Wozu braucht es eigentlich ein Kompendium über Waffen? Auf diese Frage gibt es sicher viele Antworten, doch zählen derartige Publikationen in verschiedenen Systemen zu den beliebtesten (gemessen an den Verkaufszahlen) Produkten überhaupt. Sicher gibt es Spielsysteme, die das Produkt „Nahkampfwaffe“ derart pauschalieren, dass ein Waffenhandbuch völlig sinnfrei wäre. Andere Spielsysteme erhalten ihre „crunchy bits“ weniger durch die physische Waffe, sondern durch die besonderen Fähigkeiten, welche die Spielfiguren zu ganz außergewöhnlichen Aktionen befähigen. Alternativ dazu werden Waffen (und Rüstungen) in Fantasy-Welten erst durch Zauberei zu den wunderhaften Dingen, welche das Herz jedes Power-Gamers schneller schlagen und seine Augen feucht werden lassen. Rakshazar ist anders. Die Regeln des Schwarzen Auges erlauben gerade genug Differenzierungen, um tatsächlich ausreichend verschiedenartige Waffen zu generieren, damit sie interessant werden. Dennoch dürfte dies allein bei weitem nicht ausreichen, um das Interesse an Waffen, Rüstungen und Kettenhemdbikinis (!) über mehr als 200 Seiten zu erklären. Das, was die Waffen so besonders und ihre Differenzierung so wichtig macht, ist das, was man in diesem Zusammenhang vielleicht als letztes erwarten würde: Der Fluff-Faktor. Jawohl, es ist nicht der eine Punkt mehr Initiative, der uns zu dieser oder jener Waffe und damit zu diesem Buch greifen lässt. Es ist vielmehr der Umstand, dass die Waffe unsere Helden erst zu dem macht, was sie sind. Dies gilt im Sword & Sorcery orientierten Rakshazar noch viel mehr, als in anderen Fantasy-Settings.
Viel mehr als Haarfarbe, Dialekt, Machart der Unterkleidung oder Verzierung der Trinkflasche ist es die Hauptwaffe, die jede Spieler-Figur am Spieltisch einzigartig werden lässt. Ja mehr noch, erst wenn der Echsenmensch auch eine Echsenmenschenwaffe trägt und der Barbar eine wirklich barbarische Axt schwingt, dann wird die kulturelle Differenziertheit am Spieltisch erlebbar. Darum verbringen wir Stunden schmökernd über der Frage, welche der drei spezifischen Waffen unserer gewählten Kultur wir verwenden. Nicht weil der eine Punkt Initiative den Unterschied im Kampf machen wird, sondern weil die Waffe die Seele unseres Helden ausmacht. Klingt verrückt? Vielleicht, aber dennoch sollte jeder, der im an „sorcery“-armen, aber an „swords“ umso reicheren Rakshazar spielt, einmal drüber nachdenken, warum die Wahl der Klinge von so großer Bedeutung ist.
Was ist dein Tech-Level?
Auch wenn das titelgebende Wort Klinge bei den meisten Waffen des Rieslands zu finden ist, so stellt sich doch zunächst einmal ein ganz grundlegendes Problem. Anders als im benachbarten Aventurien verfügen die Riesländer nicht alle über das Geheimnis des Stahls. Dementsprechend unterteilen die Autoren die Kulturen des Kontinents in verschiedene Technologiestufen. Die Spannweite reicht hier natürlich nicht so weit, wie das Spieler von Traveller oder auch dem GURPS gewohnt sind. Für hiesige Zwecke reichen die Referenzen Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit. Zumindest in der ersten Stufe, sind Klingen keine Selbstverständlichkeit. Die Liste der Waffen wird demnach auch angeführt von solch beeindruckenden Mordwerkzeugen wie dem Faustkeil und der Geröllkeule. Die Präsentation ist dem Leser einschlägiger DSA-Produkte dabei wohlbekannt. Ein beschreibender Text, ein Regelkasten und eine Abbildung finden sich zu jeder Waffe. Wie auch schon im grundlegenden Buch der Helden werden aventurische Referenzen genutzt. Am Ende eines jeden Abschnittes finden sich die nicht vorgestellten Waffen anderer DSA-Produkte, welche im Riesland ebenfalls zur Anwendung kommen. Eine müßige Doppelung zu anderen DSA-Publikationen wird dadurch vermieden. Allzu große Überraschungen gibt es hier natürlich nicht, doch Dinge wie ein Stirnreif (RS 1) oder der Dornenhandschuh machen deutlich, dass die Autoren sich auch hier wieder größte Mühe geben, ihre Vision des barbarischen Rieslands auch in (effektive) Regeln zu gießen.
Zeig mir deine Waffe und ich sag dir wer du bist
Nach der noch eher übersichtlichen Einführung in die Bewaffnung mit Stein und Bronze breitet sich nun das Kernstück des Bandes vor dem Leser aus. Die Waffen der verschiedenen Kulturen. Deren Bedeutung für die kulturelle Identität des riesländischen Helden kann kaum überschätzt werden. Umso erfreulicher ist die hier gebotene Vielfalt. Eine kurze Einleitung charakterisiert die Besonderheiten der jeweiligen Kultur, bevor die einzelnen Waffen dargestellt werden. Abgerundet wird jedes Kapitel durch eine Auflistung weiterer in dieser Kultur verfügbarer Waffen, die nicht so einzigartig sind, dass sie eine rakshazarische Beschreibung benötigen. Schilde aller Art sind ein Beispiel für diese gewöhnlichen Waffen. Wie gut die einzelnen Waffen sich in die gesamte kulturelle Ikonographie eines Volkes einfügen, kann man an den folgenden Beispielen erahnen.
Das Ideal des gerüsteten Kriegers (zumindest vom technischen Standpunkt aus) stellen die Schwarzen Amhasim dar. Körperliche und technische Überlegenheit paaren sich hier und ergeben so den ultimativen Krieger des wilden Kontinents. Die namensgebenden Schwarzen Rüstungen — im Grunde eine komplette Ritterrüstung — sind aufgrund der Technologiestufen für die meisten Feinde praktisch undurchdringlich. Mit dem Schlachtschwert kommt die Königin der Nahkampfwaffen hinzu und die furchterregende Gastraphete rundet das Paket im Fernkampf ab. Allein diese Waffen geben dem Spielleiter bereits das nötige Arsenal, um die Amhasischen Reiter in jene schreckerregende Bedrohung zu verwandeln, die sie auch im Hintergrund abgeben. Auch andere Kulturen wissen jedoch zu überzeugen. Die aggressiven Angurianer kennen mit dem Drachenschlund einen einschüssigen Flammenwerfer, der jedem Feind sicher lange in Erinnerung bleiben wird. Auch bei ihnen wird großen Wert auf furchteinflößende Rüstungen gelegt und die Abbildung einer angurianischen Rüstung erinnert an die ikonische Maske des Predator aus dem gleichnamigen Action-Streifen.
Aber auch im Mittelbau gibt es einiges zu sehen. Bei der Schwertkeule der Ipexo handelt es sich um eine Art Holzschwert, dessen Klingen aus eingelassenen Obsidiansplittern bestehen. Diese hervorragende Waffe leistet natürlich nur so lange gute Dienste, bis ein Feind sich in eine Metall- oder sogar Plattenrüstung hüllt. Ein sehr schönes Beispiel für die hohe Bedeutung der verschiedenen Technologiestufen. Die vermutlich ungewöhnlichste Waffe des Bandes findet sich ebenfalls im Arsenal der mittelamerikanisch anmutenden Ipexo. Das Wespennest ist eine Wurfwaffe, welche bevorzugt gegen Verteidigungsstellungen zum Einsatz kommt. Und ja, es handelt sich in der Tat um ein profanes Wespennest, welches in die Reihen der Feinde geschleudert wird. Doch auch mit weniger spektakulären Waffen hat man sich große Mühe gegeben. Die Flugsichel der primitiven echsischen Tharai ist kein Beispiel großer Waffenkunst oder durchschlagender Schadenswirkung. Dennoch stellt sie ein schönes Exemplar einer sehr typischen und leicht in den Spielfluss zu integrierenden Waffe dar. Meine Lieblingswaffe bleibt allerdings jenes Mordinstrument, welches wohl zu den primitivsten riesländischen Waffen nach dem Faustkeil gehört. Die Noch größerer Keule der steinzeitlichen Nedermannen ist wohl die erste Waffe, die ich mir allein schon wegen ihres Namens unbedingt zulegen würde.
Wir brauchen mehr Panzer
Auch wenn wir beim Rollenspiel vielleicht zuerst an den einzelnen Helden und eine überschaubare Anzahl von Kontrahenten denken, so ist in Rakshazar doch mehr als genug Raum für die zahlreichen Königreiche und ihre zumeist kriegerischen Konflikte. In den Weiten des östlichen Kontinents kann man problemlos ganze Armeen aufeinanderhetzen, ohne irgendeinen Kollateralschaden für den weiteren Verlauf der Kampagne befürchten zu müssen. Insofern ist der Abschnitt zum Kriegsgerät ein Kapitel, dem man definitiv Beachtung schenken sollte. Das Gerät unterteilt sich in Geschütze, Streitwagen und etwas, das sich Kampfplattformen nennt. Während die Geschütze nur eine Erweiterung aventurischer Ballistik darstellen – zum Beispiel Spezialwerkzeug zur Bekämpfung riesenhafter Kreaturen – ist das Kapitel zu den Streitwagen umfangreicher als alle Modelle des Nachbarkontinents zusammen. Auch Kampfplattformen sind etwas, was man in Aventurien kaum findet, wohingegen Besucher der Herr-der-Ringe-Verfilmung sicher gleich riesige Olifanten und ihre Besatzungen vor Augen haben. Und tatsächlich ist dieser Vergleich wohl auch passend. Während der Streitwagen eine steppengeeignete Aufrüstung der Kavallerie darstellt, gehören die riesigen Bestien und ihre Kampfplattformen wohl eher zur Kategorie Panzer der Fantasy-Armee. Wenn es im spätere Regelteil heißt: „ein sehr großes Kampftier … walzt es einfach alles platt, was ihm nicht rechtzeitig ausweicht,“ dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Wer also immer schon mal einen Dinosaurier in die Schlacht gegen Fußvolk lenken wollte oder sich auf der Gegenseite als tollkühner Legolas versuchen, der hat in Rakshazar Gelegenheit dazu.
Legendäre Waffen und Figuren
Bevor es zum echten Regelteil übergeht, findet sich in den Legenden des Stahls noch einmal ein Kapitel, welches weitgehend ohne Regeln auskommt. Es sind Waffen, Schmiede oder Kämpfer, um die sich tatsächlich Legenden ranken. Dabei geht es nicht um konkrete regeltechnische Belange, sondern vielmehr um die Legenden, welche sich um eine Waffe oder Person ranken. Die genaue Ausgestaltung liegt dabei in der Hand des Meisters. Die Strickmuster der vorgestellten Elemente lassen sich auch auf eigene Kreationen übertragen, so dass dieses Kapitel auch immer wieder als Ideengeber für die eigenen Legenden dienen kann.
Zum Schluss noch ein paar Regeln
Der abschließende Regelteil beschäftigt sich naturgegeben zu einem großen Teil damit, die vorgestellten Komponenten noch einmal mit ein paar harten Fakten zu untermauern. So gibt es ein paar brauchbare Regeln zu Streitwagen, eine gelungene Umsetzung der Kampfplattformen und sehr hübsche Regularien zu den Waffen der verschiedenen Technologiestufen. Im Gegensatz zum aventurischen Kontinent, auf dem die unterschiedliche Waffentechnik der Völker bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird und man im Zweifel eher auf magische Upgrades zurückgreift, stellt die Bandbreite zwischen Faustkeil und Vollrüstung ein zentrales Element des riesländischen Settings dar. Auch wenn die Waffenregeln des Schwarzen Auges an dieser Stelle nicht neu erfunden werden, erscheint mir die Umsetzung dieser Unterschiede weitgehend gelungen. So darf sich der vorgeschichtliche Kämpfer mit seinem Obsidianschwert zu Recht als Krone der Schöpfung fühlen, bis ihm zum ersten Mal ein Kämpfer einer Eisenkultur gegenübertritt, und seine Waffen zu nutzlosem Tand werden. Und wo wir schon beim Tand sind: Es gibt tatsächlich eine Seite mit Regelvorschlägen für Kettenhemd-Bikinis. Die Autoren wollen diese vermutlich phantastischste aller Fantasy-Rüstungen besser spielbar machen. Dazu gibt es eine Reihe von Vorschlägen, wie man den spieltechnischen Nachteil derart leichtgerüstete Figuren wieder wett machen kann.
Fazit
Insgesamt präsentiert sich das Buch der Klingen überaus gelungen. Der von mir eingangs erwähnte Fluff-Faktor wird hier hervorragend herausgearbeitet und macht tatsächlich Lust darauf, die verschiedenen Waffen auch einmal im Spiel auszuprobieren. Besser kann man eine Ansammlung von Knüppeln, Klingen und anderen Schlagetods kaum präsentieren. Auch von den harten Fakten ist das Buch überwiegend sehr gut gemacht. Die einzelnen Templates sind wohl durchdacht und sinnvoll verwendet. Ein klein wenig fehlt es mir leider an Übersichtlichkeit. Ein Punkt dabei ist natürlich die Doppelung zwischen Technologiestufe und Kultur. Auch die unter Kostengesichtspunkten (es handelt sich ja nun auch um ein Printprodukt) sinnvolle Lösung, keine Waffen aus anderen DSA-Publikationen zu doppeln, bedeutet natürlich zusätzliches Nachschlagen. Der Regelteil hätte zudem etwas besser mit praxistauglichen Tabellen unterstützt werden können. In Sachen Optik folgt der Band dem hohen Standard des Rakshazar-Fanwerks. Natürlich können die Hobby-Künstler sich nicht alle mit den Profis messen, für mich passt dieses rustikale Element jedoch gut ins Setting. Damit setzt das riesländische Waffenbuch an einigen Stellen neue Maßstäbe und braucht den Vergleich mit anderen Publikationen nicht zu scheuen. Und natürlich sollte kein echter Barbar dieses Standardwerk verpassen.