Rückkehr in den Wald ohne Wiederkehr

Gastrezension von Sirius

Spaßiger Dungeoncrawl oder Retro-Fiasko?

Das Abenteuer von Nikolai Hoch und Alex Spohr stellt eine Rückkehr in die 80er in Aussicht. Spannende Rätsel und klassische Monster soll dieses Oldschool-Abenteuer bieten.

Auffällig ist, dass das Heft der Heldenwerk-Reihe auf gerade einmal 9 Textseiten daherkommt. Der Grund: Vier Seiten entfallen für die „Pläne des Schicksals“ und drei für Cover, Klappentext sowie Impressum. Da drängt sich die Frage auf, ob das Abenteuer mit 9 Textseiten überhaupt leisten kann, was versprochen wird …

Lokalisiert wird das Geschehen in den Streitenden Königreichen, obwohl dies für die skizzierte Handlung keine große Rolle spielt. Schon beim Blick auf das stimmige Cover ahnt man, dass es sich um eine Sonderausgabe der Heldenwerk-Reihe handelt, welche nach DSA1-Regeln gespielt wird. Zudem wird jedem schnell klar, dass der vorliegende Titel in der Tradition eines Abenteuers von 1984 steht, das den klingenden Titel trug:

Der Wald ohne Wiederkehr – oder: Murgol, der Magier der Nacht

Doch bevor ich erörtere, ob Die Rückkehr in den Wald ohne Wiederkehr meinen persönlichen Retro-Nerv trifft, folgt – nach der üblichen Spoilerwarnung – eine Kurzfassung der Abenteuerhandlung.

Der Kaufmann Stoerrebrandt sucht nichts dringender als die „Maske des Mondes“. Daher wird die Heldengruppe zu einem alten Tempel gesandt, um das legendäre Artefakt zu bergen. Eben dieser Tempel liegt natürlich mitten im Wald ohne Wiederkehr. Interessant ist, dass die Handlung direkt im Wald beginnt, nämlich im Lager der Helden, das sogleich von Goblins überfallen wird.

Auf der Reise zum Tempel kann man Waldschraten, Wölfen und/oder einem Einsiedler begegnen. Alle Begegnungen ergeben sich rein zufällig, je nachdem, welchen Weg die Spielercharaktere wählen. Passende Kampfwerte nach DSA1-Regeln liegen natürlich vor, wobei auffällt: Obwohl die Anzahl der hungrigen Wölfe nicht angegeben wird, scheint dieser Kampf viel einfacher zu sein als der alternative Kampf gegen die Waldschrate, bei denen es sich um drei Brocken mit Rüstungsschutz 6 handelt: Eine Herausforderung, die nach DSA1-Regeln tödlich enden kann!

Kurz vor dem Tempel müssen die Helden ein Gewässer, einige Amöben und eine Steilwand überwinden. Dann beginnt das eigentliche Abenteuer.

Im Stil von Indiana Jones bleibt schließlich nur die Flucht aus dem „Tempel des Todes“ (Bild von Michael Witmann)

Der Tempel, der auf einer Felseninsel in der Mitte eines Waldsees erbaut wurde, weist eine ganze Reihe von Besonderheiten auf. Bei den Baumeistern handelt es sich um eine humanoide Rasse, die nicht nur ausgestorben, sondern in Aventurien fast unbekannt ist. Dieses Volk, kurz „Die Alten“ genannte, verehrte in dem Tempel eine mysteriöse Mondgöttin, die mit der aventurischen Göttin Mada identisch zu sein scheint. In dem Tempel finden zudem Begegnungen statt, die man als Science-Fantasy beschreiben kann: Hier sind ein über dem Boden schwebenden Leuchtwürfel und mechanische Wolfskonstrukte, welche die Helden angreifen, zu nennen. Hinzu kommen tonnenschwere Tore aus Quadersteinen, die sich ganz leicht und geräuschlos bewegen lassen.

Im Kern geht es darum, dass die Heldengruppe vier Prüfungen bestehen muss, jeweils in einer spezifischen Halle. Pro Prüfung soll eine Mondscheibe erbeutet werden, um letztlich zur Maske des Mondes vorzudringen. Das vorliegende Prinzip nennt der Klappentext ausdrücklich MacGuffin, weshalb ich diesen Kunstgriff, der auf Hitchcock zurückgeht, erläutern will. Die Maske des Mondes ist ein MacGuffin, da sie ein völlig austauschbares und für den Plot irrelevantes Objekt ist, dessen einziger Zweck ist, die Hauptfiguren auf ihrem Weg zum Ziel zu motivieren. Das Einzige, das die Maske besonders macht, ist die Tatsache, dass sie zum Schluss aufgesetzt werden kann und eine außergewöhnliche Fähigkeit besitzt.

Doch zurück zu den vier Prüfungen: Die Helden müssen dabei eine einfache Rätselfrage lösen, einen Steingolem im Kampf besiegen und von 9 Stahlkugeln mit Hilfe einer seltsamen Apparatur die leichteste ermitteln. Die schwierigste Herausforderung ist wohl die vierte, bei der es in ein Labyrinth mit drei Ebenen und 52 Treppen geht! Ist man aber einmal im Herz des Labyrinths angelangt, kann man die erbeuteten Mondscheiben zu einer Art Schlüssel zusammensetzen und das Allerheiligste betreten. Dort kann man sich die gesuchte Maske schnappen, doch dann geht es zu wie bei Indiana Jones: Ein Erdbeben erschüttert die gesamte Insel und der Tempel versinkt zusammen mit der ihn tragenden Felsformation in schäumenden Fluten.

Entkommen die Spielercharaktere aus dem Tempel, so erwartet sie nicht nur eine Belohnung von 100 Silbertalern pro Person, sondern auch ein Blick in die aventurische Zukunft. Genau diesen Dienst leistet nämlich die Maske des Mondes, bevor sie in den Archiven des Herrn Stoerrebrandt verschwindet.

Nach der Skizzierung der Handlung folgen nun Überlegungen zur Sprache, zur Struktur sowie zum Nostalgiewert. Ab hier ohne Spoiler!

Sprache

Wir sind wieder da.

Hoch und Spohr gelingt es, an den sprachlichen Stil von DSA-Heften des 80er anzuknüpfen. Alliterationen wie Maske des Mondes, Murgol der Magier, Grimes der Ghul waren damals nicht nur in Bezug auf Pen&Paper ein Muss. Das ist stimmig und gefällt mir in Bezug auf das vorliegende Abenteuer gut.

Zudem enthalten die 9 Seiten mehrere Wortwitze und Wortspiele, die man beim ersten Lesen vermutlich kaum bemerkt. Überschriften wie „Wieder im Wald ohne Wiederkehr“ trafen auf jeden Fall meinen Humor. Gleiches gilt natürlich für den Titel, da ein „Wald ohne Wiederkehr“ eine hier anstehende „Rückkehr“ in ebendiesen Wald im Prinzip ausschließt. Hervorheben muss man auch den Prolog, der mit seiner Beschreibung von „flügelhelmbewährten“ Helden die Erinnerung an DSA-Cover der 80er weckt.

Honorieren muss man aber auch den Mut, für DSA äußerst moderne Begriffe zu verwenden, wie bei den mechanischen Wölfen, die ausdrücklich auch als kämpfende „Automaten“ bezeichnet werden.

Zu den sprachlichen Schwächen gehören allerdings einige Beschreibungen, die so oberflächlich sind, dass man sich die Zeilen im Grunde sparen könnte. Zum Beispiel lautet der komplette Vorlesetext einer Szenerie: „Der Wald ist an dieser Stelle besonders dunkel und unheimlich.“ Das soll wohl eine Hommage an den Stil von Werner Fuchs oder Hajo Alpers sein, aber ich persönlich kann dieser Wortkargheit nichts abgewinnen.

Sprachlich gelungen ist hingegen die Prophezeiung am Ende des Abenteuers, weil dadurch ein Blick in die aventurische Zukunft formuliert wird, der es fast mit den Orakelsprüchen von Fasar aufnehmen kann. Wenn hier DSA-Redakteure herausstellen, dass „die ersten Kinder der Schöpfung sich erheben und den Sterblichen zürnen“, können Spielleiter und Spieler gemeinsam darüber philosophieren, was konkret gemeint ist.

Struktur

Die Struktur das Abenteuers ist so beschaffen, dass man den Dungeon an fast jeder Stelle Aventuriens einsetzen könnte. Dabei ließe sich die Maske des Mondes problemlos durch einen anderen Story-Gegenstand austauschen, was aus Spielleitersicht praktisch ist.

Betrachtet man den Aufbau genauer, wird klar, wie eng die Struktur des Abenteuers und der Umfang von 9 Textseiten zusammenhängen. Ich nehme an, dass vom Verlag die Vorgabe kommt, dass alle Heldenwerk-Titel ohne Ausnahme immer einen Gesamtumfang von exakt 16 Seiten haben. Daher ist verständlich, dass mehrfach interessante Informationen fehlen oder Beschreibungen so beschaffen sind, dass manche Orte des Abenteuers sehr blass wirken. Ein Beispiel: Das Volk der sogenannten „Alten“ bietet sich an für eine mystische, geheimnisumwobene Hintergrundgeschichte, doch diese Chance wird nicht genutzt. Man erfährt zwar, dass dieses Volk die Rohalsschrift „Arkanil“ nutzte und Metall aus dem Güldenland besaß, doch es gelingt nicht, die Thematik hervorzuheben oder auszuschmücken und somit für eine breite Leserschaft interessant zu machen. Die Tatsache, dass es sich beim Volk der Alten um die legendären Bashuriden handelt, auf die sich die Optimaten von Myranor berufen, wird nicht einmal erwähnt. Hieraus hätte man, mit einer Textseite mehr, sehr viel machen können.

Nostalgiewert

Den Schwarzweißbildern des Abenteuers gelingt es, die Stimmung der 80er gut einzufangen. (Bild von Michael Witmann)

Als ich versuchte, den Nostalgiewert des Titels einzuschätzen, musste ich mir erstmal die Frage stellen: Kann ich mir überhaupt anmaßen, solch einen Aspekt gerecht zu bewerten? Schließlich war ich 1984 erst zwei Jahre alt und somit viel zu klein, um DSA zu spielen. Dennoch sehe ich mich durchaus in der Lage hier eine Wertung abzugeben, was ich anhand meiner DSA-Vita erläutern will.

Alles begann für mich 1992, als ich in einem kleinen Spielwarenladen, der heute nicht mehr existiert, die ersten DSA-Hefte kaufte. DSA-Produkte waren damals von Schmidt-Spiele und in meinem Heimatort Castrop-Rauxel ein angestaubter Ladenhüter. Das führte dazu, dass die ersten Abenteuer, für die ich mein Taschengeld opferte, im Prinzip schon alte Schinken waren. Im Spinnenwald (1986) sowie Der Purpurturm (1987) hießen die ersten Ausflüge nach Aventurien und begeisterten mich sofort. Heute noch habe ich eine Vorliebe für Klassiker des Pen&Paper. Vor Kurzem erst habe ich zum Beispiel Kommando Olachtai (1987) für meine Mitspieler aufbereitet und gemeistert.

Obwohl ich somit zu Zielgruppe des vorliegenden Abenteuers gehöre, ist klar, dass solch eine Einschätzung immer subjektiv bleibt. Darauf weise ich bewusst hin, da zu mir der Nostalgie-Funke leider nicht übersprang.

Das liegt vermutlich an der Kürze des Abenteuers oder an der Tatsache, dass in dem Abenteuer keinerlei Meisterpersonen vorkommen, welche die Geschichte mit Leben füllen. Wenn ich mich mit Nostalgie an DSA-Klassiker erinnere, dann denke ich an Nahema ai Tamerlain, Archon Megalon, Charos Maramek (den Fiesling beim Großen Donnersturmrennen) oder den heimtückischen Magier Olachtai, der ganz Paavi terrorisierte. Das fehlt hier, denn im vorliegenden Abenteuer ist der einzige NSC, mit dem die Helden interagieren können, ein einfacher Eremit und dieser hat nicht mal einen Namen! Der gute Herr Stoerrebrandt wird zwar am Rande erwähnt, jedoch von zwei Handlangern vertreten, welche ebenfalls nicht greifbar in Erscheinung treten. Kurzum: Hier hätte ich von einem Retro-Abenteuer viel mehr erwartet.

Pluspunkte kann das Abenteuer hingegen bei den Plänen des Schicksals sammeln, die von guter Qualität sind, und bei denen durchaus ein 80er-Feeling aufkommt. Auch die Maske des Mondes trifft meinen persönlichen Nostalgie-Nerv, da sie gewissermaßen der „Maske des Meisters“ entspricht, welche den allerersten DSA-Boxen beilag. Vielleicht gefällt mir der Gegenstand auch besonders, weil er schon beim Computerspiel Drakensang für Laune sorgte.

Kritik

Neben dem Fehlen von starken Meisterpersonen hat mich besonders der Aufbau des Dungeons gestört. Dies liegt daran, dass eine Hälfte des Dungeons für das Abenteuer wichtig und interessant ist, die andere Hälfte hingegen ziemlich unbedeutend. In dieser Hälfte des Dungeons gibt es für die Heldengruppe nichts Sinnvolles zu tun, ja man kann nicht einmal etwas halbwegs Interessantes beobachten oder herausfinden. Schade ist dies insbesondere, da man aus der Mythologie der „Alten“ hätte so viel machen können, im Sinne eines düsteren, geheimnisvollen Szenarios. Als Spielleiter sollte man hier womöglich eine Atmosphäre von latenter Bedrohung schaffen. Es müsste dabei nicht wirklich viel passieren, aber die Spieler müssen das Gefühl bekommen, das hinter jeder Ecke etwas lauern könnte, ganz wie in alten Alien-Filmen, womit wir wieder bei den 80ern sind. Würde man das Ganze als Spielleiter vorbereiten, beständen hier zahlreiche Möglichkeiten zur Ausarbeitung, die aber natürlich Arbeit für den Meister bedeuten.

Zusätzlich müsste man als Spielleiter die Story an einigen Stellten etwas „glätten“, da manche Angaben doch recht absurd anmuten. Gemeint ist hiermit etwa der Vorschlag, dass die Helden ein in Andergast erbeutetes Artefakt persönlich nach Festum bringen, welches sportliche 1000 Meilen von der Fundstelle entfernt ist, wenn man „nur“ die Luftlinie veranschlagt. Allerdings muss durchaus erwähnt werden, dass solche Angaben zu DSA1-Zeit fast normal waren, weil damals eine geographisch ausdifferenzierte Spielwelt noch keine Rolle spielte…

Positiv ist hingegen, dass man passend zu Thematik das Layout der 80er wiederaufleben lässt. Dies gefällt mir nicht nur aus nostalgischen Gründen. Ich schätze es, da ich DSA-Produkte oft als PDF kaufe und dennoch gern einige Seiten ausdrucke. Und in diesem Sinne ist das Abenteuer nicht nur drucker-, sondern auch augenfreundlich.

Fazit

Nikolai Hoch und Alex Spohr sind zwei Autoren, die für Aventurien viel Gutes produziert haben und von denen ich viel halte. Dennoch muss man ehrlich feststellen, dass mit Rückkehr in den Wald ohne Wiederkehr kein großer Wurf gelungen ist, da hier vor allem eine große Chance verpasst wurde. Das soll heißen: Das Abenteuer ist solide, man kann es ohne Probleme durchspielen, aber es ist leider alles andere als inspirierend.

Die fehlende inhaltliche Tiefe lässt sich zwar mit dem Rahmen von 9 Textseiten begründen, dies hilft aber den Spielern wenig, die den oberflächlichen Beschreibungen und dem eher blassen Dungeon nichts abgewinnen können.

Daher verbleiben fünf von neun Einhörnern, die eine Rückkehr in die 80er wagen, den Kampf mit mechanischen Wolfskonstrukten nicht scheuen, und mit einem klassischen McGuffin belohnt werden.

Weitere Wälder im Limbusnetz

Sirius heißt im wahren Leben Moritz und wuchs mitten im Ruhrgebiet auf. Seit Anfang der 90er bereist er nicht nur Aventurien, sondern auch andere fantastische Welten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Pen&Paper, PC-Games, Hörbücher oder Kartenspiele handelt. Unterwegs erkennt man ihn daran, dass er fast immer ein gutes Buch dabei hat, das nicht dem Mainstream entspricht.

Nandurion dankt Ulisses-Spiele GmbH für das Rezensionsexemplar und Sirius für die Gastrezension!
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2 Antworten zu Rückkehr in den Wald ohne Wiederkehr

  1. syrrenholt sagt:

    Also ich habe mich köstlich amüsiert beim Lesen des Heldenwerks.
    Die Story und der Plot – das Wort gab es damals noch gar nicht – sind natürlich sehr dünn; das ist man aber aus den 80ern gewohnt.

    Das Dungeon ist super und dann auch noch mit einer Anknüpfung an die Alten – wow!

    Lieben Dank an diese Reminiszenz.
    Von mir gibt es klar 9 von 9 Flügelhelmen mit Schnauzbart.

  2. Nottel sagt:

    Danke, eine gut geschriebene Rezension. Nachdem ich das Abenteuer inzwischen zweimal online als Oneshot geleitet habe, kann ich ihr fast vollständig beipflichten. Der Treppenabschnitt war in der Praxis aber jeweils spannender als man von vornherein annehmen würde. Ein weiteres Frühwerk, was Sirius und ich gemeinsam angeschaut haben ist Silvanas Befreiung [2]. Dort kommentiere ich noch kurz etwas zum Vergleich der beiden.
    [2] https://rezensionen.nandurion.de/2020/07/22/disput-zu-silvanas-befreiung/

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