Landkarten der Welt des Schwarzen Auges
Wann immer wir ferne Lande bereisen wollen, stellen Karten den ersten Schritt auf unserer Reise dar. Mehr noch als sonst gilt das für die Phantastik, deren Landschaften oftmals nur in unseren Köpfen existieren. Dabei ist es egal, ob es die feinen Linien sind, welche Mittelerde beschreiben, wir uns ein Bild von Robinson Crusoes Insel machen oder unser Auge über die Länder von Golarion schweift. Ohne räumliche Verortung wirkt die Beschreibung einer jeden Welt unvollkommen und stückhaft.
Angesichts dessen überrascht es kaum, dass die fünfte Edition des Schwarzen Auges schon sehr früh mit einem neuen Kartenset glänzen darf. Aventurien – lange Zeit war der Name des Kontinents gleichbedeutend mit der Welt des Schwarzen Auges. Auch wenn wir heute Nachrichten aus dem Riesland hören, über myranische Gefilde wandern und uthurischen Kaffee importieren, bleibt Aventurien dominierend in der Welt des Schwarzen Auges. Immer noch gern wird die Legende kolportiert, nach der die DSA-Erfinder Fuchs und Kiesow den Kontinent in einem gemeinsamen Schaffensakt auf ein Blatt Papier bannten und so die ikonische Form schufen, die heute mehr als alles andere für Deutschlands größtes P&P-Rollenspiel steht.
Von der Form
Als ich die Lieferung der Post entgegennahm, war mein erster Gedanke:
„Sind wir denn des Wahnsinns fette Beute?“
Das geräumige Paket hatte entgegen den zumeist schweren Bücherlieferungen nahezu kein Gewicht und klapperte beim Schütteln etwas schüchtern. In der Tat kommt das Kartenset in einer fünfeinhalb Zentimeter hohen Box einher, in der vermutlich problemlos vier oder mehr komplette Kartensets Platz finden dürften. Mein anfängliches Unverständnis wich jedoch bald dämmernder Erkenntnis: Die geräumige Box mit den Kontinentalkarten stellt natürlich erst den Anfang des aventurischen Kartenwerks dar und muss somit auch Platz für künftige Erweiterungen bieten. Für die Einsteigerregion Nostragast ist dieser Schritt bereits mit einer eigenen Karte getan.
Nach der Abschaffung der Boxen mit der vierten Edition wurden Karten ja in den praktischen Laschen im Innern der Regionalbeschreibungen ausgeliefert. Die fünfte Edition hat sich von diesem Weg wieder verabschiedet und bietet die Karten als getrenntes Produkt an. Nachdem Michael Mingers in einem der letzten DORPCasts noch einmal erläutert, warum Kartentaschen in Regionalspielhilfen unwirtschaftlich sind, sollte dies aber auch für eingefleischte Fans zu verschmerzen sein.
Der Inhalt
Kernstück des Kartensets ist die neue Aventurien-Darstellung von Markus Holzum. Entsprechend der aktuellen Mode und der technischen Möglichkeiten unserer Zeit hat die Karte einen photorealistischen Grundanstrich, der sich auch auf die stilisierten Städtesymbole erstreckt. Auch mit modernen Mitteln ist die Ausführung einer solchen Karte immer noch anspruchsvoll und mit vielen feinen Details ausgearbeitet. Die Karte kommt in den Ausführungen A1 und A3 daher, was ich ausgesprochen sinnhaft finde. Die A3-Karte gibt es zudem noch als Variante mit darübergelegten Regionen und alternativ mit Ländergrenzen auf A2. Auch wenn diese Karten eher nüchtern daher kommen und die Grenzen der Nivesenlande wohl kaum so definiert sein dürften, wie die Karte suggeriert, komplettieren sie den Blick auf den Kontinent. Erwähnenswert sind hier insbesondere die umkämpften Gebiete zwischen einigen streitbaren Staaten, wie auch die tobrische Enklave Schattenlande.
Neben der neuen Kernkarte gibt es zwei weitere Ingame-Karten von Steffen Brand, die sich in ihrem aquarelligen Stil deutlich von den anderen unterscheiden. Die A3-Weltkarte und die A2-Aventurienkarte sind ausreichend detailarm und fehlerhaft, dass sie auch tatsächlich als Karten innerhalb des Spiels Verwendung finden könnten. Mit einer Reproduktion für den heimischen Spieltisch könnte aus diesem Werk durchaus eine individuelle Gruppenkarte entstehen, die durch die gemeinsamen Abenteuer immer weiter an Details gewinnt. Die letzte Karte aus den Händen eines gewissen Aveslieb von Teremon (eine Signatur konnte ich leider nicht finden) präsentiert sich schwarz/weiß mit feinster Linienführung. Auch wenn die Karte durch zahlreiche Details besticht, ist sie nach meinem Dafürhalten in den Abmessungen viel zu korrekt um als Ingame-Karte Verwendung zu finden.
Ergänzt wird das ganze noch um ein doppelseitiges A1 Poster mit den Motiven des Grundregelwerks und des Aventurischen Almanachs.
Verarbeitung und Material
Die älteren Semester werden sich noch an die durchaus robusten, wenngleich nicht unverwüstlichen Boxen erinnern, die über viele Jahre die wichtigste Publikationsform des Schwarzen Auges bildeten. Im Vergleich dazu ist die Klappbox mit Schlangenhautoptik eher etwas schwach auf der Brust. Das Design entspricht dem der einschlägigen Versandboxen der deutschen Post und kann es für meine Begriffe eindeutig nicht mit den Klassikern aufnehmen.
Entscheidend ist jedoch wohl die Qualität der Karten selbst. Während die Holzum-Karten mit einer Laminatoberfläche daher kommen, wurden die Ingame-Karten auf weniger wertigem Standardpapier gedruckt. Die genauen Gründe hierfür entziehen sich meinem Verständnis. Persönlich würde ich die Nutzung als individualisiertes Element, wie oben beschrieben, immer über eine Reproduktion lösen. Es mag Leute geben, die auf ihren Karten mit abwischbaren Folienstiften arbeiten. Denen ist jedoch mit der Papierversion auch nicht geholfen. Möglicherweise waren aber sogar künstlerische Gründe ausschlaggebend und man wollte den Eindruck der Ingame-Karte nicht durch die Künstlichkeit eines Laminats konterkarieren. Wirklich ärgerlich finde ich dagegen die geringe Robustheit der laminierten Karten. Gerade die zentralen Karten des Kontinents haben das Zeug dazu, zentrale Elemente des Spiels zu werden, und sollten häufige Transporte und Faltungen aushalten. Das verwendete Papier ist jedoch auch eher dünn und kann bei Weitem nicht mit den Karten aus den Regionalspielhilfen der vierten Edition mithalten. Zugegeben, die Karten mit ihrem textilartigen Grundwerk waren sicher das Optimum des Machbaren. Dennoch hätte man zumindest die grundlegende Aventurienkarte für meine Begriffe noch einmal qualitativ herausheben können.
Ikonographie eines Kontinents
Die Geschichte der Entstehung der namensgebenden Schwarzen Augen aus Marketinggründen ist heute wohlbekannt. Der ursprüngliche Name Aventuria erscheint heute eher altbacken, führt uns jedoch direkt auf die Fährte des wichtigsten Elements der Welt des Schwarzen Auges. Der Kontinent Aventurien ist seit geraume Zeit das eigentliche Markenzeichen. Die Backcover diverser Produkte werden von der unverwechselbaren Silouette geschmückt. Die Buchrücken der DSA4-Regionalbeschreibungen vereinigen sich zu einer Darstellung des Kontinents.
Als durchgängiges Alleinstellungsmerkmal des Schwarzen Auges gilt seine dichte Hintergrundwelt und die Fortschreibung der inneraventurischen Geschichte. Während der Zugang zu einer Spielwelt über eine Karte offensichtlich ist, lassen sich die Spuren der aventurischen Geschichte auch auf den Karten finden. Orte wie Yol-Ghurmak und Khezzara sind 17 Hal nicht (unter diesem Namen) zu finden, Wehrheim und [Spoiler] Arivor [/Spoiler] dagegen auf der jüngsten Karte nur noch als Ruinen vermerkt. Die politische Karte zeigt kein Bergkönigkreich mehr in den Beilunker Bergen und weist das Gebiet zwischen Aranien und Gorien als umstritten aus. Noch direkter sind die Anspielungen auf der Schwarzweiß-Karte. Hier hat der Künstler im Perlenmeer einen Baum, der auf dem Wasser wandelt, platziert, und die Abbildung einer Seeschlange östlich von Maraskan dürfte auch kaum ein Zufall sein.
Unter rein optischen Gesichtspunkten fällt auf, dass die Karte im Wandel der Zeit an Detail und Schärfe gewinnt, zugleich aber auch immer dunkler wird. Die Karte der Halzeit in ihren warmen Tönen erinnert unweigerlich an die gute alte Zeit des Blümchen-DSA. Die Regionalkarten zeigen schon ein technisch durchexerziertes DSA in bester DSA4-Manier und Markus Holzums Karte kommt so düster daher, dass man meint, selbst im Horasreich das Buschmesser zu brauchen. Vermutlich wäre es übertrieben, hier eine bewusste Intention zu unterstellen, doch kann man sicher vermuten, dass die Werke auch ein Produkt ihrer Zeit sind und zu einem gewissen Grad den Zeitgeist in ein Bild bannen.
Fazit
Unter ästhetischen und inhaltlichen Gesichtspunkten hat man mit dem Kartenset Aventurien alles richtig gemacht. Aus meiner Sicht ist die Aventurienkarte ohnehin unverzichtbar für jeden DSA-Spieler und das Bündel liefert hier für alle Kartenfreunde einen guten Start in die neue Edition. Auf der anderen Seite ist mein Eindruck von der materiellen Qualität weniger gut. Die Qualität der Karten hätte besser sein können und fällt eindeutig gegenüber dem bisherigen Top-Standard ab. Die Pappbox dürfte auch nicht lange durchhalten, so dass der Grundgedanke der Aufbewahrung hier auch nur mäßig erfüllt wird. Wer die Aventurien als großformatiges Wandgemälde bevorzugt, der ist womöglich mit der einen Meter hohen PVC-Version besser bedient.
Weitere Rezensionen im Netz
- Eine Bücherwelt
- Neue Abenteuer
- Nicos Gedanken
- Late Nerd Show 124 von Orkenspalter TV
Gut auf den Punkt gebracht, krassling. Dein Fazit kann ich genau so unterschreiben.
Danke für die aufschlussreiche Rezension