Der weiße See — Theaterritter 1

Der weiße See Cover

Der weiße See — Theaterritter 1

von Daniel Heßler und Niklas Forreiter

Seitenzahl: 72
Preis: 14,95 € (Print)
7,99 € (PDF)
Region: Bornland
Zeit: Herbst 1039 BF
Komplexität:
(Spieler/Meister)
mittel/mittel
Erfahrung: erfahren
Gesellschaft:
Kampf:
Natur:
leb. Geschichte:
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Manchmal muss man, um zu siegen,
Freunde morden und verraten;
man muss lügen und betrügen,
man muss sähen böse Saaten.

Schau die Feuer, hör die Trommel
und ergib dich diese Nacht;
schau die Feuer, hör die Trommel,
wir gewinnen diese Schlacht.

— Kampflied mit dem Titel „Die Schlacht“, jüngst bei einer Gruppe Bronnjaren im Bornischen gehört

Der weiße See, so heißt der erste Teil der neuen Kampagne um die Zukunft des Bornlands und die Geschichte der Theaterritter. Die Reihe wird nach aktuellem Stand sechs Teile bekommen, deren Titel allesamt eine Farbe* und ein Objekt beschreiben. Man kann vermuten, dass diese jeweils eine wichtige Rolle spielen. Im konkreten Fall beschreibt „der weiße See“ einen der zentralen Handlungsorte: einen langsam zufrierenden Tümpel der Hardener Seenplatte im Bornland.

*Jaja, klar, Weiß ist keine Farbe. Aber erklärt das mal einem Bronnjaren!

Soweit bisher bekannt ist, sollen alle Teile, auch wenn sie einen zusammenhängenden Bogen bilden, als Einzelabenteuer spielbar sein. In der Rezension werde ich zunächst den Blick auf den Band als Kampagnenauftakt richten, als der er wohl in der Mehrzahl der Runden dienen wird. Am Ende werde ich dann aber auch kurz meine Meinung zum Abenteuer als Einzelwerk formulieren.

Wer den Band noch als Spieler erleben möchte und deshalb keine Spoiler zum Inhalt wünscht, der sollte die nun folgenden Abschnitte überspringen und direkt zum Fazit gehen — bei diesem werde ich mich bemühen, keine Geheimnisse zu verraten.

Das Einhorn warnt: Ende der spoilerfreien Zone!
Nandus Balken Schmal

Schitzenspiel & Muhmenschanz — Hintergrund und Handlung im Überblick

Stein des Anstoßes ist die Thorwalertrommel, ein vor über hundert Jahren mit der Haut des hingerichteten Piraten Atmaskot Blutsäufer bespanntes Musikinstrument. Ein halbes Jahr vor Abenteuerbeginn sorgte ihr Einsatz bei den traditionellen Atmaskot-Umzügen für Unruhe. Durch eine heimliche Intrige wurde sie danach an Norbarden verkauft und bei den Sippen der Hardener Seenplatte versteckt. Die Stadtgarde erfuhr durch einen Tipp davon und der Hauptmann der Garde, Elkman Timpski, nahm sich als patriotische Aufgabe die Rückholung des Instruments vor. Dazu verbündete er sich mit Prinz Joost von Salderkeim, dem Thronerben eines der größten bornischen Adelshäuser mit familiärer Verbindung zu den Stoerrebrandts, sammelte einen Heerzug und rückte zur Seenplatte aus.

Unabhängig von der Trommel gibt es zwei verliebte Festumer Stadtgoblins, Jääni Grauroth und Bruutsch Smuddelvlies. Beide trafen sich regelmäßig mit Menschen zum feucht-fröhlichen Gedankenaustausch im Festumer Stadtteil Hesindendorf. Dummerweise plauderte die Goblinin, Schülerin der Schamanin Mantka Riiba, im Alkoholrausch einige geheime Informationen über Rituale ihrer Lehrmeisterin aus, woraufhin diese sie zur Buße in die Rote Sichel verbannte. Auf dem Weg ins Exil begleitete sie ihr Liebhaber, beide wurden jedoch außerhalb Festums vom vorrückenden Heerzug gefangen genommen, dem sich auch einige Bronnjaren unter Jaruslaw von Kirschhausen-Krabbwitzkoje anschlossen, dem Vertreter des in der Region herrschenden Adelshauses derer von Kirschhausen.

Wie der Titel vermuten lässt, wird sich das kommende Heldenwerk-Abenteuer Die Thorwalertrommel mit der Ereignissen vor der Kampagne beschäftigen.

Wie schon der Titel vermuten lässt, wird sich das kommende Heldenwerk-Abenteuer Die Thorwalertrommel mit den Ereignissen vor der Kampagne beschäftigen. Nimm man noch Ein Goblin mehr oder weniger dazu, hat man ein Doppel-Prequel in Festum, bevor die eigentlichen Kampagne startet.

Das eigentliche Abenteuer startet im herbstlichen Festum, wo bereits der erste Schnee liegt. Die Helden werden von einer Partei der Stadt (mehrere stehen zur Auswahl) ausgeschickt, um beim Konflikt um die Trommel zu vermitteln und Blutvergießen zu vermeiden. Begleitet werden sie vom Magier Olko Knaack. Diesem hatte Jääni die Geheimnisse verraten und er sieht sich in der Pflicht seinen Freunden zu helfen, nachdem er von ihrer Gefangennahme erfahren hat. Nach kurzer Reise kommt die Gruppe an der Seenplatte an und muss nach Möglichkeiten suchen, die Festumer und Norbarden trotz aller Widrigkeiten friedlich an den Verhandlungstisch zu bringen, so dass die Verhandlungen über den Kauf der Trommel ein Erfolg werden.

Auch die gefangenen Goblins werden befreit, was allerdings zu neuen Problemen führt: Aus Rachedurst verzaubert Jääni die Trommel mit einem Ritual, so dass Bruutsch nach Abschluss des Handels in einer Blitzaktion die Trommel schlagen und damit die anwesenden Menschen in einen Blutrausch versetzen kann, bevor beide Rotpelze fliehen.

Im letzten Teil des Abenteuers werden die Helden mit Unterstützung ausgeschickt, um die flüchtigen Goblins zu fangen, so dass diese bestraft werden können. Begleitet wird die Gruppe von einer Rondrageweihten, die heimlich dem Korsmal-Bund angehört, einem Kult, der auf blutigen Traditionen der Theaterritter fußt und Norbarden und Händler gerne blutig in die Schranken weisen würde. Die Rondrianerin sieht im Trommelritual ein korgefälliges Werkzeug, das sie für den Bund in die Hand bekommen will. Der Spur der fliehenden Rotpelze in die Rote Sichel kann die Gruppe dank norbardischer Zibiljamagie folgen und so schließlich die Goblins aufspüren. Der Stamm, bei dem sie Zuflucht gefunden haben, kann schließlich durch Gewalt und/oder Verhandlungsgeschick dazu gebracht werden, Jääni und/oder Bruutsch auszuliefern, wobei den Helden ein gewichtiges Wort über deren weiteres Schicksal zufällt. Der Korsmal-Bund wiederum erlangt Zugriff auf die Goblin-Schamanin und damit auf das Trommelritual.

Von Pfeffersäcken & Honigtöpfen — Ausstattung & Übersichtlichkeit

Bevor es um die Inhalte geht, erst einmal ein Blick auf die Form. Das Abenteuer folgt der DSA5-Designlinie, ist also, wie man es inzwischen schon gewohnt ist, vollfarbig. So bekommt man auch farbige Bilder für Ansichten von Örtlichkeiten und Szenen, die in der Regel die Situation auch sehr gut darstellen. An einer einzigen Stelle ist mir eine Diskrepanz aufgefallen, als nach Textbeschreibung auf einem Bild dargestellte Gefangene Ringe am Hals tragen sollen, die in der Abbildung aber am Arm sind. Für meinen Geschmack wirklich herausragend, auch nach DSA5-Maßstäben, ist die Vielzahl farbiger Personenporträts. Meine absoluten Favoriten sind dabei die Bilder von Magier Alwin K. Wippflügler und der Rondrageweihten Leudara Argentalis von Firunen (siehe auch die Abbildung weiter unten in der Rezension).

Auch bei den strukturierenden Layoutelementen wird die Farbe gut eingesetzt. Das hilft beim schnellen Suchen von Informationen:

Beispielseite aus dem Abenteuer. Die Erklärungen zu den Elementen finden sich in der Liste links . 1 das grüne Erwachen-Lindenblatt, 2 das Kampagnen-Löwensymbol, 3 dunkler Optional-Balken, 4 dunkler Spielleiterkasten, 5 Pergament-Infokasten

Beispielseite aus dem Abenteuer (Erklärungen zu den Elementen siehe links):
1 das grüne Erwachen-Lindenblatt,
2 das Kampagnen-Löwensymbol,
3 dunkler Optional-Balken,
4 dunkler Spielleiterkasten,
5 Pergament-Infokasten.

  1. Stellen, die das „Erwachen des Landes“, das bisher noch nicht geklärte Auftreten von seltsamen Ereignissen rund um die Pflanzen und Tiere zwischen Born und Walsach, betreffen, sind durch ein grünes Lindenblatt markiert.
  2. Stellen, die für die weitere Kampagne wichtig sind, haben eine Markierung durch ein Löwensymbol.
  3. Dunkle Balken zeigen optionale Szenen und Inhalte oder gehen neuen Regelelementen voraus.
  4. Dunkle Kästen bieten direkte Hilfen für den Spielleiter, bspw. durch „Meistermasken“ — Fußnoten zu speziellen Stellen — oder Erklärungen und Tipps zu bestimmten Szenen und Setzungen.
  5. Infokästen zu Wesen, Personen, Städten, etc., wichtige Hintergrundinformationen und Vorlesetexte finden sich in Pergamentkästen.

Die Elemente strukturieren wirklich gut und geben schnelle Orientierungshilfen für das Auge. Dennoch ist es gerade bei der Vielzahl der Personen, mit denen es die Spieler zu tun bekommen, manchmal dennoch schwer, den Überblick im Abenteuer zu behalten. Besonders im Mittelteil, bei dem die Helden zwischen den Fronten vermitteln, ist das Personengeflecht dicht und Übersicht wichtig. Bei den Festumern gibt es dabei eine durchaus übersichtliche Liste, auf Seite der Norbarden verteilen sich die Beschreibungen aber über einen größeren Bereich, was die Suche erschwert. Hier wäre ein eigenes Personenregister mit Kurzinformationen („gehört zu“, „ist Gegner von“) und Seitenverweisen noch eine große Hilfe gewesen.

Vielleicht wäre das etwas, was im Downloadbereich zum Abenteuer auf der Ulissesseite ergänzt werden könnte. Dort finden sich schon Informationen zum Bornland, die man herunterladen und den Spielern in die Hand geben kann, z. B. ein Glossar mit wichtigen Begriffen und Hintergrundinformationen zur Region. Es wird sicher Spieler geben, die sowas lieber im eigentlichen Abenteuerband sehen würden, aber das hätte den verfügbaren Platz dort um vier Seiten verringert, bzw. das Abenteuer um weitere vier Seiten verlängert, was für diese längst nicht für alle wichtigen Informationen in meinen Augen die schlechtere Alternative gewesen wäre.

Ebenfalls dort findet sich das Arbeitspapier zur Kampagne, in dem unter Vorbehalt die Handlung der weiteren Bände umrissen wird. Auch im Abenteuer selbst finden sich viele Hinweise darauf, wie bspw. bestimmte Handlungsträger sich im weiteren Verlauf verändern werden und welche Entscheidungen der Helden hier eine Rolle spielen. Inwieweit diese Informationen ausreichend sind, wird man wohl erst ganz am Ende entscheiden können, soweit machen sie aber einen guten und sehr hilfreichen Eindruck auf mich.

Kommen wir zu einem der heißen DSA5-Eisen: Neue Elemente im Abenteuer. Da sowohl Goblin-Schamaninnen als auch Zibiljas im Band auftauchen, beide aber nicht im Regelwerk enthalten sind, muss das Abenteuer die relevanten Informationen zu ihnen liefern. So gibt es Beschreibungen der beiden Traditions-Sonderfertigkeiten und der drei für das Abenteuer wichtigen Rituale — zwei norbardische und ein goblinisches. Zwei weitere magische Effekte (Aufmerksamer Wächter und Tiere aus Farben) der Goblins werden im Abenteuer mit ihren Auswirkungen beschrieben, ohne dass die zur Erstellung nötigen Rituale aufgeführt werden. Zusätzlich haben die Goblin-Schamaninnen auch noch Zugriff auf einige Zauberfertigkeiten, wodurch sie insgesamt gut darstellbar sind.

Dank des Ulisses-Kartenpakets für alle verfügbar: Die farbige Bornland-Karte. Zur Verwendung sie die Kartenpaket-Lizenz.

Dank des Ulisses-Kartenpakets für alle verfügbar: Die farbige Bornland-Karte. Zur Verwendung siehe die Kartenpaket-Lizenz.

Die Zibiljas besitzen nur ihre beiden Rituale, sind allerdings auch vom Hintergrund her nicht die Vielzauberer und agieren zudem bestenfalls moderat gegen die Helden, so dass von ihrer Seite kein massiver Magieeinsatz im Abenteuer wahrscheinlich ist. So scheint mir auch ihre Darstellung gut möglich zu sein, zumal für die norbardische Kultur noch zwei Sonderfertigkeiten profaner Natur enthalten sind, die ihnen beim Handel und beim Unterstützen von Familienmitglieder helfen — beides Sachen, die der Darstellung der norbardischen Kultur dienen. Letztere Fähigkeiten scheinen mir aber auch nicht so wichtig zu sein, dass sie in das Regelwerk gehört hätten. Insgesamt sehe ich so keine Überfrachtung des Abenteuers mit neuen Sachen, die (vielleicht auch später) Dopplungen zu anderen Werken darstellen würden und finde zudem die Informationen im Band völlig ausreichend für das Spiel.

Schließlich der Blick auf einen weiteren häufig kritisierten Punkt: Die Karten. Hier sehe ich einiges Licht, leider aber auch etwas Schatten. Auf der Lichtseite findet sich ein schöner, farbiger Stadtplan von Festum, dazu eine hübsche S/W-Übersichtskarte fürs Finale, die die Höhlen einer Goblinsippe zeigen. Für die jeweiligen Reiseabschnitte gibt es kleine Kartenskizzen, die als ingame-Karten nutzbar sind und so auch den Helden in die Hand gedrückt werden können — sie decken aber jeweils nur einen kleinen Bereich ab. Die Bornland-Karte des Ulisses-Kartenpakets bietet hier eine Alternative für Gruppen bzw. Spielleiter, die diese Karte nicht ohnehin schon besitzen und die den Bereich der Handlung einmal mit mehr Umfeld sehen wollen.

Was mir wirklich fehlt ist eine Übersichtskarte über den Handlungsort des Abenteuer-Mittelteils. Hier lagern Bronnjaren, Bürger und Söldner auf der einen Seite, während die Norbardensippen sich auf verschiedene Seen mit ihren Hausbooten verteilen. Spätestens, wenn die Spieler überlegen, wie man die beiden gefangenen Goblins befreien könnte, werden sicherlich genügend Spieler einen Überblick über das Umfeld des Ortes, an dem die Rotpelze festgehalten werden, haben wollen. Ebenso dürfte beim Nachspüren oder Verhindern von Sabotageakten den Spielern ohne Karte der Lagerstruktur die Situation schnell nebulös werden. Der findige Spielleiter wird hier also improvisieren müssen und das Lager selbst zeichnen. Anhand einer Illustration kann man dabei dessen grobes Aussehen immerhin durchaus abschätzen, eine richtige Übersichtskarte wäre hier aber dennoch ein wichtiges Plus gewesen.

Das Land erwacht — Plot und aventurische Stimmigkeit

Die große Stärke der Geschichte ist die Darstellung des Bornlands mit seinen vielfältigen Facetten. Das passiert sowohl im eigentlichen Hauptstrang der Handlung als auch in einer Vielzahl von Optionalszenen. Wenn in Festum beim Händler ein Bronnjar versucht, seinen Willen durchzusetzen, oder ein Goblinhändler einem Norbardenjungen „Haltet den Dieb!“ nachruft, dann lernt man quasi nebenbei die Stimmung und Situation in der Stadt kennen. Wenn man dann auf dem Land mitbekommt, dass Goblins, trotz Bürgerrechten in Festum, mit Leib und Leben einfach der Willkür der Bronnjaren ausgeliefert sind und die adligen Herrscher des Bornlands auch gegenüber Norbarden und Bürgern teilweise sehr arrogant und aggressiv auftreten, dann ist das Spannungsgefüge im Land schnell klar.

In der Roten Sichel kommen schließlich die wilden Aspekte der Region dazu, wenn es zu Begegnungen mit eher schlecht gelaunten Trollen oder Stammesgoblins kommt. Auch die Mythen und Geschichten um die schlafende Gigantin, aus deren Leib die Berge bestehen sollen, fügen dem Bild ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu. „Das Erwachen“ des Landes gehört ebenfalls dazu und wird mit Szenen angeschnitten, ohne jedoch schon letztendlich geklärt zu werden. Anhand des Kampagnenausblick scheint dieses Thema beizeiten aber noch eine umfassendere Erklärung zu bekommen. Interessant finde ich auf jeden Fall den Korsmal-Bund als Gegenspieler der Helden, der sich auf die blutigen und nicht so freundlichen Aspekte der Theaterritter besinnt. Steht der Widderorden, der im aktuellen Band noch keine Rolle spielt, für das lichte Vermächtnis der untergegangenen Rondrianer, übernehmen die Korjünger hier den düsteren Gegenpart.

Eine weitere Facette des Lokalkolorits bilden die teilweise zungenbrecherischen und skurrilen Namen, gerade der Bronnjaren (mein Favorit: Gerwin von Growinsk-Nasshosen), bei denen die Bindestrich-Familiennamen gleichzeitig das komplexe Beziehungsgeflecht der Adelshäuser untereinander zeigen. Immer wieder wird man auch auf die Vorrechte der Bronnjaren gestoßen, wenn es bspw. um das Jagdrecht geht oder darum, wie der Herr eines Landstrichs mit Goblins auf seinem Grund und Boden umgehen darf.

Eine der Figuren, die im Laufe der Kampagne wohl noch an wichtiger Stelle auftreten wird, aber dann nicht mehr unbedingt auf Seiten der Helden: Die Rondrageweihte Leudara Argentalis von Firunen. Bild von NN

Eine der Figuren, die im Laufe der Kampagne wiederkehren wird, dann aber wohl als Gegner der Helden: Die Rondrageweihte Leudara Argentalis von Firunen. Bild von Djamila Knopf.

Schaut man sich den eigentlichen Plot an, so gefällt mir dieser im Großen und Ganzen gut, es gibt aber auch ein paar Ecken und Kanten, an denen ich mich stoße. Sehr schön ist, dass es drei recht unterschiedliche Auftraggeber zur Auswahl gibt (das norbardische Handelshaus Surjeloff, der emeritierte Magister Alwin K. Wippflügler sowie Jucho von Elkinnen als ritterlicher Bronnjar) und dazu noch Tipps gegeben werden, wie man Zugang über noch andere Personen finden kann, wenn die drei vorgestellten nicht passen.

Die Reise zur Seenplatte, das erste Kapitel nach dem Einstieg, ist kurz, aber mit interessanten Informationen für die Spieler angereichert. Im Anschluss kommt der Verhandlungsteil, der mit einem Zwischenfinale endet. Mittels optionaler Szenen können hier den Helden Einfluss auf die Verhandlungen nehmen, wobei sie zwischen den Fronten agieren und überhaupt erst einmal beide Seiten an einen Tisch bekommen müssen, da zu Beginn eher eine bewaffnete Auseinandersetzung wahrscheinlich ist. Wem die Spieler dabei mehr zuneigen, ist explizit offen — sowohl Versuche den Norbarden als auch den Festumern Vorteile zu verschaffen sind möglich, wie auch der Versuch, tatsächlich neutral zu bleiben. Dazu gibt es ein System für die Preisaushandlung, bei dem Heldenaktionen sichtbare Wirkungen auf den schlussendlichen Trommelpreis haben. Das ist soweit gut, schön und übersichtlich ausgearbeitet.

Als etwas störend empfinde ich einige Elemente, vor allem um das Goblinpaar, die im ansonsten recht freien Handlungsraum Nadelöhre bilden und mir teilweise etwas gezwungen wirken. Ich versuche meine Hauptpunkte einmal aufzuschlüsseln — es geht um einmal um Verrat und einmal um Plausibilität:

Der erste Punkt hängt daran, dass die gefangenen Rotpelze für den Plot befreit werden müssen, damit sie anschließend die Thorwalertrommel verzaubern und sich so an den Menschen rächen können. Das ist etwas, was ich nicht elegant finde. Dass die Goblins befreit werden, ist dabei nicht unbedingt ein Problem (dazu unten noch mehr), aber dass ihre Rache am Ende auch auf ihre Befreier zurückfällt, ist nicht so schön und dürfte bei manchen Gruppen für Unmut sorgen. Das erinnert mich an alte Abenteuer, bei denen das geborgene Artefakt, das man einer vermeintlich sicheren Person übergeben hatte, auf einmal doch beim Gegner landete und man sich als Spieler dachte: „Ja, danke auch, liebe NPCS!“. Die Situation wird in meinen Augen noch ungünstiger dadurch, dass dies nach Kampagnen-Informationen nicht der einzige Verrat bleiben wird: Die Rondrageweihte, die die Helden begleitet und wahrscheinlich ihr Vertrauen erlangt, wird das ihr von den Charakteren überlassene Wissen ebenfalls am Ende ihren Feinden zukommen lassen. Der Korsmal-Bund wird das goblinische Trommelritual dank Aufzeichnungen und gefangener Schamanin für sich nutzen. Da die Helden mit einiger Wahrscheinlichkeit im guten Glauben der Rondrakirche Aufzeichnungen und Schamanin überlassen, werden sie sich hier ein weiteres Mal hintergangen fühlen.*

Grundsätzlich ist Verrat natürlich ein völlig legitimes Plotelement und kann auch viel Spaß bringen („Ein Fluch dem hinterhältigen Oikaldiki!“), aber meiner Erfahrung nach kann gerade das wiederholte Gefühl („Yay! Wir haben mit guten Gewissen dem Gegner geholfen!“) auf Spieler sehr frustrierend wirken. Mein Tipp daher: Wenn die Spieler nicht auf die Befreiung der Goblins drängen, dies dem mitreisenden Magier Olko überlassen — der hat das sowieso vor, kann das als Magier auch glaubwürdig alleine durchführen und die Alternative ist grundsätzlich im Abenteuer auch angedacht, für den Fall, dass die Helden die Befreiung nicht selbst durchführen wollen. Dafür gibt es auch gute Gründe — will man mitten in Verhandlungen riskieren, sich zu diskreditieren (aufgedeckte heimliche Befreiung) oder einen der Sprecher der einen Seite zu brüskieren (Fehltritte beim Versuch, durch Verhandlungen, Druck und/oder Intrige zum Ziel zu kommen)? Da bietet Olko mit seinem schlechten Gewissen (Jääni musste nur meinetwegen ins Exil!) eine gute und glaubwürdige Alternative, und die Spieler ärgern sich später nicht, dass sie für die Trommeleskalation verantwortlich sind.

Ist dieser Punkt vor allem eine Geschmacksfrage, gilt dies für den zweiten nicht: Für den Fortgang des Abenteuers muss die Goblin-Schamanin in einem halbstündigen Ritual das Trommelfell der Thorwalertrommel verzaubern. Sie muss sich also ungestört eine ganze Zeit an dem Gegenstand zu schaffen machen, den die Norbarden rund um die Uhr bewachen lassen, damit er ihnen nicht gestohlen wird. Wie sie das schafft, ohne Aufmerksamkeit zu erregen? Das Abenteuer schweigt sich hier leider aus. Würde mir als Spieler klar, dass die Trommel aufwändig verzaubert worden sein muss, die Norbarden aber auf das Instrument aufgepasst haben, wären hier die Verhöre der Wächter eine dringende Empfehlung meines Helden. Das Abenteuer nimmt diesen Punkt leider nicht wahr, was an dieser Stelle in meinen Augen leider einen veritablen Stolperstein in der Geschichte bedeuten kann, wenn man als Spielleiter sich vorher keine Gedanken macht.

Grundsätzlich muss man hier eine Möglichkeit finden, die die Goblins in ihrer Situation umsetzen können und die andererseits nach ihrer Durchführung kein Aufsehen erregt — denn sind die Helden gewarnt, dass etwas mit der Trommel passiert ist, dürfte das Nadelöhr „Bruutsch muss die verzauberte Trommel in Anwesenheit der Menschen schlagen!“ schwer umzusetzen sein, auch wenn das Abenteuer hier eine Alternative vorsieht, die aber in meinen Augen doch eher gezwungen wirkt. Eine Möglichkeit wäre, dass die Goblins durch Magie oder alchimistische Mittel die Wachen haben einschlafen lassen. Solche Mittelchen könnten die Goblins vorher im Lager der Festumer oder bei den Norbarden stehlen, was Helden zumindest gewisse Ermittlungsmöglichkeiten geben sollte. Eine weitere gute Möglichkeit bietet ein im Abenteuer vorgesehener durchreisender Händler, der unter der Hand auch Erzeugnisse aus Yol-Ghurmak dabei hat. Hier könnten die Goblins neben Schlafmittel vielleicht sogar ein Schlafartefakt rauben können. Da schon Schnee liegt, dürfte das Beschaffen von pflanzlichen Stoffen für ein Schlafmittel schwer sein – andererseits mag eine Goblin-Schamanin hier noch am ehesten fündig werden. Haben die Rotpelze die Mittel und setzen sie ein, sollte man sich überlegen, inwieweit die Trommelwächter nach dem Wiedererwachen davon berichten, dass sie seltsamerweise zugleich müde wurden, die Trommel aber noch da ist. Hier finde ich es sogar glaubwürdig, wenn sie nichts erzählen und das Abenteuer danach seinen beschriebenen Gang nimmt.

Am Ende noch ein positiver Punkt zum Plot: Um es dem Spielleiter leicht zu machen, finden sich an den Kapitelanfängen jeweils kurze Listen was die Helden im Folgenden erreichen sollen. Dazu gibt es dann Hinweise darauf, welche Entscheidungen später in der Kampagne noch gewichtige Auswirkungen haben werden. Die Helden werden bspw. auch in späteren Teilen wieder auf Jääni treffen. Hat die Gruppe am Ende Bruutsch wie ein lästiges Insekt einfach getötet, dann wird das später genauso Folgen für das Aufeinandertreffen haben, wie wenn die Helden versucht haben, den rotpelzigen Missetäter zumindest fair zu behandeln. Genauso können sie einem Werber des Korsmal-Bundes schon mehr oder weniger erfolgreich ins Handwerk pfuschen, was dann später mehr oder weniger Gegner bedeuten kann.

Kampagne oder nicht-Kampagne — Einordnung des Abenteuers

Korsmal-Bund und Rondra-Kirche. Der Kampf um die Herrschaft im Bornland könnte ein blutiger werden. Bild von Matthias Rothenaicher.

Korsmal-Bund und Rondra-Kirche: Der Kampf um die Herrschaft im Bornland könnte ein blutiger werden. Bild von Matthias Rothenaicher.

Die Abenteuer der Theaterritter-Kampagne sind nach Beschreibung so konzipiert, dass man sie an und für sich auch losgelöst voneinander spielen kann. Wie sieht das für Der weiße See aus und wie ist es als Teild er Kampagne?

Als Auftakt erfüllt das Abenteuer seine Aufgabe sehr gut: Wichtige Fraktionen (wie Korsmal-Bund, Norbarden, Goblins und Bronnjaren) und Personen (wie Leudara von Firunen und Jääni Grauroth) werden stimmungsvoll eingeführt und positioniert, Konfliktlinien für den weiteren Verlauf zeichnen sich ab (Kampf um die Herrschaft im Bornland) und auch der mythische Aspekt des „Erwachens“ hat einige erste Auftritte.

Sieht man den Band als Einzelabenteuer, dann stellt sich die Frage, inwieweit die Geschichte in sich einen abgeschlossenen Strang darstellt. Grundsätzlich ist mein Eindruck, dass Der weiße See auch einzeln gut funktioniert, denn beide verwobene Konflikte — die Verhandlung um die Trommel und die Liebesgeschichte zwischen den Goblins — sind am Ende abgeschlossen. Allerdings scheint mir die Handlung als solche in dem Fall in weiten Teilen doch recht unspektakulär, wenn der Ausblick auf die angelegten späteren Konflikte nicht im Hintergrund steht. Zusammengefasst: Der Band funktioniert durchaus als Einzelabenteuer, aber wirklich sinnvoll ist es nicht, da die Handlung ohne Kampagne eine Menge Tiefe verliert.

Nandus Balken SchmalDas Einhorn verkündet: Ende des Spoiler-Bereichs

Am Ende — das Fazit

Was das Abenteuer sehr gut vermittelt, ist das Flair des Bornlands, inklusive des Gegensatzes zwischen dem vergleichsweise freien Festum, wo selbst Goblins Bürgerrechte haben können, und dem ländlichen Hinterland, das unter der Herrschaft der Bronnjaren steht. Es bietet sich also gerade als Einstieg in die Region an, was ja auch die Aufgabe des Bandes als Auftakt der Theaterritter-Kampagne ist. In weiten Teilen können die Spieler dabei recht frei agieren, allerdings gibt es auch ein paar Zwänge, die bestimmte Handlungsfreiheiten beschneiden. Der Plot ist dabei größtenteils solide und dank Extrahinweisen zu für die Kampagne wichtigen Punkten auch in diesem Punkt gut ausgearbeitet, besonders beim Zwischenfinale hakt es aber auch einmal ein wenig mehr, so dass Gruppen, die besonders das völlig freie Spiel schätzen, hier Abstriche machen müssen.

Die Ausstattung samt Zusatz-Downloads ist umfangreich und bietet sehr schöne Abbildungen und alle notwendigen Informationen. Wer einzelne magisch begabte NPC variantenreicher agieren lassen möchte, wird wohl an der Übernahme bestimmter DSA4-Fertigkeiten oder das Warten auf deren DSA5-Pendants nicht vorbei kommen, notwendig ist dies aber nicht, um das Abenteuer stimmungsvoll umsetzen zu können. Ein, zwei weitere Karten hätten die Ausstattung noch ein wenig abgerundet, so bleibt gerade im zentralen Teil die Improvisationsgabe des Spielleiters gefordert.

Ein starker Hintergrund, leider ein etwas unschöner Stolperer in einer ansonsten soliden Plotdarstellung und eine kartenlose Örtlichkeit, die so etwas unübersichtlich bleibt, in einem ansonsten sehr schön ausgestatteten Band — insgesamt komme ich so auf sieben Einhörner, die die Zeit im herbstlichen Bornland genossen haben.

Bewertung Einhorn 7Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.

Über Salaza

Salaza heisst im wirklichen Leben Thorsten und spielt mit wenigen Unterbrechungen seit 1985 DSA. Er beschäftigt sich mit dem aventurischen Kartenwerk und mit der Erstellung von DSA-Schriftarten und tut gerne seine Meinung kund, wenn ein Produkt in seinen Augen blöde Fehler oder tolle Ideen hat.
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