Gastrezension von Siebenstreich
Nun ist es also soweit – nach dem sagenumwobenen Myranor und dem verfluchten Riesland hat sich die DSA-Welt an den letzten verbliebenen Kontinent gewagt: Uthuria, das Schwarze Land, Heim der 12 000 Götter.
Im Frühjahr 2014 ist der abschließende Teil der (ersten?) großen Uthuria-Roman-Trilogie Die Rose der Unsterblichkeit erschienen. Im Ulisses-Blog ließ André Wiesler die letzten zwei Jahre Revue passieren. Und so will ich als Leser mit dieser Rezension auch versuchen, das Romanprojekt zusammenzufassen. Ich möchte mich dabei von Außen nach Innen vorarbeiten und versuchen, auf jeden einzelnen Teil kurz einzugehen, ohne etwas vorwegzunehmen.
Fangen wir mal ganz banal an und fragen uns, was denn nun eigentlich eine Dampfmaschine ist. „Es wird Romane zu der Entdeckung des Südkontinents geben. Der Autor ist André Wiesler“.
Damit assoziiere ich spontan mehrere Dinge. Erstens: Die Bücher sind dazu gedacht, um Spieler für Uthuria zu begeistern. Ist ja auch verständlich, denn soweit ich weiß, haben die verschiedenen Ableger von Aventurien nie die Popularität des Mutterkontinents erreicht. Zweitens: Ist dies geschafft und der potenzielle Käufer von der Notwendigkeit eines neuen Kontinents überzeugt, haben die Romane zudem noch die Funktion, Spielleitern ein paar Ideen für die Umsetzung der Überseereise und der anschließenden Kolonisation mit auf den Weg zu geben. Dies geht Hand in Hand mit dem dritten Punkt: Ich erwarte, dass es sich hierbei auch wirklich um einen DSA-Roman handelt, also dass Magie, Götterwirken und Technik mit dem Regelwerk (mehr oder weniger) konform sind. Und viertens sind da die Forderungen, die ich an jeden Roman stelle: eine innovative Geschichte, durchdachte, charismatische Charaktere, viel Spannung – und wenig Rechtschreibfehler. Dass es sich bei Wiesler um ein schreiberfahrenes Mitglied der DSA-Redaktion handelt, ist daher eindeutig von Vorteil.
Die Bücher, jedes ungefähr 300 Seiten lang, kosten jeweils 11,95 Euro. Das ist nicht gerade billig, doch ein Blick auf die Titelbilder stimmt gleich wieder versöhnlicher: jedes der drei Cover ist sehr gut gemacht und zugleich stimmungsvoll. Und auch die Namensgebung (Schwarze Perle, Schwarze Segel, Schwarzes Land) hat mir wegen der sinnigen Kontinuität gefallen.
Im Inneren der Bücher erwarten den Leser sowohl Karten als auch ein Personenregister und ein Glossar. So sehr ich diese Idee mag, so enttäuscht war ich von der Umsetzung. Die Qualität der Landkarten war, nicht nur aufgrund der geringen Größe, eher durchwachsen, und auch der Nutzen hat sich mir nicht ganz erschlossen, denn beim Lesen helfen die Zeichnungen wenig weiter, da es kaum eine wirkliche Reiseroute gibt. Das „Dramatis Personae“ und das Stichwortverzeichnis waren leider nicht vollständig und damit ebenfalls nicht überzeugend. In so einem Fall würde ich sagen: ganz oder gar nicht.
Beim Lesen fällt zunächst einmal die Rechtschreibung negativ auf, doch zum Glück wird es im Laufe der Geschichte kontinuierlich besser: während der erste Teil vor Buchstabendrehern und Tippfehlern nur so strotzt, ist die Anzahl der Rechtschreibfehler im dritten Teil auf ein erträgliches Maß abgesunken.
Zum Inhalt
Schwarze Perle beginnt, wie der Name schon sagt, in Al’Anfa. Der Patriarch teilt dem Rat der Zwölf seinen Entschluss, Uthuria zu besiedeln, mit. Gesagt, getan, in den folgenden Kapiteln werden die Mannschaften rekrutiert. Stellvertretend für den Rest werden hier die Protagonisten eingeführt, u. a. der Gladiator Alrik als Kämpfer, die Waldmenschenkriegerin Wahelahe als erfahrene Dschungelführerin, der Gelehrte Marfan als wissenschaftlicher Experte, die Geweihte des Meeresgottes Efferia als geistlicher Beistand und der verwöhnte Grande Karas als inkompetenter Anführer des ganzen Haufens. Kurz darauf sticht die Flotte auch schon in See. Wiesler setzt bei seiner Erzählung ein hohes Tempo an und überspringt gerne einmal mehrere Wochen, um unwichtige Passagen auszulassen. Dieser szenenhafte Charakter tut den Büchern jedoch gut, denn so ist sichergestellt, dass der Fokus auch wirklich auf den interessanten Ereignissen liegt.
Der Rest des ersten Buches beschäftigt sich mit der Überfahrt und geht damit nahtlos in Teil Zwei, Schwarze Segel, über. Auch hier werden vorrangig die Schiffsreise und die damit verbundenen Komplikationen beschrieben. Ich finde es gut, dass die Anreise so ausführlich geschildert wird, denn ein einfacher Satz wie „Nach Monaten auf See erreicht man Uthuria“ würde der Exotik des Südkontinents nicht gerecht werden. Als endlich Land in Sicht kommt, wird man nicht enttäuscht: das Land der 12 000 Götter hält mehr als genug Wunder bereit, von denen die Rose der Unsterblichkeit sicher das eindrucksvollste ist. Doch ganz so rosig ist das Leben im scheinbaren Paradies nicht, eher dornig. Nicht nur kriegerische Eingeborene und fremdartige Krankheiten machen den Siedlern zu schaffen, sondern auch Sabotageakte von Verrätern in den eigenen Reihen.
Und so müssen sich die Siedler in Schwarzes Land ihr tägliches Brot hart verdienen und stehen mehr als einmal am Rande der Vernichtung. Aufgrund innerer Konflikte und dem Rufen einer unbekannten Entität folgend, begibt sich schließlich eine Expedition weit ins Landesinnere. Damit endet die große Trilogie und macht Platz für die Regionalkampagne Grüne Hölle, in der die Leser den Südkontinent auf eigene Faust ergründen können.
Das war in groben Zügen die Handlung. Wie sieht es mit der Umsetzung aus? Zunächst einmal hat Wiesler eine Menge guter Ideen und zeigt dadurch sehr viel Liebe zum Detail. Leider vergibt er damit auch viele Chancen, denn einige Ansätze, die durchaus mehr Potenzial haben, werden nur einmal erwähnt und danach nie wieder aufgegriffen. Zwei Beispiele:
Eine Seuche auf den Feldern greift um sich. Man verbrennt die betroffenen Früchte, macht weiter und Punkt. Das war alles.
Jemand vergiftet die Tempelvorräte. Treusorg (ein mysteriöser Fana, dessen Geheimnis im dritten Teil endlich gelüftet wird und sehr passend ist) wird darauf angesetzt und Punkt. Das war alles.
Auf der anderen Seite zeigen sich mehrere Parallelen zu Diskussionen im Ulisses-Forum. Diese (wenn auch vermutlich eher unabsichtlichen) Anspielungen fand ich sehr stimmungsvoll. Auch hier zwei Beispiele: für DSA5 wurde u. a. angeregt, das Volk der Kemi aus dem Kanon zu streichen. Der Protagonist Alrik entstammt genau dieser Kultur, was ich als ein sehr gutes Mittel sehe, um diesen Volksstamm in ein positives Licht zu rücken. Ebenfalls in der Diskussion war, Rastullah als karmaspendende Entität zu sehen, und im Roman findet sich auch etwas, was ein Wunder des Wüstengottes gewesen sein kann.
Götter sind hierbei das Stichwort für den Phantastischen Realismus. Wie wurden die übersinnlichen Aspekte von DSA, also Magie und Götterwirken, in die Geschichte eingebaut? Die Antwort lautet: Leider wenig überzeugend und zu unausgeglichen. Im zweiten und dritten Band kann man sich als Leser vor Wundern, Dämonen und Zaubern kaum noch retten. Auch wenn Uthuria das Land der 12 000 Götter ist, war das zu viel des Guten, denn die Protagonisten verkommen stellenweise zu Spielbällen ihrer jeweiligen übernatürlichen Gönner. Leider sind auch nicht alle Handlungen durch das Regelwerk abgedeckt, so dass man als regeltreuer Leser den ein oder anderen Brocken schlucken muss (wie etwa einen Paktierer, der in aller Seelenruhe einen düsteren Zauber in einem Tempel der Zwölfe wirkt).
Dabei hat alles ganz anders angefangen, denn im ersten Buch werden göttliches Wirken oder Zauber kaum beachtet. Diesen krassen Gegensatz fand ich leider nicht sehr stimmungsvoll. Außerdem ist es wenig überzeugend, dass während der Überfahrt vergiftete Trinkfässer zu einem echten Problem werden (nicht nur, weil Efferia ein paar Seiten davor ein paar Eingeborene beeindruckt hat, indem sie abgestandenes Wasser trinkbar gemacht hat). Denn während die irdische Seefahrt keine Wege kennt (bzw. kannte), um Wasser einzulagern, ist es in Aventurien mit einfachen Zaubern und Liturgien möglich, Nahrung zu reinigen. Im Gegenteil, ich würde vom Ausstatter der Expedition erwarten, dass er sich schon im Voraus genau überlegt, welchen Gefahren der Reise man mit profanen, magischen oder klerikalen Methoden begegnen kann. Immerhin handelt es sich hierbei um eine Überseefahrt mit ungewissem Ausgang und unkalkulierbarem Risiko, und nicht um eine Praiostagsskreuzfahrt.
Diesen Eindruck erweckt die Geschichte jedoch mehr als einmal. Zum einen sind die Existenz Uthurias und eine Route dorthin scheinbar schon lange bekannt, auch wenn nie geklärt wird, woher man dieses Wissen hat. Es ist einfach da, gottgegeben, und dies nimmt der Expedition ein bisschen den Reiz des Unbekannten. Zum anderen vernachlässigt die Geschichte die ersten Schritte in der neuen Welt sträflich: Gerade sichtet man den langersehnten Südkontinent und ein paar Seiten weiter ist die Besiedelung bereit in vollem Gange. Dies nimmt der Uthuriafahrt, die als Entdeckerabenteuer konzipiert ist, den Wind aus den Segeln. Der Schwerpunkt hätte auf der Tatsache liegen müssen, dass es gelungen ist, einen Kontinent zu erreichen, der bisher nur aus alten Legenden, den prahlerischen Worten von Angebern und den Erzählungen scheinbar Wahnsinniger bekannt war. Für den Fortgang der Ereignisse und die damit aufgebaute Spannung mag es sehr wichtig sein, sofort weiterzumachen, aber ein paar überbordende Empfindungen beim Anblick des lang ersehnten Ziels (nach Monaten auf See, voller Gefahren und madenzersetztem Zwieback!) haben gefehlt. Mein Musikvorschlag: Conquest of Paradise von Vangelis. Aber anscheinend konnte es der Autor selbst nicht erwarten, sich endlich in Uthuria austoben zu können.
Apropos Austoben: Wen genau hat Al’Anfa denn eigentlich ausgeschickt, um sich mit den Schrecken des Südkontinents zu messen? Nun, bei den Charakteren handelt es sich um eine klassische Heldengruppe, bestehend aus Kämpfer, Wildniskundigem, Magier, Geweihtem und gesellschaftlich orientiertem Held. Jeder für sich ist dabei ein archetypischer Vertreter seiner Klasse, was jedoch nicht unbedingt schlecht ist, im Gegenteil, das Rollenspiel lebt ja von Klischees. An manchen Stellen schießt der Autor aber über das Ziel hinaus: der Kämpfer Alrik etwa macht Liegestütze auf zwei Daumen, zertrümmert Gegner am Liebsten mit seinen Ellbogen und hat dabei (glücklicherweise) weniger Schmerzempfinden als ein Hai im Blutrausch. Auf der anderen Seite verkörpert Karas mit seiner Unbekümmertheit, seinen anzüglichen Bemerkungen (und Handlungen) und dem Hang nach Vergnüg(ung)en das Bild des verwöhnten Grandensöhnchens perfekt. Und während die Waldmenschenkriegerin Wahelahe als Dschungelkundige zum festen Repertoire einer Expedition gehört, bleibt weiter fraglich, wie denn eine blutjunge und unerfahrene Geweihte wie Efferia anstelle eines hochrangigen Götterdieners auf eine so wichtige Reise geschickt wird. Insgesamt hält es sich also die Waage, und da die Protagonisten handwerklich gut gemacht und sympathisch sind, ist das vollkommen in Ordnung.
Zum Abschluss möchte ich noch kurz ein Wort zum Aufbau der Bücher verlieren. Während sich die ersten beiden Teile vom Handlungsbogen her an klassischen Beispielen orientieren, hat Wiesler für das Finale einen anderen Weg gewählt, der leider dem obligatorischen epischen Abschluss nicht gerecht wird. Auf Details möchte ich hier verzichten, um nicht zu viel vorwegzunehmen, aber ich fand das Ende etwas ungeschickt. Der Leser wartet die ganze Zeit auf etwas, das nie kommen wird.
Und trotzdem hat es Wiesler geschafft, mich für den Südkontinent zu begeistern. Gerade weil die Geschichte im dritten Teil so aufgebaut ist, wie sie ist, bleibt mehr als genug Zeit, um die Expedition durch Uthuria zu einem zwar romantisch verklärten, aber doch Fernweh (oder Spielreiz) weckenden Reisebericht werden zu lassen. In dieser Hinsicht ist der dritte Teil ein voller Erfolg.
Fazit
Uthuria ist besiedelt, die Existenz der Kolonie Porto Velvenya fürs Erste gesichert.
Ein Blick über die Schulter zeigt, dass kaum eines der Mysterien Uthurias gelüftet wurde, im Gegenteil, es werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Wahrscheinlich wurde gerade einmal an der Oberfläche gekratzt, so dass das Potenzial des Südkontinents noch voll ausgeschöpft werden kann. Dies bestätigt auch der Blick nach vorne: Sowohl die unbekannte Tier- und Pflanzenwelt als auch die fremdartige Magie warten auf tapfere Entdecker. Als Ideengeber für Grüne Hölle eignet sich die Romanreihe aber auf jeden Fall.
Und so bleibt die Frage: brauche ich Uthuria oder genügt es, wenn ich in Meridiana ein wenig improvisiere? Jemand, der sich überhaupt nicht mit dem Dere-Globus auseinandersetzt, mag es sicher schaffen, Uthuria auch auf Aventurien lebendig werden zu lassen. Wen es aber nur ansatzweise interessiert, dass quasi jeder Fleck Dschungel maximal 100 Meilen von der nächsten Großstadt entfernt ist, wird merken, dass es unmöglich ist, ein „bis dahin unbekanntes, von der Außenwelt abgeschottetes Tal“ à la Verlorene Welt in dieses Gebiet einzubauen. Außerdem ist es viel stimmungsvoller, wenn die Helden fernab von daheim unterwegs sind. Würde in Aventurien ein neues Land erschlossen werden, würde eine Großmacht wie Al’Anfa sicher ganze Legionen in Bewegung setzen, um es zu unterwerfen. In Uthuria, wo die Anzahl aller Siedler nicht mal die Truppenstärke von 1000 Mann erreicht, ist das undenkbar. Darüber hinaus macht gerade die lange Anreise einen großen Reiz aus, frei nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“. Auf der Reise nach Uthuria kann man sich mehr als einmal verfahren, und wer weiß, was auf diesem abgelegenen Eiland am Horizont wartet?
Bewertung
Unter den neun Einhörnern – ja, es haben sich alle versammelt, denn trotz der winterlichen Natur der Tiere will jedes Einzelne bald selbst den Südkontinent entdecken – entbrennt ein wilder Streit um die abschließende Benotung. Zu den Pros zählen die spannende Geschichte, der gute Erzählstil, die sympathischen Charaktere und die vielen kreativen Einfälle. Auf der Contra-Seite dagegen sind die mangelnde Berücksichtigung des Regelwerks, der ungeschickte Aufbau des dritten Teils, der teilweise unpassende Fokus und die (zu) vielen offenen Handlungsstränge zu nennen.
Nach den hesindegefälligen Disputen kommt es zu korgefälligen Hand-, pardon, Hufgreiflichkeiten. Als sich der Staub wieder legt, ist eines der Einhörner nicht mehr auf den Beinen. Ein weiteres Einhorn erleidet einen Schwächeanfall, ausgelöst durch eine ungesunde Mischung aus Tippfehlern und lückenhaften Anhängen.
Somit bleiben 7 Einhörner, die die Trilogie gelesen und dabei (passend zur brutalen Fauna und Flora Uthurias) Blut geleckt haben.
Wir danken Siebenstreich für die Gastrezension!