Die vorliegende Rezension enthält leichte Spoiler zum Grundaufbau und der Prämisse des Rabenkriegs, insbesondere zum ersten Band Die Zähne des Kaimans, wie bereits aus Publikationen wie dem Aventurischen Boten bekannt. Darüber hinausgehende abenteuerrelevante Spoiler wurden vermieden; lediglich ein Beispiel wurde in Spoilertags gepackt.
Die Rabenkrieg-Kampagne ist mittlerweile vollständig erschienen und hat mit Der Fluch der Hornechse ihren furiosen Abschluss gefunden. Grund genug, die Kampagne als Ganzes zu betrachten und ein vorläufiges Fazit zu ziehen. Um Spoilern bestmöglich aus dem Weg zu gehen, werde ich das Hauptaugenmerk vor allem auf den ersten Band, Die Zähne des Kaimans, legen und die weiteren Entwicklungen davon ausgehend skizzieren.
Die insgesamt sechs Bände umfassende Kampagne hält sich nicht mit Andeutungen oder einem zaghaften Prolog auf, sondern wirft uns direkt hinein in den gewaltigen Konflikt des aventurischen Südens. Rein formal haben sich die Macher*innen in puncto Layout und Design wieder einmal selbst übertroffen: Auf insgesamt 408 vollfarbigen und teils wunderschön illustrierten Seiten bleiben kaum Wünsche offen; zahlreiche Infokästen und Hinweismarker unterstreichen die gewohnt hohe Qualität der DSA5-Produktreihe. Auch Lektorat und Korrektorat haben sehr gute Arbeit geleistet; gröbere inhaltliche oder formale Fehler sind auch beim intensiven Studium der Bände nicht aufgefallen. Leichte Kritik: Einführung und Überblick ähneln sich in allen sechs Bänden teilweise bis aufs Wort und wirken in dieser Redundanz und in ihren Ausmaßen (mitunter acht bis zehn Seiten) etwas platzverschwendend. Was wiederum funktioniert: Der bewährte Dreiklang aus Grundregelwerk, Almanach und den vorliegenden Abenteuerbänden, die erneut vollkommen ausreichen, um die Abenteuer für die heimische Spielrunde aufzubereiten.
Mit Armin Abele, einer der treibenden Kräfte des Kemi-Projekts und Briefspiels (www.kemi.de, Interview), der an der Seite von David Schmidt sein Debüt als Abenteuerautor gibt, konnte zudem ein ausgewiesener Experte für die Region gewonnen werden.
Verwunderung könnte allerdings die gewählte Perspektive hervorrufen, aus der die “Heldinnen und Helden” des Schwarzen Auges in der Kampagne agieren sollen: Denn wo zuvor innerhalb der Community ein heldenhafter Abwehrkampf gegen das rabenschwarze Imperium zumindest gemutmaßt wurde, ist mit Erscheinen des ersten Abenteuers klar geworden, dass die Helden den Konflikt in einer Spezialeinheit auf Seiten des Imperiums von Al’Anfa vorantreiben. Tatsächlich agieren sie unmittelbar als Aggressoren, die auf Seiten einer Militärdiktatur unter dem al’anfanischen Machthaber Oderin du Metuant in einen unabhängigen Kleinstaat einfallen, der erst vor einigen Jahrzehnten das Joch des Kolonialismus abgeschüttelt hat. Starker Tobak.
Verbündet mit der bereits In den Dschungeln Meridianas (IdDM) als verschlagen gezeichneten machthungrigen Prinzessin Rhônda IX. Setepen, der jüngeren Schwester der kemischen Herrscherin, ziehen die “Helden” gegen das kleine Kemi-Reich zu Felde, das eigentlich mit dem Horasreich und Brabak verbündet ist und mittlerweile auch gute Beziehungen zum Mittelreich unterhält. Kemi, das war immer das kleine, uralte, leicht verschlafene Land am Südzipfel Aventuriens, in dem eine gebildete, junge Herrscherin auf altehrwürdigen, prächtigen Bauten thront und Helden und Glücksritter aus aller Welt einlädt, um in Frieden und Wohlstand in ihrem Reich zu leben. Das Kemireich ist publikationstechnisch bislang eher stiefmütterlich behandelt worden, so dass lediglich ein einziges Abenteuer namens Boronsfurcht” (in der Anthologie Questadores) in der Region spielte. Ansonsten war es dem Gutdünken einer engagierten Spielerschaft vorbehalten, die es beispielsweise im umfangreichen Kemi-Projekt zum Leben erweckte. Auch moralisch wirkt das Kemi-Reich sympathischer als das Sklavenjäger-Imperium von Al’Anfa: Kemi gehört zu den wenigen Ländern im aventurischen Süden, in denen die Sklaverei verboten ist und – laut IdDM – nur im Geheimen ausgeübt wird. Abseits der Herrscherfamilie gibt es keinen Adel; in Kemi lässt es sich daher recht frei und ohne Zehntknechtschaft und lästige Lehenstreue leben. Hinzukommt die spärliche Besiedlung und der Nahrungsmittelreichtum des Landes: In Kemi leidet niemand Hunger und es gibt reichlich Platz, so dass nicht wenige Ex-Helden hier einen beschaulichen Altersruhesitz unter Palmen vorfinden können. Auch sonst ist Kemis Herrscherin, Nisut Ela XV. Setepen, nicht gerade mit finsteren Machenschaften, Intrigen oder fiesen Welteroberungsplänen aufgefallen, die einen Einmarsch in ihr Land rechtfertigen würden. Wieso, bei allen Zwölfen, sollten ausgerechnet unsere aventurischen “Helden” in dieses Paradies auf Deren einfallen?
Der präsentierte Aufhänger, wonach die kemische Gesellschaft neuerdings “zerrissen” ist, mag nicht ganz überzeugen. Die Grenzziehung zwischen Befürwortern der Herrscherin und den Traditionalisten, die sich eine Rückbesinnung auf religiöse Werte wünschen, wirkt im Hinblick auf frühere Informationen aus IdDM arg gekünstelt: Schließlich wurde Nisut Ela seit ihrer Thronbesteigung als besonders fromm und den Traditionen verhaftet dargestellt; erst im vorliegenden Abenteuer und in vorangegangenen Ausgaben des Aventurischen Boten, wurde ein Konfliktpotential herbeigeschrieben, das auf den ersten Blick nicht zu den bisherigen Setzungen passen mag. Doch dazu später mehr.
Wie also passen unsere “Helden” hier hinein? Antwort: Zu 99% überhaupt nicht, was im Abenteuerband auch offen kommuniziert wird. Namentlich fallen nördliche “Exoten” heraus wie Elfen, Zwerge und Gjalsker. Aber auch sämtliche Geweihten, abseits von Boron (Al’Anfaner Ritus), Phex und Kor, dürften sich nicht für die Eroberungspläne Metuants eignen. Rondraergebene Ritterinnen, freiheitsliebende Thorwaler oder allgemein göttergefällige Mittelländer fallen wohl ebenfalls heraus. Kurzum: Wer nicht gerade eine al’anfanische Heldengruppe (die obendrein auf Seiten des Diktators Metuant steht) oder eine moralisch flexible Schurkentruppe wie in den Blackguards”-PC Spielen an den Tisch bringt, wird es schwer haben überhaupt rekrutiert zu werden.
Für die typische aventurische Heldin oder den göttergläubigen Recken ist die Ausgangssituation, nämlich Kriegsverbrechen im Namen einer Militärjunta gegen ein wehrloses, friedliches Land zu verüben, jedenfalls ein Ausschlusskriterium. Dass dies dennoch die bevorzugte bzw. gewünschte Abenteuerperspektive der beiden Autoren und Redaktion zu sein scheint, wird nicht nur im Abenteuertext betont, sondern zeigt bereits das Cover des Abenteuers, auf dem drei der ikonischen Helden, die tulamidische Magierin Mirhiban, der horasische Halbelfenstreuner Carolan und der Söldner Geron aus Gareth zu sehen sind. Letzterer fegt gerade den unschuldigen Vertreter eines souveränen Staates mit einem zünftigen Spartiatentritt vom Turm. Was sagen eigentlich ihre ikonischen Gefährten, der friedfertige Perainegeweihte Bruder Hilbert oder die Thorwalerin Tjalva zu ihrem jüngsten Engagement als al’anfanische Kriegsverbrecher, mag einem in den Sinn kommen?
Nicht falsch verstehen: Die gesamte Ausgangssituation ist wirklich spannend! Metuant ist ein richtig fieser und mit einer glaubhaften und nachvollziehbaren Motivation gesegneter NSC, der die aktuelle DSA-Figurenriege stark aufwertet. Und auch einen Krieg aus der Perspektive der Verbrecher zu betrachten ist grundsätzlich spannend und lädt zu einer tiefgründigen moralischen Auseinandersetzung ein. Doch mag dies auf den ersten Blick eher zu einer Romanhandlung passen, denn die klassischen (und damit auch die ikonischen) Helden des Schwarzen Auges dürften sich wie im falschen Film vorkommen.
Dass der Grundaufbau für “Probleme” in der Heldenrunde führen könnte, wurde glücklicherweise bemerkt und direkt im ersten Band thematisiert. Daher ermuntert uns u.a. eine Infobox mit dem Titel “Der Krieg und die Moral”, mit den etwaigen moralischen Zwickmühlen spielerisch umzugehen. So heißt es:
“Im Verlauf der Handlung werden die Helden an verschiedenen Stellen mit Gewissenskonflikten konfrontiert. Sie stehen vor schwierigen Entscheidungen und geraten in Situationen, in denen ihr Auftrag oder ihre Befehle fragwürdige Handlungen erfordern und dadurch mit ihrem moralischen Empfinden in Widerstreit geraten können”. (S. 11)
Es folgen außerdem Tipps, wie die Helden als “Gegenpol” zu den rachsüchtigen und unmenschlichen NSCs in ihrer Umgebung fungieren könnten. Was aber, wenn bereits die Wurzeln dieses Unterfangens so faul sind, dass sich echte “Helden” niemals dazu hinreißen lassen würden, überhaupt der “Vollstreckungstruppe” des Diktators Metuant beizutreten? Auch für diese Situation liefert das Abenteuer eine, zu Beginn leider etwas mager behandelte Lösung: Die Helden können die Al’Anfaner infiltrieren und zum Beispiel als Agenten des Horasreichs agieren. Doch auch hier bleibt das Land der Kemi ein Spielball fremder Mächte: Egal, was eine Spielrunde unternimmt, sie kann nicht auf Seiten Kemis in den Konflikt eingreifen, ohne die Handlung de facto zu verlassen. Wie auf Schienen rollt die militärische Macht Al’Anfas in dicker Plot Armor über sämtliche Ambitionen der heimischen Spielrunde hinweg. Denn im Zweifelsfall müssen die “Helden” eben doch genau so agieren, wie es die al’anfanische Seite vorgesehen hat. Besonders tragisch hierbei: Die “horasische Perspektive” führt in vielen Fällen dennoch zum selben Ergebnis. Zwei konkrete Beispiele aus Band 1 im Spoilertag:
Ab hier beginnt das Rieshorn zu spoilern!
Die Helden erhalten den Sabotageauftrag, die Sperrkette im Hafen von Qinsay zu zerstören, damit die Al’Anfanische Flotte anlanden kann. Diese Szene ist auf dem Cover abgebildet. Auch hier wird die Spielleitung zur “horasischen Perspektive” beraten. Der Text macht allerdings deutlich, dass um die Zerstörung kein Weg herum führt, da der Fall der Stadt unaufhaltsam sei. Die Helden mögen sich also nicht verdächtig machen und den Auftrag ausführen.
Es bleibt auch nicht bei militärisch notwendigen Aktionen: Kurz nach der erfolgreichen Landung und Einnahme der Stadt, kann und sollte nach Herzenslust geraubt und geplündert werden. Um das Kriegsverbrechen zünftig zu zelebrieren, wird uns sogar eine Plündertabelle zur Verfügung gestellt, mit der das Raubgut der “Helden” ausgewürfelt werden kann. Ob die Charaktere sich beteiligen oder nicht spielt übrigens nur eine geringe Rolle. Zwar wird die Möglichkeit offeriert, dass die SCs auf bestimmte Ungerechtigkeiten eingehen und Gewalt verhindern können. Ausgeführt wird dies jedoch nicht und auch hier spielt das Verhalten der Helden im größeren Sinne keine Rolle. Die Plünderung von Qinsay und die damit einhergehende Gewalt werden so oder so stattfinden. Generalin Zornbrecht wird anschließend Schwarze Listen von Personen anfertigen lassen, die kurzerhand verhaftet und in die Sklaverei verschleppt werden. Ob die SCs dabei mitmachen oder zuschauen macht nur insofern einen Unterschied, als sie bei einer Verweigerung in der Gunst ihrer al’anfanischen Vorgesetzten sinken, keine Beförderungen und Orden erhalten und sie vollkommen leer ausgehen, während sich die Kameradinnen und Kameraden die Taschen mit Beutegut vollstopfen. Noble Zurückhaltung, Menschlichkeit, Gerechtigkeit im Namen des Herrn Praios: Nichts davon zahlt sich aus; auch nicht langfristig. Was, beim Namenlosen, wird hier eigentlich von den “Helden” erwartet??
Wiedereintritt in die spoiler-ärmere Zone.
Zusammengefasst gibt es zu Beginn der Kampagne wenig bis keine alternative Lösungen, bzw. eine Handreichung für die Spielleitung, wie sie in einzelnen Fällen verfahren kann, bei denen sich die Helden einer “Schandtat” verweigern. Auch im Umgang mit der womöglich empörten Spielrunde wird die Spielleitung allein gelassen; die Autoren gehen nur auf die innerweltlichen Moralitäten ein – Disclaimer, safety tools und Formulierungshilfen oder Erweiterungen für den Gruppenvertrag bleiben sie uns schuldig.
Normalerweise wäre das kein größeres Problem, doch das Abenteuer ist in meinen Augen ein ganz heißer “Spielabbruch-Kandidat”, sofern Spieler*innen und eine etablierte Heldengruppe unvermittelt in die Situation gestoßen werden. Eine Problematisierung des Leitthemas vor Beginn des Abenteuers und entsprechende Absprachen sowie der Einsatz von safety tools, wie der x-card, sind für Die Zähne des Kaimans zwingend angeraten! Das Ganze verändert sich leicht im Verlauf der Kampagne: Bereits Band 2, Der Biss der Spinne, thematisiert erstmals im Off-Text Kolonialismus und Rassismus und auch die Handlung wird im Verlauf der Kampagne immer differenzierter. In Band 3, Der Sturz des Adlers, besteht erstmals die Chance, eine Schandtat gänzlich zu vermeiden und einem befriedigenden alternativen Pfad zu folgen. Aus Spoilergründen kann ich an dieser Stelle nicht ins Detail gehen; doch zusammengefasst lässt sich sagen, dass die al’anfanische Invasion sich immer stärker als reines Vehikel herauskristallisiert, das den eigentlichen Plot der Kampagne trägt. Und in diesem sich langsam entfaltenden Plot ist keineswegs der Diktator Metuant der „Oberbösewicht“.
Dennoch hat die Kampagne ein größeres Problem mit Railroading. Unweigerlich kommt die Frage auf: Was geschieht eigentlich, falls die Helden scheitern? Zwar gibt es für diesen Fall erneut Infoboxen, in der die Spielleitung allerdings nicht etwa Handlungsalternativen präsentiert bekommt, sondern lediglich informiert wird, wie sich die verschiedenen Plots trotzdem zurück auf die vorgesehenen Schienen stellen, selbstredend ohne das Zutun der Helden. Das wirkt zwar äußerst unbefriedigend, allerdings dürften die Spieler*innen bei einer gründlichen Vorbereitung durch die Spielleitung nicht viel bemerken.
Als ich Die Zähne des Kaimans beim Erscheinen erstmals in die Hände bekam, kannte ich den Rest der Kampagne noch nicht. Es war zumindest nicht auszuschließen, dass lediglich der Auftakt der Invasion so geradlinig verläuft und sich im Verlauf der Kampagne noch ein Seiten- oder Perspektivwechsel ergibt, in der auch die recht plumpe Propaganda auffliegt, mit der die Invasion zu Beginn gerechtfertigt wird. Tatsächlich gibt es im Verlauf der Kampagne so manche Überraschung, an der Geradlinigkeit (also am Railroading) ändert das aber nichts. Positiv anzumerken ist, dass sich die Kampagnenabenteuer immer wieder zu einer kleineren Sandbox öffnen und alternative Lösungswege gezeichnet werden. Größeren Einfluss auf den Ausgang des Krieges (der hier nicht gespoilert wird), hat die heimische Spielrunde jedoch zu keinem Zeitpunkt.
Was hingegen im Verlauf der Kampagne hervorragend funktioniert, ist die horizontale Charakterprogression: Die Helden spielen immer wieder Optionen frei, die die einzelnen Abenteuer würzen. Für erfolgreiche Aufträge und Missionen gibt es beispielsweise Beförderungen, die einzelne Helden in besondere Lagen versetzen (einen Angriff anzuführen, beispielsweise) oder Zugang zu bestimmten NSCs ermöglichen. Auch wurde daran gedacht, den Sammeltrieb der Spielrunde zu füttern, durch interessante Gegenstände oder Informationen. Ebenso erfreulich sind einige (wenngleich wenige) Entscheidungen, die erst sehr viel später in der Kampagne Auswirkungen haben und alles aus einem Guss wirken lassen.
Noch einmal zurück zum einführenden Abenteuer: Schade fand ich beim Erstlesen, dass die Helden sich nicht gleich zu Beginn auf die Seite der weltoffenen und gastfreundlichen Nesut Ela stellen dürfen, wie sie sogar im Anhang des ersten Abenteuers unverändert dargestellt wird. Dass traditionsbewusste, unzufriedene Teile der kemischen Gesellschaft die verschlagene Prinzessin Rhônda und ihren Verbündeten Metuant als “Retter ihrer Lebensweise” betrachten und das ganze als “Boronzug” mit göttlichem Zuckerguss garniert wird, mag zwar gewissermaßen einleuchten. Aber sowohl für die Heldenrunde als auch die Spielrunde dürfte ein schaler Beigeschmack bleiben. Das erste Abenteuer wirkt auf mich, als würde man die Sieben Gezeichneten-Kampagne auf Seiten der Borbaradianer durchspielen (müssen). Das hat, wie gesagt, großartiges Storypotential! Aber für wahre Helden des Schwarzen Auges ist ein Abenteuer, das sie zu Komplizen Metuants macht und obendrein wie am Nasenring in einen unprovozierten Angriffskrieg führt, de facto unspielbar.
Dramaturgischer Kampagnenverlauf (mit Wertungstendenzen)
Sobald die sprichwörtliche Kröte des ersten Bandes Die Zähne des Kaimans (8/9) geschluckt wurde, können Spielrunden eine durch und durch abwechslungsreiche aventurische Achterbahnfahrt erleben, die ihren furiosen Höhepunkt mit Band 4 erreicht:
Die Krallen der Löwin. (9/9) Ein Abenteuer, das den meisten Spielrunden noch sehr lange im Gedächtnis bleiben dürfte. Den Weg dorthin ebnen Band 2: Der Biss der Spinne (7/9) und der relativ offen gestaltete Band 3 Der Sturz des Adlers (6/9).
Erfahrene Spielleitungen sollten erwägen, Band 2 und 3 als „Doppelabenteuer“ zu konzipieren. Insbesondere Band 3 führt mit den Achaz ein fantastisches Element ein, das schlichtweg Geschmackssache ist. (Da ich grundsätzlich keine Echsenmenschen mag, fällt meine subjektive Wertung daher etwas niedriger aus.) Es bietet sich meiner Meinung nach ebenfalls an, die beiden Bände stark zu kürzen oder das Augenmerk auf einen der Plots zu fokussieren, da sich einige Längen ergeben könnten.
Außergewöhnlich und deutlich ruhiger kommt wiederum Band 5 daher: Der Preis des Greifen (8/9) ist ein Fest für diplomatische und empathische SCs, die hier mal richtig glänzen dürfen. Gleichzeitig handelt es sich aber auch um ein Abenteuer, das sowohl geographisch als auch in Sachen Spielfluss etwas aus der Reihe fällt. Eilige Spielrunden, die möglichst rasch durch die Kampagne kommen möchten, können dieses Abenteuer bedenkenlos auslassen. Ich würde empfehlen, Band 3 und 5 mit einer anderen Heldengruppe zu spielen.
Band 6 Der Fluch der Hornechse (8/9) setzt eine gelungene Klammer um die Kampagne, indem erneut eine ähnliche Mission, wie im ersten Band, im Zentrum steht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Ausgangslage für die SCs eine gänzlich andere, denn dank ihrer zurückliegenden Aufträge sind sie bis in die Herzkammer der jeweiligen Fraktion aufgestiegen und dementsprechend einflussreich. Das Abenteuer funktioniert daher vor allem auf der rollenspielerischen Ebene: Als Erzählspieler würde ich dem großen Finale die Höchstwertung geben, aber ich denke, dass insbesondere gamistische DSA-Fans etwas unterfordert und enttäuscht sein dürften.
Fazit
An dieser Stelle könnte ich, trotz meiner positiven subjektiven Einzelwertungen, ein ernüchterndes Fazit ziehen, das heftige Railroading und die Unspielbarkeit für die Mehrzahl der aventurischen Helden ins Feld führen und die mangelnden Handlungsalternativen im Spiel und am Spieltisch zum KO-Kriterium für eine Kampagne postulieren, die die Spielleitung ein- bis zweimal zu oft hängen lässt. Ich könnte darüber schimpfen, dass rund zehn Seiten in jedem einzelnen Abenteuerband mit den immer selben Informationen verschwendet werden, die bei einer Gesamtausgabe selbstverständlich wegfallen würden. Ich könnte auch zügellos lospoltern ob der Tatsache, dass der Rabenkrieg die für DSA typische Ethik und Moral überfährt wie ein SUV eine Entenfamilie auf der Landstraße. Ich könnte Floskeln bemühen, wie “Ulrich Kiesow würde sich im Grabe umdrehen!” oder: “Das ähnelt eher Game of Thrones als DSA!” und könnte dieser Enttäuschung, dieser Zumutung von einer Kampagne, guten Gewissens 3 von 9 Einhörnern geben und bin mir sicher, dass ich für diese Entscheidung von einigen Seiten Zustimmung und Verständnis erhalten würde.
Tatsächlich vergebe ich diese Wertung als entsetzter Märchenonkel, Aventurienfan und für alle Gleichgesinnten, die normalerweise mit ihrem ikonischen Bruder Hilbert, der ikonischen Thorwalerin Tjalva und ihrer befreundeten Avesgeweihten Tsalinde von Glücksquell-Einhornau-Weidenglanz die kleine mittelreichische Fachwerkidylle vor dem bösen Baron in der Nachbarschaft beschützen. Ich verstehe euch, ich leide mit euch.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.
Die andere sieht so aus: Ich möchte herausstellen, dass mit dem Rabenkrieg die mutigste und (in meinen Augen) beste Kampagne unter dem DSA5-Banner verfasst wurde, garniert mit einem herausragend spannenden Abenteuer namens Die Krallen der Löwin, das bereits jetzt zu den Klassikern des Schwarzen Auges zählen dürfte. Eine Kampagne, die selbstverständlich eine “Blackguards-Truppe” benötigt, einen üblen Personenschlag, der es mit der Moral nicht ganz genau nimmt, aber womöglich an den bevorstehenden Schrecken wachsen oder zerbrechen und mit ganz viel Glück eines Tages in das Licht der Götter zurückfinden könnte. Drama! Für Fans von düsteren oder “bösen” Plots muss die Rabenkrieg-Kampagne als ein kleines Meisterwerk bezeichnet werden. Ja, es wird gerailroadet, dass sich die Schienen biegen. Klarer Punktabzug dafür. Aber andere große Kampagnen, wie die Sieben Gezeichneten oder die Phileasson-Saga waren auch von (höchst stimmungsvollen) Railroadelementen geprägt. Die Rabenkrieg-Kampagne ist abwechslungsreich, spannend, spielerisch und intellektuell fordernd, ideenreich und manchmal bitterböse. Und auch in den Rabenkrieg kann eine engagierte Spielleitung das verlässlichste Kampagnen-Erfolgsrezept für DSA einweben: Die Postkartenidylle, in die sich das Grauen ergießt! (Diesmal mit mehr Palmen und weniger Fachwerk…)
Der Rabenkrieg hat alles, um diese bewährte Erfolgsformel erneut aufgehen zu lassen und zahlreichen Spielrunden unvergessliche Rollenspielabende zu bereiten.
Und selbst wer den Rabenkrieg in der vorliegenden Form nicht spielen oder spielleiten möchte, sollte sich die Bände zulegen. Einerseits für das reine Lesevergnügen. Andererseits um einen fantastischen Ideensteinbruch vorzufinden, der eine eigene Verarbeitung der Ereignisse und Zugriff auf interessante NSCs ermöglicht. Die Kampagne ist episches, spannendes und mutiges DSA, das nicht genug gelobt werden kann, insbesondere in seinen zahlreichen Details: Die (endlich!) wieder vielschichtigen und glaubwürdigen NSCs, die fast allesamt von nachvollziehbaren Motiven geleitet werden und mit ihren kleineren und größeren Eigenarten tatsächlich erinnerungswürdig sind. Die an Apocalypse Now! erinnernde Rekrutenausbildung. Die sich anschließende angedeutete Antikriegsthematik, abseits der für DSA üblichen Posaunen-Heroen. Dieser Krieg ist schmutzig, unfair und falsch und wird sich auch genauso anfühlen, wenn eine gut vorbereitete Spielleitung den Stoff sorgfältig aufbereitet.
Manche Leerstellen, wie die Vertiefung der Perspektive einzelner Fraktionen laden zum Gestalten von Fanwerken ein und schaffen somit auch einen langfristigen Mehrwert.
Kurz gesagt: Mehr davon! Deshalb: Alle Daumen hoch für dieses unkonventionelle Unterfangen und eine uneingeschränkte Kaufempfehlung für dieses mutige Werk!
8 von 9 Einhörner reiten in den Rabenkrieg!
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Sehr gute Rezension. Dankeschön!
Danke für diese originelle, einzigartige Rezension. Die „Postkartenidylle, in die das Grauen fließt“ beschreibt meinen Spiel- und Meisterstil sehr gut und erklärt mir endlich in einem Satz, warum ich DSA so liebe. Leider versuche ich, in einer Gruppe chronologisch sinnvoll zu spielen und kann mir nur eine begrenzte Zahl von Gruppen leisten. Die Kampagne ist aber auf jeden Fall meine nächste größere Investition.
Sehr gute Rezension! Anmerken moechte ich, dass der Unmut der Traditionalisten nicht ganz so aus der Luft gegriffen ist wie beschrieben – schliesslich handelt auch das erwaehnte Abenteuer Boronsfurcht von diesem. Da richtet er sich zwar noch ausschliesslich gegen das Horasreich, aber wenn die Koenigin zunehmend als Marionette dessen wahrgenommen wird scheint es plausibel, dass diese Stimmung auf kurz oder lang auf sie abfaerbt.
Was für eine horasische Propaganda ist das denn? Hast wohl zu viel Bosparanjer mit Eierlikör gesüffelt, du Puderquaste! Da merkt man wieder wie der Adlerthron selbst die sogenannte Freie Presse unterwandert hat. Weder ist der General ein Diktator, noch ist Ela eine gerechte Nisut. Ihre Weltoffenheit beschränkt sich einzig auf eine Buhlschaft mit Brabak und Vinsalt.
Trotzdem eine gute Rezension, der ich mich oberflächlich anschließen kann. So stark auf Schienen finde ich die Abenteuer einzeln betrachtet nicht. Die Spieler haben durch individuelle Entscheidungen starken Einfluss darauf, was passiert. Historische Tatsachen lassen sich nicht ändern (Der Fall von Qinsay), aber ihre Taten haben starken Einfluss darauf ob und wieviel treue Kameraden sterben, ob Zivilisten den mordenden Truppen der Generalin Chanya alPlâne in die Hände fallen oder wie gut Versorgungslinien für die befreite Bevölkerung aufgebaut werden.
Abseits aventurisch-politischer Diskurse: Meine Spieler hatten (bisher) Spaß ihre Ränke und Agenden auszuleben. Ich spiele mit teils treuen Al’Anfaner und ein (oder zwei?) Spionen des Horasreich. Bisher wissen die Spieler nicht, dass sie teilweise gegeneinander spielen. Dies ist ein Kmapagne für spezielle Charaktere, aber versucht mal die Quanions-Queste als al’anfanischer Boroni zu spielen, oder gar Königsmacher. Man muss wissen worauf man sich einlässt. Es lebe die Vielfalt!
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