Expurgico Cantus I

Künstler: Nadine Schäkel

Mein Verhältnis zum DSA-Roman an sich war immer ein etwas ambivalentes. Das Genre des Spielwelt-Romans ist an und für sich schon ein sehr besonderes. Zum einen, weil diese Beschreibung eigentlich gar kein Genre darstellt, sondern nur einen Überbegriff, unter dem sich Erzählungen verschiedenster Couleur tummeln. Zum anderen sind Qualität und kommerzieller Erfolg dieser Produkte sehr unterschiedlich und nicht immer korreliert. Als Beispiele mögen hier die Romanreihen für die Spielwelten des Warhammer 40k Universums und die Erzählungen aus der Welt von Earthdawn dienen. Erstere verkaufen sich wie geschnitten Brot, während die Qualität erheblichen Schwankungen unterworfen ist. Die Earthdawn Romane dagegen erreichten trotz hoher Qualität nur weitaus geringere Auflagen.

Für einen Fan wie mich ist aber eine andere Frage oftmals fast noch wichtiger. Was mich oftmals dazu bewegte, einen Roman zu lesen, war die Frage, was ich womöglich über die Spielwelt und die Figuren dieser Welt erfahren könnte, was sich nicht aus anderen Quellen erschließen ließ. Eine interessante Kategorie sind also oftmals die Ereignisgeschichten. Also Romane, die im konkreten Umfeld eines bedeutenden aventurischen Ereignisses spielen und mehr Hintergründe und Details beleuchten, als dies andere Quellen üblicherweise können oder wollen. Neben diesem Sub-Genre ist die Biographie aventurischer Persönlichkeiten mein Liebling. Für meine persönliche Spielwelterfahrung sind die Figuren, von mir immer noch gerne nostalgisch als Meisterpersonen tituliert, entscheidende Elemente. Daher ist die Begegnung mit diesen Personen in einem Roman immer ein spannendes Erlebnis, an das ich mich noch lange erinnere.

Biographien in der Welt des Schwarzen Auges

Wenn ich schon von Erinnerungen spreche, dann verweile ich noch einen kurzen Moment in der Vergangenheit, um Expurgico auch für mich persönlich einen Rahmen zu geben. Meine älteste Erinnerung an einen biographischen DSA-Roman ist Daniela Knors Blaues Licht. Auch wenn hier eher weniger Action geboten ist, so zeichnet sich die Erzählung um das Leben des Heiligen Mikail von Bjaldorn doch durch eine intensive Sprache aus, die den Leser regelrecht in den Weiten des eisigen Nordens versinken lässt. Deutlich anders wiederum gestaltete Hadmar von Wieser seine Biographie des Schwertkönigs Raidri Conchobair, dem Herakles Aventuriens. Hier liegt der Fokus mehr auf den Heldentaten des Alberniers und den zahlreichen Details, die Fans schon immer wissen wollten. Die Krone der aventurischen Biographien war für mich persönlich schließlich das Projekt der Galotta-Biographie von Mark Wachholz und Kathrin Ludwig. Diese intimen Innenansichten des Hofmagiers und späteren Erzbösewichts halte ich nach wie vor für sehr lesenswert, auch wenn die Reihe leider nie beendet wurde. Kein leichtes Erbe also für Aram Ziai und seinen Schwarzmagier Karjunon Silberbraue.

Wer ist eigentlich Karjunon Silberbraue?

Ein Wort vorweg, bevor ich mich dem eigentlichen Inhalt widme. Auch wenn ich mit DSA-Romanen auch immer wieder eine gewisse Skepsis verbinde, so hat Expurgico bei aller möglichen Kritik doch immerhin eines geschafft. Obwohl ich gerade dabei war, Tad Williams Drachenbeinthron zu lesen, habe ich Ziais Roman sozusagen zwischengeschoben und zügig durchgelesen. Damit will ich nicht behaupten, dass Expurgico an Tad Williams Meisterwerke heranreicht, doch als angenehmes Lesefutter braucht es sich offensichtlich nicht zu verstecken.

Die erste Frage im Zusammenhang mit einer Biographie ist natürlich immer, von wem wir eigentlich sprechen. Die Biographie von Helmut Kohl dürfte vermutlich mehr Menschen interessieren, als die von meinem Nachbarn Michael Müller. Oftmals sind es auch die Verwicklungen in bedeutende Ereignisse, welche die betrachteten Personen so interessant machen. Also muss ich die Frage beantworten, woher kennt man Karjunon Silberbraue und wofür ist er bekannt?
Tatsächlich ist diese Frage sehr einfach zu beantworten, denn Karjunon Silberbraue hat genau einen signifikanten Auftritt in der Geschichte des Schwarzen Auges. Im Gegensatz zu anderen Figuren, die immer wieder mal auftauchen und sich so einen Ruf erarbeiten, reichte Magister Silberbraue ein einzelner Vortrag auf dem Allaventurischen Konvent der Magie im Jahr 1020 BF um seinen Weltruhm zu begründen.

Das neue Gewinnspiel von Ulisses

Wieder einmal ist es die Geschichte um die Rückkehr des Dämonenmeisters und der legendären Sieben Gezeichneten, die wir uns dazu anschauen müssen. Der mir bis dato vollkommen unbekannte Schwarzmagier Karjunon Silberbraue betritt während dieser außerordentlich wichtigen Zusammenkunft innerhalb der Kampagne die Bühne und enthüllt das Geheimnis der Borbaradianischen Formeln. Dieser spezielle Kanon von Formeln, der auch von den nicht magiebegabten Borbaradianern erlernt werden kann, beinhaltet eine Beherrschungskomponente, welche die Anwendung, ja selbst Kenntnis dieser Formeln, äußerst gefährlich macht. Gleichzeitig ist es dem Forscher Karjunon gelungen, eine deborbaradianisierte Variante der Formeln zu entwickeln, die er nun der Öffentlichkeit zugänglich macht.

In der damaligen Spielwelt war dies ein sensationeller Coup. Mehr als ein halbes Dutzend Formeln, die sicher auch von Spieler-Magiern beherrscht wurden, wurden zum Risiko extremum deklariert. Dass ein einzelner Mann diese Entdeckung gemacht und sogar eine Lösung dafür erarbeitet hatte, schien geradezu unfassbar. Auch wenn das Abenteuer aberdutzende von Personen auflaufen lässt und die Kampagne voll von großartigen Auftritten ist. Die Rede des Karjunon Silberbraue hat sich wohl in das kollektive Gedächtnis der Spielwelt eingebrannt. Ein wenig ist dies womöglich auch Anton Weste zu verdanken. Dessen “verschollenes Fragment” der Kampagne lässt die Helden der Kampagne in der Schlacht von Andalkan erleben, welche katastrophalen Folgen es hat, wenn Karjunons Warnungen ignoriert werden.

„An M.M. Silberbraue: Forschungssemester in Kuslik per dictum Spectabilitas genehmigt, mit Option auf ein weiteres. Forschungsassistenzen und -gelder ebenfalls. Von allen Lehrverpflichtungen bis auf weiteres freigestellt. Forschungsergebnisse dringend erwartet!! Savertin, Spektabilität“

Vor dem Hintergrund dieser spektakulären Ereignisse sind die übrigen Dinge in Karjunons Leben beinahe schon Fußnoten. Der Abgänger der Kusliker Verwandlungsakademie wird mittels Expurgico aus der Gilde ausgeschlossen und aller Privilegien eines Magiers beraubt. Später findet er Aufnahme bei der Schwarzen Gilde und pflegt offensichtlich regelmäßigen Umgang mit Dämonen. Die Meldung, dass er 1041 BF, mehr als 20 Jahre nach seinem berühmten Vortrag, zum Erzmagier ernannt wird, ist da fast schon egal.

Ein bisschen Meta

Im Interview mit Engor berichtet Aram Ziai, dass Karjunon sein zweiter Held in der Welt des Schwarzen Auges war. Vor diesem Hintergrund mutet es schon fast wie ein Treppenwitz an, wenn die Geschichte einer Spieler-Figur in Romanform erscheint. Andererseits ist es in der Welt des Schwarzen Auges gute Tradition, dass diverse Figuren den Schritt vom privaten Spieltisch in die kanonische Welt und damit vielleicht auch in die Romane und andere Publikationen schaffen. Dabei kommt es durchaus auch vor, dass andere Autoren den Faden aufnehmen und die Figuren weiterentwickeln. Dass dies manchmal auch zu Verstimmungen führen kann, da der Schöpfer einer Figur nicht selten dazu neigt, diese als sein Eigentum zu betrachten, versteht sich von selbst.

Im Fall von Karjunon Silberbraue gibt es gleich zwei wesentliche Ereignisse, die aus anderer Feder stammen. Zum einen ist da die zentrale Idee der Einführung in die Spielwelt auf dem Allaventurischen Konvent, die wohl seinerzeit von Thomas Römer ersonnen wurde. Zum anderen berichtet der Autor, von der Ernennung Karjunons zum Erzmagier überrascht worden zu sein. Dies stellt insofern eine Herausforderung für den Roman dar, der immerhin mit dem Tod des Dracomagus endet.

  • Mit diesem Rahmen sucht der geneigte Fanboy in mir also Antworten nach einigen Fragen. Was führte zu Karjunons Gildenausschluss und Neuaufnahme in die Gilde?
  • Wie kam es zur Entschlüsselung der Borbaradianischen Formeln?
  • Wie kann jemand, der offensichtlich aus seiner Heimatgilde ausgeschlossen und von den Pfeilen des Lichts verfolgt wird, zum Erzmagier ernannt werden?
  • Welche bedeutenden Taten hat dieser Mann noch vollbracht und welche Agenda führt möglicherweise zu Kontakten mit Spieler-Helden?

Ein paar Fragen an Aram Ziai

Zum Glück ist es ja so, dass die winzige Szene der Rollenspiele es erlaubt, Autoren auch mal eine Frage zu stellen, wenn man denn von Neugier getrieben ist. So versuche auch ich mein Glück und adressiere meine Fragen an Aram.

Im Interview mit Engor beschreibst du, dass die offenen Fragen um Karjunons Tod und die Frage nach den Lizenzgebühren für seine Forschungen den Anstoß für die Erzählung gegeben haben. Einen ganzen Roman zu füllen, erfordert sicher noch ein paar Dinge mehr. Warum ist die Geschichte Karjunons überhaupt erzählenswert?. Was macht ihn aus deiner Sicht über seine Forschung hinaus interessant?

Aus meiner Sicht ist die Geschichte erzählenswert, weil sie ein Expurgico-Urteil, die Entmystifizierung der borbaradianischen Formeln und einen Paktbruch über die vagen Angaben in offiziellen Werken hinaus ausführlich beschreibt und mit Leben füllt: was heißt das genau und wie fühlt sich das an, aus der Gilde ausgestoßen zu werden oder einem Erzdämon die Loyalität aufzukündigen?
Naja, und vielleicht ist die Geschichte auch ein bisschen spannend…

Das Episodenhafte des Romans macht es schwer, den durchgehenden Faden im Roman zu finden. Hattest du eine Leitlinie, etwas, das du mit Expurgico erzählen und erlebbar machen wolltest? Worauf hast du besonderen Wert gelegt?

Der durchgehende Faden (zumindest der Lebensgeschichte Karjunons, es gibt ja noch ein paar andere handelnde Personen) ist genau das non serviam des nach Wissen strebenden Magiers, der keine Grenzen akzeptieren will und dem es schwer fällt sich unterzuordnen, dem dies genau zum Verhängnis wird (Gildenausschluss), der sich dann als Ausgestoßener durchschlägt und

– Spoileralarm –

von Amazeroth dann doch in einen Pakt (und somit auch eine Art „Dienstverhältnis“) gelockt wird. Dieses ist ihm eigentlich zuwider und er verdrängt es zunächst, bricht dann jedoch den Pakt – oder glaubt es zumindest, wird dabei aber vom prächtigen Blender getäuscht… und muss sich dem im zweiten Teil stellen.

– Spoilerende –

Das Motto Non Serviam, welches auf Karjunons Grabstein zu finden ist, passt sicher zu seiner Beziehung zur Weißen Gilde. So ganz will es mir allerdings nicht zu der Entscheidung passen, seine bereinigten Formeln der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gab es dieses Motto schon immer oder hast du es nachträglich hinzugefügt?

Schon immer nicht, aber es tauchte lange vor dem Roman in einem Gespräch mit Thomas Römer auf und ich dachte, das bringt sein Weltbild gut auf den Punkt. Das non serviam bedeutet für ihn, niemandes Knecht zu sein. Die Formeln zur Verfügung zu stellen im Kampf gegen den, der alle knechten will (und auf einem guten Weg zu sein scheint), ist da kein Widerspruch – zumal wenn es mit üppigen Lizenzgebühren einher geht… Politisch würde man da wahrscheinlich von einem verkürzten Individualanarchismus reden: sein eigenes Ding machen, sein eigener Herr sein wollen, ohne zu fragen, wer vielleicht darunter leidet oder dabei zu kurz kommt oder das ermöglicht.

Vielen Dank an Aram Ziai für diesen ersten Durchlauf. Im zweiten Teil werde ich mich näher mit der Verortung des Romans befassen und noch einmal Arams Antworten auf obige Fragen nachspüren.

Referenzen

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3 Antworten zu Expurgico Cantus I

  1. Pingback: Nandurion: Rezension von Expurgico, Teil 1 samt Interview – Nuntiovolo.de

  2. Arno aus Breitenbrück sagt:

    Toller Roman, danke für das Interview. Ich warte schon gespannt auf den zweiten Teil!

  3. Pingback: Expurgico Cantus II | Xeledons Spottgesang

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