Das Geld der Vielen – Crowdfundings

Hinter dem SchirmCrowdfundings sind auch in der Rollenspiel-Branche inzwischen ein geradezu alltägliches Instrument. An verschiedensten Stellen wird auf laufende oder angekündigte Crowdfundings hingewiesen. Gelegentlich ärgere ich mich darüber, dass ich ein interessantes Crowdfunding verpasst habe. Manchmal mache ich bei einem mit.

Bislang war ich immer der Meinung, Crowdfunding diente dazu eine Finanzierung über dezentrale Quellen zu erreichen. Ganz klassisch also. Als ich kürzlich zum Universalsystem Savage Worlds recherchierte, stellte ich fest, dass Ulisses hier ein Crowdfunding dazu laufen hat. Da das Universal-System mit dem Motto Fast! Furious! Fun! nicht gerade ein unbedeutendes Nischensystem ist, war ich doch etwas verwundert, dass ein Verlag wie Ulisses hier für die Übersetzung des Grundregelwerks Finanzierungshilfe benötigt. Doch die Lösung für dieses Problem ist ganz einfach: Sie brauchen es nicht!

Im Interview mit dem dicken Preußen erläuterte Jens Ullrich, was Uneingeweihte oftmals nur vermuten können. Im Gegensatz zu kapitalintensiveren Produkten, wie zum Beispiel Brettspielen, sind die Kosten eines typischen Rollenspielbandes deutlich günstiger. Wenn also die Vorfinanzierung nicht der Grund ist, ein Produkt über Crowdfunding zu betreiben, was dann?

Crowdfunding aus Sicht des Verlags

Wenn wir uns von der Vorfinanzierung als Grund für den Weg des Crowdfundings verabschieden gibt es drei zentrale Gründe für einen Verlag auf Crowdfunding zu setzen.

Aktuell gerade ziemlich erfolgreich auf Kaperfahrt – die Thorwaler!

Marketing: Ein wichtiges Hindernis bei der Vermarktung von Rollenspielprodukten ist die Heterogenität der Kunden. Im Gegensatz zu Fußballfans, heranwachsenden Kosmetiknutzerinnen oder Käufern von Demeter-Ware lassen sich Rollenspieler nicht über einen gemeinsamen Kanal ansprechen. Wir sind einfach zu verschieden. Der besondere Charakter eines Crowdfundings kann dazu beitragen, dass die Kunden selbst Werbung machen und das Produkt so weitaus bekannter wird als auf konventionellem Wege. Hinzu kommt, dass deutsche Rollenspielverlage natürlich auch kein Marketingbudget haben, welches andere Unternehmen überhaupt als solches registrieren würden. Je mehr Unterstützer also mitmachen, desto besser für den Einzelnen. Auf diese Weise hat jeder Unterstützer ein Interesse daran für das Crowdfunding zu werben. Aus Sicht des Verlages eine ideale Situation.

Markteinschätzung: Gerade bei Produkten mit geringen Auflagen und als solche müssen Rollenspielprodukte gelten, spielt die Höhe der Auflage eine wichtige Rolle. Werden zu wenig Exemplare gefertigt entgeht einem Gewinn oder es muss mit erneuten Fixkosten nachproduziert werden. Gibt es zu viele Exemplare bleibt das Kapital bis auf Weiteres gebunden und der Verlag verliert zumindest an Liquidität. Anhand eines Crowdfundings herauszufinden wie hoch die Nachfrage nach einem konkreten Produkt ist, kann also sehr lohnenswert sein.

Marge verbessern: Der direkte Verkauf an den Endkunden ist die lukrativste Art seine Produkte zu verkaufen. Kein Zwischenhändler, der günstigere Einkaufspreise bekommt, keine ruinösen Amazon-Rabatte. Nein, die direkte Beziehung zum Kunden ist für den Verlag echtes Geld wert.

Dem gegenüber stehen allerdings auch Nachteile für den Verlag.

Betreuungsaufwand: Ein Crowdfunding organisiert sich nicht von allein. Das Projekt will eingerichtet, Kundenanfragen beantwortet und Stretchgoals verwaltet werden. Wenn die oben angesprochenen Vorteile in Sachen Marketing durchgeholt werden sollen, dann muss der Verlag dafür auch etwas bieten. All diese Kapazitäten fehlen dann wiederum bei der Erstellung der eigentlichen Produkte.

Schwierig wird es auch dann, wenn es zu Verzögerungen kommt. Unterstützer erwarten Erklärungen, warum von der ursprünglichen Planung abgewichen wird. Dinge die im normalen Produktionsprozess Interna sind, müssen auf einmal einer weiteren Öffentlichkeit erklärt werden. Wenn es richtig blöd läuft, kann sogar ein weiterer Punkt zum Tragen kommen.

Äußerst erfolgreicher, aber auch die Community spaltender, wahr gewordener Aprilscherz.

Imagerisiko: Wenn etwas schiefgeht, kann ein öffentliches Projekt auch schnell unangenehme Nebenwirkungen entfalten. Auch wenn verfehlte Deadlines immer ärgerlich sind. Ein Projekt, welches so im Fokus einer engagierten Öffentlichkeit steht, kann den Verlag auch in ein schlechtes Bild rücken. Auch deutsche Rollenspielverlage konnten mit diesem Phänomen bereits Erfahrung sammeln. Doch auch von anderer Seite kann es zu Schwierigkeiten kommen. Ein unerwünschtes Risiko für seine Marke sah beispielsweise der Lizenzgeber für Wrath & Glory. Ein wenig erfolgreiches oder gar gescheitertes Crowdfunding könnte ein schlechtes Licht auf eine bekannte Marke werfen. So kam es, dass die freundlichen Herrschaften aus Nottingham für das Warhammer-40.000- Rollenspiel stattdessen auf einer Vorbestelleraktion bestanden. Zudem entsteht bei manchen Lizenzgeber der (unzutreffende) Eindruck, ein Verlag, der auf Crowdfundings setzt, wäre nicht finanzstark genug das tolle Lizenzprodukt selbst zu finanzieren. Solche Fälle sind typisch für vermeintlich oder tatsächlich besonders starke Marken.

Don´t support your local dealer: Während der direkte Verkauf an den Kunden die Marge erhöht, entsteht dadurch ein unerwünschter Nebeneffekt. Der lokale Einzelhandel ist nicht mehr eingebunden. Auch wenn uns die Internetgiganten vormachen wollen, dass im Internet kaufen besser ist als den Händler um die Ecke (oder eher in der nächsten Stadt) zu besuchen, so geht diese Rechnung für das Verlegen von Rollenspielen nur bedingt auf. Die verbliebenen Einzelhändler im Segment der Rollenspiele leisten einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung und Verbreitung unseres Hobbys. Sie aus dem Spiel zu nehmen schadet letztlich auch den Interessen des Verlags.

Ein paar Hinweise

Neben den obigen Abwägungen gibt es im Crowdfunding noch ein paar Dinge, die ebenfalls eine Rolle spielen können. Meist laufen diese Dinge jedoch im Hintergrund.

Wieviele DSA’ler wagen eigentlich den Schritt vom Tisch zum Live-Event?

Einstiegshürde: Wenn ein Finanzierungsziel sehr hoch ist, dann kann das Leute abschrecken. Wenn mögliche Unterstützer abgeschreckt werden, kommt das Projekt womöglich nicht richtig ans Laufen und die notwendige Dynamik entwickelt sich nicht. Eine übliche Strategie damit umzugehen besteht darin, dass das Finanzierungsziel niedriger angesetzt wird, als es tatsächlich wirtschaftlich der Fall wäre. Im Extremfall kann das bedeuten, dass das Projekt Verluste generiert. Auch wenn das nicht der Fall ist, sollte man auch aus Sicht des Unterstützers daran denken und seine Erwartungen daran anpassen. Womöglich müssen erst ein paar (vermeintlich billige) Stretchgoals erreicht werden, damit das Geld für das eigentliche Basisprojekt beisammen ist.

Wartezeiten: Viele Rollenspielprodukte haben lange Entwicklungszeiten. Üblicherweise wollen wir als Kunden nicht mehrere Jahre auf unser neues Rollenspiel „Katzen im Weltall“ warten. Da die wenigsten Rollenspiele aber in wenigen Wochen oder Monaten entwickelt werden bedeutet dies, dass die eigentliche Entwicklung bereits lange vor dem Crowdfunding beginnt. Auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so wichtig erscheinen mag, kann das für Supporter relevant werden. Zum Beispiel, wenn sie Wünsche an das Produkt äußern, über deren Entscheidung die Entwicklung bereits hinausgeschossen ist.

Crowdfunding aus Sicht des Kunden

Letztlich ist es ja schön und gut zu wissen, warum ein Verlag dieses Instrument nutzt. Spannender ist aber vermutlich die Frage, was ich als Kunde davon habe. Ob konkrete Eigenschaften als Vor- oder Nachteil gesehen werden hängt oft von den individuellen Präferenzen und Voraussetzungen des Kunden ab.

Eventcharakter: Ob man die spezielle Atmosphäre eines singulären Ereignisses besonders zu schätzen weiß oder nicht muss jeder für sich selbst einschätzen. Unbestreitbar ist jedoch, dass dem Crowdfunding das Emotionale eines einmaligen Ereignisses innewohnt. Ja in vielen Fällen gelingt es den Vermarktern gar einen Pioniergeist zu beschwören. Unterstützer können sich als Teil einer Gruppe fühlen, die etwas Einmaliges und Besonderes in die Welt setzt. Beispielsweise wurde beim Crowdfunding der Phileasson-Luxusausgabe diskutiert, ob ein eigener Pin als exklusives Stretchgoal für die Unterstützer realisiert werden könnte, damit diese sich so beispielsweise auf Conventions als Mitglieder einer kleinen Gruppe besonderer Enthusiasten zu erkennen geben könnten.

In jeder Veröffentlichungsphase von Crowdfundings begleitet – The Dark Eye.

Exklusivität: Manche Produkte erscheinen exklusiv für Unterstützer eines Crowdfundings. Auch wenn in der Rollenspiel-Branche nur noch wenige Produkte ausschließlich für das Crowdfunding produziert werden, kann es hier Elemente geben, die auf anderem Wege nicht erhältlich sind. Dies können kleine Zusatzelemente sein, attraktive Rabatte für die Kombination von Printprodukt und PDF oder gänzlich exklusive Elemente, die nur in kleiner Auflage produziert werden. Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, dass Brettspiel Mare Nostrum mit einem extrem hochwertigen Satz von Spielchips zu spielen, welche exklusiv für das Crowdfunding produziert wurden. Auch das Heroes of Aventuria Crowdfunding beinhaltete Bonus-Miniaturen, welche nicht direkt im Handel erhältlich sein werden. Natürlich lässt sich auf diese Weise ein spürbarer Bonus für Unterstützer generieren. Umso ärgerlicher ist es dann allerdings, wenn man ein Crowdfunding verpasst hat.

Zeitrahmen und Vorfinanzierung: In der Einleitung hatte ich angemerkt, dass der Vorfinanzierungseffekt für den Verlag nicht ausschlaggebend ist, da dies bei der Produktion von Büchern nicht die entscheidende Rolle spielt. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht. Wer nicht mal eben 200 Euro auf ein Crowdfunding werfen kann, ohne dafür die Haushaltskasse zu plündern, der muss womöglich auf eine Teilnahme verzichten und die oben genannten Vorteile verkehren sich eventuell ins Gegenteil. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere interessante Projekte in zeitlicher Nähe laufen. Die oftmals eher kurze Zeitspanne eines Crowdfundings birgt zudem das reale Risiko, dass ein potentieller Unterstützter schlicht zu spät von einem Projekt erfährt.

Definierter Warenkorb: Die spezielle Natur eines Crowdfundings führt oftmals dazu, dass die Unterstützer keinen klassischen Warenkorb befüllen, sondern ein definiertes Dankeschön auswählen können. Die Zusammenstellung dieses Pakets ist durch den Projektgründer vorgegeben. Dies kann dazu führen, dass bestimmte, von Seiten des Kunden erwünschte, Kombinationen nicht verfügbar sind. Als ich mich für eine Unterstützung des Savage Worlds Crowdfundings entschied, musste ich daher eine Alternative auswählen, die meine Wünsche am nächstbesten abdeckte.

Wartezeiten: Auch wenn in vielen Fällen die oben erwähnte Vorproduktion die Wartezeit bis zur Realisierung eines Projekts verkürzt. Bisweilen dauert es dennoch recht lange, bis man das Produkt in Händen hält. Manchen mag das egal sein, einige mögen dies sogar als Merkmal besonderer Wertigkeit empfinden. Etliche dürften dies aber zumindest als unerfreulichen Nebeneffekt ansehen. Relativieren lässt sich das Ganze wiederum, wenn man bedenkt, dass Unterstützer ein Produkt natürlich in aller Regel früher in den Händen halten, als Kunden im regulären Handel.

Warten inzwischen seit 3 Jahren. Kommt hoffentlich endlich im Frühjahr 2020 in den Handel.

Ausfallrisiko: Auch wenn die Verlage sich professionalisieren und Plattform-Anbieter versuchen Risiken zu minimieren. Ein gewisses Risiko bleibt immer, wenn man an einem Crowdfunding teilnimmt. Der Prometheus Verlag hatte in der Vergangenheit mit deutlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, seine Zusagen im Bezug auf Crowdfundings auch einzuhalten. Aber auch kleinere Verzögerungen können mitunter ärgerlich sein. So war der zweite Band der Prachtausgabe der Phileasson-Saga für Weihnachten 2018 erwartet worden, konnte aber aufgrund eines Fehlers in der Druckerei erst im darauffolgenden Jahr ausgeliefert werden. Pech für alle, einschließlich der Autoren, die das gute Stück auf der Liste ihrer Weihnachtgeschenke hatten. Als der Uhrwerk Verlag insolvent ging war einige Zeit völlig unklar, ob das Projekt Die Verbotenen Lande überhaupt noch realisiert werden könnte.

Die Katze im Sack: Das neue Crowdfunding für Katzen im Weltall ist da? Du überlegst dir einen größeren zwei- oder gar dreistelligen Betrag auf das Projekt zu werfen? Dumm nur, dass du außer einem Werbevideo des Anbieters kaum Informationen dazu hast. Welche Qualität wird das Produkt haben? Werden dir die konkreten Inhalte zusagen und wird sich dieses Spiel überhaupt am Markt durchsetzen? Bei manchen Projekten weiß man im Voraus sehr genau was man bekommt. Bei anderen ist es durchaus eine Überraschung. Wer Rollenspielprodukte kauft, wie manche Prominente ihren begehbaren Schuhschrank füllen, den wird das nicht stören. Weniger liquide Interessenten könnten hier ein Risiko sehen.

Fazit

Es ist eine Tatsache, dass Crowdfundings in der deutschen Rollenspielszene auch bei etablierten Verlagen zum Standard gehören. Das kann man gut finden oder nicht. Es hängt letzten Endes ganz von den persönlichen Präferenzen (und vermutlich dem Geldbeutel) ab. Ob man ein konkretes Crowdfunding unterstützen möchte, sollte man also im konkreten Fall gut abwägen. Die Sorge, dass der Verlag auf das Geld angewiesen ist, sollte jedoch nicht die Motivation dafür sein. Dann doch lieber noch mal schauen, ob das Geld nicht im Moment an anderer Stelle sinnstiftend eingesetzt werden kann, zum Beispiel um einem Verlag in Geldnot mit Käufen unter die Arme zu greifen.

Ich persönlich sehe die Vielzahl der Crowdfundings etwas skeptisch. Die ursprüngliche Idee wird meines Erachtens in vielen Fällen nicht mehr gelebt. Immerhin gibt es inzwischen die meisten Produkte aus den Crowdfundings auch für notorische Zuspätkommer wie mich im regulären Handel. In jedem Fall werde ich künftig bewusster mit den Angeboten umgehen und mir Gedanken machen, ob ich das wirklich in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt haben will.

Referenzen

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6 Antworten zu Das Geld der Vielen – Crowdfundings

  1. Pingback: Crowdfunding: Das Kapital aus dem Internet | Nandurion

  2. FRAZ sagt:

    Vielen Dank für deinen Beitrag!

    Auch ich sehe die Vielzahl an Crowdfundings mittlerweile skeptisch.

    Zumal der gesetzte Zeitrahmen an Verkaufsstrategien erinnert, wie „Das ist deine letzte Chance, die Aktion läuft nur noch 3, 2, 1“.
    Genauso wie das Bonusmaterial oft Teleshopping Qualität hat, wie „Wenn du jetzt bestellt, erhälst du diesen vorgekauten Kaugummi gratis dazu…“

    Auch meine Erfahrungen sind durchwachsen: „Die Handbücher des Drachen“ haben mir sehr gut gefallen.
    Anderseits steckt „So nicht, Schurke“ in der Produktionshölle.

  3. Faras Damion sagt:

    Danke für den umfangreichen Artikel, Krassling. 🙂

  4. Pingback: Nandurion über Crowdfundings – Nuntiovolo.de

  5. Amaryllion sagt:

    Ich schließe mich an: vielen Dank, das war sehr informativ!

  6. Pingback: Crowdfunding ist in der Rollenspielszene manchmal mehr als Marketing – PatJe.de

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