Was, wenn alles um uns herum nicht so ist wie es scheint?
Wenn die Welt ein irrer Traum wär, nicht wirklich wie man meint?
Sag, wenn du in den Spiegel blickst? Reicht es dir, was er zeigt?
Siehst du dort dein wahres Wesen? Oder hält Furcht deinen Kopf geneigt?
– Trenthos Messnerscharf, Brabaker Musikant und Nägelschleifer
Ein langer Weg nähert sich dem vorläufigen Ende, fast so alt wie das Schwarze Auge selbst: Was im allerersten Aventurischen Boten als kritzlige Schattenzeichnung seinen Anfang nahm, in der Borbarad-Kampagne eine heiße Wandlung erfuhr und im Jahr des Feuers den letzten größeren Auftritt hatte, strebt nun der Vollendung seiner großen Pläne entgegen. Nirraven, genannt der Seelensammler, will endlich die Ernte seiner Taten einfahren. Doch, wenn uns Borbarad etwa gelehrt hat, dann dass karmatische Kausalknoten stets auch die Knechte der Götter Helden auf die Bildfläche rufen.
Seelenernte von Stefan Unteregger ist der sechste und damit drittletzte Band der Splitterdämmerung. Das Abenteuer bietet eine lose Fortsetzung der Ereignisse des fünften Bandes Träume von Tod, weshalb es sich anbietet, beide Bände als Kampagne zu spielen. Nötig ist die Verknüpfung aber nicht, Seelenernte ist auch einzeln spielbar.
Bevor es nun weitergeht, kommen wir zur Wegscheide für Spielleiter und Spieler: Wer Xamanoth fürchtet und keine ernsten Spoiler zu den Ereignissen in Seelenernte (und in Teilen auch zu denen in Träume von Tod) erfahren möchte, sich aber dennoch für eine Bewertung des Inhalts interessiert (oder wer einfach nicht so viel lesen will), der sollte per Hesindes-Transfer-Mittels-Limbus-Link direkt zum Fazit springen. Aber jeder bitte nur ein Kreuz. Alle anderen können gefahrlos den Nanduswall überschreiten — Xamaonths Amazeran-Pakt gibt es gratis dazu.
Leser sei gewarnt!
Unterhalb des Nanduswalls mögen Xamanoths Spoiler auf Dich warten!
Von Einem, der auszog, das Fürchten zu lehren – Aufbau und Handlungsübersicht
Noch dabei? Sehr schön — dann kommen wir doch direkt zum Innenleben des Abenteuers. Zum formalen Aufbau des Bandes muss man dabei nicht viel sagen, denn er folgt dem üblichen Schema: Vorne ein kurzes Vorwort (1 Seite), dann der Blick auf die Hintergründe (3 Seiten) und eine Kurzübersicht über die Handlung (ebenfalls 3 Seiten). Hinten findet sich der Anhang mit den Beschreibungen der Verbündeten und Gegner (10 Seiten) und den Kopiervorlagen (18 Seiten). Das eigentliche Abenteuer dazwischen (126 Seiten) teilt sich auf vier aufeinander folgende Abschnitte auf.
Worum geht es in der Handlung? Vermutlich wird mancher ein „Fuck, yeah, endlich!!!111H1!“ auf den Lippen haben: Ja, bei Seelenernte geht es tatsächlich darum, einen Splitter der Dämonenkrone unter großer Beteiligung der Helden endgültig zu vernichten. Dabei macht man gleichzeitig einen dicken Strich durch die Pläne des Nirraven, der sich von seiner Herrin emanzipieren will. Man beachte: Dabei, nicht damit, denn perfiderweise plant der Dämon ebenfalls die Vernichtung des Splitters, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Er will schlicht dessen Macht absorbieren und damit in die erste Riege der freien Dämonen aufsteigen. Bei solch kosmologischer Tragweite der Ereignisse sollten die Helden erfahren sein. 10.000 bis 15.000 AP werden als Marke im Band genannt – in Anbetracht der Anforderungen eine mit Sicherheit sinnvolle Überlegung.
Zeitlich findet die Handlung alles in allem in nur wenigen Wochen statt. Die Helden werden vom Vorsteher des Klosters Storckenfels, Perdan Ehrwald, eingeladen. Die Neugründung des Dreischwesternordens am Ostrand der in Träume von Tod befreiten Gebiete erlebt Probleme, die sich aus der Frontlage und der schwarztobrischen Vorgeschichte der Gegend ergeben. Die Helden können sich hier nützlich machen und Land und Leute kennen lernen.
Die Lage ändert sich, als bekannt wird, dass Leatmon Phraisop, der Diener des Lebens, auf dem Weg zum Kloster ist. Nun schlägt der Seelensammler zu: Getreu seiner Berufung will er die Seele des höchsten Peraine-Geweihten Aventuriens erbeuten, da er weiß, dass dieser die Gabe des Ea’Myr besitzt. Mit dem göttlichen Funken des dritten Auges will er den Splitter der Thargunitoth aufbrechen und sich dessen Macht vollständig einverleiben. Das Ziel: Unabhängigkeit von seiner Herrin. Die Helden schlagen (hoffentlich) den Angriff zurück, der Splitter erleidet aber ersten Schaden durch den Kontakt mit Leatmon, dessen schlummernde Begabung durch die Konfrontation ebenfalls aktiviert und sichtbar wird.
Nirraven erlangt noch mehr Macht über das Artefakt, der Diener des Lebens erleidet eine Wunde auf der Stirn, die sich jedoch bald als neue Augenhöhle entpuppt. Zudem entsteht zwischen Voldemort Dämon und Harry Potter Geweihten ein Horcrux eine Verbindung, die später Einblicke in die Gedanken des Seelensammlers zulässt. Mit der neuen Kraft erschafft Nirraven einen dämonischen Belagerungsring um die Klosterzuflucht. Er schleust Verbündete ein, welche von den Helden unschädlich gemacht werden müssen, damit die Verteidigung nicht fällt. Nach und nach können die Charaktere über Visionen Leatmons erfahren, dass ihr Gegner eine Waffe gegen den Splitter erschaffen wollte und immer noch will: Ein spezielles Endurium-Szepter hat in der Vergangenheit versagt, doch mit Hilfe des inzwischen erkennbaren dritten Auges Leatmons scheint sich hier eine vielversprechende Möglichkeit aufzutun.
Die Helden brechen aus der Belagerung aus, um einerseits das Szepter zu finden und andererseits weitere benötigte Komponenten zur Bildung des geplanten Splitter-Zerstörers aufzutreiben. Dabei kommen sie u.a. nach Eslamsbrück und zum dort liegenden Pandämonium. Nach Erfolg kehren sie zurück und können mit Hilfe von Leatmons dritten Auge das gewünschte Artefakt erschaffen.
Im abschließenden Teil hilft ein großes Wunder der Göttin Peraine, den fliehenden Seelensammler zu stellen, der jedoch die Gruppe in eine Alptraumwelt lockt. Die Charaktere, die in der Gestalt von Kindern stecken und mit Urängsten konfrontiert werden, müssen die Macht Nirravens schwächen, um der Traumwelt durch Tod zu entkommen, ohne dabei auch außerhalb des Traums zu sterben. Zurück in der aventurischen Realität kommt es zum finalen Kampf, in dem mit Hilfe des Szepters der Splitter zerstört werden kann, so dass der Nirraven in die Niederhöllen zurückstürzt — nicht vernichtet, und tatsächlich sogar frei von Thargunitoth, aber ohne die gewünschte Macht.
Drei Augen sehen mehr als zwei – Ausarbeitung des Plots
Die oben aufgeführte Handlung wirkt in der Kürze der Darstellung sehr linear. Tatsächlich ist das Abenteuer innerhalb der vier Abschnitte aber meist sehr offen gestaltet. Einer der wenigen recht fixen Punkte ist der Überfall auf Leatmon. Der Abschnitt zur Beschaffung der Splitterzerstörer-Komponenten ist dagegen beispielsweise ein ziemlich offener Sandkasten. Grundsätzlich bietet Stefan Unteregger in allen Teilen Hilfen für mögliche alternative Verläufe, die aus unterschiedlichsten Gründen eintreten können. Das ermöglicht auch in den enger gefassten Abschnitten mehr Offenheit, kann aber nicht alle Schienen verdecken. Schauen wir einmal genauer hin:
Der Überfall-Teil ist so angelegt, dass Nirraven den Diener des Lebens am Schlafittchen haben muss, damit Ea’Myr und Splitter interagieren können. In diesem kritischen Moment wird der Angriff von den Helden zurückgeschlagen. Im Vorfeld gibt es aber nur einen groben Zeitpunkt, an dem der Überfall stattfinden soll, und der Moment, an dem die wartenden Helden nervös genug werden, Leatmon entgegen zu reisen, ist ebenfalls variabel. Der Spielleiter kann hier über NPCs Impulse geben, um die Gruppe zum Aufbruch zu bringen, aber im Endeffekt kann man als Spielleiter die Helden nicht zu spät in der Szene auftauchen lassen, ohne das Abenteuer zu sprengen.
Stefan Unteregger bietet aber zumindest eine Hilfestellung, wie man bei einem sehr frühen Aufbrechen der Gruppe die Szene anpassen kann: Die Helden erreichen vor dem Überfall die Reisegruppe und sind dann schon zu Beginn des Angriffs anwesend. Dies erfordert eine umfassendere Planung des Kampfes von Seiten des Spielleiters, da die Gruppe so nicht erst in einer Szenerie erscheint, bei der die meisten Kämpfe bereits gelaufen sind oder außerhalb der Sichtweite stattfinden. Es gibt einige Hinweise, was den geänderten Einsatz von NPCs in diesem Fall angeht: Der untote Drachenverbündete des Seelensammlers wird dann beispielsweise Teil der Szene und greift auch die Helden an, anstatt bei deren spätem Auftauchen außerhalb der Sichtweite flüchtende Gegner zu jagen. Auch für zusätzlich Aktionsmöglichkeiten der Helden gibt es Hinweise: Können sie etwa mit Leatmon durch den Limbus zu fliehen, da sie ihn bereits beim Beginn des Angriffs eskortieren, tritt auch der Seelensammler in den Limbus und passt sie dort ab.
Sehr viel offener ist der Suchteil gestaltet: Im Endeffekt ist hier nur klar, dass am Ende alle Komponenten des Splitterzerstörers (von dämonischen Einflüssen gereinigtes Szepter-Artefakt, Personen für Zauber- und Wunder-Komponenten und Ea’Myr-Träger) an einem Ort zusammenkommen müssen. Es ist weder mit Absolutheit gesetzt, dass das Kloster währenddessen belagert wird, noch, dass die Helden den Diener des Lebens dort zurücklassen, mitnehmen oder woanders hinbringen, noch, ob das Finale am Kloster oder nicht stattfindet oder welche der Komponenten wo gefunden werden müssen. Für all diese Punkte gibt es vielfältige Hinweise und Ideen, und es gibt auch einen wahrscheinlichen Hauptpfad, der aber nicht den Anspruch der alleinigen Lösung hegt.
Gerade bei den Zauber- und Wunderkomponenten werden viele Möglichkeiten aufgelistet, wie sich hier auch die Helden selbst einbringen können, ebenso wie Hinweise, welche NPCs ersatzweise über passende Fähigkeiten verfügen. Einzig das ursprünglich vom Seelensammler selbst erschaffene Endurium-Szepter ist fest im Pandämonium verortet und muss von dort organisiert werden. Damit der Spielleiter phexibel auf die Ideen der Gruppe eingehen kann, sind dafür alle im Zeitrahmen des Abenteuers im Normalfall erreichbaren Zielorte, an denen passende Hilfe gefunden werden kann, zumindest grob beschrieben. So bleibt der Gruppe ein sehr großes Maß an Freiheit bei Planung und Reise.
Als Spielleiter sollte man sich dennoch klar sein, dass diese Variabilität bedingt, dass man sich vor dem Spiel umfassend überlegen muss, wie die entsprechenden Szenen für die eigene Gruppe gestaltet werden sollten. Das gilt auch für Zahl und Stärke der Gegner, erschwerte oder erleichterte Bedingungen im Abenteuer (es gibt auch wieder „Zu leicht? / Zu schwer?“-Kästen mit Anpassungsvorschlägen) und Verhalten der Umwelt – konkrete Ansätze und Ideen zur Anpassung sollte man jeweils sorgfältig abwägen. So macht es schon einen großen Unterschied für die folgende Handlung, ob eine Eskorte von haffaxschen Soldaten, die den Diener des Lebens beim Überfall schützt, anschließend bei der Gruppe offen angefeindet oder doch als in der Sache verbündete Helfer akzeptiert wird. Die Offenheit empfinde ich trotz der auch aus ihr erwachsenden Arbeit eindeutig als Vorteil, da sie dank vieler Vorschläge und Ideen im Gegenzug mehr Möglichkeiten zur passenden Gestaltung des Abenteuers für die eigene Gruppe mitbringt, als es ein eingleisiger Plot könnte.
Einen kleinen Kritikpunkt habe ich hier aber auch: Im finalen Alptraum-Teil ist mir die Optionalität doch teilweise etwas zu stark ausgeprägt. (Alp-)Träume laden thematisch natürlich zu Unschärfe ein, aber als Spielleiter habe ich dennoch für die entscheidenden Herausforderungen eines Teils gerne erst einmal konkrete Angaben, die ich dann bei Bedarf immer noch anpassen kann. Für viele Punkte liefert der Autor dies hier auch, aber gerade beim Einsatz der Wesenheiten, die die Helden in dieser Traumwelt verfolgen und ins Unglück stürzen können, bleiben manche Punkte dann doch sehr vage. Hier hätte ich mir mehr konkretere Ansätze zu ihrem Auftauchen gewünscht, zumal ihr Auftreten in der Regel die Helden wichtige Ressourcen in der Traumwelt kostet und damit eine echte Gefahr (und nicht nur Fluff) darstellt. So muss man sich hier vor allem auf das eigene Fingerspitzengefühl verlassen.
Wir ernten, was wir säen. – Handouts, Werte, Materialien
Ein Wort zu den Handouts, vor allem zu den Karten: Der Band enthält eine üppige Menge wirklich wunderschöner und praktischer Karten, die alle wichtigen Orte abdecken. Von Hannah Möllmann stammen Stadtpläne für Eslamsbrück und Warunk sowie eine Übersicht des Pandämoniums. Von Steffen Brand kommen Gebäudepläne für das Kloster, die Niederlassung des Beschwörerkreises des Karasuks in Eslamsbrück, die Alptraum-Örtlichkeit am Ende des Abenteuers und das Innere des Pandämoniums, dazu Übersichtspläne zur Klosterumgebung und zu dem finalen Kampfschauplatz. Dazu kommt noch der passende Ausschnitt aus der Regionalkarte mit Verzeichnis der neuen Orte. Alle Pläne (mit Ausnahme der Alptraumwelt, bei der es keinen Sinn hätte) haben diesmal einen Maßstab bekommen, dazu gibt es auch noch getrennte Spieler- und Spielleiterkarten — Mein Schatz, was willst du mehr?
Für Gegner und Verbündete gibt es ausführliche Übersichten, darunter beispielsweise auch einige erweiterte Untotenfertigkeiten aus Von Toten und Untoten. Am ausführlichsten ist die Darstellung des Seelensammlers, der als Heptarch, Splitterträger und mehrfacher Gegner in direkten Konfrontationen auch der wichtigste Antagonist ist. Er ist dabei mächtig genug, um auch einer erfahrenen Gruppe von Helden gefährlich zu werden. Tatsächlich sollte man sich als Spielleiter gerade ob der Fülle und Mächtigkeit seiner Fähigkeiten vorher ernsthafte Gedanken machen, ob die eigene Heldengruppe für die Konfrontation schon stark genug ist.
Neben den enthaltenen Materialien gibt es auch einige Verweise auf andere Werke, vor allem auf Träume von Tod. Dessen Abschnitte zu Reisen und Örtlichkeiten sind nicht noch einmal aufgeführt worden, was als Abwägung meiner Meinung nach verständlich ist. Der Fokus dieses Abenteuers liegt in anderen Bereichen, und vermutlich werden die meisten Gruppen eh beide Abenteuer spielen – da kann man den Platz für andere Sachen besser nutzen und die Informationsdoppelung vermeiden. So ist auch Platz für eine umfangreiche Ausarbeitung der Fertigkeiten, auf welche die Charaktere im Alptraum, wo sie in Kinderkörpern gefangen sind, zurückreifen können. Dazu gibt es ein eigenes, einseitiges Dokument, das die wichtigen Werte übersichtlich präsentiert und vom Spielleiter vorbereitet werden kann – ein nützliches Gimmick.
Der Splitter in der Brust des Anderen – Gedanken zur Handlung
Kommen wir schließlich zum Eingemachten: Handlung, Thematik, Plot – wie steht es damit? Also, Triopta auf und ran an den zentralen Punkt des Abenteuers, der für viele sicher auch den zentralen Punkt des ganzen Zyklus um die Splitterdämmerung darstellt: Wie zerstört man einen Splitter der Dämonenkrone? Kritik an den bisherigen Bänden der Reihe betraf durchaus auch regelmäßig die fehlende oder als oberflächlich empfundene Einbindung der Dämonenkronenbruchstücke und ihres weiteren Schicksals.
Generell sehe ich den interessanten Einsatz der Splitter im Spiel als Herausforderung für Autor und Spielleiter. Die Artefakte scheinen mir dabei meist als McGuffin eher über der Handlung zu schweben, denn echter Teil derselben zu sein. Sie sind von den Regeln nicht abgedeckt, uralt, extrem mächtig, kaum beherrschbar, und es gibt keine konkreten Zerstörungsmöglichkeiten, nur Andeutungen. Wie soll man so etwas darstellen, ohne die Möglichkeiten der Helden per se ins Leere laufen zu lassen, sie in den Schatten von NPCs zu stellen oder das Artefakt unter Wert zu verkaufen? Nicht jedem wird es überhaupt gefallen, dass eine Zerstörung erfolgt. Immerhin ist das seit dem Sturz des Namenlosen nicht gerade häufig vorgekommen. Doch diese Grundsatzfrage sehe ich als klassische Geschmacksfrage, die jeder für sich beantworten muss. Die Darstellung der Zerstörung hingegen sollte man sich genauer ansehen.
Stefan Unteregger hat hier meiner Meinung nach eine sehr schöne Umsetzung gefunden: Der mehr oder weniger regellose Splitter wirkt vor allem über die Handlungen des mit ihm verbundenen und mit Werten dargestellten Seelensammlers. Dieser wird quasi als Stellvertreter des Splitters am Ende von den Helden besiegt. Die schwer fassbare Fluff-Macht wird so zumindest teilweise in etwas übersetzt, was Spieler auch regeltechnisch einschätzen können. Gleichzeitig wird die Zerstörung des Splitters an zwei exotische Komponenten gebunden – Ea’Myr und Szepter – womit sichergestellt wird, dass in Zukunft nicht auch allen anderen Splittern das gleiche Schicksal drohen muss, ohne die Glaubwürdigkeit der Welt zu gefährden.
Diese Komponenten sind zwar selbst im Endeffekt austauschbare Requisiten, aber sie stellen keine agierenden Handlungsträger dar, müssen von den Charakteren nicht überwunden werden und stehlen ihnen auch als Hilfsmittel nicht die Show. Im Gegenteil: Durch die Möglichkeit der Helden, bei der Erstellung des Splitterzerstörers selbst nötige Komponenten beizusteuern (und dadurch, dass die Einbindung des vom Hintergrund als Werkzeug gesetzten Ea’Myrs größtenteils als passive Komponente des Artefakts erfolgt), werden sie aktive Mitglieder im Team Peraine, deren Aufgabe nicht nur im Schutz der finalen Waffe besteht, sondern auch in deren Erstellung und ihrem Einsatz. Alles in allem eine in meinen Augen sehr elegante und schöne Umsetzung, die die Spieler trotz der kosmologischen Tragweite fast durchweg an zentraler Stelle belässt.
Nach all dem Lob nun dann aber doch auch noch etwas Mäkelei. Einen Plotpunkt gibt es nämlich, mit dem ich nicht völlig glücklich bin – man bedenke aber bitte, dass das Meckern auf sehr hohem Niveau ist. Es geht dabei um die Vorgehensweise des Seelensammlers zu Beginn des Abenteuers.
Man stelle sich vor: Nirraven belagert das Kloster, da er die Seele des Dieners des Lebens in sich aufnehmen will und er beim ersten Versuch von den Helden zurückgeschlagen wurde. Der dämonische Gegner ist extrem mächtig, kann sich durch den Limbus bewegen, kann Unmengen an Untoten erheben – darunter einen untoten Drachen – und hat zusätzlich Spione im Inneren des Klosters. Dazu hat er mit Hilfe des Splitters die Umgebung des Klosters dämonisch abgeriegelt und eine Dunkelheitssphäre erschaffen, die langsam auf das Kloster vorrückt. Dieses ist zudem selbst noch kein geweihter Boden, der Diener des Lebens ist außer Gefecht gesetzt, und die Geweihten als Mitglieder des Dreischwesternordens sind keine gestählten Kampfveteranen.
Dass der Seelensammler in dieser Konstellation tatsächlich passiv auf Zeit setzt und nicht aggressiver vorgeht, empfinde ich als schwer nachvollziehbar und eher als einen „Der Plot will es!“-Punkt. Auch das einigermaßen konstante Vorrücken der Dunkelheit auf das Kloster, die den Helden eine einigermaßen genaue Abschätzung der ihnen verbleibenden Zeit ermöglichen soll, halte ich für einen solchen Punkt. Als Spieler würde ich mich sehr schwer tun beim Gedanken, dass der Seelensammler, wenn die kampfkräftige Heldengruppe den Ausbruch gewagt hat, ruhig die Zeit absitzt, anstatt entweder diesen hinterher zu jagen oder dem Kloster, nach der vermeintlichen Flucht der mächtigsten Gegner, den Garaus zu machen. Fairnesshalber sollte ich aber auch erwähnen, dass Stefan Unteregger auch eine Alternative zum Hauptplot beschreibt, in der die Helden mit dem Diener des Lebens aus dem Kloster fliehen.
Vielleicht sollte man hier einfach eine spätere Stelle des Abenteuers vorziehen: Die Flucht des Seelensammlers wird am Ende durch einen Sendboten Peraines im Rahmen eines großen Wunders der Göttin zunichte gemacht. Warum das große Wunder nicht einfach vorziehen? Dann wird die Dunkelheit von der Macht Peraines zurückgehalten, die aber schwankt, je nachdem, wie erfolgreich die Helden Unterminierungsversuche des Gegners zunichte machen und damit die Moral der eigenen Seite stärken können. Die Erschaffung und der Einsatz des Artefakts mit Hilfe des Ea’Myrs schaffen dann schließlich die Stärke, welche die umschließende dämonische Macht durchbricht und den Seelensammler in die Flucht schlägt, die (wie im Original vorgesehen) dann durch Peraines die Oberhand gewinnende Macht vereitelt wird. So gefiele mir dieser Abschnitt besser.
Leser sei gewarnt!
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Allerseelen-Erntedankfest – das Fazit
Das Abenteuer hinterlässt bei mir einen sehr starken Eindruck. Die Handlung beschäftigt sich zentral mit dem namensgebenden Teil der Splitterdämmerung, lässt dabei den Helden zum Glück fast immer die zentrale Position und degradiert sie an keiner Stelle zu Statisten. Der Plot ist in weiten Teilen offen und bietet viel Platz für die Ideen und Vorlieben der Spieler. Der Spielleiter bekommt dabei eine Menge Unterstützung, da sehr viele Lösungsansätze und Alternativvorschläge geboten werden, hinzu kommt eine umfangreiche Sammlung von guten Handouts. Von den Karten existieren meist Spieler- und Spielleiterversionen, und sie decken tatsächlich alle wichtigen Örtlichkeiten ab.
Die Handlung ist durchdacht, enthält aber naturgemäß auch Punkte, über die man streiten kann — was bei Geschmacksfragen bekanntlich nie zu vermeiden ist. Aber auch hier hilft die Offenheit des Abenteuers, da viele Punkte ohne große Probleme anders gestaltet werden können, ohne dem Spielleiter allzu viel Arbeit zu bereiten. Oft sind im Abenteuer selbst sogar entsprechende Ideen zu finden. Für den vollen Genuss sollte man dabei Träume von Tod und Schattenlande zur Verfügung haben, da diese mit ihren Informationen zur Region und Vorgeschichte sehr hilfreich sein dürften.
Zusammen betrachtet bilden beide Abenteuer meiner Meinung nach eine der stärksten Kampagnen, die ich bei DSA kenne und die sich auch ohne Probleme an den Perlen der Vergangenheit messen lassen kann. Alle, die zum Ende der DSA4.1-Zeit einen Abfall der Qualität befürchten oder die Splitterdämmerung generell sehr kritisch sehen, sollten sich diese beiden Bände einmal genau anschauen, denn sie sind ein Prunkstück im Rahmen dieser Reihe. Sie zeigen auch, wie man alte und ehrwürdige Handlungsstränge mit starker Beteiligung der Helden zu einem, wie ich finde, sehr schönen und passenden Ende bringen kann.
Alles in allem bleiben den Einhörnern so kaum Punkte zum Meckern übrig. Ein sehr kritisches Tier ist mit einer Entscheidung des Hauptantagonisten nicht ganz zufrieden und hätte sich bei aller Offenheit und vorhandenen Ideen im letzten Teil noch mehr konkrete Angaben zum Einsatz der Gegner gewünscht. Die übrigen acht machen sich dafür nach der Lektüre direkt an die Seelenernte (siehe hier). Es bleiben somit insgesamt zweimalzweimalzwei starke Einhörner für den siebten Teil der Splitterdämmerung.
Die Rezension deckt sich mit meiner Bewertung – eines der für mich besten Abenteuer der letzten Jahre.