Interview mit Christian Lonsing

Ihm ist Kapitän Rietholtz im Traum erschienen: Christian Lonsing, Abenteuerschreiber für Aventuria

Einer der Macher hinter dem DSA-Kartenspiel Aventuria ist Christian Lonsing. Seit den 1990er Jahren mischt er in der Spielebranche mit und hat neben anderem bei den Rollenspielen Das Schwarze Auge, Shadowrun und Space Gothic mitgewirkt, sowie das DSA-Tabletop-System Armalion und das Erzählspiel Kaphornia entwickelt. Mit Aventuria kam er zunächst als Layouter in Berührung, wie er ausführlich in einem Werkstattbericht schilderte. Die meisten Abenteuer nach der Grundbox stammen aus seiner Feder. Wie sie teilweise aus einem Traum Gestalt annehmen und welche seine Favoriten sind, offenbart er hier im Interview.

Nandurion: Sei gegrüßt, Christian!

Christian: Hey, Michael, danke für das Interview! Ich hoffe, ich kann mich mit ein paar unterhaltsamen Infos für eure Leser revanchieren.

Nandurion: Wodurch kamst Du in die Rollenspielszene und an welchen Settings und Produkten hast Du bisher mitgewirkt?

Christian: Ich habe irgendwann im vorigen Jahrtausend als typischer 14-jähriger DSA-Spieler angefangen und bin dann durch Glück erst bei Games Workshop, dann bei Fantasy Productions, und schließlich bei Ulisses Spiele als Mitarbeiter reingerutscht. Dabei bin ich mit allen möglichen Spielen in Kontakt gekommen und hab auch ein paar eigene Spiele entwickelt. Das DSA-Miniaturenspiel Armalion ist zu 90 Prozent auf meinem Mist gewachsen und ich hab bei der Überarbeitung der Shadowrun-Regeln damals von der dritten auf die vierte Edition maßgeblich mitgeholfen.
Für DSA hab ich zusammen mit Thomas Römer das Aventurische Arsenal erstellt. Den Kriegsfächer als DSA-Waffe hab ich ins Leben gerufen. Thomas sagte: „Lass mich raten: Als maraskanische Waffe?“ Aber darauf war ich natürlich vorbereitet, deshalb antwortete ich: „Nein, Aranien.“ Das hat ihn überzeugt. Auch bei DSA lassen sich manchmal abgefahrene, exotische Dinge unterbringen – man muss nur mit dem richtigen Fingerspitzengefühl an die Sache herangehen.

Nandurion: Welche Teile von Aventuria stammen in erster Linie von Dir? Ist eine gewisse Ähnlichkeit zu Kaphornia dem Genre geschuldet oder steckt doch mehr dahinter, z.B. die häufige Verwendung von Schicksalspunkten?

Christian: Kaphornia, das beste Spiel aller Zeiten, verkörpert ziemlich genau meine Design-Philosophie. Einfache Basisregeln, und dann die Geschichte in den Vordergrund stellen, und mit maßgeschneiderten Sonderregeln die Spieler so nah ans Geschehen bringen wie möglich. Aventuria führt das im Prinzip weiter.
Ich bin dort hauptsächlich für die Abenteuer zuständig und ich bin sehr dankbar, dass es Aventuria gibt. Lukas (Zach, die Red.) und Michael (Palm, die Red.) haben da extrem solide Basisregeln geschaffen, auf denen sich jede Art von Geschichte und Regelmechanik aufbauen lässt. Das mit den Schicksalspunkten ist aber eher Zufall, würde ich sagen. Oder anders ausgedrückt: Schicksalspunkte sind einfach eine sehr gute Spielmechanik, deshalb erkennt man gute Spiele daran, dass sie Schicksalspunkte verwenden.

Nandurion: Wie entstand die jetzige Struktur der Abenteuer?

Christian: Nun, der Vorteil von Aventuria gegenüber Kaphornia ist, dass man hier nun gar keinen Spielleiter mehr benötigt. Jeder Spieler darf mit einem Helden teilnehmen und niemand muss vorher das gesamte Abenteuer durchlesen und es in einen spielbereiten Zustand bringen. Auf der anderen Seite wird dadurch natürlich die Gefahr größer, dass sich die Spieler durch den vorgegebenen Ablauf eingeengt fühlen. Das macht es umso wichtiger, die Abenteuer mit interessanten Dingen zu füllen. Beim ersten großen Abenteuer Das Erbe von Wildenstein haben wir das vor allem durch die Sonderregeln der Kämpfe erreicht. Vor allem das große Finale mit Untoten und Dämonenbeschwörung ist ein ziemlicher Knaller.
Bei den späteren Boxen haben wir uns dann überlegt, wie wir die Abenteuer zusätzlich aufpeppen können. Zum Beispiel durch die Piratenschätze im Schiff der verlorenen Seelen. Bei den Abenteuern in der Box Heldenreigen haben wir dann mit vielen neuen Konzepten experimentiert. Zum Beispiel Detektivabenteuer mit Ermittlungskarten. Oder die Aventuria-Umsetzung des Abenteuers Kibakadabra, mit einem eigenen Kartendeck, das die schrittweise Erkundung des Inneren einer Steinschlange simuliert. Das ist eines meiner absoluten Lieblingsabenteuer und das aktuelle Expertenabenteuer Das Steinerne Schiff basiert in vielerlei Hinsicht auf den Erfahrungen, die ich mit Kibakadabra gemacht habe.

Das Steinerne SchiffNandurion: Wie viel Aufwand steckt in Abenteuern wie Das Steinerne Schiff oder der neuen Box mit der Dungeon-Mechanik Wirtshaus zum Schwarzen Keiler, und bestätigt euch die Resonanz?

Christian: Diese neuen Boxen sind jetzt noch relativ frisch, deshalb freue ich mich hier vor allem über Feedback! Ich weiß, dass die Piratenschätze damals sehr gut angekommen sind, deshalb bemühen wir uns, bei jedem neuen Abenteuer ein kleines neues Extra einzubauen, das die Spieler überrascht und unterhält. Ansonsten glaube ich, dass sich der Aufwand zwischen den alten und den neuen Abenteuern nicht wesentlich verändert hat.
Unser wichtigstes Augenmerk ist vor allem immer die Balance, also der Schwierigkeitsgrad. Im Gegensatz zu normalen Rollenspiel-Abenteuern können wir uns nicht darauf verlassen, dass da noch ein Spielleiter ist, der das Abenteuer an seine Spieler und deren Helden anpasst. Deshalb müssen wir wirklich aufpassen, dass das Abenteuer und die Gegner weder zu schwach noch zu stark sind. Da kann man sich leicht vertun. Zum Glück gibt es alle Abenteuer in vier verschiedenen Schwierigkeitsstufen, von „einfach“ bis „legendär“, deshalb haben wir dort etwas Spielraum. Aber trotzdem kommen wir da jedes Mal ordentlich ins Schwitzen.

Nandurion: Baut ihr den gesamten Schwierigkeitsgrad – Zeitskala, Kampfumgebungen, Gefahrenwert und Anführer – eher intuitiv zusammen oder wird da viel mit Zahlentabellen hantiert?

Christian: Wir hantieren mit Zahlentabellen, um uns den Anschein eines rationalen und rein logischen Vorgehens zu verleihen. Aber am Ende ist es vor allem Intuition und so viele Spieltests wie möglich. Und keine einzige Spielmechanik ist in der fertigen Box so wie sie ganz am Anfang entwickelt wurde. Bei der Box Wirtshaus zum Schwarzen Keiler, plus der Erweiterung Rückkehr zum Schwarzen Keiler, haben wir jeden einzelnen Kampf mindestens fünfmal getestet. Das sind über 140 Sessions! Und trotzdem haben auch die letzten Tests immer noch Dinge zum Vorschein gebracht, die verbesserungsbedürftig waren.
Ich glaube, das Resultat kann sich sehen lassen. Es ist vielleicht nicht zu 100 Prozent perfekt, aber es braucht einen Vergleich nicht zu scheuen mit dem, was unsere Kollegen von der Triple-A-Computerspiele-Branche teilweise so als „fertiges“ Spiel auf den Markt werfen.

Rückkehr zum Schwarzen KeilerNandurion: Inwiefern beeinflusst Feedback die Entwicklung zu Aventuria, was ist ausschlaggebend dafür, dass ein Änderungswunsch es in die offiziellen Errata schafft?

Christian: Wir lieben Feedback, denn wir bekommen nicht viel davon. Mit anderen Worten: Es könnte ruhig mehr Feedback kommen! Aber Aventuria ist natürlich ein kleineres Spiel in einem Seitenarm der Spiele-Industrie, deshalb nehmen wir, was wir kriegen können. Die begeistertsten Aventuria-Fans sind fast allesamt auch Testspieler, denn diese Art von Begeisterung brauchen wir natürlich, um uns voranzutreiben und besser zu machen. An dieser Stelle deshalb ein ganz herzlicher Dank an alle Testspieler und alle Feedback-Einschicker! Aventuria wäre ohne eure Hilfe lange nicht so gut wie es jetzt ist. Und jeden, der sich für Aventuria genug begeistert, um das hier zu lesen, den lade ich herzlich ein, sich auf unseren Events an mich oder meine Kollegen zu wenden und Testspieler zu werden.
Was Änderungen betrifft, gab es bei Aventuria bislang nur recht wenige, weil das Spiel wie gesagt auf einer sehr soliden Regelbasis steht. Und richtige Fehler sind bislang zum Glück auch nur eine Handvoll passiert, aber mit jeder neuen Box gibt es natürlich wieder sehr viele neue Gelegenheiten für neue Fehlerteufel, sich einzuschleichen. Insofern, hoffen wir das Beste.

Nandurion: Woher stammt der Gegenspieler Kapitän Rietholtz der mit seinen Zombie-Piraten zuerst in Das Schiff der verlorenen Seelen auftauchte, wird es für diesen Fiesling noch eine größere Illustration geben? Für Conventions hast Du dieses Szenario zu einem multiparallelen Abenteuer um eine Dämonenarche und deren Besatzung erweitert: Wie sind Deine und die Erfahrungen der Teilnehmer mit diesem Konzept?

Christian: Wir haben im Laufe dieses Jahres, zuerst auf dem KRK, und dann auf unseren anderen Events, das Konzept der sogenannten „Herausforderung“ erprobt. Das ist eine Art multiparalleles Aventuria-Abenteuer für bis zu 20 Spieler, bei dem alle Teilnehmer gemeinsam an einem Strang ziehen. Also quasi eine Alternative zu klassischen Turnieren. Die Resonanz hierbei war durchaus „durchwachsen“. Sagen wir einfach, wir haben im Laufe der Events vieles gelernt, und nun sind wir bei einem Format angelangt, mit dem alle glücklich sind, und das wir in kommenden Jahren weiter ausbauen werden. Mit anderen Worten, wir haben vor, in jedem Jahr eine neue solche Herausforderung zu entwickeln und anzubieten. Natürlich mit ganz unterschiedlichen Themen. „Kommando Rietholtz“ hatte jetzt die Thematik „Alveranskommando“ und beim nächsten Mal wird es auf jeden Fall etwas anderes.
Rietholtz haben wir genommen, weil er sich anbot. Das ist wirklich wahr, er hat sich angeboten! Er ist mir im Traum erschienen und hat gesagt: „Bring mir Dutzende aventurische Helden, um sie auf Charyptoroths Altar zu schlachten!“ Insgesamt hat er so an die 20 bis 30 Helden auf dem Gewissen. Das ist schon ganz ordentlich und er wird deshalb bestimmt an anderer Stelle wieder „auftauchen“. Ob das Budget dann eine größere Illustration von ihm erlaubt, werden wir sehen. Und falls meine Kollegen von der DSA-Redaktion ihn als DSA-Schurken übernehmen wollen, haben sie hierzu meinen Segen, und gewiss auch den der Unbarmherzigen Ersäuferin. Bis dahin bleibt er erst einmal ein reiner Aventuria-Bösewicht.

Nandurion: Bisher wurden in diesem Jahr das Soloabenteuer Nedime, die Tochter des Kalifen und Die Sieben Magischen Kelche als kommende Produkte erwähnt. Worum geht es bei diesen und wann können wir ungefähr mit einem Erscheinen rechnen?

Christian: Im Moment sind wir dabei, das nächste große Aventuria-Crowdfunding-Projekt zur Mitte zu stricken. Nedime wird dazugehören, sowie ein weiteres Soloabenteuer aus einer ähnlichen Ära und Gegend. Beide Abenteuer konzentrieren sich auf das Solospiel, bieten aber auch alle nötigen Regeln, um mit Heldengruppen spielbar zu sein. Dazu kommen dann noch ein ganzer Haufen neuer Aventuria-Helden und jede Menge Extras. Detaillierte Ankündigungen zu diesem Crowdfunding gibt es bestimmt schon in Kürze.

Nandurion: Wir wünschen Dir weiterhin Inspiration, um die Spieler vor neue Herausforderungen zu stellen und danken Dir für den Blick hinter die Kulissen!

Das Interview führte Nottel.

Über Nottel

Nottel heißt Michael und wohnt am Bodensee. Seit 93 stromert er als Spieler und Spielleiter mit Gleichgesinnten durch fantastische Gedankenwelten. Zunächst in Aventurien und dem Riesland, später in der Dark Future, der Welt der Dunkelheit, im Trinity Universum und dringt in Galaxien vor, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
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3 Antworten zu Interview mit Christian Lonsing

  1. Pingback: Nandurion im Interview mit Christian Lonsing – Nuntiovolo.de

  2. Sirius sagt:

    Hey Michael!
    Hier ist echt ein tolles Interview gelungen.
    Hat Spaß gemacht, es zu lesen.

  3. Pingback: Auf Abenteuerreise in Aventuria | Xeledons Spottgesang

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