz der Götter einwandfrei nachgewiesen, und dementsprechend sollte auch das Denken der Leute sein.
In früheren DSA-Editionen (kA, ob das immer noch so ist), bekam man Boni, je nachdem, in welchem Monat man geboren wurde. Ein Rondra-Kind bekam etwa Schwerter+1. Das fand ich sehr stimmungsvoll, denn es zeigte, dass die Götter direkt das Weltengeschehen beeinflussen.
Dann hast du offensichtlich das, was ich geschrieben habe, entweder nicht richtig gelesen oder nicht verstanden. Denn dass sich die Namenlosen Tage vom Rest des Jahres überhaupt nicht unterscheiden würden habe ich nirgendwo behauptet, weder aus der kosmologischen Perspektive betrachtet noch aus der alltäglichen Sicht der Bevölkerung. Genauso wenig habe ich in irgendeiner Form den Einfluss der Götter auf die aventurische Realität in Frage gestellt, da versuchst du (absichtlich?) mir ziemlich unsinnige Dinge in den Mund zu legen, die völlig am Thema vorbeigehen. Schade.
Tolles Abenteuer, tolle Rezension, großes Lesevergnügen bei beiden; Vorfreude das AB zu meistern.
Mit der „richtigen“ Meister/Spieler-Kombination kann das ein herausragender Höhepunkt (!) der DSA-Rollenspiel(sic!)-Erfahrung werden. Wenngleich das im Prinzip natürlich für jedes AB zutrifft, ist es hier mMn besonders wichtig – letztendlich wahrscheinlich sogar wichtiger als die Auswahl der SCs.
Den letzten Teil der Diskussion kann ich aber nicht ganz nachvollziehen, werden jetzt Spitz(!)findigkeiten der Hintergrunddetails der Namenlosen Tage aus dem Material der letzten 30 Jahre ausgelegt, um einen Grund zu finden, das AB doch noch irgendwie schlecht zu finden?
In meinem Aventurien zumindest passt die Einstellung der Orgienteilnehmer stimmig zur Welt:
Ja, die Namenlosen TAge sind sinister, (etwas) gefährlich sogar, man hört ja immer wieder von Unfällen und gruseligeren Vorkommnissen. Ich (=NSC) bin aber so gelangweilt/verderbt/lebensmüde, dass ich mich nicht zu Hause einschließe und 5 Tage lang bete, sondern die Zeit in der „Sicherheit“ einer Therme verbringe und dabei noch den Kick habe, etwas verbotenes oder zumindest grenzwertigwes oder „schmutziges“ zu tun. Letzteres passt ganz gut, da Travias/Rahjas Blick in dieser Zeit wahrscheinlich nicht so durchdringend ist wie sonst. Gerade in einer Großstadt sollten sich so gepolte Orgienteilnehmer finden lassen – im alten Rom waren für viele die Götter auch „real“, trotzdem gab es immer Zweifler oder auch Leute, die ihre Triebe ausgelebt haben, obwohl (oder sogar weil) es nicht göttergefällig war.
Da hab ich mich missverständlich ausgedrückt und mein Disput mit Xeledon ist dann auch ein wenig … ausgeufert.
Freude hat gesagt, dass das Denken vieler DSA’ler zu eindimensional sei, und das war eigentlich der Stichpunkt. Ich finde es auch stimmungsvoller, wenn die Namenlosen Tagen als echte Bedrohung empfunden werden (pro-schwarz-weiß-Denken). 😉
an Xeledon: ich kann dir leider oben unter deinem Kommentar nicht mehr antworten, daher mache ich das hier.
Irgendwo scheinen wir da in der Tat aneinander vorbeigeredet zu haben. Nichts für ungut. 🙂
Joa, passt schon, ist ja nix schlimmes passiert. 🙂
Ok, das kann ich nachvollziehen.
Um zum AB zurückzukommen: Auch mit dieser Postion in „deinem“ Aventurien kannst du mMn das AB spielen, dann sind die Orgienteilnehmer eben nochmals deutlich gelangweilter/verderbter/lebensmüder und die SC mutiger, da sie trotz der NLT (endlich ein neues Akronym 😉 an der Orgie teilnehmen bzw. den Auftrag annehmen.
Ich freue mich schon darauf, das AB zu meistern, werde aber wahrscheinlich den ein oder anderen Strang im Plot weglassen oder nur wenig anspielen, da zu verwirrende Geschichten oft nicht gut zu unserem Spielstil passen. Andererseits sind wir recht firm in der aventurischen Geschichte, sodass die Auflösung ein echter Knaller werden wird – wobei ich eventuell den Epilog etwas ändern werde, da die SCs, die ich wahrscheinlich auswählen werde, der Familie eng verbunden sind. Diese würden den Leichnam wohl heimlich ins leere Grab schaffen.
Hmm… sind die gebundenen Abenteuer schon ausverkauft? Der Shop bietet mir nur ein PDF an. :/
Ja, die gedruckte Version ist bereits ausverkauft.
Was ist eigentlich aus den Einsendungen zum Rollenspiel-Sex-Regel-Spenden-Wettbewerb (RSRSW) geworden? 🙂
Oh! Glatt verpennt.
Danke Siebenstreich für die Erinnerung. Hier das Ergebnis:
Aufgrund von 0 (in Worten: Null) Regeleinsendungen ergeben sich folgende Tatsachen.
1. Der Bedarf nach Sex-Regeln ist in der Community offenbar geringer als gedacht.
2. Der ausgelobte Preis verbleibt in meinem Rollenspielregal. Bis zum nächsten spontanen Gewinnspiel.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich zwar ne Idee hatte, diese aber dann auch ganz vergessen hatte, frei nach dem Motto: „Ach, das ist ja noch einen Monat hin…“
Naja, dann muss ich mich eben das nächste Mal rechtzeitig aufraffen. 🙂
Spät, aber da einmal geleitet: Gerade der Sprung vom „Machen Sie Witze drüber“ zum „Das ist echt übel und widerlich“, ist doch der großartige Twist des Abenteuers. Es geht darum, dass der anfängliche Tittenwitz in der Lunge und der Blaswitz im Hals stecken bleibt. (Ähnlich, wenn auch ohne expliziten Sex, funktioniert auch die Dramaturgie in „Jenseits des Lichts“). Heißt: Wenn aus der bösen Orgie in den Namenlosen Tage zuerst ein pubertärer Sex-Witz wird, dann aber das Grauen den Humor überschattet und es wirklich überhaupt nicht mehr witzig ist, dann funktioniert es doch.