Eine Verbotene Kammer, eine Ewige Mada… zur angekündigten Trilogie der Wächter des Imperiums aus der Feder von Mháire Stritter fehlt da noch ein Teil. Dieser wurde Anfang 2014 in Zusammenarbeit mit Nico Mendrek unter dem Titel Das Sterbende Land geliefert, und da Einhorn Josch zwischenzeitlich ins Lager des schreibenden Feindes übergelaufen ist (das Impressum führt ihn unter „kreative Unterstützung“), wird die Rezension von mir übernommen.
Das Abenteuer wird aufbereitet auf 224 Seiten und geschmückt mit diversen Bildern, deren Qualität ich als durchwachsen bezeichnen würde – größtenteils mäßiger Durchschnitt, Ausreißer gibt es nach oben wie nach unten. Komplexere Örtlichkeiten werden mit verständlichen Plänen versehen, und auch die bei der Ewigen Mada fehlenden Karten der bespielten Gegend und des Gruppenluftschiffs werden nachgeliefert. Negativ ist bei den Formalia hingegen das Korrektorat zu vermerken: Was auf der Titelseite mit „Eine Myranorkampagnenband von Mháire Stritter, Nico Mendrek“ beginnt, wird im Band leider gnadenlos fortgesetzt. Dabei werden die Fehler nie so schlimm, dass das Verständnis des Textes leidet, doch der Lesespaß wird schon etwas getrübt – was angesichts des sonst sehr angenehmen Schreibstils doppelt schade ist.
Regeltechnisch habe ich zwei Eulen mit dem Abenteuer zu rupfen: Zum einen wird relativ häufig Handwedelei betrieben, was übernatürliche Wirkungen angeht. Sicherlich ist Myranor hier nicht so detailreich ausgearbeitet wie der aventurische Kontinent, aber gerade durch die extrem flexiblen Optionen der Charaktere, die sich einem Problem von diversen Seiten nähern können, erscheint es mir wichtig, festzuklopfen, was hinter einem magischen Effekt steckt, um zum Beispiel die Wirksamkeit von Analyse- oder Antimagie nicht ganz dem Improvisationsgeschick des Spielleiters zu überlassen. Zum anderen sind da die NSCs und ihre Wertekästen. Man kann gewiss darüber streiten, welche Eigenschaften und Kampfwerte für Meisterpersonen passend sind, doch insbesondere bei den Gegnern wirken die Werte recht willkürlich gesetzt – so gibt es zum Beispiel die im Rudel auftretenden Hetzratten, deren Gift einen Helden bei einem einzigen Treffer binnen weniger KR vollständig lähmt (und dabei den meines Wissens vierten Regelmechanismus für ein Lähmungsgift in DSA entwickelt). Auf der anderen Seite stehen dann die Elitekrieger der Draydal, die keinerlei Kampf-SFs besitzen, und ein aufgemotztes Skelettkonstrukt, welches mit Kampfwerten von AT/PA 14/7 und 43 LeP allein als glaubwürdige Bedrohung für die Gruppe dienen soll. Auch im Abenteuer finden sich einzelne Schnitzer, was zum Beispiel Talentproben auf nichtexistente Werte wie „Vortrag“ angeht. Wenn den Spielern die Regelmechanik des Abenteuers nicht egal ist, empfiehlt es sich, die Werteblöcke komplett neu zu schreiben und an die eigenen Vorstellungen anzupassen.
Apropos Gruppe: Das Abenteuer „ist geeignet für alle Charaktere, es sei denn sie werden von Hira gespielt“. Dem würde ich wohl zustimmen, große Momente kann man hier so ziemlich jedem angedeihen lassen. Einzig Wildnisspezialisten könnten sich überflüssig fühlen, weil man zumeist per Luftschiff reist. Mindestens ein Streunercharakter ist angesichts der drei heimlich zu bereisenden Städte hingegen sehr angeraten. Laut Buch ist das Abenteuer für „erfahrene“ Charaktere geeignet, allerdings wird regelmäßig in den Spielwerten auf die Option eingegangen, es auch mit Neulingshelden zu bestreiten. Davon möchte ich abraten, wenn man den Plot nicht der Lächerlichkeit preisgeben will: Vom Grad der Epik ist die Kampagne locker mit dem Jahr des Feuers zu vergleichen – wenn man da die daimoniden Supersoldaten des Feindes auf 1W6+3 TP runterregeln muss, wird es doch eher albern. Lohnender erscheint es mir, das Abenteuer als krönenden Abschluss einer myranischen Heldengruppe zu spielen und bei Bedarf noch auf Expertenniveau heraufzusetzen. Wenn man keinen Zauberer mit plotsprengenden Fähigkeiten dabei hat und die Spielwerte entsprechend anpasst, sollte das problemlos machbar sein, zumal dann auch der Spielleiter gewisse NSCs mit drittem Auge nicht gar zu sehr ausbremsen muss, um die SCs nicht zu deren Wasserträgern zu degradieren.
Schließlich werden Möglichkeiten vorgestellt, die Geschehnisse als Einzelabenteuer zu verwursten. Die mögen auch funktionieren, aber aus meiner Sicht verliert das Ganze durch die fehlende Vorgeschichte deutlich an Reiz. Man merkt hier ganz klar, dass man in einem lang aufgebauten Finale steht, dessen Dramaturgie immer wieder auf die Ereignisse der Vorgängerbände zurückgreift.
Prolog
Der Prolog, der wohl eigentlich eher ein Interlog ist, greift direkt die Geschehnisse der Ewigen Mada auf: Auf dem Thron Xarxarons sitzt eine Optimatin des verfemten Hauses Chrysothéos in der Gestalt der echten Magokratin, während diese gerade erst aus ihrem Zwangsurlaub als Schwalbe zurückverwandelt wurde. Es wird Kriegsrat gehalten, um diesen Zustand zu ändern: Eine Waffe wird benötigt und der lokale Experte zum Thema Chrysothéos, ein gewisser Korysthenes do Tharamnos, soll sie beschaffen, weswegen zunächst er von den Helden beschafft werden soll. Das war es dann auch mit dem Prolog, der allerdings noch einen erwähnenswerten Kasten enthält. In diesem werden Vorschläge präsentiert, wie man die Helden etwas persönlicher einbinden kann, und hier entwickeln sich auch die Stärken des Abenteuers – dafür, dass es sich um ein Buchabenteuer handelt, wird sehr häufig versucht, einen Bezug zu den einzelnen Helden herzustellen, diese in das Beziehungsgeflecht der Spielwelt einzubinden und ihnen je nach Charaktertypus einzelne Glanzpunkte zu geben, wenn etwa der Kämpfer mit dem fiesen feindlichen Kommandeur einen Erzfeind aufgebaut bekommt, der Gruppenschönling eine Affäre mit einer Optimatentochter anfangen und ein Optimat in ihrem Vater einen Diskussionspartner oder Mentor finden kann.
Der Untergang von Imachora
Mit dem Luftschiff geht es ab nach Imachora, einer kleinen im Niedergang befindlichen Stadt am Rande Xarxarons. Die Aufgabe der Helden ist hierbei, Korysthenes, den Herrscher der Stadt, zu finden und ihm einen Brief der Magokratin zu überreichen. Das klingt erst einmal simpel, doch die Aufgabe wird dadurch erschwert, dass zum einen die grundlegende Paranoia des Optimaten in den letzten Tagen nochmal einen ordentlichen Schub erhalten hat und zum anderen (wenn man das Vorgängerabenteuer Die Verbotene Kammer gespielt hat) einer der Charaktere Korysthenes bereits einmal beklaut hat und nun an den Ort seines Verbrechens zurückkehren muss.
Nachdem man sich irgendwie in die abgeriegelte Stadt hineingeschmuggelt hat, gilt es, in die Bibliothek einzudringen, in der der Optimat aktuell neue Fallen installiert. Drei Wege (und diverse wahrscheinliche und unwahrscheinliche Abwandlungen) sind im Buch beschrieben und in ihren Auswirkungen skizziert: Man kann sich entweder einschleichen oder mit Gewalt vorgehen – oder aber man meldet sich freiwillig als Tester für die erwähnten Fallen, was einen kurzweiligen Rätsel-Dungeoncrawl nach sich zieht. Am Ende steht man jedenfalls vor Korysthenes und erfährt den Grund für dessen Paranoia: In seinem Besitz befindet sich die Triopta des Carophyrdes san Chrysothéos, welche den Weg zum plotlösenden Artefakt des Bandes weisen wird.
Besagte Triopta wird aber noch eine Weile auf ihren Einsatz warten müssen, denn zunächst rückt mit uhrwerkartiger Präzision der Häscher der Helden an: Der Fiesling Tacarus ist doch nicht ganz so tot, wie die Helden nach dem letzten Band glaubten, und tritt ihnen an der Spitze einer Armee entgegen, die Imachora niederbrennen und die Maske aus den Trümmern bergen soll. Insofern gilt es, sich zunächst mit Korysthenes zu verständigen – ein sehr reizvolles Szenario, in dem für jedes Argument der Helden, warum sie eigentlich auf der selben Seite stehen, der Nishkat des Optimaten seinem Meister Widerworte einflüstert, genau wie auch der Band dem SL an dieser Stelle passende Gegenargumente liefert. Schaffen es die Helden schließlich, Korysthenes zu überzeugen, dass doch alle im selben Luftschiff sitzen, trifft dieser sich mit Tacarus, der seine Forderung nach der Maske übermittelt, eine Stunde Bedenkzeit gewährt und wieder abzieht. Okay. Selbst mit drei Schutzartefakten und vier Daimoniden Leibgarde: Hände hoch, wer glaubt, dass die SCs ihn das nach den Geschehnissen des letzten Bandes einfach so überleben lassen? Niemand? Nein, ich auch nicht. Hier sollte der SL vielleicht lieber auf einen anderen Unterhändler zurückgreifen, eventuell auch mit einem Artefakt für Telepräsenz im „krisseliges Star Wars Hologramm“-Stil ausgestattet, wenn man den Spielern nicht den Blick auf ihren Hassgegner verwehren will – so kann man auch das Ausmaß seiner Verletzungen aus dem letzten Band geheimhalten und beim nächsten Treffen noch ein paar Schockeffekte erzielen.
Der Rest des Kapitels besteht aus der Flucht aus der Stadt, wahlweise noch garniert und durch entsprechende Szenen vom Buch unterstützt mit den Elementen „Evakuierung der Zivilbevölkerung“, „Verfolgen/Einfangen/Retten des Magokraten“ (falls es nicht gelang, Korysthenes zu überzeugen) und „Big Damn Heroes“, wenn das Luftschiff in letzter Sekunde die Helden abholt.
Das Sterbende Land
Das zweite Kapitel des Bandes beginnt mit einer im wahrsten Sinne des Wortes hautnahen Geschichtsstunde: Wer die gerettete Triopta des Carophyrdes aufsetzt, erhält eine Vision seines darin zurückgelassenen Geistes. Hier sollte man gut aufpassen, wer die Maske abbekommt, denn damit ist ein sehr schön ausbaubarer Privatplot verbunden – im Folgenden wird der vor langer Zeit verstorbene Carophyrdes versuchen, aus dem Träger seinen Erben zu formen. Da die genauen Konsequenzen für die SCs zu diesem Zeitpunkt kaum abzusehen sind, würde ich empfehlen, die Wahl des Trägers durch Korysthenes zu beeinflussen. So kann man einen Spieler erwischen, der einerseits bisher wenig in die Subplots eingebunden ist und andererseits Freude an verquer-sadistischen Traumsequenzen hat, denn das, was er durch die Maske zu spüren bekommt, gehört mit zum morbidesten, was ich bisher bei DSA gelesen habe. Und das meine ich absolut positiv.
Etwas abgekürzt: Carophyrdes san Chrysothéos war einer der Optimaten, die für die Vereinigung seines Hauses mit den Draydal gesorgt haben – ein Ereignis, über das er sich mit seiner Schwester Isphirmene entzweite, deshalb diese zu Stein verwandelte und so die Voraussetzungen für die Ereignisse der Ewigen Mada schuf. Am Ende seiner Tage errichtete er einen Pilgerpfad, basierend auf den Geschehnissen seines Lebens, der ihm dazu dienen soll, einen würdigen Nachfolger zu finden, der Carophyrdes‘ Ea’Myr als Waffe führen und mit der Lebenskraft seiner Schwester (und dem Rest der Welt) füllen kann. Dem Träger der Triopta wird sich dieser Pfad nach und nach offenbaren.
Dementsprechend handelt es sich beim Rest des Kapitels um insgesamt sechs Wegstationen in der Anthalischen Savanne zwischen Xarxaron und Draydalân, die auf 80 Seiten beschrieben und eine nach der anderen abgegrast werden, wenn man nicht noch ein paar vom Hauptplot unabhängige Nebenquests einbaut, die quasi überall hinpassen.
Der erste dieser Orte entpuppt sich als kleine klosterartige Ansiedlung, die zurzeit leichte Probleme mit einer schwebenden Vinshina-Stadt hat, da letztere erstere niederbrennen möchte. Ob es wohl ein derisches Naturgesetz ist, dass alle fliegenden Städte früher oder später eine auf dem Erdboden verbliebene Siedlung ebendiesem gleich machen möchten? Zumindest haben die Vinshina einen recht nachvollziehbaren Grund dafür, da anscheinend einige ihrer Angehörigen im Kloster festgehalten werden. Das ganze entpuppt sich, wenn die Helden ein wenig vermitteln, als Kommunikationsproblem: Die Vinshina haben sich in den Tempel geschlichen und sind in eine Traumwelt gezogen worden, aus der sie die hiesigen Priester wahrscheinlich auch wieder rausgeholt hätten, wenn nicht im gleichen Zug andere Vinshina ein dafür notwendiges Artefakt geklaut hätten. Bedenkt man, dass das Abenteuer für Erfahrene Helden gedacht ist, könnte die Aufgabe ruhig ein wenig verzwickter sein. Macht aber nix, das eigentliche Abenteuer wartet ohnehin in der Traumwelt, wo die Charaktere mehr über die Vergangenheit von Carophyrdes und Isphirmene erfahren, sich einem Traumwächter stellen und schließlich einer Inkarnation von Carophyrdes mit Faible für Pädagogik zeigen dürfen, wie gut sie Fabeln im Sinne des Schädelgottes interpretieren können. Ist der zufrieden, entlässt er die Charaktere (samt Vinshina) aus der Traumwelt. Und weil das noch nicht ätherisch genug war, darf sich ein Charakter auch von der Maske die zweite Vision abholen, die die Gruppe zum nächsten Wegpunkt führen wird. Bevor es aber dahin geht, können die Helden noch die vom Chrysothéos-Optimaten geschändete Leiche eines Chrysir-Priesters entdecken und ihm eine für’s Finale wichtige Waffe abnehmen, wenn sie denn auf die Idee kommen, sein Grab zu öffnen. Dieses ist zwar eher zweifelhaft geweiht, aber die Exhumierung samt Waffenklau sehe ich irgendwie nicht so recht kommen – die Autoren wohl auch nicht, weswegen hier eine weitere Kurzvision eingebaut werden kann. Spätestens jetzt sollten die Charaktere nach Meinung Helmut Schmidts wohl zum Arzt gehen, dem SL würde ich eher empfehlen, die Hinweise auf die Waffen anders zu streuen. Beispielsweise könnte Korysthenes die Waffen der Priester aus Legenden kennen und den Helden davon berichten, so dass man im Tempel selbst nur noch einen der hiesigen Priester von dem mit Waffe bestatteten Leichnam erzählen lassen muss.
Station 2 des Pilgerpfades ist ein altes Schlachtfeld. Genauer: Viele alte Schlachtfelder, die alle am gleichen Ort liegen, denn wenn man sich die mitgelieferte Liste anschaut, kommt man nicht umhin, zu überlegen, ob es in Myranor auch nur eine Kneipenschlägerei gibt, deren Teilnehmer ihre Streitigkeiten nicht auf diesem Feld geklärt haben. Das resultiert in einer sehr coolen Landschaft, in der man sich am Tag durch die Überreste uralter Kriegsmaschinen bewegt, Sumpflöchern ausweicht und Untote (und anderes Gekröse) im Nebel verprügelt, während man nachts, sobald der exakte Ort gefunden ist und ein paar Geistererscheinungen überstanden sind, den nächsten Teil der Vision abgreifen kann. Im Morgengrauen darf sich die Gruppe schließlich noch mit einem halben Titanen, einem ursprünglich acht Schritt hohen arkanomechanischen Battlemech, herumprügeln, der von der geknechteten Seele eines der gesuchten Geweihten gesteuert wird. Im Kampf ist dieser nur schwer zu bezwingen, er lässt sich allerdings auch schlicht abschalten, wenn ein mechanisch begabter Held in sein Inneres klettert – schöne Idee. Dass die Helden hingegen nach erfolgreichem Kampf noch nach der metertief vergrabenen Leiche des Geweihten und dessen Waffe suchen, erscheint mir weniger wahrscheinlich. Simpler wäre es da, beides im Titanen selbst zu platzieren. So oder so werden sich die Helden danach sicherlich auf den Weg zum nächsten Ziel machen.
Dieses entpuppt sich als verlassene Stadt, die einst von Carophyrdes für seine Familie gegründet wurde, bevor sie vom Imperium erobert und massakriert wurde. Carophyrdes besiedelte die Stadt daraufhin neu mit Ghulen, die Szenen eines normalen Stadtlebens fast museumsartig imitieren sollen. Die gespenstische Atmosphäre zu halten, stellt sich mir hier als Gratwanderung dar: Wenn es klappt, dürften die Spieler angenehm angeekelt von der völlig verderbten Weltsicht des Optimaten sein – kippt die Stimmung aber, mag zum Beispiel der Ghul in der Hundehütte (es handelt sich um den nächsten Priester, diesmal auch etwas leichter zu finden) eher zur Erheiterung beitragen. Die Gefahr des Ortes besteht in erster Linie aus einer Draydal-typischen Todesaura, die im Zentrum der Stadt allen Lebewesen die Kraft aussaugt. Wo müssen die Helden natürlich hin, um die nächste Vision abzufassen? Genau. Besonders elegant: Die hiesige Todeszone ist relativ klein und gut zu überwinden, führt aber die SCs an die Problemstellung heran, dass sie derartigen Zonen gegebenenfalls häufiger begegnen werden und sie sich daher besser jetzt Lösungsmöglichkeiten überlegen.
Das vierte Reiseziel ist Myriadopolis, eine mit Xarxaron verbündete, stark militaristische Stadt, die sich dem Kampf gegen die Draydal verschrieben hat. So weit, so gut, doch leider wurde die Stadt vor kurzem effektiv von den Myriaden Xarxarons besetzt, so dass man sich doch wieder hineinschleichen darf. In der Stadt gibt es zwei Missionen: Zum einen darf man sich wieder eine Vision abholen, die einen an der Gedenkstätte eines Massengrabes in der Stadt überfällt. Keine Todeszone, keine Fallen, nichtmal eine verschlossene Tür – dafür aber ein völlig offener Platz in einer absolut anti-draydalischen Stadt, in der man sich irgendwie die Maske eines Chrysothéos-Optimaten überstülpen und ein paar Minuten Vision überstehen muss, ohne dass einen die anwesenden Myrmidonen einen maskierten Kopf kürzer machen. Eine sehr interessante Herausforderung, die ich in der Form auch noch nicht gesehen habe. Der zweite Teil des lokalen Plots, den die Helden ignorieren können, aber nicht unbedingt sollten, ist das von der falschen Magokratin errichtete „Ertüchtigungslager 13“, in dem besonders tatkräftige (und Isphirmene missliebige) lokale Krieger eine „Spezialausbildung“ erhalten, die tatsächlich aber darin besteht, zu Daimoniden umgeformt zu werden. Im Idealfall sollten die Helden das aufdecken, damit die Stadt zur Rebellion führen und dabei noch ein Massaker an den Myrmidonen Isphirmenes verhindern, die von dem Geschehen ebenso angewidert sind, aber schnell Opfer des Volkszorns werden könnten, wenn man sie nicht zum Desertieren überredet. Insgesamt ein tolles Szenario, das gerade die Themen von monströsen Menschenversuchen und deplazierter Loyalität schön aufgreift.
Nachdem die Charaktere schließlich Myriadopolis hinter sich gelassen haben, folgt als nächste und vorletzte Etappe ein Tempel am Rande des Pardirdschungels. Dort wartet auf die Helden das Orakel von Iskarath, eine fiese Spinne, die als Tribut die Gesichter der Fragesteller fordert. Apropos Tribut: Könnte das eine Anspielung auf jemanden sein? Sollten die Helden verständlicherweise an ihrer Fähigkeit zum Facepalm hängen, gibt es auch noch eine andere Möglichkeit: In einer Vision müssen sie sich jeweils ihrer Angst stellen und darüber triumphieren. Erneut zeigt hier der Band seinen Willen, auf die einzelnen Helden einzugehen, da hier locker acht Prüfungen für die unterschiedlichsten Charaktertypen aus dem Ärmel geschüttelt werden, zugeschnitten auf Soldaten, Schamanen, Einzelkämpfer, Geweihte und andere. Bestehen die Charaktere ihre Questen, haben sie sich einen Orakelspruch erkauft, der sie zu Carophyrdes‘ Grab führen wird – völlig ohne weitere Vision. Ja, das gibt’s.
Der Endspurt des Kapitels beginnt bei Carophyrdes‘ Grabmal, was das Abenteuer zum Anlass nimmt, noch ein paar neue Fraktionen ins Spiel zu werfen: Der aus der Verbotenen Kammer bekannte Gylderianius ti Tharamnos samt Miniheldengruppe ist den Charakteren auf der gleichen Pilgerfahrt bisher stets einen Schritt voraus gewesen, wird nun aber von ihnen eingeholt und kann zum Bündnis überredet werden. Im Grab wartet noch eine letzte von Carophyrdes eingesetzte Wächterin, von draußen greifen nach kurzer Zeit Draydal an, und am Horizont naht Tacarus. Carophyrdes‘ Auge an sich zu bringen ist insofern tatsächlich ziemlich einfach – nur das Behalten stellt sich recht schwer dar, zumal Korysthenes damit durchbrennen will und Tacarus‘ Myrmidonen fast in die Arme läuft. Der ideale Kapitelabschluss ist dann auch, dass die Helden gefangengenommen werden, bevorzugt von den Draydal. Wer sich jetzt als Meister bei dem Gedanken an eine Heldengruppengefangennahmenerzwingung nicht nur ob des Wortes die Haare rauft, kann zumindest halbwegs aufatmen: Erstens findet die Gefangennahme wahrscheinlich statt, während die Helden an der Strickleiter des ohne ihr Wissen übernommenen Luftschiffs hängen und sich tatsächlich nicht allzu gut wehren können, und zweitens ist die Gefangennahme zwar der einfachste Weg, um den Plot weiterzuführen, aber nicht der einzige. Hakelig wird es nur, wenn die Charaktere tatsächlich von keiner Partei gefangengenommen werden, aber ihr Luftschiff verlieren, denn dann darf man sich überlegen, wie sie die 500 Meilen zum nächsten Abschnitt in vernünftiger Zeit zurücklegen.
Der Unendliche Abgrund
Nach dem letzten Mammutkapitel, das sich locker über ein paar Wochen Ingamezeit erstreckt, ist das nun folgende extrem kurz. In der nah an Xarxaron gelegenen Höhlenbasis der Draydal bereiten diese gerade einen Angriff auf das Horasiat vor, als die SCs entweder als Gefangene oder auf Rettungsmission ankommen. So oder so werden sie vermutlich verwundert darüber sein, dass es statt in die Folterkammer zu einem Abendessen geht – in der Tradition aller Bondschurken möchte der Ephore Parthras Turam die Charaktere näher kennenlernen und durch kulinarische Köstlichkeiten eine philosophische Diskussion über die Vorteile von Massenopferungen auf seine Seite ziehen. Ohne es zu wissen, sind die Helden bei den Draydal nämlich mittlerweile Berühmtheiten geworden, da sie dem Pfad ihres Heiligen gefolgt sind. Deswegen genießen sie auch im Lager beinahe Narrenfreiheit, solange sie nicht gerade zu fliehen versuchen, was sie aber natürlich tun sollten. Ziel dieses Abschnitts ist es, die restliche Crew zu befreien, eventuell das von Turam einkassierte Ea’Myr zurückzuholen und auf dem eigenen Luftschiff abzuhauen, wobei auch je nach Ausgangsvoraussetzungen ganz andere Zielstellungen möglich sind – beispielsweise kann man sich zum Schein den Draydal anschließen und auf dem Weg nach Xarxaron sein Luftschiff wieder kapern.
Wirklich spaßig wird es aber sowieso erst, wenn die Helden, verfolgt von den Draydal-Luftschiffen, die Höhle verlassen, draußen der alarmierten Flotte Xarxarons in die Arme laufen und im Chaos der folgenden Luftschlacht beiden entkommen müssen. Ist diese Szene 1:1 geklaut? Absolut. Macht sie trotzdem oder gerade deshalb einen Heidenspaß? Sowas von! Problematisch wird es nur, das ganze mit dem doch etwas langsamen DSA-Probensystem so rasant rüberzubringen, wie es der Stimmungsaufbau verlangt – hier rein auf Eigenschaftsproben auszuweichen, wie es die Autoren vorschlagen, schmeckt mir angesichts der schlechten Stochastik dahinter weniger.
Die Belagerung von Xarxaras
Mit dem schwer angeschlagenen Luftschiff der Helden geht es der Endschlacht entgegen. Da Xarxaras ein Stück weit weg liegt, gibt das den Helden Zeit, noch letzte Angelegenheiten untereinander und mit ihrer NSC-Crew zu klären. Die vorgeschlagenen Szenen, die zumeist die Charakterentwicklung der einzelnen NSCs abschließen, wirken deutlich von PC-Spielen wie Mass Effect und Dragon Age inspiriert und zeigen erneut, dass das nichts Schlechtes ist. Ein SL, der die einzelnen Meisterpersonen im Lauf der Kampagne mit Leben erfüllt hat, kann hier problemlos eine wunderbar melancholische Stimmung erzeugen, die das voraus liegende Finale als etwas Unausweichliches und Gigantisches aufbaut.
In Xarxaras angekommen, werden die Charaktere zunächst von der dämonischen Luftabwehr in Empfang genommen, was ihrem Luftschiff endgültig den Garaus macht. Danach geht es zum Meet & Greet mit dem xarxarischen Widerstand, den die wahre Magokratin mittlerweile um sich geschart hat, wobei leider einer fehlt: Der im vorigen Band auf die Seite der Helden gewechselte Myrmidone Aecurian wurde von Isphirmenes Schergen gefasst und soll in der Arena hingerichtet werden. Das sollten die Helden natürlich verhindern, zumal er den Kontakt des Widerstands mit den Myrmidonen darstellt. Problematisch erscheint hier in erster Linie, dass die Helden eigentlich erst zum Zeitpunkt der Hinrichtung Erfolg haben dürfen und frühere Einbruchsversuche unnötigerweise zum Scheitern verurteilt sind. Auch wenn natürlich eine Rettung im Angesicht der wilden Bestien am dramatischsten ist, sollte man dafür meines Erachtens entweder die zur Verfügung stehende Zeit deutlich kürzen (laut Abenteuer haben die Charaktere eine volle Nacht, in der sie den Einbruch nicht schaffen dürfen) oder die Szene komplett streichen und nur wenige Stunden zwischen der Ankunft der Charaktere in Xarxaras und der eigentlichen Endschlacht vergehen lassen. So könnte man es tatsächlich schaffen, den kompletten Abschnitt zwischen Ankunft und Abschluss in einer (langen) Spielsitzung abzuhandeln und die Spannung nicht zwischen den Spielrunden verebben zu lassen. Dazu könnte man die Charaktere zum Beispiel in Xarxaras abstürzen lassen, direkt danach die Bekanntmachung von Aecurians Hinrichtung einstreuen und erst beim eigenen Rettungsversuch in der Arena den restlichen Widerstand auftreten lassen – Star Wars Episode II lässt grüßen.
Die Endschlacht selbst findet zwischen drei Parteien statt: Die Draydal, die natürlich im letzten Kapitel nicht aufgerieben wurden, greifen Xarxaras an. Isphirmene denkt gar nicht daran, die Stadt zu verteidigen, sondern will sie und die Draydal mit einem Ritual vernichten. Die Helden und der Widerstand müssen also zunächst selbst die Verteidigung gegen die Draydal organisieren und dann möglichst schnell Isphirmene erreichen und aufhalten. Vom Buch unterstützt wird das Geschehen zunächst durch etliche Einzelszenen, die man in die Schlacht einstreuen kann, wobei sich jetzt auch die Erfolge der Spieler aus diesem und dem vorigen Band auszahlen – ein guter Teil der Verbündeten, die ihnen jetzt beistehen, sind diejenigen, denen sie in den vorangegangenen Abenteuern selbst geholfen haben, wenn sie das denn taten. Bonus-Herzchenpunkte gibt es übrigens für die Magokratin Arsinoa, die tatkräftig die Niedrigsten ihres Volk schützt und damit Sympathie bei den Spielern gewinnen sollte, die sich sonst vielleicht fragen, wieso man die arrogante Schnepfe Schwalbe eigentlich wieder auf den Thron setzen soll. Und auf die Tränendrüse kann man mit dem Heldentod von liebgewonnen Meisterpersonen drücken, der sich an etlichen Stellen anbietet. Allzu lang anhaltende Würfelorgien in den einzelnen Szenen werden dabei verhindert, da die gesammelten Geweihtenwaffen geradezu übermächtige Kräfte entwickeln und kurzen Prozess mit Feinden machen.
Ansonsten hängt der Verlauf des Finales vor allem davon ab, bei wem sich Carophyrdes‘ Auge befindet, sofern die Helden es verloren haben. Wurde es von Tacarus erbeutet, ist es mittlerweile zu Isphirmene gelangt, die damit ihr Ritual stützt. Ist es in Turams Besitz (vermutlich tatsächlich die dramaturgisch beste Lösung, da der Draydal sonst im Finale unwichtig wird), muss es ihm abgenommen werden, bevor er es in einem geheimen Tempel des Schädelgottes unter dem Palast ebenfalls für ein Ritual einsetzt. Außerdem kommt noch ein zweites Artefakt ins Spiel, das man wohl in dieser Beiläufigkeit als Element eines Abenteuerfinales statt als Mittelpunkt einer Kampagne nur auf Myranor bringen kann: Entweder Arsinoa oder Isphirmene ziehen aus den xarxarischen Bleikammern mal eben den Blakharaz-Splitter der Dämonenkrone hervor, um gegen das Auge im Besitz der anderen antreten zu können.
Den Endkampf im Zentrum des Palasts, vor dem noch Tacarus dran glauben muss (dessen Konfrontation könnte man aber bei Bedarf auch direkt in die letzte Schlacht hineinverlegen), kann man mit Fug und Recht als bombastisch bezeichnen: Zwei mächtige Optimatinnen, zwei absolut unzuverlässige Massenvernichtungsartefakte, beliebig viele Schergen, chaotische Naturgewalten und dazwischen eine Heldengruppe – was soll da noch schiefgehen?
Als Anregung würde ich empfehlen, Arsinoa als spezialisierte Antimagierin vor allem die mächtigen Angriffe Isphirmenes neutralisieren zu lassen, während die offensiven Handlungen von den SCs übernommen werden, die dabei von Isphirmenes Handlangern, gegebenenfalls also auch Tacarus, behindert werden. So vermeidet man, Arsinoa als inkompetent oder die SCs als überflüssig dastehen zu lassen.
Anhänge
Nach einem Epilog, in dem sowohl die Siegesfeier als auch die nachfolgenden Geschehnisse und das weitere Schicksal der bekannten NSCs abgehandelt werden, folgen die Anhänge. Nach kurzen Anregungen bezüglich einbindbarer Plotstränge werden die Profile der Meisterpersonen und generischer NSC-Gegner gelistet. Zu den Werteblöcken habe ich mich ja bereits eingangs ausgelassen, die Texte sind aber top: NSCs werden nach ihrer Kurzbeschreibung in Funktion für den Plot, Darstellung durch den Spielleiter und mögliches Schicksal kategorisiert und mit je einem passenden Zitat versehen. Es folgt eine kleine, aber sehr lesenswerte Spielhilfe zum Hintergrund der Draydal, zu ihrer Armee und dem Kult des Schädelgottes. Danach kommen Regeln zu den einzelnen Luftschiffen und Luftschiffkämpfen, wobei letztere tatsächlich auf einer Seite Platz finden und natürlich nicht die extreme Komplexität aus Efferds Wogen erreichen – aber auch nicht derartig kompliziert sind, was dem angestrebten „Fast & Furious“ Stil sehr entgegen kommt. Schließlich folgen noch Informationen über die im Abenteuer enthaltenen Artefakte, eine Kampagnenübersicht mit Errata der Vorgängerbände (gibt es auch hier zum Download), eine Zeitleiste und Musikempfehlungen.
Fazit
Der nicht verwüstete Teil Xarxarons ist gerettet, es folgt der Rückblick auf die Trümmer. Dieser zeigt ein hochgradig interessantes Abenteuer, welches einiges anders macht, als ich es aus vergangenen rezensierten Publikationen gewohnt bin. Eine größere Sandbox existiert kaum – die einzelnen Szenarien sind zwar relativ frei in der Ausübung, aber zumindest bis zum dritten Kapitel sind die Ausgänge klar festgelegt und die Questen perlenschnurartig aneinandergereiht. Damit erkauft man sich einen weitaus größeren Einfluss auf die Dramaturgie, die dem Spielleiter an vielen Stellen auch bewusst offengelegt wird, wenn die Autoren zum Beispiel darauf hinweisen, dass sich zwischen zwei sehr düsteren Teilen der Handlung ein Intermezzo zur Auflockerung anbieten würde. Das klingt jetzt sehr nach Geschichtsstunde und Märchenonkelei, doch dieser Falle entkommt das Abenteuer dadurch, dass immer wieder auf die einzelnen Spielercharaktere eingegangen wird – sie sind nicht diejenigen, die tollen Meisterpersonen zusehen dürfen, sondern absolut zentral in Haupt- wie Nebenhandlung, worauf trotz einer ziemlich hochkarätigen Besetzung auch immer wieder geachtet wird. Ebenfalls unverkennbar sind die Einflüsse der Ikonen der Nerdkultur: Das Abenteuer klaut inspiriert sich bei allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, aber niemals so, dass es aufgesetzt oder plump wirkt. „Luke, ich bin dein Kater“ sucht man vergeblich, die übernommenen Szenen und Elemente sind genau diejenigen, bei denen ich im Kino oder vor dem Rechner saß und mir dachte „Geil, das will ich irgendwann mal in einer Rollenspielrunde erleben!“
Machen wir’s kurz: Neun Einhörner wurden ausgesandt, Xarxaron zu retten. Zwei davon geben noch immer den Draydal Regelnachhilfe, wissen aber nicht, wie sie die dazu notwendige Talentprobe auf „Vortrag“ ablegen sollen. Ein drittes hat eine ganze Weile mit dem Rotstift das Korrektorat des Bandes nachgebessert, sich aber schließlich doch vom genial inszenierten Plot mitreißen lassen, so dass nun sieben Einhörner frohen Mutes auf die nächste Selbstmordmission gehen, während sie „You can’t take the eye from me!“ trällern.
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Hi!
Ich habe von der Rezi nur Einleitung und Bewertung gelesen. Eigentlich wollte ich sie ganz lesen, bin dann aber doch auc „Vielleicht will ich mir das ja gar nicht spoilern…“ umgeschwenkt.
Noch nie hatte ich so sehr Bock auf Myranor wie nach dieser halb-gelesenen Rezi. Ein episches Abenteuer, bei dem die Charaktere nicht Erfüllungsgehilfen irgendwelcher NSC sind? und das in DSA? Gekauft.
Ich muss jetzt los, meine Gruppe von den Vorzügen des Ostkontinents überzeugen, vielen Dank für den Artikel,
Gruß
-a.