Mit den Verdammten des Südmeers erscheint im Jahr 2010 ein weiterer Abenteuerband, der das romantische Flair der Piraterie, südlicher Meere und wagemutiger Questadores beschwört. Sieben Jahre nach dem phänomenalen Erfolg von Fluch der Karibik und seinen Sequels und drei Jahre nach dem Piratenband Klar zum Entern wagt man damit wieder ein eigenständiges Abenteuer, das gewissermaßen auf der Welle der Piraterie schwimmen soll. Auch wenn inzwischen der vierte Teil der erfolgreichen Filmreihe angekündigt ist, besteht wohl eine gewisse Skepsis, ob das Genre am Markt noch gefragt ist. Bereits in den Ankündigungen wurde deutlich darauf hingewiesen, dass man ein Abenteuer im Stil von Fluch der Karibik zu schreiben gedenke und das Titelbild stützt diese Erwartung noch einmal. Das Abenteuer wurde aus dem Metaplot ausgekoppelt, um auch für den Gelegenheitskäufer interessant zu sein. Damit ist die Agenda für die Verdammten des Südmeers eigentlich klar.
Die Hintergrundgeschichte bedient dann auch gleich all diese Erwartungen. Eine Gruppe rücksichtsloser Piraten, ein großer Schatz und ein Fluch, der über all dem liegt. Die Umsetzung gestaltet sich dann aber diffiziler als man vermuten möchte. Die Helden beginnen als Questadores mit einer seek & destroy-Mission, die zunächst einmal die Kampfsäue unter den Spielern ansprechen dürfte. Im zweiten Kapitel dürfen die Helden dann auf Schatzsuche gehen und laden womöglich einen mächtigen Fluch auf sich. Hier sind in erster Linie die Forscher und Abenteurer gefragt. Um den Fluch zu brechen, müssen die Helden dann nach Charypso, um mit den richtigen Leuten am richtigen Ort das Richtige zu tun. Dort sind ganz besonders jene Helden gefragt, denen soziale Interaktion am ehesten liegt. Klingt auf den ersten Blick nach einer geraden Story, mit der sich viel Spaß haben lässt. Leider steckt der Teufel auch hier mal wieder im Detail und es gibt zahlreiche Stolpersteine, die von diesem idealen Pfad in ganz andere Gefilde führen.
Eine Schwierigkeit besteht in den engen Nadelöhren, die Holger Raab für die Kapitelübergänge wählt. Zwei Mal ist es ein sehr konkretes Ereignis, das Bedingung für eine Fortführung des Abenteuers ist. Gelingt es den Helden nicht, den entscheidenden Schritt ins nächste Kapitel zu tun, endet das Abenteuer, wie der Autor auch lapidar anmerkt. Diese harte Führung steht in krassem Kontrast zu dem Anspruch, den Helden größtmögliche Handlungsfreiheit zu gewährleisten, wie er im übrigen Abenteuer auch klar umgesetzt wird. Ähnlich kurios verhält es sich mit Raabs Gestaltung des dramaturgischen Verlaufs. Im Finale des ersten Abschnittes bietet er immerhin die Möglichkeit, die Szene optional aufzupeppen. Die Schatzsuche weiß mit einigen gelungenen Szenen zu reizen, doch vergisst Raab vor lauter Offenheit den Höhepunkt richtig zu setzen. Das Geisterschiff voller Verdammter wird mit einem starken Vorlesetext eingeführt, um dann wieder in der Beliebigkeit der Optionen zu versinken. Fast scheint es, als hätte der Autor keine Lust, seine Ideen auszugestalten und wendet sich statt dessen wieder anderen Dingen zu. Das Kuriosum schlechthin stellt dann die Überwindung des Fluches durch die Helden dar. Das Abenteuer endet mit diesem für die Helden sehr wichtigen Ereignis ohne „großes Tamtam“ oder „irgendwelche Effekte“. Hoffentlich kriegen die Spieler auch mit, dass das Abenteuer beendet ist.
Die Verdammten des Südmeers ist konzipiert als extrem offenes Abenteuer, das den Spielern im Prinzip alle Freiheiten lässt. Holger Raab bedient sich einiger Elemente, die dieses Konzept unterstützen sollen. So fallen insbesondere seine sehr ausführlichen Personenbeschreibungen auf, die stellenweise schon übertrieben wirken, wenn etwa eine eher unbedeutende Nebenfigur auf einer halben Seite vorgestellt wird. Auch die Gerüchte werden sehr ausführlich beschrieben und können als Aufhänger kleiner Nebenquesten dienen, wie sie an etlichen Stellen im Abenteuer platziert werden. Selbst Begegnungstabellen für Schiffsreisen sind so phantasievoll, dass man sich hier wohl einige Zeit verweilen könnte. Der Schwachpunkt des Abenteuers liegt jedoch in der unzureichenden Aufbereitung der handlungsrelevanten Informationen. So werden beispielsweise die wiederholten Recherchen der Helden nicht gut geführt. Der Meister wird die entsprechenden Informationen sorgfältig herausarbeiten müssen, damit seine Helden nicht ziellos umherirren. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass nur die Hälfte der in der Einleitung erwähnten Karten tatsächlich vorhanden ist, zumal Hôt-Alem inzwischen im Aventurischen Boten 143 näher beschrieben wurde.
Fazit
Mit dem achtzig Seiten starken Hardcover legt der Ulisses Verlag erneut ein Abenteuer vor, in dem Questadores mit oder ohne Schiff für Ruhm und Reichtum kämpfen können. Die Verdammten des Südmeers macht dabei zahlreiche Anleihen beim Kinoerfolg Fluch der Karibik, ohne jedoch dessen Dynamik zu entwickeln. Holger Raab besticht durch eine Vielzahl von Ideen und interessanten Ansätzen, doch gelingt es ihm nicht, diese zu einer packenden Geschichte zusammenzufügen. Etliche Ansätze für einen offenen Abenteuerverlauf bereichern das Abenteuer, doch verleiden Nadelöhre und die Suche nach entscheidenden Informationen dem Improvisateur den Spaß. Auch das erneute Abdrucken der Seekampfregeln im Anhang zeugt nicht von einer optimalen Ausnutzung der Druckseiten. Insgesamt kann Die Verdammten des Südmeers nicht halten, was es verspricht. Begeisterung wird es vermutlich nur bei eingefleischten Sandkastenspielern auslösen.
Rezesiert ihr hier ein Abenteuer oder einen Vorlesetext?