Komm auf die dunkle Seite…

Wieso fasziniert uns das Böse?

Warum sind böse Charaktere oft einmaliger, großartiger oder schlicht cooler als die guten Jungs?

Wieviel Bösartigkeit benötigt eine funktionierende Spielwelt wie Aventurien?

Auf diese Frage stieß mich Niniane vom Rollenspielblog. Und auch wenn Engor und Frosty schon spannende Beiträge zum Thema Das Böse geschrieben haben, wollte ich mich nicht lumpen lassen, auch meine Überlegungen in den Ring zu werfen.

Ich beginne mit einer doppelten Behauptung:

Eine Spielwelt braucht den Widerstreit von Gut und Böse, braucht aber keine Antagonisten, die Böses tun, einfach weil sie böse sind.

Gerade letzteres ist nicht mehr zeitgemäß: Ein glaubhafter „Bösewicht“ hält sich nämlich selbst für den Guten, denn er will (aus seiner Perspektive) die Gesellschaft zum Besseren beeinflussen oder (aus seiner Perspektive) etwas Wertvolles schützen. Ein Beispiel hierfür wäre Tar Honak, der die „bösen“ Novadis zurückdrängen und sein Volk vor ihnen schützen wollte.

Doch warum braucht eine Spielwelt wie Aventurien überhaupt das Böse, um zu funktionieren?

Oder anders gefragt: Müssen sich DSA-Charaktere immer wieder mit dem Bösen herumschlagen? Geht es nicht ohne?

Ich sage nein! Denn Abenteuer, die ganz ohne „das Böse“ auskommen, sind selten und, wenn man mal eins findet, nicht unbedingt spannend.

Ein Beispiel, inklusive Spoiler: Das aktuelle Havena-Paket enthält das Abenteuer Von Vätern und Töchtern, das vollkommen ohne Bösartigkeit auskommt. Es geht um einen Vater mit zwei pubertierenden Töchtern. Dieser heuert als Erziehungsmaßnahme zwei Heldengruppen an, die jeweils eine Tochter sozusagen entführen und dann versuchen, die jeweils andere Tochter zu befreien. Die Idee ist vielleicht witzig oder kreativ, aber ich kann mir bei solch einem Szenario keinen spannenden oder mitreißenden Spielabend vorstellen. Das ist natürlich subjektiv, aber vielleicht ist ein gewisser Grad an Bösartigkeit wie das Salz in der Suppe und ohne schmeckt es mir eben nicht …

Nun ein Positiv-Beispiel: In Der Händler (DSA 4) geht es um zwei Kaufleute, von denen keiner von Grund auf böse ist, die aber dennoch in Konkurrenz zueinander stehen. Ebelfried Eisinger ist der bösartigere der beiden, denn er stellt seinen eigentlich unschuldigen Konkurrenten als üblen Schurken dar, welcher angeblich mit verbotenen Giften handelt. Dies gelingt ihm auch, da Rashim al-Fessir als Novadi im Mittelreich mit allerlei rassistischen Vorurteilen zu kämpfen hat. Eisinger zieht die Helden mit unlauteren Mitteln auf seine Seite, so dass die Helden ihm erst spät auf die Schliche kommen. Und dieser Eisinger ist mir als glaubhafter, authentischer Antagonist in Erinnerung geblieben, da er zwar „das Böse“ verkörpert, aber seine eigenen Motive hat, die ihn antreiben: Er will sein Handelshaus davor schützen, aus dem Geschäft verdrängt zu werden, und er sieht dabei al-Fessir (auch auf Grund seiner Vorurteile) als Aggressor, gegen den er sich mit allen Mitteln zur Wehr setzt.

Beim Vergleich der beiden Abenteuer wird deutlich, dass wir in Aventurien auch böse oder finstere Charaktere benötigen, die eine Handlung oder einen Plot in Gang setzen. Engor spricht hier von Figuren mit „Schurkenpotential“. Und dieses wird meiner Meinung nach in Bezug auf DSA 5 nicht ausgeschöpft.

DSA braucht aus meiner Perspektive mehr Intriganten, mehr Halunken, mehr Erzbösewichte. Und dabei habe ich keine harmlosen Spitzbuben vor Augen, sondern echte, charismatische, gefährliche Antagonisten.

Auf der Suche nach solchen Figuren haben ich exemplarisch die neue Havena-Spielhilfe und den Aventurischen Almanach durchgeblättert. Und das, was ich fand, war … naja … eher enttäuschend.

In Havena spielt zwar der Kult der Erzdämonin Charyptoroth eine Rolle, aber der mutmaßlich gefährliche Hohepriester des Kults wird kaum thematisiert. Man erfährt zwar seinen Namen und, wo er unter seiner Tarnidentität anzutreffen ist, aber als Schurke wirkt er blass und kaum ausgearbeitet. Die anderen Personen mit Rang und Namen haben zwar nicht alle eine weiße Weste, aber echte Antagonisten mit Schurkenpotential stachen mir nicht ins Auge.

Früher generische Bösewichte, inzwischen auch exotische Spielerfiguren. (Bild von Florian Stitz)

Im Aventurischen Almanach hatte ich bei meiner Suche nach echten „Schurken“ zumindest etwas mehr Erfolg: Das aktuelle Konzept vom Aikar Brazoragh, dem Auserwählten der Orkstämme, scheint Potential zu haben. Durch seine charismatische Brutalität und die Tatsache, dass seine Eroberungspläne äußerst weit reichen, hat er das Zeug zum Endgegner bzw. zum Meta-Plot. Hinzu kommt, dass der Aikar Brazoragh – aus seiner Sicht – den rechten Weg beschreitet, da er seinem Gott und seinem Volk den Platz in der Welt verschaffen will, der angemessen ist. Mich fasziniert auch der geheimnisvolle Hornturm mit seinen 20 Ebenen, den er im Orkland errichten ließ und der wohl astrale Kräfte bündeln soll. Spannend ist dabei auch, dass der Oberste aller Orks tatsächlich die Macht seines Gottes nutzt, um Liturgien zu wirken. Äußerst schade finde ich daher, dass diese Thematik bei Ulisses seit 2010 keine Rolle mehr spielt …

Insgesamt komme ich zu folgendem Schluss: DSA 5 braucht mehr finstere Charaktere und mehr Mut, solche Charaktere auszugestalten. Es müssen nicht immer Erzschurken sein, es können auch im Prinzip rechtschaffene Hauptfiguren sein, die gleichzeitig eine dunkle Seite haben. Fantasy braucht Realismus und so brauchen wir handlungstragende NPC, die nicht nur gut und nicht nur böse sind. Die aktuelle Fantasy-Literatur hat mit Autoren wie Joe Abercrombie bewiesen, dass gerade das Finstere in „guten“ Menschen, die Entwicklung einer spannenden Story begünstigt.

„Mehr Mut“ kann auch bedeuten „weniger Regeln“. Als Spielleiter helfen mir realistisch ausgearbeitete Antagonisten weit mehr als Regelwerte aller aventurischer Dämonen oder Erläuterungen zu spezifischen Sonderfertigkeiten dieser Unholde. „Mehr Mut“ kann schließlich bedeuten: mehr Abenteuer, in denen das Böse eine Rolle spielt, zum Beispiel ein Abenteuer über die finsteren Machenschaften des Aikar Brazoragh…

Daher bleibt als Plädoyer:

Auch das Böse braucht die Liebe der DSA-Redaktion und der Community.

Dazu passt meine Bitte:

Nennt in den Kommentaren die besten Antagonisten aus der Welt des Schwarzen Augen!

Vielleicht entwickelt sich daraus ja eine TOP-10-Liste oder eine weitergehende Diskussion …

 

Ich freue mich schon auf die Kommentare!

Euer Sirius

 

Über sirius

Sirius heißt im wahren Leben Moritz und wuchs mitten im Ruhrgebiet auf. Seit Anfang der 90er bereist er nicht nur Aventurien, sondern auch andere fantastische Welten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Pen&Paper, PC-Games, Hörbücher oder Kartenspiele handelt. Unterwegs erkennt man ihn daran, dass er fast immer ein gutes Buch dabei hat, das nicht dem Mainstream entspricht. Von Nerd-Themen, die über DSA hinausgehen, berichtet er auf seinem Blog hochleveln.de
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8 Antworten zu Komm auf die dunkle Seite…

  1. FRAZ sagt:

    Mein Lieblingsschurke war Xeraan, der Bucklige. Ich glaube vor allem, weil er ein Täuscher war, kein klassischer Meuchler.
    Zum schillernden Torxes habe ich noch eine Plotidee im Schreibtisch, die schon viel zu lange der Ausarbeitung harrt.
    Aber wenn erst Nahema als Dienerin des Namenlosen entlarvt wurde… Muhaha

  2. syrrenholt sagt:

    Interessanter Beitrag!
    wobei ich auch Bösewichte akzeptiere, die nicht einer nachvollziehbaren Agenda folgen; Hass kann da schon ausreichend sein 😉

    Ich finde das Konzept um die Skrechu auf Maraskan sehr spannend; oder in dem Zusammenhang auch deren Diener Al’Gorton.

    Schade, dass mit den Schattenlanden auch so viele wirklich authentische Erzbösewichte / Ungeheuer verloren gegangen sind

    was ist eigentlich aus Dimiona / Eleonora geworden?

  3. Thorus84 sagt:

    Mein Lieblingsschurke der Gegenwart ist König Wendelmir VI. von Andergast.
    Kein klassischer Bösewicht, aber ein egoistischer und selbstgefälliger Machthaber, der sich nicht gerade Freunde macht, aber auch kein Feind der Zwölfe ist.
    Wendelmir gehört zu den Figuren, die interessant sind, weil sie sich der Schwarzweiß-Dialektik von Gut und Böse entziehen.
    Eine solche Figur kann interessante Ecken und Kanten besitzen, ohne allzu plakativ in ein Extrem abzugleiten. Das macht sie glaubwürdig und – viel wichtiger – im gegenwärtigen „Soap-Aventurien“ zu einer erinnerungswürdigen Gestalt.

  4. Cifer sagt:

    Ich weiß nicht, ob ich der Grundprämisse zustimme. Sicher, es gibt eindeutig Möglichkeiten, schurkenlose Abenteuer in den Sand zu setzen. Aber braucht es einen Bösewicht, wenn die SCs das Eherne Schwert überqueren? Wenn sie Geheimnisse uralter Magie enträtseln? Wenn sie zwischen zwei Fürsten mit Anspruch auf den gleichen Landstrich vermitteln?
    Ich denke, es gibt durchaus sehr sinnvolle Abenteueransätze, die ohne einen Bösewicht auskommen.

    Meine persönliche Lieblingsschurkin ist Azaril Scharlachkraut. Intelligent, stets höflich, mit einem nachvollziehbaren Ziel und feige genug, dass man ihr das regelmäßige Davonkommen durchaus abnimmt. Ich hoffe nur, dass ihr nicht noch weitere uralte Geheimnisse angedichtet werden – IIRC verwendet sie schon Magie aus vier(?) Repräsentationen, irgendwann ist auch mal gut.

  5. Sirius sagt:

    Hey Leute!

    Zunächst einmal:
    Vielen vielen Dank für die tollen Kommentare!

    Dann gleich zur Sache…
    Ich hasse Sendungen wie „Die ultimative Chartshow“,
    aber ich präsentiere hiermit die Streiter für das Böse,
    die letzten Hartgesottenen,
    die dem gegenwärtigen „Soap-Aventurien“ die Stirn bieten:

    Platz 1:
    Platz 2: Xeraan
    Platz 3: Nahema ai Tamerlein
    Platz 4: Basil und Haken-Jo
    Platz 5: Wendelmir von Andergast
    Platz 6: Beorn, der Blender
    Platz 7: Azaril Scharlachkraut
    Platz 8: Al’Gorton und die Skrechu
    Platz 9: Dimiona von Zorgan
    Platz 10: Torxes von Freigeist

    HONORABLE MENTIONS GO TO:
    Zurbaran von Frigorn

    Es bleiben jedoch zwei Fragen offen… Zunächst:

    Stimmt mein höchst subjektives Ranking?

    Und:

    Wer verdient die „1“ auf der breiten Schurkenbrust?

  6. TheAventourist sagt:

    Vielen Dank für Deinen spannenden Artikel. Zur Beantwortung Deiner letzten Frage würde ich sagen: the one and only Pardona!

  7. Adelheidt sagt:

    Ein Beispiel für ein gelungenes Abenteuer ohne Bösewicht stellt „Die Gunst des Fuchses“ dar. Im Gegenteil sind eigentlich die Helden die Bösen, da sie das Gemälde aus nichtigen Gründen stehlen: damit ein dahergelaufener und offenbar unfähiger Phex-Anwärter seine Geweihtenprüfung besteht. Das ist auch gleichzeitug die größte Schwäche des Abenteuers. Ein richtiger Bösewicht als Gemäldebesitzer hätte dem Abenteuer also gut getan. Insofern hat der Autor (bei n=1) Recht!

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