Gastrezension von VSP
Erwartungshaltungen. Erwartungshaltungen sind ein Problem, insbesondere, wenn sie von einem Romantitel namens Mehrer der Macht genährt werden. Dies gilt umso mehr, wenn man von je her (hinter vorgehaltener Hand) der Auffassung war, dass Hexen im Vergleich zu Druiden öde sind und den „Weisen des Waldes“ viel zu wenig Platz in den bisherigen Publikationen eingeräumt wurde. Weiß man dann noch, dass „Mehrer der Macht“ eine offizielle Druiden-Profession nach DSA 4 bezeichnet, wird der unbedarfte Leser mit gewisser Vorfreude erfüllt. Wird anschließend festgestellt, dass die ganze Chose in Andergast spielt – liebe Freunde, ANDERGAST – weicht die Erwartungshaltung gewisser Sorge. Heißen da die Druiden nicht „Sumupriester“, kurz „Sumen“? Nun sei sofort eingeräumt, dass „Die Sumen“ eher wie eine Folge bei den Schlümpfen und natürlich nicht so cool wie „Die Mehrer der Macht“ klingt. Aber wenn der Titel nur ein Aufhänger sein sollte, damit der Leser auf eine andergastsche Kaffeefahrt gelockt wird, liegt das Wachs der Herrschaft schon bereit …
Die Handlung: „Wenn das Universum ein helles Zentrum hat, bist du auf diesem Planeten am weitesten davon weg.“
Geschildert werden die Ereignisse in den Käff Klein-Königreichen Andergast und Nostria im Zeitraum vom 24. Phex 1035 BF bis 9. Firun 1036 BF. Regionalen Schwerpunkt bilden hier die Gebiete um Joborn, Andergast-Stadt, Nostria-Stadt und Salza. Wie willkürlich ausgewählte Namensbeispiele aus dem Dramatis-Personae-Register zeigen (Bruunsbert von Eschfurt-Lilienbach, Kasmina von Storback-Wirth, Treufried von Bocksburg), wird schnell klar: Hier wird viel Adelsgeschwafel/Adelsgedöns serviert. Hinzu kommt, dass die „große Politik“ des Adels aus Andergast und Nostria eine wesentliche Triebfeder des Romans ausmacht: Wer herrscht wie in welchem Reich, wer trägt die Krone, wer muss sich wie mit seinem Adelspack auseinandersetzen? Perspektivisch wird das Ganze im Wesentlichen durch drei Figuren, respektive aus ihrer Erzählersicht, transportiert: Da wäre zum ersten Prinz Wendelmir von Zornbold, seines Zeichens (und was natürlich jedem bekannt sein dürfte) Mitglied des andergastischen Herrscherhauses, der damit leben muss, dass aufgrund der jüngeren Geschichte kein „echter“ Zornbold, sondern der eingeheiratete Horasier Efferdan auf dem Königsthron hockt. Da dies nicht nur dem alteingesessenem andergaster Adel, sondern auch dem Druiden Yehodan, einem der titelgebenden „Mehrer der Macht“, ein Dorn im Auge ist, findet sich der Prinz alsbald inmitten eines Komplotts aus Menschen und Naturmächten, die ihn zum „Kalif anstelle des Kalifen“ machen wollen. Daneben muss sich der gute Prinz seiner Geliebten Silvana erwehren, die ihn lieber heute als morgen kaputtheiraten will. Das ganze Geschehen aus nächster Nähe verfolgen auch Hauptfiguren Nummer zwei und drei, der „tumbe“ Söldner Helmbrecht sowie der Jungdruide Melanor, dem sein Wunsch-Lehrmeister und Altdruide Arbogast prüfungsweise dazu verdonnert hat, eine gewisse Zeit lang die Pfoten von der Magie zu lassen. Die beiden bauen durch die widrigen Umstände eines Räuberüberfalls eine Freundschaft auf und geraten nolens volens in die Dienste von Prinz Wendelmir und damit in seine Ränke.
[SPOILER ANFANG (zum Aufdecken markieren)]
Yehodan überzeugt Prinz Wendelmir, sich als „Ersatzkönig“ bereit zu halten und sorgt bei einem Jagdunfall für den Tod Efferdans, wobei Wendelmir den König an die entscheidend tödliche Stelle lockt, wo dann ein Baum auf Efferdan fällt. Zuvor versicherte sich der Prinz, tatkräftig von seiner Schwester Wenzeslausia unterstützt, die Loyalität des Adels. Zugleich heuert er den Raubritter Akorius an, um für die nötige Unruhe zu sorgen, so dass man nach einem „starken Herrscher“ ruft. Bei allen Taten sind Helmbrecht und Melanor stets mittendrin statt nur dabei und werden so zu Mitwissern. Nach Efferdans Tod wird Wendelmir planmäßig König. Silvana, die inzwischen Wendelmirs Sohn zur Welt gebracht hat, vermag es nicht, den frisch gekrönten König zur Heirat zu zwingen und entfremdet sich von ihm. Helmbrecht, zum Teil aus Zuneigung zu Silvana, zum Teil aus Furcht, ihr Dienstherr könne lästige Zeugen nun aus dem Verkehr ziehen wollen, flieht mit Silvana und Melanor nach Nostria. Dort macht sich Silvana aus dem Staub und Melanor kriegt eine Abfuhr von Arbogast, nur um unmittelbar eine Ausbildung durch Yehodan in Aussicht gestellt zu bekommen, vorausgesetzt, er sorgt für Unruhe in Nostria.
[SPOILER ENDE]
Hiernach findet Helmbrecht zusammen mit Melanor einen neuen Dienstherrn – dieses Mal auf nostrischer Seite – in Eilert II. Rheideryan. In dessen Diensten werden Helmbrecht und Melanor Zeuge der nostrischen Adelswirren, insbesondere den Intrigen Albios (des Dritten…) von Salza. Dessen Handlungen drohen Nostria an den Rand einer blutigen Adelsfehde und sogar Bürgerkriegs zu bringen, wogegen sich die Magierkönigin Yolande (die Zweite…) verzweifelt stemmt. Auch hier sind Helmbrecht und Melanor hautnah am Geschehen beteiligt, finden sich am Ende des Buches aber erneut ohne Dienstherrn wieder. Sie treffen Silvana wieder und dieses Treffen führt dazu, dass die Freundschaft zwischen Helmbrecht und Melanor im wahrsten Sinne zu Eis erstarrt.
[SPOILER ANFANG]
Um Yehodans Auftrag gerecht zu werden, manipuliert Melanor einen der Gefolgsleute von Eilert, Thade von Gifthorn, was Eilert dazu bringt, sich hilfesuchend an die Königin und die anderen nostrischen Adligen zu wenden. Insbesondere Albios, der insgeheim nach Unabhängigkeit für Salza strebt, lehnt dies verachtend ab und beleidigt Eilert und Thade zutiefst. Daraufhin begibt sich Thade nach Salza und erschlägt dort, erneut von Melanor magisch manipuliert, den Sohn von Albios, der wiederum Thade zu Tode bringt. Eilert belagert daraufhin Salza. Königin Yolande kann den drohenden Bürgerkrieg jedoch dadurch abwenden, indem sie Eilert die Ehe im Gegenzug dafür anbietet, von der Fehde abzulassen. Dem stimmt Eilert zu (für die Romantiker: beide sind einander nicht abgeneigt). Aufgrund der ganzen Scherereien haben sich Helmbrecht und Menalor erneut aus dem Staub gemacht. Silvana, die sich zunächst Nostria als Agentin andiente, wurde von Wendelmir zur Doppelagentin umgedreht mit der Bedingung, Helmbrecht und Melanor als lästige Mitwisser aus dem Weg zu räumen. Der Hinterhalt, in den die Schöne die beiden lockt, geht aber mächtig daneben, als der misstrauische Melanor in weiser Vorbereitung einen Eiselementar auf die Angreifer und Silvana loslässt. Als Melanor die wehrlose Silvana durch den Elementar zu Boron schicken lassen will, stellt sich Helmbrecht, immer noch in Silvana verliebt, in den Weg und appelliert an Melanors Menschlichkeit und Gnade. Melanor, der sich von seinem Freund verraten fühlt, gibt sich endgültig dem Weg des Eises und der Macht hin und lässt beide durch den Eiselementar töten.
[SPOILER ENDE]
Bewertung der Handlung: „After nine years, you know what I realize? Ignorance is bliss.“
Nostria und Andergast waren für mich stets böhmische Dörfer. Bis zu diesem Moment nahm ich diejenigen „persistent objectors“ nicht für voll, die wirklich glaubten, das kleine Fürstentürmer mit enormem Ego Aventurien bereicherten. Hinzu kommt meine latente Abneigung gegen jegliche Adels-Disposition. Eigentlich ist es unmöglich, dass angesichts dieser Voraussetzungen etwas Positives folgt. Doch zähneknirschend muss ich gestehen: Die Handlung hat mir gefallen, gerade wegen des gewählten Orts, des geschilderten Topos. Ja, dazu gehört auch das Adelsgewese – auch wenn ein Teil meines Bewusstseins ob dieser Gedanken mich am liebsten mit dem Gothaischen Genealogischen Handbuch totschlagen würde.
Man nimmt Anteil am Schicksal der beiden kleinen Länder und ihrer Bewohner. Natürlich wird hier in großen Kellen Metaplot verteilt. Daher dürften zahlreiche Handlungsstränge einigen Lesern bereits bekannt sein (etwa, was aus Prinz Wendelmir wird), insbesondere regelmäßigen Botenlesern und/oder aufmerksamen Verfolgern der Geschichte von Nostria und Andergast. Allein dies ist aber kein K.O. – Kriterium, ansonsten könnten alle historischen Romane einpacken. Entscheidend ist, dass es der Autorin gelingt, trotz des möglichen Umstandes, dass der Leser das Ende schon kennt, eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen. Die Autorin ist klug genug, diejenigen Sequenzen, die vermutlich ausführlich(er) im „offiziellen Aventurien“ geschildert wurden, kurz zu halten und sich lieber auf die Aktionen und Reaktionen der Protagonisten in diesem Rahmen zu konzentrieren. Exemplarisch sei hier der entscheidende Jagdausflug Efferdans genannt, der im Buch in verhältnismäßig wenigen Sätzen, keineswegs aber detailliert, abgehandelt wird. Es sei aber eingeräumt, dass diejenigen, die kein Vorwissen besitzen, hier einen größeren Lesegenuss für sich verbuchen können.
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass die Autorin es schafft, ein eigenes Flair dieser Landstriche zu vermitteln, mithin etwas genuin Aventurisches. Es wird das Bild eines rückständigen, hinterwäldlerischen und durchaus „unzivilisierten“ Landes gezeichnet, das gleichwohl mit einem stolzen und herrischen Adel aufwarten kann, während die „Sumen“ die Fäden in der Hand halten. Diesbezüglich wurden die eingangs erwähnten Erwartungshaltungen nicht enttäuscht. Die Druiden haben ihren Auftritt und ihre Bedeutung für die Geschichte, und auch wenn ich mir wünschte, mehr von den „Sumen“ zu erfahren, ist die Schilderung der im Hintergrund wirkenden Druiden so konsequent wie gut gelungen. Dass bei der Darstellung von Land und Leuten ab und an übers Ziel hinaus geschossen, etwa wenn dem Bauern XY ein derber Dialekt auf den Leib geschrieben wird, sei an dieser Stelle erwähnt, aber gnädig übersehen. Im Gegenteil, wenn Begriffe wie „andergarstig“ fallen, ist dass schon wieder so herrlich (gefühlt?) DSA 3 – retro, wie der Begriff „Nostriaden“. Als jemand, der hinsichtlich Nostria und Andergast weder von Tuten noch Blasen Ahnung hat ist dies unglaublich unterhaltsam – selbstverständlich unterstellt, die Autorin hat ihre Hausaufgaben gemacht und ist dem „Geist“ dieser Region gerecht geworden.
Die „Schwarze Auge“ – Komponenten passen also, aber auch der Rest muss sich nicht verstecken. Das Buch wartet mit einer gefälligen Erzählstruktur auf, die jeweiligen Erzählperspektiven sind gut gewählt. Dass man sich hierbei bisweilen an „Song of Ice und Fire“ erinnert fühlt, fällt dabei nicht störend ins Gewicht. Nie stellte sich (bei mir) das Verlangen ein, „vorzulesen“ und zu einer anderen Figur zu springen, weil die gerade gewählte Perspektive nicht zu fesseln wusste. Ist nun alles eitel Sonnenschein? Nein, die dargebotene Erzählstruktur bleibt nicht ohne Schwächen. So ist fraglich, welchen Sinn die Handlungen Wendelmirs haben, um sich politisch in Stellung zu bringen, insbesondere warum er sich der Dienste des „Ritters“ Akorius versichert. Zum Gelingen der Pläne trägt dies nur bedingt bei. Auch die Handlungen Silvanas sind teilweise nur bedingt nachvollziehbar. Man wird das Gefühl nicht los, dass sie bisweilen wie ein weiblicher McGuffin wirkt. Jedenfalls erfüllt sie diese Funktion tadellos. Auch die Aufteilung des Buches in einen „Andergast“- und einen „Nostria“-Teil ist nicht nur förderlich für das Lesevergnügen. Während es im ersten Teil Dank des konsequenten Fokus‘ auf Wendelmir und Helmbrecht gelingt, die Handlung trotz der ganzen Adelswirren und Kleinstaaterei kompakt zu halten, will dies in der zweiten Hälfte nicht immer gelingen. Der Eindruck entsteht, dass hier die Autorin nicht mehr so viel Zeit und Platz an Seiten hatte, ihre Geschichte zu Papier zu bringen. Zahlreiche Figuren werden dann relativ rasch eingefügt, einigen werden auch Pläne und Handlungsstränge zugeordnet. Aber dies wird nicht wird zu Ende gebracht oder entwickelt ein atemberaubendes Tempo. Exemplarisch sei hier das Verhältnis zwischen Königin Yolande und dem Adligen Eilert Rheideryan genannt oder die Tatsache, dass eine namenlose „generic adventure group“ die Königin inkognito durch die Lande begleitet, ohne dass wir Namen oder Zusammensetzung dieser gesichtslosen Recken erfahren (so dies ein Szenario aus einem der Boten oder sonstigen Quellen ist, nehme ich diesen Punkt natürlich zurück). Dies mag dem Metaplot geschuldet sein (so vermutet was die Ränke Albios von Salza angeht) oder einem geplanten Fortsetzungsroman (was das weitere Schicksal von Helmbrecht und Melanor angeht) – schade bleibt es dennoch, weil nicht mehr ganz das Niveau gehalten, wohl aber wesentlich mehr Mord und Totschlag geboten wird. Besonders die „Auflösung“ der Beziehung zwischen Helmbrecht und Melanor geschieht mehr oder weniger in wenigen Seiten im letzten Kapitel – und dies gemessen am vorherigen Romanverlauf in etwas ungnädiger Art und Weise. Auf dem letzten Meter erscheint mal wieder ein „deus bzw. Hirsch ex machina“, der den „Ich bin ein Fortsetzungsroman, ätsch“-Eindruck noch verstärkt und nahezu vollständig ohne Kontext bleibt (falls ich nicht mal wieder eine geheime Götterbotschaft übersehen habe). Das tat nicht not und hätte auch in eine Fortsetzung platziert werden können.
Die Charaktere: „Auf dem Landsitz North Cothelstone Hall von Lord und Lady Hesketh-Fortescue befinden sich außer dem jüngsten Sohn Meredith auch die Cousinen Priscilla und Gwyneth Molesworth…“
Es wurde schon erwähnt: jede Menge Adelsgezücht treibt in dem Buch sein Unwesen. Manche davon sind als Nebenfiguren beliebig, manche schaffen es, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Wirkliche Ausfälle kann man nicht konstatieren. Als Nebenfiguren sind mir hier Rondriane von Sappenstiel und Wenzeslausia von Zornbold wohlwollend im Gedächtnis geblieben. Während die eine als Marschallin versucht Nostria am Laufen zu halten, kann die andere als Schwester Prinz Wendelmirs die Stellung einer Art „Queen of Thornes light“ von Andergast prätendieren. Herzstück sind aber natürlich die drei Figuren Wendelmir, Helmbrecht und Melanor. Eindeutig herauszuheben ist hier der Prinz aus Andergast. Wenn man schon im ersten Kapitel sich dabei ertappt, einer Hauptfigur – ob ihres offensichtlich unsympathischen Auftretens– die Duglumspest an den Hals zu wünschen und dies evident so gewollt ist, dann hat der Autor bzw. die Autorin viel richtig gemacht. Denn Faszination kann durchaus daraus erwachsen, dass man wissen will, ob und wenn ja wie eine Figur zu Grunde geht (man spricht auch vom „König Joffrey-Effekt“). Gewiss öffnet sich auch hier die Stereotypen–Kiste, wenn „typisch“ adlige Verhaltensmuster wie penetrantes Schlechtbehandeln von Untergebenen bemüht werden. Trotzdem wird mehr geboten als der 0815-Adlige, der seine Bauern unterdrückt. Dies betrifft zum einen die Ambitionen und die Motivation des Prinzen, welche sich im Fortlauf des Romans potenzieren und ihn folgerichtig dorthin führen, wo er am Ende anlangt. Lobenswert ist zum anderen der Kontrast, den die Autorin versucht zu zeichnen. Wenn Wendelmir zumindest an einer Stelle darüber nachdenkt, ob er auch mit einem anderen Lebensstil, als „einfacher“ Vater des Kindes seiner Geliebten, zufrieden sein könnte, wird hierdurch Sympathie für eine Person erzeugt, die eigentlich ein Mistkerl ist. Das mag mancher als inkonsequente Darstellung bemängeln. Mir ist ein Charakter aber allemal glaubhafter, der zumindest kurz über alternative Verhaltensweisen reflektiert, denn die einseitig schablonenhafte Darstellung einer Landplage in Menschenform.
Helmbrecht, der Söldner, wird zu Recht als „tumb“ beschrieben, rafft er doch nicht, dass sein jugendlicher Begleiter kein Metall anfassen will, sich gut mit Kräutern auskennt und dass jedem, der gemein zu ihm ist, ein „Missgeschick“ passiert. Gerade da Helmbrecht in diesem Kulturkreis aufgewachsen ist (er stammt aus Joborn), nimmt einen das schon Wunder. Auf der anderen Seite ist so etwas auf gewisse Weise eine wohltuende Abwechslung – ein Hauptcharakter, der in diesem Punkt wirklich blöde ist (zum Vergleich: sowas wäre doch in jeder Rollenspielrunde vermutlich undenkbar). Fast gemein mutet es da schon an, wenn die Autorin diesen Charakter am Ende des Romans doch noch die richtigen Schlüsse ziehen lässt – was man mit Wohlwollen als Charakterentwicklung verstehen könnte. Aber auch ohne solche gibt es Schlimmeres, als sich vom andergastischen Simplicissimus von Dienstherrn zu Dienstherrn schleppen zu lassen, um die dortigen Geschichten geschildert zu bekommen.
In diesem figürlichen Triptychon fällt Melanor leider etwas ab. Die Figur bleibt blass, gemessen an dem ihr innewohnenden Potential. Im Endeffekt schafft es Melanor nie über das Rollenbild des stereotypen Druiden hinaus, der sich „der Beherrschung und Beeinflussung kulturschaffender Zweibeiner“ widmet und in seinen Mitmenschen kaum bessere Tiere sieht. Zwar gibt es durchaus gelungene Darstellungen, etwa wenn anhand des Kontrastes zu Helmbrecht die unterschiedliche Wahrnehmung der Umgebung und Umwelt durch einen Druiden anhand von Melanor geschildert wird. Der Schwerpunkt der Charakterentwicklung liegt aber darin, welchem Weg, welcher druidischen Denkschule der junge Sume folgen wird. Melanor wird hier konsequent als passiv beobachtender Machtmensch dargestellt, so dass relativ schnell klar ist, wie die ihm von Arbogast gestellte Prüfung ausfallen wird. Dabei legt der Jungdruide eine Rachsucht an den Tag, der einer Hexe gut zu Gesicht stünde. Gewiss ist das so gewollt und anhand der Adelsintrigen, die der Junge beobachten muss/kann durchaus auch nachvollziehbar und in sich schlüssig. Aber warum er gerade eine Beziehung zu Helmbrecht entwickelt – und diese dann noch nach mühevoller Etablierung rubbeldiekatz über den Ingval gesendet wird – ist nicht immer ganz nachvollziehbar (wenn auch gut erzählt).
Stil: „Ja Herr, unbezahlbar, weil wertlos, Herr.“
Vermutlich ist bei einem Roman nichts so sehr Geschmacksfrage wie der Stil. Vorliegend wird fast durchgehend eine Sprache benutzt, die man so problemlos bei Douglas Adams und vor allem Terry Pratchett finden könnte. Das kann man mögen oder auch nicht. Bei mir ist es definitiv ersteres der Fall. Über weite Passagen kam ich aus dem Schmunzeln nicht heraus und einige Sätze („Ich nörgele nicht.“, nörgelte Melanor.) und Absätze („Plötzlich verstand der Söldner, wie sich Swafnir gefühlt haben musste, als er zum ersten Mal die liebliche Ifirn erblickt hatte: wie ein kompletter Idiot.“) sind schlichtweg zum niederknien. Wenn etwa das Verhältnis Prinz Wendelmirs zu seinem renitenten Ross beschrieben wird, hofft man insgeheim, dass es bald darüber weitere Kurzgeschichten geben wird. Natürlich ist so eine Schreibweise auch ein eleganter Kniff, viel der Phantasie des Lesers zu überlassen. Aber das ist allemal besser, als wenn der Text lapidar „Sie kämpfen.“ lauten würde, wenn es um die Beschreibung einer Kampfszene geht. Die Gefahr eines solchen Stils ist es freilich, ernste Szenen lächerlich wirken zu lassen. Aber diese Klippen umschifft die Autorin, indem sie im richtigen Moment die Sprache und Beschreibung wechselt. Auch erschöpft sich der Roman nicht allein in humoristischen Darstellungen. Es finden sich bisweilen echte Perlen, die gänzlich frei davon sind – etwa ein beindruckend geschilderter Gottesdienst in einem Rahjatempel, der mal ganz praktisch zeigt, dass unter dem Dienst an der schönen Göttin mehr als die historische Tempelprostitution zu verstehen ist.
Fazit und Bewertung: „Niemand urteilt schärfer als der Ungebildete.“
Es sei hier zugestanden, dass ich keinerlei Ahnung hatte von der Region Nostria/Andergast im Allgemeinen und den jüngeren Entwicklungen im Besonderen. Daher bestand die Möglichkeit, völlig unbedarft an den Roman heranzugehen. Bewusst habe ich auch darauf verzichtet, nach dem Lesen des Romans „Recherchen“ anzustellen, ob das gezeichnete Bild mit dem Quellenmaterial (z. B. aus Unter dem Westwind) übereinstimmt und habe es allein an meiner „aventurischen Allgemeinbildung“ gemessen. Mir gefällt das Nostria und Andergast, wie man es im Roman kennenlernen kann. Wer als anerkannter und staatlich geprüfter Nostria- und Andergastexperte jedoch explizite Fehler aufzufinden vermag und ob seiner Kenntnisse keine Überraschungen bei der Geschichte mehr vorfinden konnte, kann von folgender Bewertung getrost ein Einhorn abziehen. Ein weiteres Einhorn mag der zur Strecke bringen, der dem humoristischen Stil nichts abgewinnen kann. Mein Votum verbleibt aber wie folgt:
Neun Einhörner verschlug es nach Nostria und Andergast. Ein Einhorn wurde vom Erzähltempo und –struktur der zweiten Romanhälfte verscheucht, ein weiteres nimmt den mehr oder minder verdeckten „offenes Ende“-Charakter des Buches übel und ein drittes Einhorn ist über Wendelmirs Abwesenheit sowie den „Beziehungsstatus“ zwischen Melanor und Helmbrecht in der zweiten Hälfte des Buches erbost. Es verbleibt ein Einhorn, welches sich in Wendelmir „verliebt“ hat, ein weiteres will trotz seines vergrätzten Artgenossen wissen, wie die Geschichte von und mit Melanor und Helmbrecht weitergeht. Ein weiteres Einhorn ist begeistert vom Stil und wird von einem Einhorn begleitet, welches sich ob der gelungenen Darstellung einer aventurischen (Rand-)Region freut. Das letzte Einhorn, welches für zwei zählt, ertappt sich – etwas konsterniert doch gleichwohl wohlwollend – dabei, dass es seinen Helden bzw. seine Heldengruppe nach Lesen des Romans gerne mal in Nostria und Andergast spielen lassen will. Das macht 6 von 9 hinterwäldlerischen, adelsstolzen Teshkaler Rössern, die sich als Einhörner getarnt haben – und damit durchkommen.
Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.
Nandurion bedankt sich bei VSP für die Gastrezension!
Ohne den Text gelesen zu haben: lang lebe Andergast! Nieder mit Nostria! 😉
Wärst damit ja auch der erste Eichelfresser, der des Lesens mächtig ist… ^o^
Eviva Nostria!
Ich hatte eigentlich gehofft, dass mit Josch der letzte Fischkopf abgehauen ist, aber war ja klar, dass der Spötter höchstpersönlich mir die Sinnlosigkeit meiner Wünsche aufzeigen muss…. ^^
Sorry, ich tue hier nur meinen Job. 😉
Pingback: Türchen zehn: Rezension zu Mehrer der Macht | Nandurion
Ich stimme in weiten Teilen der Rezension, besonders was den zweiten Teil der Handlung betrifft, zu auch wenn ich die “Lösung“ von Yolande nicht zu eilig sondern eher zu vorhersehbar fand, dennoch fand ich die Umsetzung immer noch ansprechend. Sehr gefallen haben mir die Schilderungen von Spiritualität und Transzendenz, nicht nur im Tempel. Wendelmirs Darstellung finde ich extrem gelungen, besonders da er in der “Innensicht“, wie erwähnt wurde, recht vielschichtig (Sturz vom Pferd) gezeichnet wird, in der “Außenperspektive“ aber das Arschloch- hab ich das laut gesagt?- bleibt, als das ich ihn kenne. Cooler Kniff.
Schade, dass der zweite Teil etwas abfällt.
Ich fand auch, dass der zweite Teil des Romans abgefallen ist. Er hatte nach meinem Empfinden ein ganz anderes Erzähltempo, schneller und oberflächlicher. Der erste Teil gefiel mir außerordentlich gut. Was mir zu kurz kam war die Entwicklung von Melanor. Der Auftritt Yehodans unmittelbar nach dem Abgang von Arbogast fand ich zu gewillkürt. Arbogasts Motivation würde mich interessieren, weshalb er als erfahrenerer, legendären Sume Melanor so im Regen stehen lässt, zumal er ja auch der Meister von Yehodan war. Ihm musste doch klar sein, wie sich Melanor entwickelt ohne die führende Hand eines Meisters. Das fand ich aus Arbogasts Sicht schwach. Die Erzählung und Sprache hat mir gut gefallen, insbesondere Wendelmir. Bei Silvana fand ich, dass ihr „Wandel“ etwas zu kurz und zu oberflächlich in der Darstellung war. Aber vermutlich war dies dem mangelnden Platz geschuldet, der für den Teil in Nostria frei geräumt werden müsste. Alles in allem hat es mir Spaß gemacht den Roman zu lesen, wenn auch mein Lesegenuss in Teil 2 abgeflacht ist.
Ich habe mir selbstverständlich SOFORT einen zwergischen Geoden und einen elfischen Zauberweber ausgewürfelt, die natürlich in Andergast bzw. Nostria geboren und aufgewachsen sind? Oder hat mich orkische Umweltverschmutzung schon dumpfschädelig werden lassen? 😉
Ich habe heute Nacht gelernt, dass Rezensionen spannender sein können, als überteuerte Romane und Ebooks. Selbst 2017 will man für „Mörderlied, Nachtrichter, oder Sumen wo sich hinter „Mehrer der Macht“ versteckt noch mindestens € 7,99,- pro elektronischem Text und „Mörderlied“ wurde als Sammlerstück (Papier-Buch) mit über € 69,- gehandelt? Aua.
Danke Curima, auch dafür, dass man jetzt nicht Ihre facebook Seite anklicken muss, oder Twitter und Tumblr et cetera aufzusuchen hat. 😉
Freut mich, dass die Rezension dir gefallen hat – zu danken ist aber Gastrezensent VSP und nicht mir 😉 .
Entschuldigung an VSP. Mit gedrosselter Verbindung sind alle abschaltbaren Animationen, Grafiken und Töne aus. Da wirke ich manchmal retardierter, als mir lieb ist.
Danke für die Klarstellung, Curima. Ich habe aber auch auf Ihren Namen geklickt und mich neugierig umgeschaut… 😉