Mit den Göttern in der Phantastik ist es so eine Sache. Verne und die anderen Pioniere der Phantastik berauschten sich an der Kraft des menschlichen Geistes. Roddenberrys Menschen in Schlafanzügen haben Religion genauso hinter sich gelassen wie Armut, Krankheit und Kopfbedeckungen. Fantasy-Übervater Tolkien, obwohl selbst sehr gläubig, macht die Götter zunächst nicht direkt sichtbar. Der All-Vater Ilúvatar wird nicht direkt angebetet und selbst auf die Valar wird in den bekanntesten Werken kaum Bezug genommen. Die Rollenspielwegbereiter Gygax und Arneson verlegten sich schon früh darauf das Klischee vom Abrakadabra wörtlich zu nehmen und Priester zu Karmalzauberern zu machen. Alles in Allem also ein schwieriger Start für das Prinzip des Göttlichen.
Es sollte uns wenig wundern, dass ein Spiel, welches erst den Kellern und Verliesen entwachsen musste, wenig Wert auf Spiritualität legt. Paradoxerweise war der Weg des Schwarzen Auges teilweise entgegengesetzt und entwickelte sich vom religiösen Mystizismus früherer Editionen zur gamistischen Karmalzauberei heutiger Tage. Aber an dieser Stelle soll es weniger um die Mechaniken der Wunderwirker gehen, sondern um die Stellung der Götter und ihrer Beziehung zu den Menschen selbst.
Wir sind da
Religion und Götter gehören zu den akzeptierten, ja geradezu erwarteten, Grundzutaten einer Fantasywelt. Da ist es wenig überraschend, dass bereits in den frühsten Publikationen zur Spielwelt des Schwarzen Auges 1985 die Zwölfgötter und ihre Domänen vorgestellt wurden. Für das europäische Rollenspiel bedienten sich die Schöpfer der polytheistischen Weltsicht der alten Griechen. Da die Deutsche Ordnung aber auch im Götterhimmel herrschen muss, sollten es genau zwölf Götter sein, die über die zwölf Monate des Jahres herrschen. Nach und nach wurde dieses Pantheon erweitert. Der Namenlose als Antagonist passt soweit noch ganz gut ins Bild, denn Grautöne im göttlichen Pantheon stehen dem Schwarz-/Weiß der frühen Tage nicht gut zu Gesicht.
Doch mit dem Wachsen der Spielwelt stellte sich ein neues Problem. Welchen Göttern huldigen Orks, Zwerge, Elfen, Goblins, Echsen? Und die Klischeearaber in der Miniaturwüste brauchen ja wohl auch einen passenden Eingott. Und die „weniger zivilisierten“ Kulturen Aventuriens? Na denen verpassen wir auch ein paar geeignete Attribute heidnischer Kulturen. Auch wenn die Gottesbilder europäischer Prägung nicht überall implementiert werden und Elfen und Echsen zumindest ein interessantes Gottesbild pflegen, hören die Probleme damit noch nicht auf.
Die Götter Tharuns hat man zusammen mit der Hohlwelt in eine geschlossene Sphäre gekapselt und damit effektiv vom sonstigen Kosmos isoliert. Bei der Erschließung des Güldenlands war zwar jedem klar, dass man nicht einfach mit den gleichen langweiligen Zwölfgöttern weitermachen konnte. Hier galt es jedoch schon zu beachten, dass im Hintergrund die Herkunft einiger Götter Aventuriens als Importe aus dem Güldenland gesetzt waren. Den Höhepunkt der pantheistischen Verwirrung stellte dann die Reise nach Uthuria dar. Das Land der tausend Götter ließ sich wohl beim besten Willen nicht mit einem Dutzend Griechen im neuen Gewand abspeisen. Oder vielleicht doch?
Mein Gott ist mächtiger als dein Gott
Solange wir Götter oder Giganten, wie wir sie wohl eigentlich nennen müssten, nur als blumigen Hintergrund betrachten, ist die Vielgötterei kein Problem. Sie liefern Farbe für die handelnden Figuren. Die Realität der Figuren (und damit des Spiels) wird jedoch bestimmt von der Macht der weltlichen Anhänger einer Religion. Sobald diese Entitäten jedoch zu Akteuren werden, sei es direkt oder indirekt, stellen sich ganz neue Fragen. Natürlich könnte ich hier wieder einmal die Theodizee-Frage diskutieren. Doch sollte man das Vorbild der griechischen Gottmenschen nicht mit dem allmächtigen Schöpfergott judaistischer Religionen verwechseln. Neben solchen Lappalien gibt es für den Bewohner Deres ein viel zentraleres Problem mit den beweisbaren Göttern. Zumindest der Aventurier steuert sehr schnell auf die Frage zu, welche Götter real sind und welche nicht. Und wenn wir das Karmakorthäon und die Konflikte zwischen Kulturen, Religionen und Göttern ernst nehmen wollen, dann muss der Held sich vielleicht auch die Frage nach der Hierarchie jenseits der vierten Sphäre stellen. Oder um es mit Conan zu sagen: Ist mein Gott mächtiger als dein Gott?
Als die Welt des Schwarzen Auges zu klein für zwölf und einen Gott wurde, erfand man kurzerhand das Zwölfgötteredikt. Damit erklärte das neue Reich zwölf Götter zu seinen Staatsgöttern und alles andere zu Ketzerei. Mein Fokus soll heute jedoch auf dem greifbaren Aspekt göttlichen Wirkens liegen und damit auf einer Perspektive, die ich sonst eher als nachrangig betrachte. Wie real ein Gott ist kann der Gamist unter den DSA-Spielern ganz einfach feststellen. Ein echter Gott muss eine karmaspendende Entität (ksE) sein. Sonst taugt er allenfalls als Taschengott. Und im Lauf der Zeit wurden konsequenterweise immer mehr Giganten zu solchen ksE. Halb- und Nebengötter wie Nandus, Swafnir oder Levthan können Karmalzauberer hervorbringen. Der Glaube der Orks wurde ebenfalls legitimiert, indem Tairach, Gravesh und auch Brazoragh ihren Champions (manchmal) Wunderkraft verliehen. Die myranischen Götter vergrößerten das Pantheon trotz Überschneidungen zu aventurischen Göttern und Erzdämonen weiter. Und im Land der Tausend Götter, dem südlichen Kontinent Uthuria, wird man sich wohl kaum mit zwölf plus ein paar mehr Göttern zufrieden geben.
Nein, das ist nicht wahr! Tairach ist nur ein elender Götze! Tairach kann nicht der Gott des Mondes sein. Der Götterfürst hat Phex zum Wächter des Madamals bestimmt. Ihn allein! Was du sagst ist Blasphemie! – Greifwin, Geweihter des Phex
Das nur Wimmelkrieger glaub. – Krallulatsch, Trollschamane
Das Greifenopfer, Thomas Finn
Diese Situation hatte das Konzept von Alveran, als Heimat der wahren zwölf Götter und ihres Gefolges ohnehin schon ad absurdum geführt. Doch es gab nach wie vor bemerkenswerte Ausnahmen im Land der Götter. Einige Kulturen schienen es verpasst zu haben „echte“ Götter in ihre Religion zu integrieren. Interessanterweise waren es dabei insbesondere die „primitiven“ Kulturen, deren Religion zwar Götter kennt, die aber scheinbar keine ausgewiesenen Karmalzauberer hervorbringen konnten. Die Gjalsker verehrten zwar auch anständige Götter, ihren übernatürlichen Beistand rufen die Animisten aber über magische Kraft und eine Repräsentation als Geister hervor. Die Himmelswölfe der Nivesen hatten immerhin im Rausch der Ewigkeit einen halben Auftritt, doch Wunderkraft verleiht das den Schamanen in den Zelten des Nordens noch lange nicht. Noch krasser verhielt es sich mit den Waldmenschen. Bis zu diesem Punkt waren mir keine Wunder des Jaguar-Gottes Kamaluq Ohren gekommen. Wie geht also die fünfte Edition mit diesem Vermächtnis um?
Es gibt nur (k)einen Gott?
Ich fand es schon immer merkwürdig, dass diese Kulturen, auf deren irdische Vorbilder wir „zivilisierten“ Menschen gerne herabblicken, aus gamistischer Perspektive so anders behandelt wurden. Mein jugendliches Ich war jedoch nicht imstande, die kulturimperialistische Perspektive dahinter zu erkennen. Mit dem Erscheinen der Novadi-Spielhilfe der fünften Edition ist jedoch eine weitere Religion wieder aus der Versenkung gehoben, die noch viel stärker von diesem offensichtlichen Widerspruch betroffen ist.
Der All-Eine, Rastullah, der mitsamt seinen Anhängern ziemlich klischeehaft an das europäische Bild vom Islam und seinen arabischen Gläubigen angelehnt ist. Man könnte ja meinen, dass ein Volk, welches solche inbrünstige Nähe zu nur einem einzigen Gott verspürt, auch besonders viele Karmalzauberer hervorbringt. Doch Fehlanzeige. Bereits die ersten Publikationen zu den Novadis und den Rastullah-Gläubigen macht ganz klar, dass es keine Geweihten des Rastullah gibt. Ja mehr noch, lange Zeit mussten Leser davon ausgehen, dass Rastullah gar keine Wunder vollbringt. Der gemeine Novadi musste glückliche Zufälle als Wirken seines Gottes umdeuten und sich damit zumindest in den Augen seiner außerweltlichen Beobachter geradezu lächerlich machen. Irgendwann hatte dann doch mal jemand in der Redaktion ein Einsehen und Rastullah durfte Hagel auf den verhassten echsischen Erzfeind werfen.
Ein neuer Aufbruch
Wie also gehen die groß angekündigten Regionalspielhilfen mit diesem Vermächtnis um? Hat sich das Gottesbild für die Waldmenschen und Novadis geändert? Schauen wir mal rein in die neuen Texte.
Kamaluq in den Dampfenden Dschungeln
Die Religionen der Waldmenschen und Utulus gehören zu animistischen Glaubenswelten. Wenn alles und jeder beseelt ist und Geister überall, welchen Status haben dann die Götter? In der Weltsicht der Waldmenschen sind es die Großen Nipakau, denen Kamaluq als mächtigster Geist vorsteht. In mythologischer Hinsicht wird hier also graduell unterschieden vom simplen Geist, der einer einfachen Sache innewohnt, bis hin zu immer mächtigeren Nipakau. Die klare Trennung in Irdisches und Göttliches sowie die Herkunft nach unterschiedlichen Sphären entfällt in dieser Vorstellung. Auch ist es für dieses Weltbild unerheblich, ob einer, der mit den Geistern spricht, dies mittels magischer oder karmaler Kräfte zustande bringt. Für mich als einen klaren Verfechter der Trennung von magischer Zauberei und karmalem Wirken ist dies natürlich äußerst schmerzlich. Dennoch stellt Die dampfenden Dschungel klar, dass Schamanen eine karmale Profession sind und die göttlichen Kräfte der Geistersprecher durchaus real. In einigen Fällen wird sogar auf einige Besonderheiten und große Ereignisse der Vergangenheit hingewiesen, die auf göttliches Wirken (Kamaluqs) hinweisen.
Es war kaum zu erwarten, dass das Update der Spielhilfen zu Meridiana und dem Tiefen Süden das Weltbild der Animisten über den Haufen werfen würde. Dies wäre gewiss auch kein respektvoller Umgang mit den animistischen Traditionen und ihren weltlichen Vorbildern gewesen. Aber selbst wenn die Tradition der Waldmenschen die wahre Natur der göttlichen Kräfte verschleiert, so bleibt dennoch festzuhalten, dass zumindest die Regeln deren karmaspendende Entitäten klar benennen. Warum allerdings in den Regeltexten überall von Mohas die Rede ist, wo dieser Begriff gleich zu Beginn der Spielhilfe als unzutreffende Verallgemeinerung gekennzeichnet wird, bleibt mir ein Rätsel. Immerhin listet die Regelwiki die Tradition als Tahaya-Schamanen, auch wenn der Begriff vor dem Bindestrich hier keine Gottheit sondern die Ewige Sprache der Dschungelstämme bezeichnet.
Rastullah im Wüstenreich
In einer Welt der Vielgötterei ist der Novadi an sich schon ein Kuriosum. Nachdem ich oben die Schamanen der Waldmenschen und Utulus in Beziehung zu den karmaspendenden Entitäten ihres Pantheons gesetzt habe, sieht es für die Anhänger Rastullahs nun gänzlich anders aus. In der Tat sind die Novadis des Wüstenreichs so etwas wie die Antithese zu den Bewohnern der dampfenden Dschungel. Anstatt zahlloser Nipakau verehren Sie den All-Einen. Während weiter im Süden nur ausgewählte Gestalten mit den großen Geistern sprechen, pflegt der Novadi eine unmittelbare und zutiefst persönliche Beziehung zu seinem Gott. Geweihte als karmale Wunderwirker kennt man im Wüstenreich jedoch nicht. Der Name Rastullahs ist zwar überall präsent, doch der Gott mit den prächtigen Locken macht sich rar in Aventurien.
Auf den ersten Blick scheint Das Wüstenreich an den bisherigen Setzungen nichts zu ändern. Ohne an dieser Stelle spoilern zu wollen, darf ich jedoch sagen, dass ein Ereignis mit dem Namen Die zweite Offenbarung hier zumindest frischen Wind bringt. Zumindest die Frage: Gibt es diesen Gott wirklich, sollte damit mehr als deutlich beantwortet werden. Wann genau wir mit Rastullah-gefälligen Karmalzauberern rechnen dürfen, steht jedoch wohl noch in den Sternen. Auch scheinen mir die jüngsten Entwicklungen einen theologischen Dialog zu befeuern und das intensive Auseinandersetzen mit der Beziehung zwischen Gott und Menschen. Das sind genau die Dinge, die ich mir erhofft hatte. In sofern bin ich hier zumindest einmal positiv voreingenommen. Sollte es dann auch noch gelingen, diese hochspannenden Fragen nicht auf dem Altar des irdischen Zeitgeists zu opfern und aufgrund anderer Interessen zu zerreden, dann wäre es vorstellbar Geschichten von einer Tiefe zu erzählen, die wir bislang kaum in einem Fantasy-Rollenspiel gesehen haben.
Fazit
Meine Ausgangspunkt war die Frage, ob die neuen Spielhilfen mit einem kulturimperialistischen Religionsbild aufräumen und die „anderen“ Götter auch im gamistischen Sinne ernst nehmen. Auch wenn man sich große Mühe gegeben hat, die Eigenheiten der irdischen Vorbilder der Religionen in Dschungeln und Wüsten zu erhalten. Es darf konstatiert werden, dass Kamaluq und Rastullah sowohl technisch als auch inhaltlich nun als genauso „reale“ Götter ernst genommen werden, wie die anderer Kulturen. Das ist in meinen Augen ein wichtiger und bemerkenswerter Fortschritt.
Konsequenterweise sei hier auch darauf hingewiesen, dass zumindest das Regelgerüst der 5. Edition auch weitere Schamanen und ihre Götter mit Karmaenergie ausstattet. Die einzige relevante Ausnahme scheinen mir hier die Goblinzauberinnen zu sein, die weiterhin mit astraler Kraft ihre Wunder wirken müssen. Aber vielleicht haben Goblins einfach (noch) keine Lobby.
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Rur und Gror!
Glaube da wird sich nix ändern, selbst nach Maraskanischer Logik haben sie ja nix zu melden. Sie haben ja die 12 (oder 8? oder 16?) Götter ausgewählt um das Wunder zu bewahren.
Während der Diskus auf dem Flug ist können die zwei Sicher nix tun.
Die Sache mit den Nicht-12-Göttern und ihrer Entwicklung bringt mich immer in einen Zwiespalt. einerseits bin ich voll beim Kolumnisten: Es ist ein Kultur imperialistischen und auch sonst wie nicht mehr wirklich tragbarer Anspruch, zu setzen: „In unserer Fantasyswelt sind die Götter real und erfahrbar. Außer die Moslems und die Indigenen, die liegen objektiv falsch.“ Es war ja gar nicht anders möglich, als da etwas zu ändern und ich mag die Versuche bei den jeweiligen Publikationen sehr gerne: Tiefgreifend aber trotzdem die Grundlage ernst nehmen.
Andererseits bedauert der Rollenspieler in mir die Veränderungen aber trotzdem. Nivese oder Waldmensch, der „denkt“ dass er Wunder wirkt und der Novadi, der der Meinung ist, dass sein allmächtiger Gott so etwas banales wie Wunder nicht nötig hat, geben tollen Anlass zum Rollenspiel auch jenseits von „Der Nicht-Europäer ist dumm“. Meine Novadis habe ich so Dinge sagen lassen wie „Du glaubst, weil Praios dir auf Bitten hin hilft. Ich glaube, weil Rhastullah es von mir verlangt. Ich habe also einen Herrn, du hast einen Diener“. und meine Nivesen Sachen wie „Du nennst es also Magie, wenn ich den Willen der Himmelswölfe tue. Sind es nicht trotzdem Wunder? Wer hat uns denn die Magie gegeben? Kannst du es sagen?“ Da ergaben sich so viele coole IT Diskussionen, wo niemand objektiv Recht hatte. Das fehlt mir heute manchmal ein bisschen.
Andererseits hätte man es wie gesagt anders kaum machen können. Insoweit freue ich mich umso mehr, wie sanft die Veränderungen bei den Novadis passiert sind.
Vor ein paar Jahren wurde erwähnt, dass eine Auserwählte Satuarias in Aventurien Satuarias Primärliturgie „in sich trägt“. Wurde aber bisher nicht weiterverfolgt. Aber nicht wundern, wenn es in DSA 6 keine Hexen mehr gibt. Mal abgesehen davon, dass Satuaria in Myranor als Karma-spendende Gottheit verehrt wird und ihre Priester sich ähnlich wie Hexen verhalten, nur eben mit Karmaenergie statt Astralenergie.