Das Schwarze Auge steht manchmal in dem Ruf, ein bisschen hotzenplotzig zu sein. Das darf man im Allgemeinen als Blödsinn bezeichnen – Aventurien bietet fliegende Festungen, lang vergessene Zivilisationen, Adelsintrigen und Heerzüge. Und dann ist da noch Der Apfelwurm von Alriksfurt, wo die strahlenden Helden einen Apfelkorb retten sollen. Also vielleicht doch nicht so abwegig, der Vorwurf. Oder doch? Oder nicht?
Der Apfelwurm von Alriksfurt ist das 19. Heldenwerk, geschrieben von Alex Spohr, der es für ein Let’s Play meisterte und danach in Heldenwerkform presste. Und da das Ganze geradezu „Anfängerabenteuer“ schreit, ist es auch mit den Schnellstartregeln spielbar.
Da das Abenteuer aber doch ein paar Überraschungen bereithält, gibt es hier die obligatorische Spoilerwarnung.
Plot
Dem Dorf Alriksfurt wurde aus der Perainekapelle ein Apfelkorb geklaut. Die Helden sollen ihn wiederbeschaffen. Klingt das nicht spannend? Nein? Na schön. Der Dieb war ein mystisch beeinflusster Tatzelwurm, der den Korb dann einem Kultisten übergeben hat, welcher ihn seinem „Gott“ (einem niederen Baumdämonen aus dem Gefolge des Agrimoth) opfern will.
Soviel zum finsteren Plan der Schurken. Die Helden wissen anfänglich von alledem nichts und werden zum Alriksfurter Apfelfest eingeladen. Dort gibt es erstmal heldentypische Herausforderungen wie Geschichtenerzählen, Liedersingen und ein Apfelerkennspiel. Es fehlt allerdings der Perainegeweihte, so dass man natürlich nach ihm suchen muss. Siehe da: Er liegt bewusstlos in der eigenen Kapelle. Die Helden können versuchen, ihn mit einer Heilkundeprobe zu wecken – schaffen sie es nicht, wacht er auch so auf, das dauert dann aber länger. Das ist auch das Muster, welches sich durch das gesamte Abenteuer ziehen wird: Nach dem Prinzip des Fail Forward können die Helden quasi nicht versagen, aber sie bekommen für Verzögerungen immer wieder sogenannte Zeitpunkte aufgedrückt, die das Finale schwieriger machen.
Auf dem Pfad finden sich erst ein paar Erdlöcher, in die man möglichst nicht hereinfallen sollte, dann ein Hain mit einem ersten Vorgeschmack auf den Baumdämon in Form eines toten Exemplars samt Abenteurerleichnam und Opfergaben Marke Blair Witch Project. Darauf folgt dann die Wohnhöhle des Tatzelwurms, den man dann in bester Drachentötermanier … in die Flucht schlagen darf. Das passiert im Vergleich zu den Aussagen aus dem Almanach relativ fix, was auch gut so ist, da die Kampfwerte des Drachen einigen Gruppen überlegen sein dürften.
Weiter geht es dann nach einer möglichen Wundversorgung samt potenzieller Suche nach Heilkräutern noch zu einer Holzfällerhütte, wo man sich nochmal mit allerlei Krams eindecken kann – dort findet sich übrigens auch die einzige Frau des Abenteuers mit Sprechrolle, die restlichen wirklich relevanten Personen sind männlich. Danach steht eine Kletterpartie auf eine Klippe an.
Oben angekommen darf man sich dann nach einer weiteren Wegstrecke dem Endkampf stellen. Der fiese Kultist beweist dabei bösewichtstypischen Sportsgeist, indem er das Endritual genau dann startet, wenn die Helden ankommen. Weil … steht so im Plot. Die angesammelten Zeitpunkte zeigen nur an, ob er auch noch Frau und Sohn dabei hat, oder man sich bloß gegen den Kultisten und den Baumdämon stellen muss. Das steht allerdings nicht bei der Beschreibung des Kampfes, sondern nur in der ersten Erwähnung der Zeitpunkte. Etwas seltsam dabei: Laut Abenteuer ist das Ritual notwendig, damit der Dämon den Apfelkorb berühren kann, in der Kampfbeschreibung hat er ihn aber die ganze Zeit schon in den borkigen Krallen.
Schaffen es die Charaktere, den bösartigen Baum zu bändigen, dürfen sie den Apfelkorb zurückbringen und sich als tolle Helden fühlen (und entlohnen lassen).
Regeln
Wie erwähnt bedient das Abenteuer auf 16 Seiten gleich zwei Regelsätze: einerseits natürlich die Standardregeln von DSA5, aber auch die Schnellstarterregeln. Letzteres äußert sich in erster Linie darin, dass die Gegner zwei Wertekästen abbekommen haben, was leider teils nicht ganz sauber abgegangen ist: Beim Tatzelwurm lautet die Angabe zu seinen mehrfachen Aktionen in der Neulingsvariante „kann in einer KR mit Klauen und Schwanz angreifen. Allerdings kann er nur einmal pro Runde mit seinem Biss zuschnappen.“ Wie jetzt? Muss er sich zwischen entweder Klauen und Schwanz oder aber Biss entscheiden? Kann er alles drei nutzen? Der Baumdämon verliert im Schnellstarter mal eben die Hälfte seines Schadenswerts, was mir angesichts der sonst unveränderten Werte und Spezialangriffe auch eher nach Fehler aussieht. Das größte Problem könnte sich aber im Balancing finden: Beide Hauptgegner des Abenteuers sind Groß. Wenn der Gruppenkämpfer also ein horasischer Bratspießfuchtler ist, sollte er hoffen, mit den Schnellstarterregeln zu spielen – die kennen nämlich keine Paradeeinschränkungen. Allgemein scheint mir die Zweigleisigkeit gelungen zu sein, nur über das unkommentierte Wort „SK“ bei der Beschreibung eines Holzfällers könnte man stolpern, wenn man nicht weiß, dass es sich dabei um die Seelenkraft handelt.
Was Regeltreue angeht, nimmt sich das Abenteuer regelmäßig ein paar Freiheiten: So werden „Glücksbringer“ eingeführt, die man zum Beispiel beim Dorffest gewinnen kann, und die dann als zusätzliche Schicksalspunkte gelten. Im Wald finden sich ungeklärte Heilkräuter, die instantan 1W6 LeP heilen und mit einer „Brandsalbe“ kann man anscheinend den kompletten Schaden einer Waffe zu Feuerschaden umwandeln – was übrigens beim feuerempfindlichen Dämon einen massiven Unterschied machen kann, denn mit der ebenfalls findbaren Holzfälleraxt samt Paste kann man den Endkampf faktisch binnen zwei durchschnittlichen Treffern für beendet erklären. Vermutlich. Wenn er nicht die dämonische Resistenz gegen mundanen Schaden hat – das Viech hat zwar den Typus Dämon, aber es fehlt der Standard-Satz „Dämonen-Regeln: Für XYZ gelten die allgemeinen Dämonen-Regeln.“, der sich sonst in jeder Dämonenbeschreibung findet. Ist der vergessen worden? Wurde er absichtlich weggelassen? In der Schnellstarterversion, deren Regeln keine Wesenstypen kennen, gibt es auf jeden Fall keinen Hinweis auf eine solche Resistenz.
Positiv anzurechnen ist dem Abenteuer, dass es in den Kämpfen auch für Nichtkämpfer etwas zu tun gibt – dem Drachen kann man zum Beispiel ein paar Felsen auf den Kopf fallen lassen, dem Baum kann man den Korb klauen. Einzig eine Option für okkult veranlagte Helden fehlt mir hier ein wenig, denn die Informationen, die man mit einer Probe auf passende Wissenstalente erlangt, sind in der Praxis nutzlos wie eh und je.
Die grundlegende Idee der Zeitpunkte als Strafe fürs Trödeln gefällt mir gut, allerdings gibt es auch hier zumindest einen eher albernen Ausreißer: Kurz vor Ende können die Helden mit einer Gruppensammelprobe auf Sternkunde feststellen, dass die heutige Nacht für finstere Rituale besonders geeignet ist. „Dadurch wird ihnen spätestens jetzt klar, wie ernst die Lage ist und sie beschleunigen ihre Schritte zum Ritalplatz automatisch.“ Resultat: -QS Zeitpunkte, maximal -4. Zum Vergleich: Mit einer guten Fährtensuchenprobe können die Helden über das gesamte Abenteuer maximal 3 Zeitpunkte gutmachen. Ich hoffe, der aventurische Hintergrund berücksichtigt das und erkennt in Zukunft Astrologen als unverzichtbare Mitglieder von Kundschaftertrupps an.
Wer mit der Zeitpunktauswirkung im Finale nicht ganz einverstanden ist, dem würde ich folgende Änderung vorschlagen: Es sind auf jeden Fall alle drei Kultisten anwesend (wieso sollten die sich auch zum superheiligen Ritual verspäten oder überhaupt von ihrer Hütte aus getrennt anreisen?). Kommen die Helden binnen 4 oder weniger Zeitpunkten an, ist das Ritual aber noch nicht weit fortgeschritten – Oberkultist Hargfried versucht es trotzdem sofort überhastet fertigzustellen, was den wütenden Dämon dazu bringt, seinen Sohn mit einem Ast aufzuspießen, bevor er sich den Helden zuwendet. Seine Frau ist dann den Kampf über damit beschäftigt, den Sohn am Leben zu erhalten. Bei 6 oder weniger Zeitpunkten führt das vorzeitige Ritualfinale zumindest noch zu einigen übernatürlichen Effekten, die den Sohn in die Flucht schlagen, bevor es zum Kampf kommt.
Stimmung & Aufbereitung
Den Apfelwurm kann man auf zwei Arten lesen: Einmal auf die langweilige – eine ziemlich banale Hatz mit mäßig inspirierten Hindernissen und zwei für die Spieler recht zusammenhanglos wirkenden Gegnern, wie man sie auch in alten DSA-1-Zeiten hätte haben können. Hier der Tatzelwurm, da der Dämonenbaum, die Marus haben wohl grad hitzefrei? Interessanter erscheint mir da die Alternative, die dem Abenteuer einen ziemlichen Spagat verpasst: Aus einem Heimatfilmabenteuer „Vergnügt euch mit dem lustigen Apfelerkennspiel!“ wird ein cthulhueskes Szenario um primitive ländliche Dämonenkulte. In diesem Umschwung, der vermutlich am ersten Kultplatz mit der Entdeckung der Leiche offenbar werden wird, sehe ich das größte Potenzial des Abenteuers. Leider fehlt es am Platz, um der laut Anforderungen wenig erfahrenen Spielleitung hier ein paar Tipps zur Atmosphäre zu geben. Diesen hat zum einen die Aufbereitung für zwei Regelsätze gefressen, zum anderen aber auch anderthalb Seiten „Alriksfurt in der Übersicht“, die sehr hübsch geeignet sind, um das Dorf über mehrere Abenteuer hinweg mit Leben zu erfüllen – zur Unterstützung des Heldenwerks, das die Charaktere direkt vom Fest weg zur Kapelle in den Wald jagt, sind sie aber komplett unnütz. Hier wären zum Beispiel ein paar Tipps zu musikalischer Untermalung besser gewesen.
Ebenfalls hätte man die Seiten nutzen können, um die Szenerie des Finales zu erklären. Aus dem Buch und einer eher nichtssagenden „Karte“ kann ich mir nur ableiten, dass da wohl der Baum und bis zu drei Kultisten herumstehen und irgendwo noch der Apfelkorb ist. Wie das Ritual aussieht? Ob da irgendwelche arkanen Kreise gezogen werden, düstere Gesänge durch den Wald hallen, dem Schwarzen Baum mit den tausend Äpfeln in orgiastischen Riten gehuldigt wird? Keine Ahnung. Würfelt Initiative.
Auch sonst finden sich zwar ein paar Tipps, was für Optionen sich den Charakteren an bestimmten Stellen bieten, aber grundlegendere Hinweise zum Thema Meistern, wie ich sie in einem Anfängerabenteuer erwarten würde, fehlen eher.
Würde ich vor dem Leiten Arbeit in die Vorbereitung des Abenteuers stecken, würde ich vor allem den Tatzelwurm streichen – tut mir leid, Abenteuertitel. Der ist als Gegner für nicht durchoptimierte Anfängergruppen eigentlich zu stark, so dass viele Gruppen seine Flucht eher als Meistergnade empfinden dürften. Zudem passt er nicht wirklich in die angestrebte Stimmung rein. Stattdessen hat bei mir Kultist Hargfried den Apfelkorb eigenhändig geklaut. Dabei wurde auch nicht die Kapelle verwüstet, das ist für den Anfang stimmungstechnisch schon zu verräterisch – stattdessen werden die Helden noch vom Geweihten gebeten, doch nicht zu hart mit Hargfried umzuspringen, da der doch bloß ein harmloser Sonderling sei. Die Tatzelwurmhöhle wird ersetzt durch die Hütte der Köhlerkultisten, in der man nach dem ersten Opferplatz jetzt auch nähere Andeutungen darüber finden kann, was die da eigentlich anbeten, was sie sich erhoffen und weshalb man genau jetzt vielleicht einen Zahn zulegen sollte, um das offensichtlich geplante Ritual aufzuhalten. Als Kampfbegegnung können hier ein paar irrsinnige Hunde (Regelwerk S. 360, +2 TP) dienen, denen bei genauerer Betrachtung hölzerne Dornen aus dem Fleisch wuchern. Die Holzfäller können zwar etwas Ausrüstung stellen und über Hargfried informieren, sind aber allgemein eher verschlossen und misstrauisch, um nicht mit einer zu geselligen Begegnung die Stimmung zu torpedieren.
Dazu kommt wie angesprochen noch musikalische Untermalung. Empfehlen würde ich wenig überraschenderweise mal wieder Erdenstern – beginnend mit Into The Green auf dem Fest (At The Fair, The Journey Begins), dann weiter zur Kapelle (Enchanted Abbey), in den Wald (The Forest) und zum ersten Kultplatz (The Swamp). Ab dort schwenkt die Musik dann zu Into the Dark um: Die wilden Hunde der Köhlerhütte werden bekämpft (Flesh and Bones), das düstere Heim nach Hinweisen durchsucht (The Cursed, Haunted). Auf der Strecke danach trifft man die Holzfäller (Traitor), bevor man die Klippe ersteigt und sich dem Ritual nähert, das man schon aus der Ferne hören kann (The Ritual). In Sichtweite wird es dann Zeit für die Beschreibung der Szenerie (Evil Overlord) und den Endkampf (Wild Rage, Flesh And Bones, Just Kill It, Hordes Of The Undead). Die komplette Musik kommt aufs Smartphone, bereits in sortierte Playlists eingeordnet, so dass man sie mit zwei Klicks bei Bedarf aufrufen kann.
Die Zeitpunkte empfehle ich offen als Tokens auf den Tisch zu packen und anfänglich mit der Frage „schaffen wir es noch rechtzeitig zum Fest zurück?“ zu begründen – sobald der Stimmungsumschwung war, liegt eine andere Erklärung auf der Hand.
Fazit
All das sind natürlich Erweiterungen des Abenteuers, die so im Text nicht drin sind. Das Szenario, wie es im Buch steht, ist eher simpel gestrickt: Man gehe an Ort X, würfle dort ein paar Proben oder vermöppe einen Gegner, nehme sich mehr oder weniger weitere Zeitpunkte und gehe dann weiter zu Ort Y. An einigen Stellen kann man zusätzliche Zeit in Boni umtauschen, aber größere Änderungen im Abenteuerablauf sind nirgends zu bewirken und wirkliche Denkleistungen sind auch nicht gefordert. Aus Sicht des Rätsellösers hat das Abenteuer also nicht eben viel zu bieten. Aus Kampffan-Perspektive wirkt es auf mich soweit okay – die beiden (im physischen wie im dramaturgischen Sinne) großen Gegner sind sich nur regeltechnisch ein klein wenig zu ähnlich. Und für Fans gesellschaftlicher Plots ist natürlich außer beim eher unwichtigen Gespräch mit der Holzfällerin gar nichts zu holen. Aber all das ist ja auch nicht unbedingt bei einem solchen Abenteuer zu erwarten gewesen.
Am interessantesten wirkt das Werk auf mich aus Sicht der Stimmung: „Sagte ich Heimatfilm? Ich meinte: Horrorfilm.“ Wenn man diesen leichten Cthulhu-Touch effektvoll rüberbringt, könnte der Genrewechsel etwas sein, an das sich Spieler noch lange erinnern werden. Genau dieser Whoa-Effekt wäre natürlich bei einem Anfängerabenteuer anstrebenswert und könnte das sein, was Neulingen den Abend und das Hobby im Gedächtnis hält. Allerdings wird nur bei einer einzigen Szene die SL tatsächlich bei dem Aufbau einer solchen Stimmung durch einen Vorlesetext unterstützt, beim Endkampf fehlt die Beschreibung gänzlich.
Neun Einhörner futtern gerne Äpfel aus heiligen Körben und machen sich auf den Weg in den Reichsforst. Eins verquatscht sich und kennt jetzt alle Lebensgeschichten der Dörfler – leider war keine davon relevant für den Plot. Ein weiteres grummelt über ein paar der simpleren Hindernisse: Hier Erdlöchern ausweichen, da eine Klippe hochklettern … simpel mag ja für ein Anfängerabenteuer gut sein, aber stellenweise ist es eben wirklich nur „würfle Probe, nimm Zeitpunkte, geh weiter“. Einhorn Nummer drei ist noch neu im Geschäft und hätte sich mehr Hilfen bei seiner ersten Reise gewünscht. Und Einhorn vier flucht mit dem ersten Einhorn über die fehlende Beschreibung des Finales, in welchem zudem die Zeitpunkte keinen besonderen Sinn ergeben. Es verbleiben fünf von neun Einhörnern, die sich über ein grundlegend solides Abenteuer freuen, das man mit ein paar Ausbauarbeiten durchaus für Neulinge zu einem denkwürdigen Einstieg ins Rollenspiel machen kann – insbesondere die mögliche Nutzung der Schnellstartregeln ist hier positiv aufgefallen.