– Eine Gastrezension von Siebenstreich
Bevor ich mit der eigentlichen Rezension beginne …
- Es wird sicher einige Überschneidungen mit meiner Rezension zu Schattenlichter geben. Ich bin bemüht, einen ähnlichen Aufbau beizubehalten, dabei aber zugleich die Kritiken an meiner Rezension zu berücksichtigen.
- Ich bemühe mich nach Kräften, die wesentlichen Bestandteile der Geschichten nicht zu verraten. Allerdings kann es ab und zu sein, dass ich doch etwas vorweg nehme.
- Ich lese Romane gerne, um Ideen für das Rollenspiel zu bekommen (bin seit Jahren der Meister meiner Gruppe). Das können etwa interessante NSCs, stimmungsvolle Landschaftsbeschreibungen oder ganze Szenen sein.
- Bisher habe ich die Kurzgeschichtenbände Aufruhr in Aventurien, Der Göttergleiche / Mond über Phexcaer, Gassengeschichten, Unter Aves‘ Schwingen, Magische Zeiten und Schattenlichter gelesen. Dabei haben mir die Laien-Anthologien deutlich besser gefallen als die Texte der DSA-Profis.
- Von den meisten Autoren habe ich bereits Bücher gelesen. Wer will, kann sich bei Amazon meine entsprechenden Rezensionen durchlesen (Benutzer: Siebenstreich).
- Eine übermäßige Anzahl an Rechtschreibfehlern ist für mich ein Grund, ein Buch nicht zu kaufen.
- Ich besitze das Abenteuer Bahamuts Ruf nicht (Blutige See dagegen schon) und da ich leider in absehbarer Zeit nicht zum Spielen kommen werde, wird sich die Anschaffung auch nicht lohnen. Da die Anthologie aber sowieso zur Einstimmung von Meister und Spielern auf die Schrecken der Schwimmenden Heptarchie dienen soll, dürfte das kein Problem sein.
Allgemeines
Die Anthologie enthält acht Geschichten von fünf Autoren, wobei alle entweder zur Redaktion gehören oder aber einschlägige Schreiberfahrung bei Ulisses haben, weshalb ich hier wohl getrost von „DSA-Profis“ reden darf.
Leider ist auch diese Kurzgeschichtensammlung nicht in gedruckter Form erschienen (ich mag Bücher immer noch!), weswegen ich wieder das PDF an meinem Laptop gelesen habe. Bei knapp fünf Dutzend Seiten, die man in einer guten Stunde lesen kann, lohnt sich das Drucken auch nicht.
Die Datei hat 63 Seiten und kostet 2,99 € – ein Preis, bei dem man nicht viel falsch machen kann und der sicher viele potentielle Leser zum Kauf verleiten wird.
Das Cover stellt einen Kraken dar und passt damit inhaltlich, ist aber auch nicht außergewöhnlich kreativ. Außerdem hat jede Seite oben eine Zierleiste mit maritimen Motiven, die mir dagegen sehr gut gefallen haben.
Dann noch zwei Anmerkungen zur Einleitung. Zunächst das Vorwort. Es beginnt mit den Worten:
„Liebe Freundin des Perlenmeers, werter Meister der Blutigen See!“
Mich persönlich stört die Verwendung von beiden Geschlechtern in einem Satz (wie es bei DSA-Produkten gerne vorkommt), aber es soll Leute geben, denen das nichts ausmacht. Außerdem stimmen die Angaben im Inhaltsverzeichnis nicht: das Vorwort beginnt auf Seite 5 statt Seite 7, und auch von allen weiteren Angaben muss man zwei Seiten abziehen, um die richtige Zahl zu bekommen.
Zu den Geschichten
Den Anfang macht Der blinde Prophet von Michael Masberg. Dort wird die Flucht des Grandensohns Darion Paligan aus seiner thalusischen Gefangenschaft sowie eine kurze Episode aus seiner Zeit in Al’Anfa beschrieben.
Leider muss ich sagen, dass Darion viel zu weinerlich und naiv dargestellt wird. Man sollte doch meinen, dass der Sohn von Goldo dem Prächtigen sicher von klein auf in der Kunst der Intrige geschult wurde. Dann ist da ein Kerl namens Shah’al-laila, der zuerst als nützlich, ein paar Zeilen später aber als nutzlos (beides Seite 9) beschrieben wird.
Wer hofft, etwas mehr darüber hinauszufinden, „wie [Darion] zu dem wurde, was er heute ist“ (wie das Vorwort auf Seite 5 groß ankündigt), wird leider enttäuscht: Die niederhöllische Versuchung wird in drei knappen und sehr offen gehaltenen Sätzen abgehandelt. Hier hätte ich mehr erwartet.
Was das Ergebnis einer solchen Verführung sein kann, beschreibt dagegen Judith C. Vogt sehr gut in Der Sund meiner Seele, bei dem es um die tragische Geschichte von Zwillingen geht, deren Schicksal untrennbar mit einer Dämonenarche verknüpft ist. Ihr Beitrag gehört auch diesmal zu den Höhepunkten der Anthologie.
Der Text ist im Präsens geschrieben, so wie stellenweise auch ihr zweites Esse-Buch. Kann man mögen, muss man aber nicht. Für mich ist es ungewohnt und deshalb etwas schwer zu lesen.
Ebenfalls um einen Ma’hay’tam geht es in Morgengrauen von Mike Krzywik-Groß. Er liefert hier die Beschreibung einer Dämonenarche aus den Augen eines gefangenen Seefahrers, die man sicher gut ins Spiel einbauen kann. Besonders gefallen hat mir der Gedankengang (Seite 21), dass der Schrecken der Blutigen See weniger von den übers Meer wandelnden Dämonen als vielmehr von den sie kontrollierenden Paktierern herrührt – was ist das nur für eine Welt, in der Zombies humaner als Menschen sind?
Anfangs ist auch der schleichende Wahnsinn, in den der Erzähler verfällt, noch gut geschildert, am Ende wird er dann aber weniger überzeugend dargestellt. Dazu kommen diverse Rechtschreibfehler. Dafür ist zumindest das Ende sehr stimmungsvoll.
Bei Der Yaganjunker von Daniel Simon Richter sind mir zwei Aspekte aufgefallen: Zunächst die vielen unbekannten Namen von Personen, die nicht mal mit Hilfe der Wiki Aventurica zuzuordnen sind. Und dann sind da die offen zwölfgöttergläubigen Untergebenen, die Haffax für sich arbeiten lässt – sicher, er ist nicht der böseste Heptarch, aber ich finde das dennoch ein wenig unglaubwürdig. Insbesondere, wenn man bedenkt, wie viel Mühe sich seine Untergebenen auf Maraskan machen, um den Rur-und-Gror-Glauben dämonisch zu pervertieren.
Die Geschichte wirkt etwas phantasie- und lieblos, kann aber mit einem vielversprechenden Ende aufwarten: Haffax legt sich mit Darion Paligan an, und ich würde mich freuen, wenn ein Wettstreit zwischen diesen beiden Meisterstrategen in Bahamuths Ruf thematisiert werden würde.
Windkönige von Michael Masberg führt (wieder einmal) zurück zu einer Dämonenarche, und zwar zur aus meiner Sicht interessantesten: der Stadt aus der Tiefe. In der längsten Geschichte der Anthologie muss sich der Händler Ensgar Halderlin in das Herz der Arche wagen, um sein Leben vor den hölzernen Klauen eines paktierenden Baumschrats zu retten.
Die Geschichte legt den Fokus auf die Ereignisse im Kerngehäuse der Arche und gibt die Empfindungen dort sehr gut wieder. Die Darstellung des Basars war ebenfalls überzeugend, aber leider wurde nicht näher auf die besondere Stellung der Stadt innerhalb der Blutigen See eingegangen, und es gibt auch ein paar Rechtschreibfehler.
Ebenfalls nicht ganz sicher mit Kommas ist Eevie Demirtel, doch ansonsten ist Ketten ein besonderes Stück. Al Abrah, wie er sich selbst nach der Konvertierung zum Rastullah-Glauben nennt, gerät ironischerweise an einen weiblichen Folterknecht und muss zudem feststellen, dass ihn sogar seine Mitgefangenen verraten.
Sehr authentisch sind in meinen Augen der Glaube an die eigene Stärke und die Rachsucht des Rastullah-Gläubigen dargestellt, denn das sind typische Eigenschaften der Novadi. Ebenfalls sehr interessant sind die in meinen Augen leise anklingenden S/M-Gedanken, die der Tortur eine ganz eigene Richtung geben.
Leider ist, wie schon bei Darion Paligan, nicht ganz ersichtlich, wie „aus [Ihnen] die Männer wurden, die man heute an den Küsten des Perlenmeers fürchtet“ (Klappentext).
Die Draconiterin von Daniel Simon Richter knüpft an den Yaganjunker an: die Protagonistin hatte schon in der ersten Erzählung einen Auftritt, ohne dass man ihre Identität erkannt hätte. Auch in diesem Text gibt es viele (Orts-)Namen, ein paar Rechtschreibfehler und eine einfach gehaltene Handlung, die quasi im Zeitraffer erzählt wird.
Dennoch ist der Text etwas Besonderes, denn zum ersten Mal geht es darum, dass die zwölfgöttlichen Lande Erfolge wider die Heptarchien erringen.
Und so fügt sich auch der letzte Text gut ein: Michael Masberg schreibt über Zwei alte Männer, bei denen es sich um niemand Geringeres als Rateral Sanin und Kodnas Han handelt, denen man bei ihrem Kampf gegen die Schrecken der Blutigen See beiwohnen kann.
Leider finde ich, dass man aus diesem Thema deutlich mehr hätte herausholen können. Warum? Es sind viele Kleinigkeiten, die mich stören und sich leider aufaddieren.
Zunächst einmal macht die Seeadler von Beilunk quasi im Vorbeigehen einen achtgehörnten (!) Dämonen platt. Dann hätte ich gern ein wenig mehr Rivalität gehabt, denn im vorliegenden Text benehmen sich die beiden alten Männer eher wie Kindsköpfe, die einen nichtigen Kleinkrieg gegeneinander führen. Gerade im Vergleich dazu, wie die Blutige See bisher dargestellt wurde, wirken diese Streiche höhnisch: Während viele andere mehr als ihr Leben an die Unbarmherzige Ersäuferin verloren haben, wird hier herumgealbert.
Dazu kommt noch, dass die negative Seite der Kämpfe gegen die Niederhöllen nicht gut beleuchtet wird. Oft hatte ich das Gefühl, dass der Autor vergessen hat, wie gefährlich Dämonen sein können. Es wird quasi in einem Nebensatz erwähnt, dass eine Söldnerin in Stücke gerissen wird – von einem Mann wie Sanin erwarte ich nicht, dass er am Tod dieser Frau zerbricht, aber die Sterbeszene wird derart zweitrangig geschildert, dass es an Ignoranz von Seiten des Autors (und nicht etwa Abgebrühtheit des Kapitäns) grenzt.
Ähnlich vernachlässigt wird das doch sehr weit fortgeschrittene Alter der Protagonisten. Immer mal wieder schwelgt Sanin in nostalgischen Gedanken, es zwackt ihn im Knie – aber mehr auch nicht. Daher wirkt es nicht überzeugend, sondern eher wie eine Plattitüde, wenn er meint: „Alt bist du geworden, mein Freund. Wir sind alle alt geworden.“ (Seite 55).
Vielleicht ist Altsein in Aventurien auch einfach nur nicht so schlimm wie im irdischen Leben. Oderin du Metuant erlebt ja auch gerade seinen zweiten Frühling in Al‘Anfa.
Fazit: Nach dem Lesen
63 Seiten sind nicht lang – insbesondere, wenn es noch mehrere Füllseiten mit dem Krakensymbol gibt, damit jede Geschichte auf einer ungeraden Seitenzahl beginnt – und so ist nach ein, zwei Stunden auch schon Schluss. Ein paar Zeilen mehr hätten der Anthologie nicht geschadet und viel zur Stimmung beigetragen.
Was man sehr schnell merkt: Ohne Karte (oder Kenntnisse in aventurischer Geographie, die einem irdischen Magister der Magister würdig wären) ist man schnell aufgeschmissen, doch zum Glück gibt es ja das kostenlose Kartenpaket, in dem man immer wieder nachschauen kann, wo genau man sich gerade befindet.
Leider habe ich (wie schon bei Schattenlichter) das Gefühl, dass nicht alle Seiten der Bezugsregion beleuchtet wurden und die Geschichten nicht so abwechslungsreich sind, wie sie sein könnten – immerhin spielt knapp die Hälfte von ihnen auf Dämonenarchen. Natürlich sind diese Giganten ein wichtiger Bestandteil der dämonischen Gewässer, aber es gibt eben doch noch mehr Aspekte oder auch andere Wesenheiten wie z.B. den Malmer vor Llanka, die man hätte beschreiben können. Trotz all dieser kleinen Schwächen schafft es die Anthologie, den Leser für die Blutige See im Allgemeinen und Bahamuts Ruf im Speziellen zu begeistern. Zum Großteil liegt das sicher daran, dass die beschriebenen Szenen sehr gut nach Aventurien passen. Hier wurde im Detail darauf geachtet, dass die Ereignisse charakteristisch für DSA sind (und nicht einfach austauschbar, so dass sie quasi in jeder beliebigen Fantasywelt spielen könnten). Das ist bei einer so speziellen Landschaft natürlich auch einfach, denn soweit ich weiß gibt es in der bekannten Fantasyliteratur so etwas wie Dämonenarchen nicht.
Die Erzählungen machen Lust auf mehr und sind auch dann gut verständlich, wenn man die dazugehörige Kampagne noch nicht gelesen hat – und das ist ja auch genau das Ziel gewesen.
Zitierwürdige Passagen habe ich (außer Ortsbeschreibungen) leider keine gefunden. Schade, denn ich finde, erst mit einem Hauch Philosophie (oder passendem Zynismus) wird eine gute Geschichte sehr gut.
Bewertung
Ein Einhorn wollte es dem Rammsporn der Seeadler von Beilunk nachmachen und einen Gehörnten Dämonen aufspießen – und hat dabei leider übersehen, dass es weder aus Kernholz, Zwergenstahl und Arkanium besteht, noch in der Lage ist, auf Kommando einen Feuerball zu entfesseln. Obwohl diesmal nicht ganz so viele Rechtschreibfehler vorhanden waren, weigert sich doch ein weiteres Einhorn, jemals einen Fuß auf eine „dähmliche, Dähmonenarsche“ zu setzen. Ein drittes Tier droht, den Versuchungen der Tiefen Tochter zu erliegen und über die Planken zu gehen, doch weil die Argumente für einen Pakt eher mau sind, bleibt es an Bord bei den Anderen.
Übrig bleiben also 7 von 9 Einhörnern, die sich von Kalten Alriks, Paktierern mit Astlöchern als Augen und elburischen Hühnchen-Pfirsich-Pilaws nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Nandurion dankt Siebenstreich für die Gastrezension!
Na, ja… sonderlich hilfreich finde ich die Rezension nicht. Eigentlich werden fast nur negative Punkte genannt. S es hört sich an, als ob keine der Geschichten über ein Mittelmaß herauskommt. Trotzdem erreicht „Das Echo der Tiefe“ am Ende überdurchschnittliche 7 von 9 Einhörner. Erwartet hätte ich nach der Rezension maximal 5. Für mich persönlich ist sie daher keine Hilfe bei der Kaufentscheidung.
„Erwartet hätte ich nach der Rezension maximal 5. „
Hm, dabei hab ich die Kritik auf Anraten von Nandurion positiver formuliert, als es in meinem ersten Entwurf war. ^^
Vielleicht zur Erklärung der 7 Einhörner: bis auf ein, zwei Ausnahmen sind die Texte gut geschrieben, die Geschichten insgesamt stimmen den Leser sehr gut auf Bahamuts Ruf ein – und der Preis passt auch.
Was letztendlich zum Punktabzug geführt hat: die auf dem Klappentext angegebenen Punkte (z.B. die Versuchung von Darion Paligan) wurden nicht bzw. schlecht bearbeitet und auch sonst hat mir gerade die Darstellung der bekannten DSA-Charaktere (z.B. Sanin) nicht gefallen.
Ich hab noch geschwankt, ob ich nur 6 Punkte gebe, aber da ich Schattenlichter 5 Punkte gegeben habe, erschien mir die Relation dann nicht richtig.
Mir hat die Anthologie sehr gut gefallen, ein Highlight unter den DSA-Produkten der letzten Jahre.