Die Kanäle Grangors gurgelten wie ein Ertrinkender, aber tatsächlich rang dort niemand um sein Leben. Der einzige Hineingeworfene war schon lange tot – erschlagen von einem zu groß geratenen Schoßhund. Tja, und der Handelsherr? Mord? Selbstmord? Gier? Zorn? Ihr habt Fragen. Die hatten wir auch. Wem konnte man trauen? Wer steckte mit drin? Weshalb schien plötzlich alle Farbe aus der Welt zu weichen? Was trank ich gerade für einen Fusel und wo kam die Saxophonmusik her? Gestatten, Cifrey Borninger und Nick-Nack DeWitt. Wir müssen reden.
Plotstimmigkeit
Cifer: Der Plot in aller Kürze: Im geschäftigen Grangor wartet Handelsherr Sumudan de Vries auf die Rückkehr seiner Uthuriaflotte, tatsächlich kehrt aber nur ein einziger Offizier zurück, der ihm vom erlittenen Schiffbruch berichtet. Das treibt den ruinierten Sumudan in den Selbstmord. Ein Freund einer Anteilseignerin erfährt davon, räumt den zurückgekehrten Offizier aus dem Weg und inszeniert den Selbstmord als Mord, damit niemand erfährt, dass die Expedition verloren gegangen ist und die Anteile daran nunmehr wertlos sind. Die Helden ermitteln in diesem Mord und können unter den vier anfänglich Verdächtigen einen Hauptverdächtigen ausmachen, dem Beweise untergeschoben wurden. Etwas später taucht die Leiche des Offiziers aus einem Kanal wieder auf und bringt den Fall erneut ins Rollen. Die tatsächlichen Motive können erkannt werden und am Ende kann man die Anteilseignerin inmitten des Kreises ihrer Gleichgestellten enttarnen. Es folgt noch ein kleiner Endkampf gegen sie und einige Spontanverschwörer, die das Geheimnis um die Flotte zugunsten ihrer Actien lieber noch etwas gehütet wissen wollen, dann endet das Abenteuer.
Nick-Nack: Insgesamt gefällt mir der Plot sehr gut: Die Motive der Beteiligten sind durchdacht, und da es keine Charaktere gibt, die einfach böse sind um des Böse-Seins Willen, auch nachvollziehbar. Dennoch gibt es genügend falsche Fährten, damit die Helden nicht sofort auf die Lösung kommen. Fast jede falsche Fährte enthält aber auch wieder Hinweise auf den richtigen Weg, ist also keine pure Sackgasse. Und zu guter letzt wurde auch an ein überraschendes Ereignis gedacht, das die Helden wieder auf die richtige Spur locken kann, falls sie sich einmal völlig verlaufen.
Die Einstiegsmöglichkeiten für Helden wirken auf mich gut durchdacht, und obwohl auf dem Abenteuer das inzwischen übliche Label “Keine Exoten” prangt, gibt es sogar eine eigene Einstiegsidee speziell für ebensolche.
Nichtsdestotrotz gibt es ein paar potenzielle Bruchstellen: Zum Beispiel müssen die Helden in einer Kneipe Informationen sammeln, bevor eine Kneipenschlägerei ausbricht. Schaffen sie das nicht, sieht das Abenteuer keinen alternativen Weg vor, in das nächste Kapitel zu gelangen.
Auch gibt es ein paar kleinere Plotlücken: Wie schafft es Odina, alle Waren, die vom Kontorsmitarbeiter veruntreut wurden, nach Monaten noch in genau der gleichen Zahl aufzukaufen? Es müsste doch hunderte andere Interessenten geben – sonst würde es sich gar nicht lohnen, sie zu stehlen. Und warum sollte den Helden auf offener Straße eine Magd ins Auge springen, die einen Tintenfleck aus einer Bluse waschen will? Allerdings ist keine dieser Lücken für den Gesamtverlauf des Abenteuers von größerer Bedeutung.
Cifer: Zumindest die Waren kann man etwas glaubwürdiger gestalten, wenn man schlicht andere Zahlen verwendet und zum Beispiel Odina nur an eine der zwei Kisten Kaffee kommt, die Helden aber dennoch erkennen können, dass die angebotenen Waren eine Teilmenge der gestohlenen sind. Schwieriger erscheint mir hingegen, dass die Überführung Odinas nur über ihr falsches Alibi funktioniert, das auch nur im Kreis der Gläubiger zur Sprache kommen darf. Erstmal rechne ich es dem Abenteuer hoch an, dass hier auf das Leumundssystem verwiesen wird, statt eine Überführung rein anhand der Indizien zu ermöglichen. Allerdings vermute ich, dass die Helden mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderes Alibi mit Odina diskutieren, durch das sie die Lücke in ihrem eigenen erkennen und ausbessern kann, wodurch der ganze Rest der Anklage gegen sie plötzlich auf sehr tönernen Füßen steht.
Sehr gut finde ich hingegen, dass es tatsächlich offen ist, ob die Helden auf die falschen Beweise hereinfallen. Der Plot geht so oder so weiter, nur möglicherweise mit einer drohenden Hinrichtung im Nacken, wenn die Helden erst später mitkriegen, dass Thuan de Vries es wohl nicht war, und ihn zuvor bereits der Wache ausgeliefert haben (sofern man dort ihren Anschuldigungen glaubte – auch das ist fraglich und hat wiederum im Abenteuer ausgearbeitete Konsequenzen).
Regeleinsatz
Nick-Nack: Leider gibt auch dieses Abenteuer keine vernünftigen Ansatzpunkte, den meiner Ansicht nach völlig vermurksten Mechanismus der Sammelprobe vernünftig einzusetzen. So soll beispielsweise die Gruppe eine Sammelprobe auf Sinnesschärfe werfen, um einen NSC zu finden. Unabhängig davon, wie lange gewürfelt werden musste, bis diese endlich gelungen ist, finden sie ihn genau dann, als er gerade den Raum verlässt. An anderer Stelle muss man Qualitätsstufen ansammeln, um Spuren zu finden, es gibt aber keinen Grund, nicht einfach so lange zu würfeln, bis man beliebig viele QS angesammelt hat – und auch sonst passiert nichts spannendes, während man würfelt. Ähnliche Probleme gibt es beim Herumfragen, dessen Regeln zu Beginn des Abenteuer noch einmal wiederholt und im Abenteuer mehrfach genutzt werden.
Hier hatte ich sehr gehofft, dass zumindest ein paar Beispielbegegnungen eingebaut werden, was passieren kann, wenn die Helden zu lange brauchen. So bleibt die Sammelprobe weiter eine unnütze Aneinanderreihung von viel zu vielen Würfelwürfen, bis man endlich alle nötigen Qualitätsstufen zusammen hat.
Cifer: Dem kann ich mich so anschließen. Hinweisen möchte ich aber auf die Verfolgungsjagd, wo man auf die “Wen man in 25 Sekunden nicht geschnappt hat, holt man nie mehr ein”-Regelung des Grundregelwerks verzichtet hat und stattdessen einen witzigen Parkours aus verschiedensten Geländeformen aufbaut.
Nick-Nack: Interessant finde ich noch die Idee, dass die Helden sich mit Schicksalspunkten Hinweise vom Meister erkaufen können.
Bei den meisten NSCs sind zwar alle Werte angegeben, aber die Eigenschaften zu den Talenten muss man sich aus dem Regelwerk raussuchen. Ein Format wie “Willenskraft (13/14/13) +5” wäre hier zumindest für die wichtigsten Talente sehr hilfreich gewesen.
Sehr gut gelungen sind die wenigen Kämpfe: Hier hat der Autor darauf geachtet, dass diese abwechslungsreich sind und nicht nur aus reinem AT-PA-TP-Gewürfel bestehen.
Cifer: Ja, die sind zu guten Teilen tatsächlich recht interessant. Es gibt eine Kneipenschlägerei (evt. auch noch eine zweite), eine Möglichkeit, einen Mord an einem Bettler zu verhindern und einen kleinen Endkampf im Nebenzimmer des lokalen Phextempels. Gerade die Waffeneinschränkungen Grangors machen die natürlich prinzipiell interessant, einzig in der Imman-Kneipe hat das Abenteuer das Problem, dass zwar die Werte der improvisierten Waffen aus dem Meisterschirm reproduziert werden, aber nichts zu den in der Beschreibung angemerkten Besonderheiten (z.B. an den Wänden hängende Immanschläger und Tornetze) gesagt wird. Beim Endkampf wird dann entgegen der Ansage auf dem Klappentext, dass man alle über Grundregelwerk und Almanach hinausgehenden Regeln hier finden könnte, für einige Sonderfertigkeiten kommentarlos auf das Kompendium verwiesen. Gut, sobald das Regelwiki draußen ist, spielt das auch keine Rolle mehr, aber idealerweise sollte es schon im Vorwort mal angemerkt werden, damit nicht beim Finale erstmal das hektische Nachschlagen mit dem Smartphone losgeht.
Hilfestellungen für den Meister
Nick-Nack: Im Abenteuer finden sich ganze 6 Seiten mit Hintergrundinformationen zu Grangor, sowie eine vierteilige Karte der Stadt. Hier finden sich zwar keine weiteren Abenteueraufhänger, wie man sie in einer Spielhilfe erwarten würde, für ein Abenteuer ist die Beschreibung jedoch sehr ausführlich und hilft mir, ein kurzes Prolog- oder Epilog-Abenteure für meine Heldengruppe selbst zu gestalten.
Wie immer bin ich entzückt von den NSC-Beschreibungen. Neben der eigentlichen Beschreibung finden sich Verhaltensweisen, die man als Meister an den Tag legen kann. So rückt der Kontorleiter immer wieder seinen Zwicker zurecht, oder die beiden Gardisten tunken Teigringe in ihre Heißgetränke.
Cifer: Grangor kommt auf jeden Fall gut rüber und das NSC-Format mit “Liebt X/Hasst Y/Braucht Z” ist noch immer das beste, das ich für Kurzbeschreibungen kenne.
Formales
Nick-Nack: Wie immer, wenn es um DSA 5 geht: Illustrationen und Layout sehen einfach toll aus. Lob an Patric Soeder, Thomas Michalski, Nadine Schäkel und die anderen Illustratorinnen und Illustratoren! Schön finde ich vor allem, dass konsequent die ikonischen Helden eingebaut werden – auch wenn man manchmal zweimal hinschauen muss, um die Bilder verschiedener Illustratoren dann der gleichen Figur zuordnen zu können.
Cifer: Das Layout ist tatsächlich gut, die Illustrationen finde ich aber eher durchwachsen. Bei einigen Bildern wirken gerade die Gesichter zu grob und die gute Mirhiban hätte ich auf Anhieb für einen Mann mit exzentrischem Kleidungsgeschmack gehalten. Andere wie das Portrait von Thuan de Vries sehen dafür wieder klasse aus. Was die ikonischen Helden angeht, frage ich mich ein wenig, ob die in Abenteuern wirklich was zu suchen haben – tatsächlich sind sie ja ein absoluter Garant dafür, dass ich als SL das Bild nicht mehr meinen Spielern zum Stimmungsaufbau zeigen kann, denn “Jetzt stell dir einfach vor, da stünde nicht Bruder Hilbert, sondern deine Rahjageweihte” gehört nicht zu den besten Sätzen am Spieltisch.
Nick-Nack: Was mir hier (und bei allen anderen DSA-5-Abenteuern, die ich bisher gelesen habe) aber fehlt, ist ein vernünftiges Inhaltsverzeichnis. Die vier Einträge, die sich auf einer Seite in der Ecke verstecken, helfen mir nicht wirklich, wenn ich nach Spezialregeln oder Hintergrundinformationen zur Stadt suche. Auch hätte man dort dann direkt einen Überblick geben können, auf welchen Seiten man Informationen zu welchen falschen und richtigen Spuren findet. So wirkt das Abenteuer auf mich ziemlich unübersichtlich.
Das Lektorat hat auf den ersten Blick ganz gut gearbeitet. Mir ist beim Durchlesen nur ein einziger Fehler aufgefallen: Die Wachen, die die Helden am Eingang der Stadt auf Waffen kontrollieren, haben zwar einen Talentwert für Willenskraft, aber keine Eigenschaftswerte.
Fazit
Nick-Nack: Insgesamt ist Ein Tod in Grangor für mich eines der besten DSA-Abenteuer, die ich seit längerer Zeit gelesen habe. Der Plot ist schön stimmig und auch sehr aventurisch, es ist liebevoll ausgearbeitet und für die vermurksten Sammelproben muss man weniger dem Abenteuer, und eher dem DSA5-Regelwerk die Schuld geben. Für das letzte Einhorn hätte aber das Problem der Sammelproben besser gelöst und der Aufbau besser strukturiert sein müssen. 8 von 9 Einhörnern.
Cifer: Dem kann ich mich so anschließen. Anmerken möchte ich noch, dass man das Abenteuer mit ein wenig Anpassungsarbeit bei Bedarf in praktisch jede Stadt verlegen kann, wo es viele Händler und eine Möglichkeit zur temporären Verstauung einer Leiche gibt. Der zugrundeliegende Plot ist solide, die Motivationen aller Figuren sind nachvollziehbar, nur der Übersichtlichkeit hätte eine tabellarische Auflistung mit allen Beschreibungen, Motivationen, Alibis und Spuren gut getan. Vielleicht findet sich ja noch wer im Verlag, der das als Ergänzung ins Netz stellt? So oder so stellen 8 von 9 Einhörnern die Whiskeyflasche in die Schreibtischschublade zurück und werfen sich ihren Trenchcoat über.
Rezensionsspiegel
Engor gibt dem Abenteuer 5 von 6 Punkten
Nico Kammel vergibt 6 von 10 Punkten
Das klingt im Großen und Ganzen eigentlich ganz intressant. Was die ikonischen Charaktere angeht … da fehlt mir mein neuer Liebling. Weder am Cover noch in den gezeigten Bildern kann ich Alwinja oder ihre menschliche Vertraute entdecken.
Da werden Erinnerungen an „Bettler von Grangor“ wach und leider auch diverse andere Grangor-Abenteuer. Grangor darf nicht zu einer Krimi-Stadt versinken! 🙂
Abenteuer klingt interessant – aber auch das Hintergrundthema hatten wir bereits, u.a. „Strom des Verderbens“.