„Eiria! Bitte, es sind die Praetorianer! Es ist der Horas! Hör doch bitte einmal auf, sterben zu wollen!“
—Titus Cyclopaeus
„Dafür, dass mein Leben so viel Spaß gemacht hat, war es ganz schön beschissen. Aber die Götter hatten sicher gern zugesehen.“
—Eiria Punina
„Er hätte von Anfang an Crabroda nehmen sollen und nicht Venetus – er hat sich damit keinen Gefallen getan.“
—Herrin des Schwarms, S. 393
Zum Geleit
Am Ende der Rezension von Herr der Legionen (siehe hier) hatte ich angekündigt, in Kürze noch eine Gesamtwertung des Romanzweiteilers folgen zu lassen. Nun hat es eine ganze Weile gedauert, meine mit Wachstafel und iPapyrus gekritzelten Notizen in lesbare Form zu bringen, so dass mir Goswin mit seiner Rezension des zweiten Bandes Herrin des Schwarms bereits zuvorgekommen ist. Da mir nun aber endlich Hesinde Einsicht, Simia Ideen und Rahja Muße geschenkt haben, löse ich mein Versprechen zwar verspätet, aber dennoch gerne ein.
Die Preisfrage lautet: Kann Teil II des Roman-Zweiteilers von Judith Vogt das Niveau des ersten Teils halten? Bevor wir uns an die Beantwortung machen, zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen zu Inhalt und Charakter des Romans.
Einige Worte zur Handlung
Auffällig ist zunächst einmal dies: Obwohl es sich um einen Roman in zwei Bänden handelt, nimmt Herrin des Schwarms eine spürbare Akzentverschiebung vor. Während Herr der Legionen von seiner Ausrichtung her noch überwiegend fantastisch orientiert war, geht der Nachfolgeband über größere Strecken schon deutlich in Richtung Politthriller.
Geboten wird uns hier nämlich ein ausgiebiger Beinahe-Jeder-Gegen-Jeden-Intrigantenstadl, in dessen Mittelpunkt vor allem das Amt des Horas und das Ringen um die sogenannte Schwarmseele steht. Ersteres dürfte allen ein Begriff sein, letzteres ist ein wichtiger Gegenstand der alhanischen Zauberpriesterinnen und zugleich die schon in der Rezension zu Legenden aus Dunklen Zeiten angesprochene Schnittstelle zum Abenteuer Auf Ahnenpfaden (siehe hier).
Spoiler (Zum Aufdecken markieren): In diesem Abenteuer können die Helden u.a. den zweiten Teil des Artefakts für die Alhanier sicherstellen.
Was mir an der Entwicklung der erzählten Geschichte dabei besonders gefallen hat und in meinen Augen die zentrale Stärke des Romans ausmacht, versuche ich an dieser Stelle zunächst, möglichst allgemein im cyclopäischen Stil mit einem Zitat des vollkommen zu Unrecht vergessenen Lyrikers Iannissos von Phrygaios zu formulieren:
Siehe, das Unheil am eigenen Busen ernähret die Hybris,
Übel als Mittel zum Ziele, reißt in den Abgrund Dich mit.
Wem das an Informationen zum Inhalt noch nicht reicht, dem seien folgende Hinweise – mit fortschreitendem Spoilergrad – empfohlen:
Cognitio Accuratus (zum Aufdecken markieren): Das Leben ist kein Einhorn-Hof, und so spendiert Judith Vogt ihren Figuren auch kein Happy End. Nur einige kleinere Lichtblicke mildern den insgesamt düsteren Gesamteindruck, den das Scheitern der Protagonisten vermittelt.
Cognitio Secretus (zum Aufdecken markieren): Venetus Maior von den Venetern wird Horas anstelle des vermissten Dalek I., gestützt auf die Macht der V. Legion Shinxiria und ein fragiles Bündnis, kann sich in dieser Rolle aber nicht behaupten. Shinxirpriesterin Clodicea Crabroda steigt im Zuge dessen, und gestützt auf einen Teil der Schwarmseele, den sie als shinxirheiliges Artefakt ansieht, zwar vorübergehend zur formell mächtigsten Kommandantin Bosparans auf, fällt aber ebenso schnell und hart. Legionärin Eiria bleibt das persönliche Lebensglück verwehrt und sie muss abschließend sogar als „Ersatz-Horas“ für eine tragikomische Farce hinhalten. Sahina von den Venetern schließlich kann während des Untergangs des Hauses der Veneter durch ihr Opfer zwar zumindest Mokada die Flucht ermöglichen, der Epilog zeigt mit dem nächsten Exodus der Alhanier jedoch, dass auch sie in ihrem zentralen Anliegen, das Alhanische Volk vor Bosparans Zugriff zu bewahren, gescheitert ist.
Bonum et malum
Wie liest sich nun der Roman? Wie schon sein Vorgänger sehr angenehm und kurzweilig, was nicht nur am weiterhin für DSA-Verhältnisse exzellenten Stil, sondern auch an der überwiegend zielstrebig und dennoch sorgfältig erzählten Handlung liegt.
Was die Entwicklung der Ereignisse betrifft, so verheddern sich nicht nur die leitenden Akteure zunehmend in Intrigengeflechten, die sie kaum noch überblicken. Auch als Leser weiß man mit Fortschreiten der Handlung nicht mehr an jeder Stelle ohne Weiteres, wer hier gerade wem ein Bein stellt oder nur meint, dies zu tun, dabei in Wirklichkeit aber schon in die Grube gefallen ist, die wer anderes für ihn oder jemand ganz anderen gegraben hat.
Klingt kompliziert? Ist es auch. Macht aber nix. Würde ich sagen. Denn obgleich ungeduldige Leser dergleichen der Autorin vorwerfen könnten, finde ich, dass gerade diese Verwirrung selbst nicht unerheblich zur Atmosphäre beiträgt und es einem erleichtert, sich in die überforderten oder von den Ereignissen überrollten Figuren hineinzuversetzen. Ob das so beabsichtigt war oder eher in die Kategorie Kollateralnutzen fällt, sei dabei dahingestellt.
Das Ende hingegen kommt etwas plötzlich. Mit einem Mal scheinen sich die Ereignisse zu überstürzen, und die erzählende Stimme wirkt am Ende beinahe gehetzt, um die Handlung auf möglichst kurzem Raum auch noch vollständig zu Ende erzählen zu können. Schwer zu glauben, aber selbst nach knapp 800 Seiten hätte ich mir durchaus noch 50-100 weitere gewünscht, um ein paar Zusammenhänge breiter aufgestellt zu sehen.
Die Charakterisierung der Personen der Geschichte ist, wie schon im ersten Teil, überwiegend hervorragend gelungen. Mokada fällt zwar für mich weiterhin über große Strecken in die Kategorie „blasses Wunderkind“, gewinnt mit fortlaufender Handlung, und vor allem zum Ende des Geschehens hin, aber mehr Profil und wandelt sich von der bloß getriebenen zur aktiven Figur. Sahina hingegen, die im ersten Teil noch zwischen verschiedenen Anforderungen hin und hergerissen wirkte, wird in meinen Augen in Herrin des Schwarms zum gänzlich zerbrochenen Charakter, deren Motive und Handlungen sich einem nicht mehr in jeder Hinsicht vollständig erschließen.
Heimlicher Stern des Figuren-Ensembles ist Legionärin Eiria, die ich im Laufe der Handlung immer mehr ins Herz schließen konnte, zumal sie ordentlich Mitleidspotential aufweist. Direkt danach stehen auf meiner persönlichen Favoritenliste bereits eine Reihe von Nebenfiguren, die mit wenigen Szenen recht plastisch gezeichnet werden. Insbesondere Sahinas Mann Plebus (die arme Sau) sowie die treuen und loyalen Kargemil und Titus Cyclopaeus wissen sehr zu gefallen. Selbst der eitle Dalek I. hat einen kleinen, aber stimmungsvollen Auftritt, während Fluvia von den Beatern diesmal mehr als nur die nervige Bidj geben darf. Die Vielfalt an interessanten Nebendarstellern trägt viel zur Atmosphäre des Romans bei und kompensiert einige Defizite der Hauptfiguren problemlos.
Und wo wir gerade beim Stichwort Atmosphäre sind: Die Dunklen Zeiten sind, so zeigt sich hier einmal mehr, zurecht nicht als Epoche von dolce vita und Ringelpiez in die Geschichte eingegangen. Trotz humorvoller Elemente in Herr der Legionen geht es in beiden Romanen insgesamt ziemlich düster zu, auch wenn der zweite Teil weitaus weniger stark in die Horror-Kiste greift als sein Vorgänger. Herrin des Schwarms fühlt sich insgesamt auch – vielleicht wegen des Schwerpunkts auf der Darstellung des Intrigenspiels – noch etwas römischer an als der Vorgängerroman. Hierbei wird aber nie aus den Augen verloren, dass Bosparan mehr ist als Rom mit Orks und weniger Soldaten pro Legion.
Und bevor ich es noch vergesse: Auch die Existenz eines hilfreichen Glossars verdient lobende Erwähnung, auch wenn der eine oder andere wichtige Begriff hier zu fehlen scheint (wie beispielsweise „Blakharus“ und „Sumu“).
Alles in allem …
Kann die Herrin des Schwarms also halten, was der Herr der Legionen versprach? Ja, auch wenn mir Teil I einen Tick besser gefallen hat. Als ein Roman in zwei Bänden gelesen, gibt es neben zahlreichen Höhen sicherlich auch einige Tiefen. Aber da wir hier keine Vorauswahl für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb treffen, können wir darüber mit der gebotenen Milde hinwegsehen und die Einhornkonsuln gelassen zur Schlussabstimmung herbeirufen.
Abgesehen von einem Einhorn, das den zwischenzeitlich schon wieder vakanten Horasthron okkupiert hat und dort über gebrochene Charaktere und Erzählstress sinniert, finden sich acht weitere zur abschließenden Lobudelei ein und stimmen mir darin zu, dass für jeden, der sich für die Dunklen Zeiten und DSA-Romane interessiert, eigentlich jeder Weg nach Bosparan und zu Judith Vogts Romanzweiteiler führt. Mögen noch viele weitere folgen. (Es folgt die Gesamtwertung für Band I und II.)
Im Gegensatz zum ersten Teil, den ich deutlich kritischer sah, trifft diese Rezension gut meinen persönlichen Eindruck. Auch wenn manche Elemente überstrapaziert wurden, entwickelte sich eine interessante und auch einigermaßen spannende Handlung.