Nehmt die Haargummis raus, spitzt die Pommesgabeln an und legt euch eine Extrapackung Ümläütë zurecht – das Kor-Vademecum ist draußen. Nicole Euler gibt hier mit Unterstützung von Eevie Demirtel Tipps, wie man die Diener des metalsten aller Götter etwas interessanter darstellen kann, wenn Gegrunze und AT-Würfe nicht mehr ausreichen.
Äußerlichkeiten
Wie der Großteil der Vademecums besteht auch das des Geifernden Schnitters aus 160 Seiten A6, die für 14,95 € über die Ladentheke gehen. Das Korrektorat ist gut, der Sprachstil vernünftig, die Illustrationen sind … sagen wir mal passend. Eben genau so schroff, wie sie ein Jünger des Kor zeichnen würde, mit massig „Tintenklecksen“ und eher simplen Figuren – wer filigrane Kunst erwartet, sollte woanders suchen. Zum Beispiel auf dem Einband, der ist ziemlich hübsch geraten.
I – Vom Wesen des Schwarzen Mantikor
Im ersten Kapitel werden aus acht Ingame-Quellen Ansichten zum Wesen Kors wiedergegeben, beginnend mit seiner Geburt und seinen Taten in mythischen Zeiten und dann weitergehend mit Aussagen seiner „Klienten“ in den jetzigen Tagen: Einer Gladiatorin, einem Scharfrichter und zwei Geweihten. Darin finden sich schon einige Anhaltspunkte zur Beantwortung der ewigen Fragen, welcher Depp sich denn bitte Kor verschreiben würde und was für eine Gesellschaft diesen Kult in ihrer Mitte akzeptiert. Kurzgefasst: Kor nimmt zum einen eine Menge Anhänger an, die sich nicht wirklich an eine andere Gottheit wenden könnten, und zum anderen bietet er einen Kodex für den Krieg, der zwischen der Realitätsverleugnung der Rondrianer und der Verdammnis der Niederhöllen liegt. Schonmal interessant, so kann es weitergehen.
II – Kors Blutige Streiter
Hier werden Kors jenseitige Diener vorgestellt, darunter Raskorda, die Mantikorin (Achtung, in ihrem Text verbirgt sich ein kleiner Von eigenen Gnaden-Spoiler), der neue, im 2012 auf dem Ratcon-MPA geschaffene Alveraniar Kar’Anoth sowie der erste Korgeweihte Ghorio von Khunchom. Interessant dabei: Die Kirche kennt ansonsten quasi keine eigene Heiligenverehrung, kein Geweihter kann damit rechnen, dass nach seinem Tod irgendwer außer seinem Gott selbst nochmal Notiz von ihm nimmt.
Diesen starken Kontrast zur Rondrakirche finde ich bemerkenswert. Auf der einen Seite nimmt man damit natürlich eine Motivation des Glaubens (und Plothooks) raus, auf der anderen Seite stärkt man aber auch das Bild, dass sich die Anhänger der Mantikors gerade nicht um die Ansichten ihrer Mitmenschen scheren, sondern Religion für sie fast reine Privatsache zwischen ihnen und ihrem Gott ist.
III – Heilige Orte und Waffen auf Dere
Kapitel Nummer Drei ist ein Sammelsurium, das zuerst die Tempel beschreibt, dann einmal die wichtigsten Schlachtfelder (und damit Wallfahrtsorte) Aventuriens durchgeht und schließlich rituell wichtige Gegenstände (Überraschung: Mit Ausnahme des Khunchomer Kodex alles Waffen) beschreibt. Die Waffen werden vermutlich mangels Herbeirufungsliturgie eher selten spielrelevant werden (und die Schwarze Sichel würden wohl auch eher wenige Helden führen können…), aber die Schlachtfelder sind quasi Instant-Begründungen, warum man einen Geweihten zur nächsten Con-Runde grad mal wieder quer durch Aventurien bewegt hat, und die Beschreibung des Tempelgeschehens ist sicherlich auch hilfreich, geht es doch dort so gar nicht ruhig und gesittet zu, wie man es mit dem Wort „Tempel“ verbinden würde.
IV – Die Gemeinschaft des Blutes
Damit kommen wir zu einem der Hauptteile des Buches, der Beschreibung der Geweihten und der Kirche. Diese ist nicht nur relativ klein, sondern auch ein Haufen von hitzköpfigen Individualisten, folgerichtig gibt es hier sehr wenige allgemeingültige Infos, sondern mehr Anregungen, wie einzelne Geweihte etwas sehen könnten. Etwas handfester sind dann schon die Erklärungen zum (Spät-)Noviziat und zur Differenzierung der Glaubensgemeinschaft im Süden (anerkannte Religion), im Norden (langsam erstarkender seltsamer Kult), in den Schattenlanden (Kampf um jede Seele, Achtung: Im Kursivtext verbirgt sich hier wieder ein Spoiler für Von eigenen Gnaden) und im Bornland (theaterritterliche Tradition). Danach folgen dann noch ein Text zur Beziehung zur Rondrakirche und eine bemerkenswert große Aufzählung an Laienbünden.
Positiv aufgefallen ist mir dabei, dass man sich bei den zwergischen Kor-Knaben auch damit auseinandergesetzt hat, wie eigentlich das drachische Erbe Kors zu bewerten ist – die Meinungen innerhalb des Bundes gehen dabei auseinander, ob die Abstammung allgemein Humbug und Verleumdung ist oder Famerlor als Gegner Pyrdacors irgendwie doch ganz okay ist. Für einen Drachen. Ich meine, einige meiner besten Freunde sind Drachen und ich bin da jetzt nicht speziesistisch oder so, aber man weiß ja, wie das mit denen so ist …
V – Der Khunchomer Kodex
Wer kennt ihn nicht, den Söldnervertragsabschluss „nach Khunchomer Kodex“, auf den man als SC auf der einen oder anderen Seite regelmäßig besteht, damit auch alles seine Richtigkeit hat? Wie sich herausstellt, ist der tatsächlich nicht ganz so eindeutig, denn abgesehen von einigen klaren Verboten (Tempel abfackeln, Zivilisten töten) wird der Kodex als durchaus in sich widersprüchliches und damit für Interpretationen offenes Werk dargestellt, das über die Jahrhunderte immer wieder ergänzt wurde und auch gar keinen Standardvertrag enthält.
Auch der Begriff der Söldnerehre wird in diesem Kapitel ausgeführt und bezieht sich weniger auf eine „nette“ Form der Kriegsführung, die dem Gegner möglichst gleiche Chancen lässt, sondern in erster Linie auf die Einhaltung des geschlossenen Vertrags und der Wahrung der Disziplin, um niederhöllische Einflüsse auf Kriege einzudämmen – sich daran haltende Korgeweihte sind für Feldherren also durchaus angenehmer als Rondrianer, ohne dass man sich zu große Gedanken darum machen muss, dass die Jünger des Blutes doch eh irgendwann durchdrehen und den Schlachtplan vergessen.
VI/VII – Gebete und Anrufungen, Schlachtgesang und Rituale / Liturgisches Wirken
Es bietet sich an, die beiden Kapitel zusammen abzuhandeln. Hier wird plastisch gezeigt, was man so am Spieltisch an Gebeten zelebrieren kann. Gut dargestellt ist, dass sie sich zum einen eher an einfache Gemüter richten, zum anderen aber der Geweihte auch gegenüber seinem Gott nicht demütig auftritt – viele Bitten um Wunder wirken eher als Forderungen. Auch etwas seltsam wirkende Liturgien im Repertoire, wie Speise- und Tranksegen, werden hier ganz pragmatisch als Steigerung des Gemeinschaftsgefühls und Schutz gegen verdorbene Vorräte erklärt. Gut so.
VIII – Anregungen zur Ausgestaltung eines Korgeweihten
Das klassische Kernstück der Vademecumreihe. Hier werden zunächst grundlegende Prinzipien der Kirche und die damit verbundenen Probleme im Spielverlauf besprochen, dann sechs mögliche Interpretationen des Glaubens aufgezeigt, das Verhältnis der Korgeweihten zu Normalbevölkerung und Kirchen dargelegt und dann schließlich allgemein auf mögliche Konzepte und Motivationen eines SC-Korgeweihten eingegangen, inklusive 18 Beispielkonzepten. Das liest sich gut und bietet auch Spielern Ideen, die keinerlei Lust auf den Klischeeblutsäufer haben.
IX – Anhang
Kurz und knackig steht hier noch ein beispielhaft ausgearbeiteter Vertrag, der rein zufällig einem Söldner in den Diensten der Helden von Zweimühlen zugeordnet ist. Ob sich bald noch Versionen für „Die Erben des Haus Ulfhart“ oder „Die Besiedlungshelfer der Familie von [Birselburg/Effelder/Tüngeda] (nichtzutreffendes streichen) in besonderer Mission“ finden?
Fazit
Hier handelt es sich mal wieder um ein sehr gelungenes Werk der Vademecumreihe. Der Autorin ist es gelungen, den Korkult sowohl inhaltlich interessant als auch spielrelevant aufbereitet als auch tatsächlich im Abenteuer spielbar darzustellen. Problematisch mag einzig sein, dass die Kirche teilweise etwas zu glatt geraten ist. Für fast jedes Verbot, was nicht auf „Verhalte dich nicht so, dass du ohnehin auf der Abschussliste deiner Heldenkollegen landest“ hinausläuft, finden sich Ausnahmen und Rechtfertigungen – zur Rechenschaft zieht einen ohnehin niemand, weil man allgemein jedem seine eigene Glaubensauslegung lässt. Das verführt ein wenig dazu, Kor zur Religion des „was ich ohnehin tun wollte“ zu machen. Interessante Konflikte aus dem Widerstreit der Glaubensprinzipien mit sich selbst oder mit dem wahren Leben finden sich selten, was natürlich irgendwo auch wieder zur Pragmatikerreligion passt. Schade finde ich ansonsten noch, dass das Thema Zauberei abseits von einem kurzen „magische Heilung doof(*)“ komplett ausgespart wird, wo man andernorts schon von Kor als Patron der Kampfmagie (und Lehrmeister des Borbarad?) gelesen hat. Das sind aber auch schon die einzigen Kritikpunkte. Insofern:
Der Nebel des Krieges lichtet sich. Neun Einhörner waren gegen eine Übermacht angetreten, die ihresgleichen suchte. Nur eines liegt im Dreck, die Hufe von sich gestreckt und aus etlichen Wunden ausblutend. Das weiße Fell der acht Kameraden hingegen ist mittlerweile so rot wie ihre bluttriefenden Hörner. Schnaubend suchen sie nach dem nächsten Feind, während sie lauthals wiehernd den preisen, der lachend über das Schlachtfeld galoppiert.
Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.
(*) Es sei denn, sie ist grad praktisch und man folgt nicht dem Weg des Guten Kampfes.
Sehr gelungene Rezension eines mMn sehr gelungenen Werkes, Danke!